INTERVIEW

«Die Frauen sind der Motor der Revolution.»

 

Ein Gespräch mit Alexandra Schneider über ihren Dokumentarfilm PRIVATE REVOLUTIONS.



Welcher Zeitraum liegt zwischen dem ersten und letzten Drehtag, an denen Sie in Ägypten gedreht haben.
Alexandra Schneider: Fast zwei Jahre. Im Juni 2011 waren wir zum ersten Mal zwei Wochen zur Recherche dort. Der eigentliche Dreh begann im November 2011 und ging bis Anfang März 2013. Unsere Dreharbeiten enden zu einem Zeitpunkt, als Mursi noch im Amt war, also ungefähr zwei Jahre nach der Revolution. Während der Umsturzfeiern im Juli 2013 haben wir nicht mehr gefilmt. Zum einen hatten wir da schon eine sehr fortgeschrittene Schnittfassung, zum anderen herrschte eine aggressive Stimmung gegen die Muslimbrüder und auch gegen die Journalisten. Die politische Weiterentwicklung fließt durch einen Epilog ein, ich war im Dezember 2013 privat nochmals in Ägypten, um drei der Frauen zu treffen und ihnen den Rohschnitt zu zeigen. Die vierte Frau in meinem Film, Fatema, hatte ja den Kontakt zu mir völlig abgebrochen.

Was hat Sie mit der Filmkamera in den Arabischen Frühling geführt?
Alexandra Schneider: Die Neugierde. Ich war sehr berührt von den Themen, für die die Menschen auf die Straße gingen: Themen wie Freiheit, Solidarität, Brüderlichkeit. Der Slogan lautete:  „Brot, Freiheit und mehr soziale Gerechtigkeit“. Die Slogans bezogen sich nie „Gegen Mubarak“ oder „gegen etwas“ sondern von Beginn an „für etwas“. Es hat mich persönlich begeistert, dass ganz junge Frauen plötzlich von sich reden machten, und zwar nicht die altbekannten Feministinnen. Zum Beispiel Asma Mahfouz, die zu Hause am Computer ein Video gedreht hat und sagt, „Ich werde morgen am Tahrir-Platz stehen und wenn ich mit meinem Schild dort alleine stehe und rund um mich hunderte Polizisten, dann sind nicht nur sie daran schuld, sondern auch ihr, denn ich kämpfe für mehr Gerechtigkeit für uns alle“. Es hat mich beeindruckt, dass Frauen da so aktiv sind. Eine Freundin, die in ihrer Kindheit in Ägypten aufgewachsen und jetzt Fotografin ist, war bereit, mit mir nach Ägypten zu fahren, Daniela Praher, die Produzentin, war auch sehr angetan und wir beschlossen, zunächst zur Recherche nach Ägypten zu reisen, um herauszufinden, was denn überhaupt machbar sei. Die Freundin hatte noch Kontakt zu ehemaligen Schulfreundinnen, da trafen wir schon auf viel positives Feedback. Die Grünen im Europa-Parlament unterstützten uns ebenfalls. Sie luden uns nach Brüssel ein, wo eine Delegation junger Ägypterinnen zu Gast war, mit denen wir in Kontakt treten konnten. Bei unserer Recherche-Reise im Juni 2011 herrschten noch große Euphorie und Stolz in Ägypten, dass sie es geschafft hatten. Es war Aufbruchsstimmung und große Offenheit. Das hat sich dann stark gewandelt. Die Drehbedingungen wurden zu einem späteren Zeitpunkt sehr unlustig Da hatten wir uns  aber bereits eine solide Basis und einen guten Kontakt zu unseren Protagonistinnen aufgebaut. Im Juni haben wir uns mit mehr als 20 Frauen getroffen, damit kam alles ins Rollen.

Unsere Bilder von Frauen aus muslimisch dominierten Ländern sind oft sehr stereotyp geprägt. Ging es Ihnen auch darum, die undifferenzierten Vorstellungen von „den unterdrückten Frauen“ zu revidieren.
Alexandra Schneider: Es hat mich im Speziellen interessiert, wie es Frauen geht. Mein Beweggrund bestand darin, dass ich mir als junge Frau diese rigide, patriarchalische Gesellschaft näher anschauen will, in der es grundsätzlich schwierig ist, etwas zu verändern, aber für junge Frauen noch schwieriger sein muss. Was heißt es für eine junge Frau, wenn sie etwas verändern will? Mit welchen Konflikten und Widerständen  muss sie rechnen? Wie reagiert ihr Umfeld? Durch die Revolution hat sich plötzlich ein Ventil geöffnet, dass man an die Leute herankonnte.

In einer der ersten Einstellungen Sind sie im Bild, zwei weitere Male folgen.  Wollten Sie sich bewusst von Beginn an positionieren?
Alexandra Schneider: Ich hatte nicht grundsätzlich das Bedürfnis, im Film sichtbar zu sein. Im Schnitt hat sich herausgestellt, dass klar sein sollte, dass es ein Film einer Ausländerin über die Revolution in Ägypten ist,  einer Ausländerin, die zwar tief eindringt, aber dennoch eine Blick von außen hat. Für eine Ägypterin wäre es wiederum nicht möglich gewesen, einen Film zu machen, in dem dieses Spektrum an Frauenfiguren zu Wort kommt. Mit Amani, einer sehr engagierten linken und feministisch motivierten Aktivistin, und gleichzeitig auch mit einer Muslimschwester zu drehen war nur deshalb möglich, weil ich von beiden Seiten als neutral wahrgenommen wurde. Wir hatten immer wieder Leute aus Ägypten im Team, sei es als Dolmetscher, sei es für den Ton. Es gab immer wieder Schwierigkeiten, weil sich Mitarbeiter von uns in politische Diskussionen verstrickt haben. Ich konnte das gut verstehen. Wenn nach jahrelanger politischer Apathie alles hochkommt, hat jeder zu allem eine Meinung und mit der kann man dann nicht hinterm Berg halten, nur weil man gerade „nur“  der Dolmetscher ist. Da muss man einfach diskutieren.

Wie ist der Prozess des Filmens in Gang gekommen? Ich nehme an, die Bereitschaft sich filmen zu lassen, konnte für die Protagonistinnen auch Konsequenzen nach sich ziehen.
Alexandra Schneider: Wir waren als kleines aus 2-3 Leuten bestehendem Team unterwegs. Meine Gesprächspartnerinnen stimmten am Anfang zu, gefilmt zu werden. Ich glaube nicht, dass es ihnen zu diesem Zeitpunkt bewusst war, dass wir so hartnäckig an der Sache dranbleiben und über zwei Jahre hinweg immer wieder auftauchen würden. Die Umstände änderten sich noch einmal grundlegend, als ich 2012 für mehrere Monate dort lebte. Die Frauen merkten, dass auch ich bereit war, schwierige Bedingungen und Risiken in Kauf zu nehmen, daher wurde unser Verhältnis zueinander auch sehr persönlich. Fatema, Amani und May lernten wir bereits im Juni 2011 kennen. Im ersten Drehblock im November 2011 haben wir versucht, unverfänglichen Alltag einzufangen, aber es ergaben sich bald heiklere Situationen und es entstand sehr schnell eine große Nähe.

Führten Sie in einer ersten Phase mit viel mehr Frauen Gespräche?
Alexandra Schneider: Nein. Ich versuchte bis Ende der Dreharbeiten mit fünf Frauen zu filmen. Bei der fünften wurde aber bereits während der Dreharbeiten klar, dass wir zuwenig Material haben würden. Im November bin ich dann noch Sharbat begegnet und damit war klar, dass ich keine weiteren Protagonistinnen brauchen würde. Drehen selbst bedeutete ständig, den Versuch zu unternehmen, etwas zu planen, was eigentlich nicht planbar ist. Nicht nur aufgrund der Revolution. Im Organisieren trifft man auf große kulturelle Unterschiede. Wenn man sich aber auf diese Unordnung einlässt, dann passiert in Ägypten wiederum viel. Gerade in dieser Umbruchzeit. Außer für die Innenräume der Wahllokale hatten wir nie eine offizielle Drehgenehmigung. Wir haben immer Möglichkeiten gefunden, trotzdem zu filmen.

Wie fühlt man sich mit einer Kamera in der Hand im öffentlichen Raum. Ist man ein Filmteam  von vielen oder gilt es immer, mit Vorsicht zu agieren?
Alexandra Schneider: Man fällt schon auf. Wenn ich nach dem größten Unterschied zwischen Ägypten und Österreich gefragt werde, dann sage ich: Wenn zwei wildfremde Leute gemeinsam auf einen Bus warten, dann braucht es in Österreich einen guten Grund, dass sie ins Gespräch kommen. In Ägypten braucht es einen guten Grund, dass sie nicht ins Gespräch kommen. Es ist eine Kultur, wo man sofort angesprochen wird, mit Kamera erst recht. Das war sehr oft positiv, konnte aber auch ins Gegenteil kippen, da es ja auch von staatlicher Seite Kampagnen gegen ausländische Journalisten gab. Wir waren auch mit sehr viel Misstrauen und Unterstellungen konfrontiert. Die Kamera hat immer Reaktionen ausgelöst. Der Umstand, dass wir ein rein weibliches, westliches Team waren, spielte gewiss auch eine Rolle. Es konnte auch wieder Vorteile haben, denn in dieser patriarchalischen Gesellschaft wurden wir manchmal nicht sehr ernst genommen und die Kamera diente als Vorwand, dass man uns angequatschte. Das ermöglichte uns oft, viel zu filmen.

Gab es Situationen, wo es wirklich haarig wurde?
Alexandra Schneider: Ja, wir gerieten schon in sehr gefährliche Situationen. Das Filmen mit Sharbat war grundsätzlich nicht so einfach, auch deshalb, weil sie ein so explosiver Charakter ist, viel demonstriert und nicht gerade deeskalierend agiert.  In ihrem Viertel wird sie sehr dafür angefeindet, dass sie gegen den Widerstand ihres Mannes so aktiv ist. Es ist ein armes Viertel, wo sich die Leute auch ein wenig bloßgestellt fühlen, darum war es besonders schwierig. Da die Wohnungen extrem klein sind, wird die Straße zum vergrößerten Wohnzimmer, die Polizei fühlt sich für diese Viertel nicht zuständig, man regelt dort alles unter sich. Wenn die Menschen dort den Dreharbeiten nicht zustimmen, dann bekommt man schnell Probleme. Einmal ist es so eskaliert, dass sich, während wir in Sharbats Wohnung waren, ein Mob von hundert bewaffneten Leuten unten versammelte und die Auslieferung der Spione verlangte. Die Nachbarin heizte alles noch an, indem sie vom Balkon rief, dass wir ihre Ehre als Muslima beleidigt hätten. Da kamen wir nur raus, weil der Bruder eines Mitarbeiters bei der Polizei war und Druck machen konnte, dass Ausländerinnen in Gefahr seien. Die Polizei ist gekommen und hat uns mit Müh und Not noch rausgebracht.  Das Auto des Fahrers, der uns hingebracht hatte, wurde komplett demoliert. Da hatten wir schon Angst.
Man muss als Europäer erst lernen zu verstehen, dass diese Gesellschaft gelernt hat, null auf die Polizei zu vertrauen. Je weiter unten die Menschen in der Gesellschaft sind, umso mehr werden sie von der Polizei für unangenehme Aufträge missbraucht. Daher muss man sich im Vorfeld wichtige Fürsprecher organisieren, um filmen zu können. Das war ein Lernprozess.

Wie kann man die vier Frauen kurz charakterisieren?
Alexandra Schneider: Altersmäßig waren sie während der Dreharbeiten zwischen 25 und 40. Sharbat hat einen unglaublichen Gerechtigkeitssinn und träumt von einer gerechteren Gesellschaft, vor allem im Bewusstsein der Chancenlosigkeit ihrer drei Söhne. Amani ist jetzt 30 Sie hat sich mit Leib und Seele der individuellen Freiheit von Frauen verschrieben . Sie will, dass das enge Korsett, in dem sich Frauen unter der Forderung der Sittlichkeit bewegen müssen, weiter wird. Sie kämpft auch grundsätzlich für mehr individuelle Freiheit, sie hat ja u.a. auch ein Buch über die Schwulen-Szene herausgebracht. Fatema ist ein sehr eindrückliches Beispiel für jemanden, die an ein höheres Ziel glaubt und sich auch unterordnet. Es ist allein schon beeindruckend zu beobachten, mit welcher Disziplin sie ihr Doktoratstudium, drei kleine Kinder und den Haushalt unter einen Hut bringt und auch politisch aktiv ist. Zur Zeit tut sie das höchstens im Untergrund. Sie glaubt an eine islamische Gesellschaft.

Wie sieht ihr Bild von einer besseren Gesellschaft aus?
Alexandra Schneider: Sie sieht eine Verbesserung der Gesellschaft in einer Gesellschaft, die sich klar nach islamischen Werten richtet. Ich würde sie aber in keiner Weise als radikalen Menschen einschätzen. Sie ist Teil einer Organisation, die absoluten Gehorsam fordert und sie hinterfragt das auch nicht oder blockt diese Fragen jedenfalls ab. May ist jemand, die gespürt hat, dass eine junge Generation, die losgelöst von ihren Wurzeln und Traditionen lebt, immer oberflächlicher wird. Sie hat einen absoluten Upper-Class-Hintergrund, war in den USA, hat als Bankerin gearbeitet und in Dubai viel verdient. Sie hat sich entschieden, das aufzugeben, nach Assuan zurückzugehen, dort für eine Modernisierung der starren Strukturen zu kämpfen und sich gleichzeitig für die Erhaltung kultureller Elemente, die in Vergessenheit geraten, einzusetzen. Zum Beispiel die nubische Sprache. Alle vier Frauen kämpfen für verschiedene Formen der Veränderung sowie mehr Freiheit und Gerechtigkeit, jede hat einen anderen Fokus.

Es ist also mehr als der starke ökonomische Leidensdruck, der die Frauen zum Handeln motiviert?
Alexandra Schneider: Es geht weit darüber hinaus. Der ökonomische Leidensdruck kommt bei Sharbat zum Tragen, die anderen kommen aus einer Schicht, wo ökonomische Sorgen nicht im Vordergrund stehen, wenngleich sie dennoch für die Verbesserung der Situation von anderen kämpfen. May verfolgt ganz klar das Ziel, die finanzielle Situation der Nubier im Süden zu verbessern und viel Veränderung über die ökonomische Ebene herbeizuführen. Als Bankerin hat sie da eine sehr pragmatische und wenig ideologische Herangehensweise. Bei Sharbat ist der Druck ein ökonomischer. Unter Nassers Diktatur gab es immerhin Bemühungen für Bildungs- und Sozialstrukturen, unter Sadat und vor allem 30 Jahren Mubarak hat sich ein gnadenloser Neoliberalismus durchgesetzt. Jetzt ist alles total ausgehöhlt. Sharbat hat eine viel bessere Schulbildung als ihre Kinder. Sie kann es sich nicht leisten, ihre Kinder in Privatschulen zu schicken und das öffentliche Schulsystem ist total marode. Lehrer verdienen so wenig, dass sie nebenher als Privatlehrer arbeiten und dann in überfüllten Klassen im Unterricht einschlafen. Sie sagt berechtigterweise – diejenigen, die heute noch mit der Hand im Mund über die Runden kommen, werden morgen verhungern. Von 80 Mio Menschen in Ägypten leben 40 Mio unter der Armutsgrenze.

Wie haben sich die Themen und Drehorte ergeben?
Alexandra Schneider: Durch den Alltag der Frauen. Da habe ich nicht sehr steuernd agiert, bis auf die politischen Aspekte, vor allem die Wahlen, die als Aufhänger dienen sollten, auch wenn ich keinen rein politischen Fokus setzen wollte. Ich versuchte – das vor allem auch im Schnitt  (wir hatten ja 260 Stunden Material) – ihre Lebenswelten widerzuspiegeln. Mit May bin ich regelmäßig von Kairo nach Assuan gependelt, zum Schluss hat sie dann schon dort gelebt.

Hat sich das ursprüngliche Konzept für den Film durch die politischen Umstürze in Ägypten wandeln müssen? Ist das Projekt länger geworden als ursprünglich geplant?
Alexandra Schneider: Ich hatte mir vorgenommen, über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Ein Jahr galt für mich als das Minimum. Dass es fast zwei Jahre wurden, hat sich ergeben. Es stand von Beginn an fest, dass ich durch einen längeren Beobachtungszeitraum einen besseren Einblick bekommen möchte. Die Stimmung hat sich dermaßen gewandelt, dass es sich als notwendig herausstellte, über längere Zeit präsent zu sein. Im Juni 2011 war alles euphorisch. Im Oktober/November gab es die ersten heftigen Straßenschlachten, wo es an die 100 Tote gab. Da ist erstmals die Stimmung in der Bevölkerung deutlich gekippt. Es wurde den Leuten bewusst, dass Mubarak nur eine Marionette gewesen war und dass es das Militärsystem dahinter 60 Jahre lang geschafft hat, sich als die Beschützer des Volkes und Garant für Stabilität darzustellen. Dieses Bild hat ganz mühsam bröckeln müssen. Wenn es in diesem Land eine nachhaltige Veränderung geben soll, dann ist sie nur möglich, wenn es gelingt, die Macht des Militärs drastisch einzuschränken. Der Stimmungswandel zwischen Juni und November 2011 war so deutlich und es war klar, dass es hier noch Höhen und Tiefen geben würde. Ein kurzer Zeitraum wäre nicht aussagekräftig gewesen.

Zwei der Frauen sind Mütter, interessanterweise nur von Söhnen. Sharbat bringt die Zerrissenheit der Mütter vielleicht am deutlichsten auf den Punkt. Es geht ihr darum, bei den Kindern Bewusstsein für die Untragbarkeit der politischen Verhältnisse zu erwecken, andererseits bringt sie sie auch in Gefahr.  Hier ist eine Mischung aus Kampfgeist, Verzweiflung und etwas verquerem Stolz zu spüren.
Alexandra Schneider: Als Europäer stößt man an seine Grenzen der Toleranz, wenn eine Art Märtyrer-Fatalismus an den Tag gelegt wird. Da ist mir ein bisschen zu viel „Gottes Wille“ im Spiel. Umgekehrt verdeutlicht es den Widerspruch in ihr. Denn wäre sie allzu gläubig, dann wäre sie nicht eine so vehemente Aktivistin. Bei Sharbat ist im Grunde eine große Verzweiflung die Triebfeder. Sie hat praktisch keine Wahl. Sie könnte auch sagen „Das Leben meiner Kinder ist mir heilig, ich gehe nicht auf die Straße“. In ihrer Familie hatte sie keinerlei Unterstützung und niemand hätte auf die Kinder aufgepasst, also stand sie vor der Entscheidung, sich am Protest zu beteiligen oder es gar nicht zu tun.

PRIVATE REVOLUTIONS ist auch ein Film über Revolution per se. Es dokumentiert den unanwendbaren Verlauf von der Euphorie des Umbruchs und Aufbruchs in eine Phase der Ermüdung/Enttäuschung/Demoralisierung. Es wird deutlich, wie sehr gesellschaftliche Veränderung nur ein dauerhafter Prozess sein kann, zu dem man nur seinen Teil beitragen kann, ohne vielleicht die Früchte zu ernten.
Alexandra Schneider: So ist es. Die Revolution frisst ganz unweigerlich ihre Kinder. Die für die Veränderung kämpfen sind nicht unbedingt jene, die davon unmittelbar profitieren. Es hat mich immer wieder geärgert, wenn ich in Europa auf Podien saß und gefragt wurde „Ist die Revolution in Ägypten nun gescheitert?“ Eine ganze Gesellschaft kann sich nicht innerhalb eines Jahres verändern. Nach dem Sturz von Mursi haben sehr viele Menschen wieder dem Militär zugejubelt, das war sehr ernüchternd für mich. Ich bin aber dennoch überzeugt, dass die Energie, die da losgetreten wurde, nicht mehr rückgängig zu machen ist. Man spürt es in vielen Bereichen, dass die Leute die Erfahrung gemacht haben, dass sie eine Meinung haben können und dass es wichtig ist zu diskutieren. Ich glaube nicht, dass sich die Generation der Jugendlichen so wie ihre Eltern dreißig Jahre lang mit Ausreden wird abspeisen lassen, wenn sich wirtschaftlich nicht grundlegend etwas ändert. Und das kann nur gehen, wenn sich in der Korruption etwas verändert.

Dem euphorischen Arbeitstitel Jung, weiblich, ägyptisch steht nun ein PRIVATE REVOLUTIONS voran, das auch die Erkenntnis transportiert, nämlich dass Veränderung nur im Kleinen beginnen kann.
Alexandra Schneider: PRIVATE REVOLUTIONS ist für mich ein sehr stimmiger Titel, weil es da beginnt und da auch noch steckt. Die Revolution war schon auf der Straße. Jetzt ist der Prozess wieder in einer Phase, wo es wieder mehr im Privaten weiterbrodeln muss, damit sich mehr verändert. Das Wort „private“ macht die Sache nicht kleiner, die nachhaltige Veränderung einer Gesellschaft kann nur im Privaten ihren Ausgang nehmen. Die Frauen sind in dieser Gesellschaft die Stärkeren. Sie haben wesentlich weniger Rechte, auch wenn es sich nicht so drastisch auswirkt, wie man sich das bei uns gerne vorstellt. Sie haben auf alle Fälle weniger Möglichkeiten und Freiheiten. „Ihr guter Ruf“ ist ein großes Thema. Dennoch sind sie die Stärkeren. Die Männer haben sehr schnell enttäuscht und fast persönlich gekränkt reagiert, weil die Revolution nicht geklappt hat. Die Frauen haben viel besser gelernt, mit Rückschlägen umzugehen und an der Sache dranzubleiben. Ich glaube, diese Gesellschaft wird sich auch durch die junge Generation, aber vor allem durch ihre Frauen verändern. Die Frauen sind der Motor der Revolution.


Interview: Karin Schiefer
Juli 2014