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Publikation: Räume in der Zeit. Die Filme von Nikolaus Geyrhalter


 
Nikolaus Geyrhalters filmisches Jetzt setzt im Danach ein. Wenn seine Kamera zu laufen beginnt, ist etwas schon vergangen, verflogen oder im Schwinden begriffen – eine (Arbeits-)-Welt, ein Reaktorunfall, ein Rallye-Wagen. Geyrhalters Blick ist ein Kino der sichtbaren und unsichtbaren Spuren, die die Zeit an den Menschen und Räumen seiner Betrachtungen hinterlässt und verwischt. Räume in der Zeit hat Alejandro Bachmann seine soeben im Sonderzahl-Verlag erschienene Publikation zum Oeuvre Nikolaus Geyrhalters  genannt, denn, so der Herausgeber, „Kino bei Geyrhalter ist Raumerfahrung“. Das wie ein Geyrhalter-Bild sorgsam bis ins Detail gestaltete Buch über einen der herausragendsten österreichischen Dokumentarfilmemacher ist Gedanken- und Bilderfahrung zugleich. Jeder Textsequenz des großzügig querformatigen Bandes folgt eine Foto-Strecke, die dem Betrachter kurze, verdichtete Routen durch den weltumspannenden Bilderkosmos des Filmemachers legt und auch seine Konstanten sichtbar macht: Immer wieder durchsetzt mit einem subtilen, verborgenen Witz, der das Unfassbare streift, niemals ohne eine Ahnung von Vergänglichkeit oder Bedrohlichkeit, die dem Menschsein, das sich Schritt um Schritt der Maschine überantwortet, innewohnt.

In einem ausführlichen Interview eröffnet Geyrhalter Einblicke in seine Bildersuche, der der Anspruch zugrunde liegt, „dass jedes Bild den Film erzählen kann.“ An die 100 Stunden Bild sammeln sich im Zuge eines Projekts, die in der Regel von Schnittmeister Wolfgang Widerhofer, verlesen und vernetzt werden. Auch er reflektiert in einem eingehenden Gespräch seinen Zugang zum Montage-Prozess, den er, angesichts eines Materials, „wo jedes Bild auf der Goldwaage liegt“,  mit der Bildhauerei vergleicht. Den profunden Innensichten hat Alejandro Bachmann mit Essays von Volker Pantenburg, Tom Gunning und Bert Rebhandl drei thematische Nahaufnahmen gegenübergestellt und selbst im Sinne des Protagonisten dessen  gesamtes Werk im Weitwinkel erfasst und die dreizehn in rund zwanzig Jahren entstandenen Regiearbeiten auf einer filmischen Landkarte verortet und die Koordinaten und den Wandel des Geyrhalterschen Blicks analysiert.
 
Alejandro Bachmann (Hg.): Räume in der Zeit. Die Filme von Nikolaus Geyrhalter
Verlag Sonderzahl, Wien 2015,  224 S., € 25,-