INTERVIEW

«Warum tötet der Mensch, wenn es dazu keine Notwendigkeit gibt?»

Ulrich Seidl folgt in Safari europäischen Freizeitjägern auf ihren Pirschgängen in Afrika und fängt in der Weite einer schier unbegrenzten Natur ein vielschichtiges und nachdenkliches Bild über Dominanz und Endlichkeit ein.
 
 
 
In der Logline zum Film heißt es „Ein Urlaubsfilm über das Töten“. Ein Verweis auf zwei grundsätzlich widersprüchliche Konzepte, nämlich das Entspannen vom Alltag und das Töten. Hat diese pointierte Formulierung etwas mit diesem hohen Maß an Widersprüchlichkeit, die das Thema Jagd in sich vereint zu tun? Eine Widersprüchlichkeit, die Sie gereizt hat, ihr filmisch auf den Grund zu gehen?
 
ULRICH SEIDL: Die Jagd war schon immer als Thema für einen Film in meinem Kopf. Gleichzeitig hatte ich eine Filmreihe zum Thema Urlaub fürs Fernsehen geplant. Nach meinem letzten Film Im Keller, wo ein Paar zu den Protagonisten gehört hat, deren Keller voller Jagdtrophäen war, haben sich die beiden Themen zu einem Film zusammengefügt und die Idee konkretisiert, dem Jagdtourismus in Afrika nachzugehen. Mich interessiert die Jagd, weil sie die menschliche Natur zeigt, weil sie das Töten thematisiert, weil sie das Verhältnis des Menschen zur Tierwelt thematisiert und Fragen aufwirft über die Macht des Menschen über die Natur ...
 
In welcher Form, in welchem Dispositiv und wo sind Sie dieser modernen Form der Großwildjagd nachgegangen?
 
ULRICH SEIDL: Wir haben in Südafrika und Namibia gedreht, Jagdfarmen gibt es allerdings in vielen Ländern Afrikas. Unser Ansatz für das Konzept (das ich wie immer gemeinsam mit Veronika Franz geschrieben habe) war nicht die Großwildjagd a la Big Five  (also: Löwe, Leopard, Elefant, Büffel, Nashorn), sondern das eher unspektakuläre Jagen, das Durchschnittliche. Diese Art von Jagdurlaub findet im großen Stil statt, weil Jagdurlaube leistbar geworden sind.  Heute kann auch der Durchschnittsverdiener als Jäger nach Afrika reisen um zu jagen. Etwas, was früher Adel, Macht und Geld vorbehalten war.
 
In welchem Ausmaß werden diese Jagdfarmen von Weißen betrieben?
 
ULRICH SEIDL: Zur Gänze, zumindest ist uns bei den Recherchen keine Jagdfarm untergekommen, die von einem schwarzen Besitzer geführt wurde. In Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, haben die deutschen Kolonialherren ursprünglich begonnen, Viehfarmen zu betreiben. In der heutigen dritten und vierten Generation haben dann viele dieser Großgrundbesitzer auf Jagdfarm umgestellt, weil es das viel rentablere Geschäft geworden ist. Die Dimensionen dieser Farmen sind für unsere Begriffe kaum vorstellbar. Wenn man das Eingangstor einer Farm passiert hat, fährt man nochmals eine halbe Stunde, um zum Farmhaus zu gelangen. Das ganze Terrain ist dann mit Wildzäunen eingezäunt.  
 
Inwieweit bewegt sich dieser Jagdtourismus im Rahmen der Legalität, der Nachhaltigkeit, des Artenschutzes?
 
ULRICH SEIDL:  Die Form des Jagdtourismus, mit dem sich der Film beschäftigt, ist völlig legal. Die Wildtiere sind im Besitz des Farmbesitzers, sie sind angestammt, gezüchtet oder dazu gekauft. Es gibt sogenannte Trophäen-Abschüsse, die müssen für die Ausfuhr  behördlich gemeldet sein und werden auch kontrolliert. Und es gibt sogenannte Fleischabschüsse, die dazu dienen, Überpopulationen zu dezimieren. Dafür zahlt der Jäger nichts. Und es gibt Tiere, wie zum Beispiel Raubkatzen, für die man vor dem Abschuss eine Genehmigung braucht, weil nur eine bestimmte Stückzahl pro Jahr und Farm genehmigt wird.
 
Ist es die Jagd per se, die Ihrer Meinung nach viel über die menschliche Natur erzählt oder insbesondere diese Form der Jagd, wo über die Dominanz des Menschen über die Natur/das Tier/ die Schöpfung hinaus auch von einer Dominanz des weißen westlichen Menschen über die schwarzen Bewohner erzählt wird?
 
ULRICH SEIDL: Auch wenn im Vordergrund die Jagd und das Töten thematisiert werden, schwingt dieser Aspekt natürlich durch den gesamten Film mit. Einen Film zu machen, der simple Jagdkritik übt, wäre mir zu billig und schlichtweg unrichtig erschienen. Das Dominanz-Verhältnis zwischen Weiß und Schwarz ist ein Aspekt im Film, den jeder erspüren und für sich weiterdenken kann. Wenn man genau hinschaut, führt der Film klar vor Augen, dass es die Schwarzen sind, die die Tiere erkennen und sehen, es sind die Schwarzen, die das beste Gespür haben, die aber nie die Führung übernehmen oder übernehmen können. Auf der Jagd sind sie die Gehilfen des Jagdbegleiters, auf der Farm sind sie Angestellte, die u.a. die toten Tiere zerlegen.  
 
Den Kern der Protagonisten von Safari bildet eine vierköpfige Familie, die einen geradezu ethischen Zugang zur Jagd pflegt. Der gemeinsame Jagdurlaub scheint etwas die Beziehungen, das Familienleben, die Persönlichkeit festigendes zu haben. Was hat sich in dieser Familie alles konzentriert, dass sie diese zentrale Rolle im Film einnimmt?
 
ULRICH SEIDL: Jeder Film gestaltet sich nach und mit den Menschen, für die man sich entscheidet. In diesem Entscheidungsprozess versucht man das Potenzial einzuschätzen, wie ergiebig die Zusammenarbeit für den Film sein wird. Da stehen auch Fragen im Vordergrund wie: Wie natürlich sind sie vor der Kamera?, nur um ein Beispiel zu nennen. Das Besondere und Interessante an unserer Film-Familie war, dass sie nicht nur Männer und Frauen, sondern auch zwei Generationen vereint hat. Das machte die Betrachtungen deutlich vielschichtiger.
 
 
Der Tötungsakt gehört dazu, ist aber nur ein kleiner Teil der Jagd“, sagt eines der Familienmitglieder. Hört man den Protagonisten im Film zu, so fallen eine eigene Rhetorik und Sprache auf – das Tier/das Lebewesen wird zum „Stück“ versachlicht, das Wort „töten“ durch „erlegen“, das Wort „tot“ durch „verendet“ ersetzt. Welche Rolle spielt diese Sprache im Prozess der Legitimation, die sich offensichtlich jeder für sein Handeln zurechtlegt?
 
ULRICH SEIDL: Wenn man das Tier nicht beim Namen nennt und das Zebra als „Stück“ bezeichnet, dann kann diese Versachlichung beim Akt des Tötens auch die nötige Distanz schaffen. Diese „Jägersprache“ ist in der Tat so, dass für die Dinge eine Umschreibung gefunden wird. Auch das „Blut“ wird ja nicht als solches, sondern als „Schweiß“ bezeichnet. Bei der Untertitelung ins Englische und Italienische für das Festival von Venedig stellten wir übrigens fest, dass es diese Umschreibungen des Jägerjargons nur in der deutschen Sprache gibt.
 
In den Tableaus, wo Weiße vor der Kamera sind, wird gesprochen, die Tableaus, wo Sie Schwarze filmen, bleiben stumm. Wenn auch schweigend geben Sie ein sehr starkes Statement zum Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß ab?
 
ULRICH SEIDL: Ich halte es für völlig falsch, als Filmemacher eine Quasi-Objektivität zu behaupten und sich in diesem Fall zu bemühen, auch die Schwarzen zu Wort kommen zu lassen. Ich finde, die Schwarzen haben in diesem Film die Position, die sie auf den Jagdfarmen auch einnehmen  – sie sagen nichts, weil sie nichts zu sagen haben bzw. nichts sagen dürfen. Was natürlich nicht gerecht ist, aber leider eine Realität.
 
Der Rhythmus in Safari ist ein Abwechseln von strenger Kadrierung der Tableaus und den Pirschgängen, die mit einer sehr ruhigen Handkamera verfolgt / belauert werden. Eine Dynamik des Verengens und Dehnens, wie ein Atemrhythmus, der diesem Film, der auch über Leben und Tod reflektiert, eine adäquate Form gibt. Wie verliefen die langen, wenig vorhersehbaren Drehgänge? Welcher Herausforderung stand die Kamera gegenüber?
 
ULRICH SEIDL: Ehrlich gesagt sind keine langen theoretischen Überlegungen voraus gegangen, um Klarheit zu haben, wie dieser Film formal umgesetzt werden soll. Wir haben entschieden, auf die Pirsch mitzugehen und dabei den Fokus auf den Menschen zu legen. In den Tier- und Jagdfilmen ist man in der Regel anderes gewohnt: Da steht das Tier, das vielleicht auch noch mit einer Teleoptik herangeholt wird, im Mittelpunkt. Die Gesten und das Tun der Menschen spielt nur am Rande eine Rolle. Unser Ansatz war ein grundlegend anderer: Ich wollte dem nachspüren, wie es den Menschen auf der Pirsch geht, was sie empfinden vor dem Schuss und was sie empfinden nach dem Schuss und was sie empfinden,  wenn sie vor dem getöteten Tier stehen und sich mit ihrer Beute fotografieren lassen.
 
Das Warten, das Lauern, das Spähen, das Schießen – das die Drehgänge bestimmt, wird durch die Arbeit des Kameramanns praktisch dupliziert. „Safari“ ist ja auch als Fotosafari ein Begriff. Haben Sie diese Verdoppelung des „Jagens nach dem Bild“ auf den Pirschgängen gespürt?
 
ULRICH SEIDL:  Das war nicht in meinem Sinn, auch wenn man in der Tat in manchen Sprachen für das Filmen mit der Kamera den Ausdruck „schießen“ verwendet. Ich verstehe unter ein „Bild schießen“ eher einen Schnappschuss. Ein Fotograf erwischt den richtigen Moment und schießt ein Bild. Meine Arbeit betrachte ich zwar auch als etwas, das aus dem Moment heraus entsteht. Ganz im Gegenteil dazu sind unsere Bilder aber vorbereitet und nicht dem Zufall überlassen. Und auch wenn das bei den Pirsch-Gängen so aussieht, als wäre man einfach mit einer Handkamera hinterhergegangen, ist diese Handkamera etwas, das gestaltet wird: von Wolfgang Thaler, dem Kameramann, und von mir.
 
Nach erfolgreicher Jagd wird das Erleben der Dominanz versinnbildlicht und für immer festgehalten: Das Foto des Jägers mit dem erlegten Tier zu seinen Füßen und dem Gewehr in der Hand scheint das unumgängliche Must am Ende jeder Jagd. Was haben Sie über die Motivation zu jagen bei Ihren Protagonisten herausgefunden?  
 
ULRICH SEIDL: Das Jagen ist zunächst einmal ein menschlicher Trieb, davon gehe ich aus und das bekommt man im Film auch zu spüren. Das Zielen, der Schuss, die Befindlichkeit danach – das sind Momente einer enormen Anspannung. Das Bewusstsein und die Absicht, ein Tier zu töten, laden die Situation mit großen Emotionen auf und umso spürbarer folgt diesem Augenblick dann ein Gefühl der Erleichterung, sobald das Tier erlegt ist. Darüber sprechen die Protagonisten des Films auch in ihren Statements. Die Frage, die sich in weiterer Folge stellt, lautet: „Warum tötet der Mensch, wenn es dazu keine Notwendigkeit gibt?“ Ich neige dazu zu denken, dass es etwas mit einem Machtanspruch der Menschen über die Natur zu tun hat. Aber es ist eine Frage, die mich immer noch beschäftigt.
 
Die professionelle Zerlegung der Tierkörper führt auf sehr eindringliche Weise die Entseelung der Lebewesen, das Ende der Existenz vor Augen. Sie haben mit Safari grundsätzlich einen besonders nachdenklichen Film über die Existenz vorgelegt.
 
ULRICH SEIDL: Es war keineswegs eine Absicht, die wir vor den Dreharbeiten so schriftlich festgehalten hätten. Das hat sich wohl dadurch entwickelt, dass man durch die Jagd mit dem Tod konfrontiert ist. Ich wollte einfach einen Film über das Jagen machen, der den Zuschauer involviert und dazu bringt, sich darüber Gedanken zu machen.
 
War es schwieriger Leute zu finden, die über ihre Jagdleidenschaft reden als solche, die bereit waren, ihre Kellertür zu öffnen?
 
ULRICH SEIDL: Es war schwieriger aufgrund des österreichweiten Medienechos, das Im Keller ausgelöst hatte. Als ich mit dem Dreh für SAFARI beginnen wollte, kam Im Keller gerade ins Kino, flankiert von einem Skandal, den jeder in Österreich mitbekommen hat. Auch die bereits ausgewählten Protagonisten für SAFARI. Grundsätzlich war in diesem Fall meine „Zielgruppe“ viel einfacher einzugrenzen als bei Im Keller. Jäger gibt es ja genug in Österreich. Diejenigen von ihnen, die sich dann vor die Kamera getraut hatten, wussten, dass es ein heikles Thema ist. Sie sind aber davon überzeugt, weder etwas Böses noch etwas Ungesetzliches, noch etwas moralisch Verwerfliches zu tun. Deshalb stehen sie auch dazu. Eines meiner Credos in meiner Arbeit mit Menschen ist es, sie nicht zu verurteilen, für das was sie tun, was sie sagen oder zeigen.  
 
Auch wenn es Ihnen sehr ums Ernstnehmen des Gegenübers geht, spielen Witz und Ironie in SAFARI ihre Rolle. Ich denke an den Einstieg oder den Jäger, der im Hochstand einschläft.
 
URLICH SEIDL: Humor ist mir ja bei jedem Film ein Anliegen und somit auch nicht vom Thema abhängig und auch in Safari vorhanden. Dennoch ist Safari ist ein nachdenklicher Film geworden, finde ich, für einige Leute sogar ein sehr trauriger Film. Und viele Menschen werden schon vor dem Ende des Films das Kino verlassen, weil sie keine toten Tiere sich anschauen wollen.
 
 
Interview: Karin Schiefer
August 2016