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Publikation: Katharina Müller –  Haneke Keine Biografie

 

Katharina Müller:
Haneke Keine Biografie

transcript Verlag, Bielefeld 2014, 424 Seiten, € 34,99


Der Cover: Michael Haneke im Selbstportrait. Mit der Leica-Kamera vor seinen Augen verwehrt er sich einem direkten Blick des Betrachters und lässt ihn, flüchtig betrachtet, im Ungewissen, ob das Objektiv auf die Welt oder auf sich selbst im Spiegel gerichtet ist. Der Titel der Publikation - Haneke Keine Biografie legt eine weitere Verweigerung nach. Gängige Erwartungen sind fehl am Platz. Soviel steht mit dem ersten Griff zu Katharina Müllers soeben erschienenem Buch fest.  Der Buchrücken hält es noch knapper und lapidarer. Haneke. Kein Vorname, der einen Fokus auf die Person Michael Haneke verspräche, kein Untertitel, kein Teilaspekt der Werkrezeption, kein Interpretationsansatz. Müllers Dissertation, der eine dreijährige Forschungsarbeit just in den Jahren, wo Hanekes internationaler Erfolg kulminiert, zugrunde liegt, ist kein Close-up, sondern eine Totale. Hanekes Kino als umfassende Fallstudie. Global und vielstimmig.

 

Sich im Forschungsansatz auf die Akteur-Netzwerk-Theorie stützend, die keine Erklärungen bietet, sondern die Vielzahl an Fährten und Vektoren zu erfassen und beschreiben sucht, deren Zusammenwirken letztendlich für ein Phänomen ausschlaggebend sind, verfolgt die Autorin Michael Hanekes Arbeiten im Spannungsfeld zwischen Nationalität und Internationalität und hinterfragt das Konzept des Autorenkinos ebenso wie dessen nationale Vereinnahmung angesichts von länderübergreifenden Produktionskonstrukten, technologischen und wirtschaftlichen Umwälzungen in der Verwertung und globalisierter Rezeption durch die Medien. Erfasst und reflektiert hat sie dafür eine schiere Unzahl an Quellen wissenschaftlicher wie publizistischer Natur, Expertengespräche bis zu detaillierten Beobachtungen aus erster Hand durch persönliche Präsenz bei den entscheidenden Events in der jüngsten hanekeschen Erfolgsgeschichte. Geschrieben und strukturiert ist in Analogie zum Forschungsobjekt gegen den Strich: 71 Kapitel in Anlehnung an Hanekes Fragmente einer Chronologie des Zufalls, rückwärts nummeriert, bauen im ersten, mit Masturbation betitelten Teil, zunächst ein eloquentes Gerüst aus Theorie, dem im zweiten Teil, Komposition, mit Das weiße Band beginnend in umgekehrter Chronologie (mit Ausnahme von Amour, das den Abschluss bildet) bis zu den Fernseharbeiten eine umfassende Analyse folgt, die nicht nur sprachlich einen frischen Ton im wissenschaftlichen Diskurs an den Tag legt.

Karin Schiefer

Oktober 2014