INTERVIEW

«Özge ist ein klassischer Action-Held. Sie zerredet nichts. Sie agiert und reagiert.»

Seit seinem Oscar für Die Fälscher hat Stefan Ruzowitzky einen Dokumentar- und einen Kinderfilm in Europa, zwei Action-Thriller in den USA gedreht. Zur Zeit inszeniert er gnadenlose Zweikämpfe auf Donaubrücken und rasante Autoverfolgungen entlang der Ringstraße. Sein aktuelles Projekt Die Hölle verwickelt eine junge türkischstämmige Taxilenkerin in ein Duell mit einem Serienkiller und verspricht ungeahnte Beschleunigung im österreichischen Action-Kino.
 

Der heutige Dreh von Die Hölle findet im Wiener Amalienbad statt, wo die nötigen Aufnahmen für eine Szene gemacht werden, wo Özge, die Protagonistin, in den Donaukanal springt? Bestanden die Dreharbeiten in Wien zu einem überwiegenden Teil aus Nachtdrehs?
 
STEFAN RUZOWITZKY: Als wir die Autoverfolgungsjagd durch Wien drehten, hatten wir eine ganze Woche lang Nachtdrehs, ansonsten drehten wir meist versetzt von Nachmittag bis Mitternacht, was sehr angenehm war. Der heutige Dreh im Schwimmbad ist technisch sehr schwierig – unter Wasser und auch lichtmäßig kompliziert, für mich wird es ein entspannter Termin, ich fühle mich heute eher wie am Strand in der Rolle des Bademeisters.
 
 
Angekündigt wird Die Hölle als schnellster und härtester Action-Thriller, der je in Österreich produziert wurde. Was wird dem Film seine Schnelligkeit und Härte verleihen?
 
STEFAN RUZOWITZKY: Man assoziiert Schnelligkeit im Action-Film gerne mit einem schnellen Schnitt, den es gewiss auch geben wird. Mir geht es in erster Linie um Schnelligkeit in der Erzählweise – damit meine ich die Dialoge, die Szenenabfolge. Helmut Grasser hat es sich mit seiner Allegro Film zur Aufgabe gemacht, österreichischen Genre-Film zu produzieren – Das finstere Tal, In drei Tagen bist du tot. Nachdem bei diesen Filmen das Land und die Berge das Setting geboten haben, kommt jetzt mit Die Hölle ein Großstadtthriller.
 
 
Ihre letzten beiden Thriller, Patient Zero und Deadfall, haben Sie in den USA gedreht. Inwiefern verändern Ihre Erfahrungen in den USA Ihren Zugang, wenn Sie nun in Europa Action-Kino machen?
 
STEFAN RUZOWITZKY: Mein Ziel ist es, möglichst unterschiedliche Sachen zu machen und keinesfalls auf ein Genre festgelegt zu werden. Ich habe in den USA handwerklich sehr viel gelernt, wie man solche Dinge prinzipiell angeht. Wir hatten im jetzigen Projekt ein Auto, das sich überschlägt. Für mich ist es eben nicht mehr das erste sich überschlagende Auto, das ich umsetze. Ich kann auf mehr Erfahrung zurückgreifen, weiß, wie man mit Stuntleuten arbeitet, weiß, was passieren kann, weiß, wie das in Amerika gemacht wird. Das gibt mir für den Dreh hier mehr Gewissheit, weil ich genauer weiß, was auf mich zukommt. Mit den Erfahrungen in den USA ist es so, dass man zum einen feststellt, dass dort auch nur mit Wasser gekocht wird, zum anderen lernt man, dass es Regeln und Gesetzmäßigkeiten zu befolgen gilt – diese zu kennen, macht sich bezahlt. Die Dreharbeit selbst ist das, was am ähnlichsten bleibt, egal ob man in Europa oder in den USA dreht. Man hat auch drüben kreative Freiheiten. Grundlegend anders sind Finanzierung und der Prozess, wie ein Film überhaupt zustande kommt; und auch im Schnitt und in der Nachbearbeitung bekommt man viel stärker den Einfluss und Druck von Produzenten, Verleih und Studio zu spüren. Europäischen Action-Film gibt es ja nur in beschränktem Ausmaß, am ehesten in Frankreich. Die Handschrift eines Thrillers wird aber nicht von der Frage Europa oder USA bestimmt, sondern hängt viel mehr vom Regisseur ab, ob der Film nun etwas langsamer oder konventioneller oder sehr dynamisch mit Handkamera oder GoPros erzählt wird.
 
 
Was vielleicht Ihren europäischen Ansatz im Action-Kino ausmacht, ist die Verbindung von Handwerk mit einer Auseinandersetzung mit dem Charakter. In Die Hölle gibt es eine weibliche Hauptfigur, Özge, eine junge Frau mit Migrationshintergrund. Was macht sie zu einer komplexen Hauptfigur?
 
STEFAN RUZOWITZKY: Özge ist ein klassischer Action-Held: schweigsam, nach und nach merkt man, dass sie traumatische, sehr prägende Dinge erlebt hat. Wie jeder Action-Held ist sie (in diesem Fall) eine Frau der Tat. Während der Proben haben wir immer wieder Dialogsätze von ihr ersatzlos gestrichen. Violetta Schurawlow hat sehr schöne Augen und einen intensiven Blick – sie schaut ... und geht wieder oder ... schlägt zu. Sie zerredet nichts, sie agiert und reagiert.
Es gibt auch in guten, amerikanischen Action-Filmen interessante, vielschichtige Charaktere, ich denke an die Coen-Brüder oder z. B. an Sicario. Das versuchen wir in Die Hölle auch zu haben, auch hier schwingen viele Themen mit. Ich versuche immer Filme zu machen, die mich interessieren, die gute Action und Adrenalin bieten und die dennoch etwas über die menschliche Existenz und die Gesellschaft, in der wir leben, erzählen.
 
 
War es Ihnen ein Anliegen, eine weibliche Hauptfigur zu haben?
 
STEFAN RUZOWITZKY: Das war keine Vorgabe, sondern es war so und ich finde es gut so. Die Filmwirtschaft irrt gewiss, wenn sie meint, Action-Heldinnen würden nicht funktionieren. Von Alien bis Hunger Games ist das schon sehr oft bewiesen worden. Mein Anatomie mit Franka Potente in der Hauptrolle ist immer noch der erfolgreichste deutschsprachige Genrefilm. Hexe Lilli ist, wenn man so will, auch eine Action-Heldin. Ich halte eine Protagonstin im Action-Film für vielschichtiger und interessanter, weil noch einmal andere Dinge ins Spiel kommen, wenn eine Frau gegen einen männlichen Bösewicht kämpft. Es macht es meiner Meinung nach auch spannender und für ein weibliches Publikum attraktiver, wenn sich nicht nur Jungs gegenseitig in die Fresse hauen.
 
 
Warum ist Özge durch Violetta Schurawlow so gut verkörpert?
 
STEFAN RUZOWITZKY: Wir hatten bei den Überlegungen zur Besetzung das Gefühl, dass bei den bekannteren Namen niemanden gab, der auf die Rollenbeschreibung passte. Wir machten ein Casting eher mit Newcomerinnen,  unabhängig voneinander war für mich wie für den Produzenten, in dem Moment, wo Violetta vor die Kamera trat, klar, dass sie die richtige Wahl war. Sie hat durch ihre Herkunft aus Usbekistan etwas Exotisches, eine herbe Schönheit, die gut mit der Rolle funktioniert. Und die Rolle war auch eine große physische Herausforderung. Zu gewissen Zeiten trainierte sie zweimal täglich in einem Kampfsport-Club. Für die Stunts gibt es natürlich Doubles, gewisse Szenen müssen die Darsteller aber selber machen. Es gibt z.B. eine Szene, wo sie Feuer fängt. Wenn sie länger brennt, ist das Double zu sehen. Den Moment, wo sie angezündet wird, muss sie aber selber drehen. In einer anderen Szene springt sie von der Brücke in den Donaukanal. Diesen Sprung macht der Weltmeister im Splash-Diving, aber sie muss selber über die Reling springen und fällt dann nach drei oder vier Metern ins Seil. Das muss man sich erst einmal trauen, auch wenn alles sehr abgesichert ist. Die Szene mit dem Feuer ist mental eine Riesenherausforderung. Du brennst, musst spielen und dein Körper ist nur in Panik, schüttet alles aus, was es an Adrenalin und sonstigen Stressstoffen gibt. Auch wenn man Formel 1-Unterwäsche trägt und fünf Feuerwehrleute um einen rumstehen, die sofort löschen, da muss man sich ordentlich überwinden. Im Laufe so eines Drehs bekommt man da auch einiges ab.
Deshalb wäre es mein Wunsch, dass man Schauspieler und Schauspielerinnen wie Violetta aufbaut, die eine Kompetenz im Action-Dreh haben. Zu Beginn des Projekts war der Wunsch nach einem großen Namen da. Es wäre aber völlig sinnlos gewesen, jemanden zu engagieren, der für romantic comedies einen Namen hat. Das macht den Film gewiss unterhaltsam, aber man kann keine ordentliche Action drehen. Da es im deutschsprachigen Raum wenig Action-Film gibt, gibt es auch keine großen Namen, die das Genre verkaufen. Wenn ich Namen wie Jason Statham, Bruce Willis oder Tom Cruise höre, dann weiß ich, egal wer der Regisseur ist, dass ich da ein gerüttelt Maß an hochklassiger Action bekomme, weil der mit seinem Namen dafür steht. Das habe ich bei unseren bekannten Schauspielern bei niemandem. Deshalb mein Aufruf, jemanden wie Violetta jetzt im Action-Fach aufzubauen.
 
 
Der Cast ist eine Mischung aus internationalen und österreichischen Darstellern Cast. Wer spielt den Bösewicht?
 
STEFAN RUZOWITZKY: Der Bösewicht wird von Sammy Sheikh gespielt, der ein sehr lieber, angenehmer, spaßiger, professioneller Mensch ist und ein toller Schauspieler. Als aus Ägypten stammender Schauspieler in Hollywood bekommt er sehr oft die Rolle der Bösewichte und Dunkelmänner. Er spielte in American Sniper, Lone Surviver. Auch in Die Hölle ist er alles andere als ein angenehmer Zeitgenosse. Tobias Moretti ist unter den großen Namen jemand, der eher eine Reputation hat für schwerere Stoffe hat. Drehsprache ist Deutsch ... ein österreichisches Deutsch. Sammy spielt einen Diplomaten, der immer ein Kauderwelsch aus Englisch, Deutsch und Arabisch spricht. Die Sätze auf Deutsch hat er gelernt. Schwieriger war es für Violetta, die wochenlang österreichische Sprachfärbung lernen musste. Da werden einem erst die vielen Unterschiede bewusst  – da ist ein A zu lang, dort ein T zu hart... Aber es klingt schon recht gut.
 
 
Die Hölle ist nicht nur schnell, sondern auch sehr brutal. Action-Kino ohne Gewalt zu machen, wäre ein Widerspruch in sich. Wie dosieren Sie für Ihre Arbeiten den Faktor Gewalt?
 
STEFAN RUZOWITZKY: Ich habe einmal nachgerechnet. In der Regel gab es in meinen Filmen sechs Morde bzw. sechs Tote auf der Leinwand pro Film. In Die Hölle sind es weniger, diese aber umso grausamer. Gewalt ist ein Thema im Leben, daher auch im Film. Es kommt immer darauf an, wie man es darstellt: Gewalt als Lösung oder als Problem. Ich versuche zu vermeiden, wie in trashigen Hollywood-Filmen Gewalt als das einzige probate Mittel einzusetzen, um eines Problems Herr zu werden, aber für unsere Geschichte halte ich es für wichtig und richtig, darüber und damit zu erzählen.
 
 
Die Gewalt, die in Die Hölle vorkommt, hat mehrere Konnotationen u.a. auch eine, die sich mit aktuellen Entwicklungen verbindet, wo religiöser Fanatismus sich mit Gewaltakten einhergeht. Was hat Sie veranlasst, Gewalt und Religion, wie sie uns zur Zeit beschäftigt, zu thematisieren und im Genre des Unterhaltungskinos damit umzugehen?
 
STEFAN RUZOWITZKY: Ich möchte die Assoziationen mit gesellschaftlichen Bezügen bewusst sehr klein halten, weil ich beim jungen Kinopublikum keine ablehnende Reaktion auslösen möchte. Wenn ich eine junge muslimische Frau habe, die aus eigener Kraft einen Typen zur Strecke bringt, der ein psychopathischer Frauenhasser ist und das in seinem Irrsinn auch noch religiös begründet, dann liegen gewisse Bezüge zur Wirklichkeit nahe, sie stehen aber nicht im Vordergrund. Das soll weder theoretisch erörtert noch debattiert werden. Ich würde mich freuen, wenn uns die Figur so gut gelingt, dass junge Frauen in Özge eine positive Figur erleben, der es gelingt, sich durchzusetzen. Die Hölle ist auf keinen Fall etwas, was man hierzulande als sozialkritischen oder politischen Film bezeichnen kann.
 
 
Martin Ambrosch hat das Drehbuch von Die Hölle geschrieben. Haben Sie den Stoff mit ihm gemeinsam entwickelt?
 
STEFAN RUZOWITZKY: Martin Ambrosch hat das Drehbuch allein geschrieben. Ich halte es immer für sehr wichtig und positiv, dass man schon in der Buchphase und später in der Arbeit mit den Schauspielern viel darüber redet und nachjustiert, damit es sich entwickeln kann. Tobias Moretti hat noch viele Ideen eingebracht, die seine Figur interessanter gemacht haben. Ich wollte auch nicht, dass das migrantische Wien als tristes Jammertal auf die Leinwand kommt. Daher gibt es ein lebendiges Spektrum an Figuren vom erfolgreichen bosnischen Unternehmer, Menschen, die total integriert sind oder z.B. Özges Eltern, die das weniger sind ... Das scheint mir der Wirklichkeit zu entsprechen. Der Film ist klar in Wien verortet, das soll ja auch seinen Unterhaltungswert ausmachen. Für das Wiener Publikum wird es unterhaltsam sein, wenn in der Verfolgungsjagd die Autos durch die engen Gassen oder über den Ring oder beim Stadtpark vorbeirasen. Und wir hoffen, dass es auch für ein internationales Publikum reizvoll ist, wenn ein Action-Film einmal nicht in New York oder Los Angeles oder einer anonymen amerikanischen Stadt spielt und man etwas Neues entdecken kann.
 
 
Interview: Karin Schiefer
April 2016
 
 
DIE HÖLLE
 
produced by: Allegro Film, The Amazing Film Company (D)
 
directed by Stefan Ruzowitzky
cinematography: Benedict Neuenfels
 
with:  Violetta Schurawlow, Tobias Moretti, Sammy Sheik, Friedrich von Thun, Robert Palfrader