FEATURE

Good-bye, Florian Flicker

 

Mit Florian Flicker hat das österreichische Erzählkino einen Filmemacher verloren, der einen sechsten Sinn für die subtilen Schwingungen von Liebe und Macht im Spannungsfeld zwischen den Menschen hatte und der es verstand, diese auf engstem Raum in DER ÜBERFALL oder fern jeder Zivilisation in GRENZGÄNGER in ihrer reinsten Form in Szene zu setzen. Eine Erinnerung ... seine Gedanken zu GRENZGÄNGER.


Der Film führt den Zuschauer in seinen ersten Bildern in eine vor sich hin wuchernde Natur, die weder besonders unwirtlich noch besonders idyllisch wirkt, die irgendwie wild und autonom zu sein scheint. Ist man damit auch schon in der Welt des Protagonisten Hans?
Florian Flicker: Ja. Als ich die March-Auen, diese Ostgrenze Österreichs und jahrzehntelange Sperrzone erstmals besucht habe, war das für mich eine Entdeckung, weil es eine unberührte wilde Natur ist, die dem Film mit dem Holz, dem Wasser, dem Schlamm eine Haptik verleiht. Andererseits ? und das legt die Brücke zu Hans ? haben die wenigen Menschen, die dort leben, eine ganz spezielle Mentalität. Wahrscheinlich durch das jahrzehntelange Leben mit dem Rücken zum Eisernen Vorhang und zur Blauen Grenze, die zwischen 1989 und 2007 ein Schlupfloch in die EU war, geprägt von der potenziellen Eskalation von Gewalt, aber auch von der Unberechenbarkeit der Natur, der Hochwasser, die immer wieder passieren können. Deshalb leben die Menschen dort mehr als wir in einem Hier und Jetzt und haben auch einen spezifischen schwarzen Humor, eine Ironie entwickelt, der sie sich gar nicht bewusst sind. Sätze wie „Ich glaub’, des is a Mata Hari“ oder „Gestern hab i a Vision ghabt, a Golfplatz muss her“, liegen dort in der Luft. Die Menschen leben in einem Hier und Jetzt, weil alles durch das Wasser auch immer wieder der Zerstörung preisgegeben ist. Indem wir diese Welt betreten, betreten wir auch die Welt von Hans, es ist seine Au.

Gelbe Prärien in Cinemascope, ein mürrischer Einzelgänger, der mit seiner Frau in einem einsamen Holzhaus und offensichtlich vom Fischfang, also im Takt der Natur lebt, und dann taucht ein Mann in Uniform auf. Das Western-Szenario ist von Anfang an präsent. Was hat Sie zu dieser Genre-Anspielung verleitet?
Florian Flicker: Da muss ich nochmals zur Landschaft zurückkommen, die etwas sehr Archaisches hat. Man ist im Abseits der Zivilisation lebt dieses kleinkriminelle Ehepaar, Hans und Jana, in seiner Idylle und da kommt ein Soldat daher. Er hat den Auftrag, sie zu entlarven, indem er sich an die Frau heranmacht. Hans und Jana erkennen das und lassen ihn tun, um das Militär in Sicherheit zu wiegen. Das Spiel aus Taktik, Täuschung, Selbsttäuschung, Hingabe, das sich da entwickelt, und vor allem auch der Kontrollverlust haben mich fasziniert. Im Grunde verrät am Ende jeder jeden und auch sich selbst. Das erzählt so viel über Beziehung im Allgemeinen, wie schnell man verliert ? sich oder den anderen. Dass sich das wie ein Western lesen lässt, hat sich ergeben, war aber nie ein übergeordneter Plan. Dieses Dreieck aus archetypischen Figuren ist einfach eine Konstellation, der sich auch der Western gerne bedient.

Man kann diese Anspielung ja auch als eine ironische Brechung lesen?
Florian Flicker: Ja. Ironie, auch Selbstironie ist etwas, das sehr typisch für mich ist und mich auch interessiert. Allerdings nie zu Lasten der Figuren. Wenn wir von Ironie sprechen, fällt mir Eva Jantschitsch ein, die die Filmmusik gemacht hat. Ihre Musik als Gustav hat mich immer so berührt, weil sie sich der Ironie des Kitsches und des Pop bedient und gleichzeitig so wahrhaftig bleibt. Ich halte sie für eine Ausnahmeerscheinung in der österreichischen Musikszene und ihre Musik unterstreicht eine bewusste Farbe des Films.

Zwei literarische Einflüsse fließen in das Buch von Grenzgänger ein - der eine stark: Karl Schönherrs Weibsteufel, der andere am Rande: Goethes Wahlverwandtschaften.
Was haben Sie im Stück von Karl Schönherr entdeckt, dass es der Ausgangspunkt für eine Drehbucharbeit wurde.

Florian Flicker: Ich glaube, mein filmisches Zuhause ist im Kammerspiel. Karl Schönherrs Stück ist ein Kammerspiel, das vor hundert Jahren geschrieben wurde. Es faszinierte mich dieses Spiel aus Täuschung und Taktik, aber auch der Selbsttäuschung, sodass etwas außer Kontrolle gerät. Vor vier Jahren hat mir jemand das Stück in die Hand gedrückt und ich war gleich begeistert von der inneren Dynamik des Stücks und dem Thema des Verrats in der Liebe.  Aus Goethes Wahlverwandtschaften verwende ich Passagen, die – als Kontrast zum Weibsteufel – einen sehr romantischen Blick auf die Liebe transportieren. Ich denke, dieser romantische Blick ist es, an dem wir uns so abstrampeln im Leben, weil es ein geschönter Blick ist, ein Blick auf eine geschönte Natur, die es nicht gibt. Am Ende ist Goethe noch einmal in Zusammenhang mit dem Schicksal zitiert: „... Und so greift es zuletzt durch, das Schicksal. Wir mögen uns gebärden, wie wir wollen." Das lasse ich dann aber nicht zu. Ich lasse Jana auftauchen und die Rolle des Schicksals übernehmen.
Wenn ich sage, das ist ein Film über Liebe, dann erzähle ich auch das, was der Mensch aus diesem Zusammensein gemacht hat und damit meine ich die Romantik. Da fällt mir auch der Schlager ein, der aus der Juke Box kommt " Liebe, die nie vergeht " , und der Moment, wo durch diese kitschig romantische Musik die, die immer nur vorgetäuscht haben, ein Interesse aneinander zu haben, eine tatsächliche Nähe zueinander spüren und man fragt sich, ist das normal oder nur das Echo der Musik?
Es gibt aber noch zwei andere literarische Quellen, die mich in ihrer atmosphärischen Dichte und auch im filmischen Kosmos der Dreiecksgeschichte beschäftigt haben: das ist der Roman The Postman always rings twice, dessen Adaptionen von Viscontis Ossessione bis Petzolds Jericho reicht und Alberto Moravias Die Verachtung, die von Godard verfilmt wurde. In Die Verachtung fällt ja auch dieser bemerkenswerte Satz: „Ich verachte dich, weil du so bist wie du bist und dich nie ändern wirst.“ Da schließt sich der Kreis zu Weibsteufel und zu GRENZGÄNGER: wo es auch darum geht, dass wir unserem Charakter so schwer entkommen.
Ich zitiere auch noch gerne Monica Vitti in L’Eclisse, wo sie sagt I wish that I didn’t love you or  that I loved you much more. Das bringt es so gut auf den Punkt.

Das Stück stammt aus dem Jahr 1918, bei der Aktualisierung des Stoffes standen Sie sicherlich vor der Frage, in welche Epoche /welche Jahre Sie ihn transponieren. Warum haben Sie sich für die Jahre um die Jahrtausendwende entschieden?
Florian Flicker: Der Film ist in seinen Rahmenszenen ins Jetzt gebettet und dieser Rahmen stellt einen Zeitsprung von zehn Jahren her. Dafür gibt es formal einen recht einfachen Grund, ich wollte mit Hans aus der Zivilisation, aus dem Jetzt kommend in diese Welt hineintreten. Auf der Suche nach einer Verortung bot sich diese ehemalige Ost/West-Grenze an der March an, die ich für einen politisch wichtigen Ort in der österreichischen Geschichte halte und die gleichzeitig so unbekannt ist. Wir schauen immer nach Lampedusa und wissen nicht, dass man bis vor zehn Jahren am Sonntag ans Marchufer ging zum „Neger-Zählen“? Was bedeutete: ertrunkene Flüchtlinge zu zählen. Dessen ist sich in Österreich kaum jemand bewusst. Bis zum Jahr 2007 sind tatsächlich Soldaten auf ihren Wachtürmen gestanden und waren einem großen psychischen Druck ausgesetzt. Es ist zwischen 1990 und 2007 zu 22 Selbstmorden unter den Soldaten gekommen. Als das Schengener Abkommen in der Slowakei und in Ungarn in Kraft trat, wurde der Einsatz der Soldaten ins Hinterland verlegt, sie waren dann in den Dörfern präsent, um dort ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Bis 2007 waren 350.000 Soldaten an der Grenze im Assistenzeinsatz. Letztendlich wurde die Kritik bezüglich der Kosten dieses Einsatzes immer lauter. Mit dem Einsatz der Wärmebildkamera ab 2002 erhöhte sich die „Trefferquote“. Aber bis dahin war es eine Mann gegen Mann-Situation in einem Niemandsland, eine archaische Atmosphäre, die auch das Dreieck Han-Jana-Ronnie in sich trägt. Diese historische Ebene erzählt der Film zwar nicht, aber ich will darauf hinweisen, was da um die Ecke von Wien stattgefunden hat.

Haben Sie bei den Menschen in dieser Gegend auch recherchiert?
Florian Flicker: Ja, ich habe dort recherchiert und auch Freunde gewonnen, die viel über die Zeit des Eisernen Vorhangs und danach erzählt haben. Das war eine Zeit, die von Flüchtlingshilfen und -schmuggeleien geprägt war und auch von diesen jungen, unbedarften Soldaten, die Österreich bewachen mussten. Ich hab dann noch eine ganz spezielle Gegend gefunden, die ist so toll, aber leider absolutes Naturschutzgebiet, da hatten wir für die Dreharbeiten absolut keine Chance. Es gibt noch Landschaften in Österreich... Ich erinnere mich an eine Wiese, eine Prairie, die hat einfach bis zum Horizont gereicht. Da hatte man das Gefühl, in einem Winnetou-Film zu sein. Ich habe diese Landschaften sehr lange studiert und gesucht. Im Laufe eines sechswöchigen Drehs bleibt man dann doch viel mehr bei den Figuren und das Abklappern von Landschaften würde zuviel Zeit kosten. Wir haben dann alles in unmittelbarer Nähe dieses Hauses gedreht, das in Wirklichkeit eine Attrappe ist, also von der Ausstatterin Katharina Wöppermann und ihrem Team gebaut.
Original an der March spielt das Anfangsbild – die Brücke, eine der wenigen Brücken, die es an der March gibt. Zwischen Bratislava und Hohenau gibt es auf einer Strecke von 60 km keine für Autos befahrbare Brücke, die richtig funktioniert ? es gibt eine Fähre und eine Brücke, die aber bei Hochwasser nicht befahrbar ist. Das ist noch wie in einer anderen Zeit.

Ihre drei Grenzgänger bewegen sich nicht nur an der österreichisch-slowakischen Grenze. An und über welche Grenzen lassen Sie sie noch gehen?
Florian Flicker: Alle drei machen in moralischer/emotionaler Hinsicht einen Grenzgang durch, durchleben diese fließenden Übergänge von Achtung zu Verachtung, von Verrat am anderen zum Verrat an sich selbst. Was mich an dieser Grundkonstellation so fasziniert hat ? sie stolpern in ein Chaos und wer sich dabei schuldig macht, wer wen als erstes verrät, ist nicht eindeutig festzulegen. Je nachdem, wie man die Frage beantwortet, offenbart man sein eigenes Weltbild und seinen Blick auf Geschlechterrollen. Insofern gibt der Film keine Antwort, sondern stellt die Frage: Wie siehst du das?

Bewegen sich die Figuren, insbesondere Hans in seiner rebellischen, anarchistischen Haltung, nicht auch an einer sozialen Grenze?
Florian Flicker: Ja klar, da geht es um gesellschaftliche Normen, die Hans und Jana ignorieren und brechen. Dass Hans sich nicht einordnen kann, macht ihn sympathisch, sein soziales Un-Talent ist zeitweise aber auch schrecklich. Hans ist vielleicht deshalb die offenste Figur, weil es sein Ort ist, an dem der Film spielt. Er ist ? auch durch die Rahmenhandlung - der Gastgeber der Geschichte.

Hans hat ja den Instinkt eines Tieres, das in der Natur überleben muss. Er durchschaut sofort die Intrige, ist gewappnet und weiß sie für sich zu nutzen.
Florian Flicker: Ja. Ich glaube, dass alle drei mehr und mehr aus ihrem Instinkt heraus agieren und nicht mehr rational handeln. Das meine ich mit Kontrollverlust und das liegt in uns.

In den Zitaten in den Wahlverwandtschaften wird die Macht des Schicksals angesprochen. Überschätzen alle Figuren ihre eigene Stärke und ihre Macht über den/die anderen?
Florian Flicker: Ja, das ist so. Im Grunde ist das, was die drei betreiben, ein Pokerspiel, aber das Spiel gerät außer Kontrolle, wird ernst. Und keiner will „Stop“ sagen, weil wir immer hoffen, dass es eh gut ausgeht oder dass sich irgendwas von selbst ändert. Daraus resultieren diese schlampigen Beziehungen und diese großen kleinen Dramen. Das war in Der Überfall so und das ist in Grenzgänger so. In der Figur der Jana sehe ich eine Parallele zur Hauptfigur in Suzie Washington ? beide Frauen sind bereit, einen hohen Preis zu zahlen, um sich letztendlich treu bleiben. Darum geht es.

Jana ist im Vergleich zu Hans die geheimnisvollere Figur?
Florian Flicker: Sie ist eine Figur, die eine Welt in sich trägt und sie nicht preisgibt. Das ist für den Film entscheidend, dass sie für die verschiedenen auch widersprüchlichen Motivationen eine Projektionsfläche bietet.

Wächst sie über sich hinaus?
Florian Flicker: Ich glaube, sie ist letztendlich die Erste, die durchschaut, welche Dynamik in Gang gekommen ist und auch die Erste, die wieder Kontrolle erlangt, indem sie dann das, was auf ihrem Rücken ausgetragen wurde, den Männern zuschiebt und sagt: „Macht euch das miteinander aus.“

Sie haben in DER ÜBERFALL auch eine Dreiecksgeschichte erzählt, damals in einem geschlossenen Raum, diesmal praktisch am Gegen-Ort, in einer offenen unendlichen Natur. War es schwieriger im unbegrenzten Raum die Spannung im Dreieck zu gestalten und erhalten?
Florian Flicker: Würde ich nicht sagen. Ich sehe da weniger einen Gegensatz. Was in Der Überfall die Schneiderei ist mit Figuren, die vom Rest der Welt isoliert, einander ausgesetzt sind, ist in Grenzgänger die wilde Natur. Mit der wilden Natur habe ich den Vorteil, dass sie einen enormen Schauwert hat.

In GRENZGÄNGER könnte aber jeder jederzeit davonlaufen, wenn er wollte?
Florian Flicker: In GRENZGÄNGER gibt es ebenso wenig ein Entkommen, auch wenn es keine geschlossenen Türen gibt. In der Drehbuchentwicklung war anfangs die Außenwelt noch stärker präsent, bis sich eine Reduktion als notwendig erwies, um den Film ein bisschen von der österreichischen Realität abzuheben. Da die Ost/West-Grenze eine so authentische Basis darstellte, wollte ich mich ästhetisch und inszenatorisch freispielen.

Reduktion ist ein Stichwort, das auch die Sprache betrifft. Es sind alle drei Figuren eher der wortkargen Spezies zuzuordnen. Gewiss eine Herausforderung im Schreiben und eine Aufgabe im Casting, starke Schauspielerpersönlichkeiten zu finden, die ihre Rollen dennoch tragen.
Florian Flicker: Es war bei der Besetzung eine Grundvoraussetzung, drei Schauspieler zu finden, die ohne viel Dialog viel erzählen können. Mit Andreas Lust habe ich vor zwanzig Jahren ein Theaterstück gemacht, insofern kennen wir uns schon lang und nach fünf Minuten Leseprobe beim Casting war klar, dass ihm die Rolle quasi auf den Leib geschrieben zu sein schien und dass er als Schauspieler eine neue Facette zeigen konnte. Für Jana dauerte die Suche länger. Aber dann war schnell klar, dass Andrea Wenzl ? weil sie eine starke innere Autarkheit ausstrahlt ? Jana war, auch wenn sie eigentlich zu jung war und wir sie älter machen mussten. Wir fragten uns auch, ob wir sie mit einer Slowakin hätten besetzen sollen. Es erschien mir aber als unrichtig, denn ein permanenter sprachlicher Akzent und damit ein steter Hinweis auf ihr Fremdsein, würde alles in der Figur darauf begründen, dass sie von woanders kommt und es ging mir aber nicht um das Spiel Österreich : Slowakei, sondern um das Spiel Mann : Frau.
Stephan Pohl für Ronnie war ein Glücksfall. Wir brauchten jemanden, der naiv-jugendlich wirkte, gleichzeitig aber auch hintertrieben sein könnte, und auch ein Mann. Das funktioniert bei ihm, weil er sehr jung aussieht, aber in Wirklichkeit schon fast dreißig ist und zwei Kinder hat. Die Sprachlosigkeit der Figuren ist auch ein Eigen-Schutz. Würden sie all ihre Gedanken aussprechen, würden sie auch sich selbst verraten. z.B. „Ohne mich bist du nichts. Mit dir bin ich auch nicht viel.“ Da ist ja nicht nur der Verrat am anderen, da ist auch der Verrat an der eigenen Integrität. Diese Aspekte der Kommunikation waren mir in der Regie, mehr noch als beim Schreiben wichtig. Die Sprache zwischen Mann und Frau ist ja noch immer nicht erfunden, daran hapert’s ja noch immer.

Ihre Sicht aufs Spiel zwischen Mann und Frau klingt ziemlich pessimistisch?
Florian Flicker: Ich halte die Situation nicht für ausweglos, wir müssen uns nur bewusst sein, dass diese romantische Sehnsucht etwas Geschöntes, Erzeugtes ist. Die Vorstellung von „für immer dein“, „du und ich, wir sind eins“, Philemon und Baucis und Yin und Yang, das ist es halt nicht, wir sind immer nur eins und eins. Man ist und bleibt allein, um mit Ödön von Horvath zu sprechen. Darin steckt ein großes Potenzial.

Ist die Arbeit mit den SchauspielerInnen ein sehr wesentlicher Aspekt in Ihrer Arbeit, dem Sie viel Zeit einräumen? Wie haben Sie sich vorbereitet?
Florian Flicker: Der entscheidendste Schritt ist die Besetzung. Ab dann hat man mit Persönlichkeiten zu tun, die auf die Rollen abfärben. Das ist Spielmaterial. Wir haben viel geprobt. Ich liebe die Arbeit mit den Schauspielern und in meiner zwischenzeitlichen Arbeit am Theater habe ich das noch stärker erlebt, weil man da mit Schauspielern und Text alleine ist, ohne all die technischen Instanzen im Film. Das hat mir eine große Erweiterung des Handwerks gebracht.

Die Bilder von Martin Gschlacht sind in starken Gelb- und Blautönen gehalten, warum habt ihr euch für diese starke Farbigkeit und damit auch eine gewisse Künstlichkeit entschieden?
Florian Flicker: Diese Farben hatte ich von Beginn an im Kopf, ohne dies begründen zu können. Ich halte das für kinoeigene Farben, die mich ein wenig an Technicolor erinnern, die mir ein archaisches Filmgefühl vermitteln und weil wir durch das Setting und den Drehort eine reale, authentische Basis hatten, fühlte mich da auch sehr frei, mir diese Vision zu gestatten. Die Arbeit mit Martin war essentiell für den Film und insofern so speziell, weil er auch sehr intuitiv arbeitet. Wir suchen beide keine Erklärungen. Der Natur haben wir uns mit dem Bewusstsein genähert, dass es in gewisser Weise eine vierte Hauptfigur ist, die durch ihr Vorhandensein die Geschichte beeinflusst und ein wesentlicher Faktor für die Grundstimmung ist. Das stimmt schon, dass die Farben vom Realismus distanzieren. Sie eröffnen mir mehr einen filmischen als einen realen Raum. Und nehmen der österreichischen Landschaft die Lederhosen ab.

Wie sehr hat diese Natur auch den Dreh bestimmt?
Florian Flicker:  Unsere große Angst war die vor den Mücken. Davor blieben wir durch einen unerklärbaren Zufall verschont. Auch wir mussten im Zuge eines zweimonatigem Drehs mit Hochwassern und ständigen Veränderungen dieser Natur leben. Man bekommt Dinge, mit denen man nicht rechnet. Umgekehrt erhofft man Sachen, die sich dann leider nicht ergeben. Da geht es einem Filmteam wie den Menschen dort, man lebt mit dem, was die Natur bieten kann.


Interview: Karin Schiefer
Juli 2012