INTERVIEW

«Frauenfreundschaft jenseits kultureller Barrieren.»

Wenn sich ein russischer Oligarch eine Villa an Wiener Schwedenbrücke in den Kopf setzt, dann  werden Wiener Geschäftemacher umtriebig und Frauen, die offene Rechnungen zu begleichen haben, erfinderisch. Elena Tikhonova wagt sich mit ihrem Spielfilm-Debüt Kaviar ins Komödienfach und lotet die Potenziale russisch-österreichischer Freundschaften aus. Ein Gespräch mit der Produzentin Ursula Wolschlager.
 
 

Witcraft Szenario unterstützt im Rahmen von Diverse Geschichten Stoffe, die sich durch einem interkulturellen Kontext inspirieren. Der Humor gilt als speziell kulturell konnotiert. Wie legt man eine interkulturelle Komödie an?
 
URSULA WOLSCHLAGER: Es wird sich noch weisen, ob wir das zusammenbekommen haben (lacht). Kaviar soll über das Aufeinanderprallen dieser beiden Kulturen in Wien funktionieren. International erfolgreiche Komödien wie Ziemlich beste Freunde oder Monsieur Claude und seine Töchter haben über das Prinzip des Culture Clashs funktioniert. In Kaviar geht es im Grunde um eine Frauenfreundschaft über die kulturellen Barrieren hinaus und um einen turbulenten Wettkampf der Geschlechter, wo die Frauen – Nadja und Vera, zwei Russinnen, deren Lebensentscheidungen sie nach Wien geführt haben –  sowie die Wienerin Teresa aufgrund verschiedenster Umstände offene Rechnungen mit ihren Männern oder Chefs zu begleichen haben.
 
 
Elena Tikhonova hat bereits einen Dokumentarfilm Elektro Moskva gemeinsam mit Dominik Spritzendorfer gemacht. Wie sieht ihre Verbindung zu Österreich und Russland aus?
 
URSULA WOLSCHLAGER: Elena Tikhonova ist eine Filmemacherin, die aus Russland stammt und nun in Österreich lebt und arbeitet. Sie und Dominik Spritzendorfer haben sich bei ihrem Kamerastudium am Moskauer Filminstitut VGIK kennen gelernt und zogen dann wieder nach Wien. Die Hauptfiguren in Kaviar sind inspiriert von Personen, die Elena aus ihrem realen Leben kennt, Frauen, die aus irgendeinem Grund in den Westen gekommen und im Jetset gelandet sind. Elena hat sich selbst in diese Kreise hineinbegeben und für einen Oligarchen fotografiert. Sie ist mit der Idee zu Kaviar zu uns gekommen und uns gefiel daran, dass es sich um Figuren handelt, die einfach anders sind und die man in österreichischen Komödien bisher nicht zu sehen bekommen hat. Figuren, die eine Art von Leben führen, von dem wir eher gerüchteweise eine Vorstellung haben. Es ist eine Komödie, die auf die üblichen Komödienfiguren verzichtet und auch nicht auf einen deutschen Humor setzt. Mit der Verbindung nach Osteuropa bekommt es etwas – wie Heinrich Mis treffend gesagt hat – ganz eigen Wienerisches. Besonders die Figuren, die von Simon Schwarz und Georg Friedrich verkörpert werden. Aber auch bei den Frauenfiguren tun sich Abgründe auf – zwischen Teresa, die es nicht fassen kann, wie sehr diese beiden Tussen auf Äußerlichkeiten bedacht sind. Sie führen ihr aber umgekehrt vor Augen, dass man auch einmal unter die Oberfläche blicken muss. Es ist auf alle Fälle ein Versuch, das komische Moment zwischen notwendiger Überzeichnung und der Realitätsnähe der Figuren zu treffen.
 
 
Kaviar ist der erste Film, den Witcraft federführend in Koproduktion mit Novotny&Novotny Film und MR Film produziert. Möchte sich Witcraft vermehrt auch in der Herstellung der von ihr entwickelten Stoffe positionieren?
 
URSULA WOLSCHLAGER: Ich habe nun auch eine Produktionsfirma Witcraft GmbH gegründet, unter anderem auch deshalb um Diverse Geschichten abzugrenzen. Das ist ein Stoffentwicklungs-Programm, mit dem wir Autoren mit interkulturellen Bezügen in der Entwicklung unterstützen. Seit 2009 wurden um die 90 Stoffe entwickelt, unter anderem von Umut Dağ/Petra Ladinigg, Catalina Molina, Alexandra Makarová und Nathalie Borgers. Allein heuer wurden noch Home is Here von Tereza Kotyk und Die Migrantigen von Arman T.Riahi realisiert, die Rechte bleiben bei den Autoren.
Bei Kaviar war es insofern ein bisschen anders, als sich für den Film natürlich eine österreichisch-russische Koproduktion anbot, und ich durch meine Verbindung zu Russland Chancen gesehen hätte, diese zu realisieren. Da machte uns letztlich die Rubel-Krise einen Strich durch die Rechnung. Wir haben also nun eine Teilung zwischen Witcraft Szenario OG, die Diverse Geschichten fortführen und Fortbildungsveranstaltungen organisieren wird und Witcraft GmbH, die sich um Entwicklung und Produktion eigener Projekte kümmern wird. Kaviar ist bereits ihr erstes Projekt. Die MR Film hat sich mit Referenzmitteln als Koproduzent beteiligt, mit Alexander Glehr als Herstellungsleiter ist auch die Novotny&Novotny Filmproduktion, über die die wirtschaftliche Abwicklung läuft, als Koproduzent dabei, als Hauptproduzentin fungiere ich. Das ist also bei Kaviar anders als in vorangegangenen Konstellationen, wo wir die Rechte an dem von uns entwickelten Stoff an einen Hauptproduzenten abgetreten haben.
 
 
Kaviar ist in diesem Jahr nicht das erste Projekt einer Regisseurin, das in die Herstellung gegangen ist.
 
URSULA WOLSCHLAGER: 2016 war in der Tat ein dichtes Jahr für mich, da wir dank des MEDIA Slate-Fundings 2012 für drei Projekte eine Projektentwicklungsförderung erhielten. Kaviar ist nun das dritte Projekt, das dieses Jahr realisiert wird. Das erste war Barbara Alberts Licht, ein Stoff, der mich sehr fasziniert hat und den ich unbedingt mitentwickeln wollte. Ich holte Kathrin Resetarits als Drehbuchautorin dazu und als die Geschichte schön und groß war, stellten wir sie der NGF Geyrhalterfilm vor, die es gemeinsam mit der deutschen Looks Film als österreichisch-deutsche Koproduktion realisiert hat. Das zweite Projekt hat den Arbeitstitel Komplett von der Rolle, nach einer Idee von Nina Proll. Das ist eine sehr amüsante Romantic Comedy, für die ich gemeinsam mit Nina das Buch geschrieben habe, Regie hat Sabine Derflinger geführt, produziert hat es die Novotny&Novotny Film und steht kurz vor seinem Abschluss. Slate ist ein Fördermodell, wo man drei bis fünf Projekte entwickeln kann und Media/Creative Europe 50 Prozent der Entwicklungskosten übernimmt. Das ist großartig.
 
 
In Kaviar wird sowohl Deutsch als auch Russisch gesprochen. Zweisprachigkeit ist eine besondere Herausforderung für das Casting. Wie sind Sie da vorgegangen?
 
URSULA WOLSCHLAGER: Nadja muss Russisch perfekt und Deutsch sehr gut sprechen. Sie haben wir mit Margarita Breitkreiz, die ursprünglich aus Russland stammt und an der Berliner Volksbühne spielt, besetzt. Daria Nosik, die im Film Vera, eine junge Frau spielt, die seit drei Jahren in Österreich ist, hat in Wirklichkeit Deutsch in der Schule gelernt und noch nie außerhalb Russlands gelebt. Rita Waszilovics hat in Wien, Berlin und auch in Moskau gecastet. Sabrina Reiter ist seit den Anfängen des Projekts für die Rolle der Teresa dabei. Das Interessante an ihr ist, dass sie nicht dieses aggressive Element in sich trägt, das man mit ihrer Figur leicht in Verbindung bringen kann. Sie verleiht ihrem rebellischen Temperament eher eine charmante Note. Ich finde sie komplettiert das Trio auf eine sehr feine Weise. Georg Friedrich und Simon Schwarz freuten sich sehr, dass sie endlich wieder einmal in einem Film gemeinsam spielen. Ziemlich dramatisch war es, als uns zwei Wochen vor Drehbeginn der Darsteller für den Oligarchen Igor ausfiel. Wir haben ihn nun mit Michail Evlanov besetzt, der aus Moskau kommt und kein Wort Deutsch oder Englisch spricht, was am Set auch nicht immer ganz einfach ist. Es war jedenfalls ein langes und spannungsreiches Casting.
 
 
Der Dreh ist praktisch abgeschlossen. Es wird gerade in der Enge eines unbewohnten Biedermeier-Hauses in der Breite Gasse eine Szene in einem besetzten Haus, wo Teresa lebt, gedreht. Das Handicap der letzten Drehtage ist eine Fußverletzung der Hauptdarstellerin. Wie ist der Dreh insgesamt verlaufen?
 
URSULA WOLSCHLAGER: Es ist alles gut gelaufen. Mit der großen Zahl an Locations und sehr actionreichen Szenen war es mit einer Erstlings-Regie und einer ersten Spielfilm-Kameraarbeit von Dominik Spritzendorfer ein sehr anspruchsvoller Dreh. Vieles hat länger als vorgesehen gedauert. Wir haben mit Kranfahrten und Steadycam gearbeitet, manchmal gab es eine, manchmal sogar zwei Übersiedlungen an einem Tag. Das Arbeitspensum war gewaltig. Hannes Salat und Julia Oberdorfinger, die Szenenbildner, haben großartige Locations aufgestellt. Der Film zentriert sich um den Donaukanal, da ja der Oligarch eines Morgens beim Frühstück mit Blick auf den Donaukanal auf die glorreiche Idee kommt, dass er sich auf der Schwedenbrücke eine Villa bauen lassen will. Daraus resultierten einige Set-Orte um den Donaukanal und am Donaukanal selbst. Auf der Schwedenbrücke haben wir u.a. eine inszenierte Baustelle hergestellt.
 
 
Welches Publikum möchtet Ihr mit Kaviar in erster Linie erreichen?
 
URSULA WOLSCHLAGER: Ich würde gerne ein Publikum erreichen, das sich Filme wir Monsieur Claude und seine Töchter gerne anschaut. Das wäre meine Traumvorstellung. Wenn ich jemandem die Grundidee der Geschichte erzähle, habe ich das Gefühl, dass Lust darauf entsteht, den Film zu sehen. Geschichten, wo es um Multikulturalität geht, ohne diese groß zu problematisieren, sind etwas, was viele Leute gerne sehen wollen. Es ist ein Thema, das auf der Hand liegt und dennoch so selten filmisch als Komödie aufgegriffen wird.
 
 
Hat der Humor in Kaviar eine weibliche Tonalität?
 
URSULA WOLSCHLAGER: Kaviar hat definitiv einen weiblichen Humor und dennoch hat Robert Buchschwenter als Ko-Autor des Drehbuchs auch einen männlichen Blick hineingebracht. Daher funktionieren die Figuren von Simon Schwarz und Georg Friedrich so gut. Es war eigentlich eine ideale Situation, dass das Drehbuch einer Komödie, die sowohl den Clash der Kulturen als auch den der Geschlechter aufs Korn nimmt, von einem Mann und einer Frau gemeinsam geschrieben wurde. Man kann über Vorstadtweiber geteilter Meinung sein, Tatsache ist, dass es ein Publikum gibt, das Figuren dieser Art sehen will. Ich bin jetzt schon neugierig, auf die Diskussionen, die Kaviar auslösen wird, weil mir bewusst ist, dass man sich, sobald man weibliche Komödienfiguren aufstellt, gleichzeitig auch auf Sexismus-Vorwürfe einstellen muss. Dazu wird es mit Sicherheit Diskussionen geben. und ich freue mich schon darauf. Bei einer Culture-Clash-Komödie kann ich nicht umhin, gewisse Klischees zu bedienen, um sie in der Folge zuzuspitzen, zu brechen und neu aufzumischen. Das ist das Grundprinzip von Komödie. Und um grundsätzlich eine gewisse Art von Komik zu entfalten, müssen die Figuren auch ein Mindestmaß an Blödsinn machen und an ihrer eigenen Dummheit scheitern. In den USA hat sich mittlerweile eine Form der female comedy etabliert, die genau in diese Richtung zielt und über die sich erstaunlicherweise niemand empört. Es gibt meiner Meinung nach einen großen Unterschied zwischen Sexismus, der im Drehbuch auch thematisiert wird und Sexismus als Methode. Wenn man das durcheinander bringt, dann wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Wenn man gar nicht zulässt, dass weibliche Figuren komödiantisch überzeichnet daherkommen dürfen, dann ist keinem gedient.


Interview: Karin Schiefer
November 2016
«Es gibt meiner Meinung nach einen großen Unterschied zwischen Sexismus, der im Drehbuch auch thematisiert wird und Sexismus als Methode.»