INTERVIEW

«Ich würde mir für die Zukunft hybride Lösungen wünschen.»

Es sind nicht mehr als fünf bis acht Filme, um die der Katalog des kleinen, feinen Verleih & Vertriebs filmdelights jährlich wächst und die Sorgfalt in der Auswahl hat sich gelohnt. 2020, im zehnten Jahr des Bestehens von filmdelights feierten nicht nur sieben österreichische Produktionen von Filmemacherinnen ihre Premieren, es gingen die Hauptpreise der Diagonale für den jeweils besten österreichischen Spiel- und Dokumentarfilm an Arbeiten aus dem Verleih, Sabine Derflingers Portrait Die Dohnal war im schwierigen Corona-Jahr auch der erfolgreichste Dokumentarfilm an Österreichs Kinokassen. Ein Gespräch mit der Geschäftsführerin Christa Auderlitzky.



Ihr Weltvertrieb und Filmverleih filmdelights hat 2020 sein zehnjähriges Bestehen begangen, in einem Jahr, das hinsichtlich Ihrer Filmauswahl ein Volltreffer war. Die Hauptpreise der Diagonale wurden trotz Absage des Festivals vergeben, die Hauptpreise für den jeweils Besten österreichischen Spiel- und Dokumentarfilm gingen an Filme aus Ihrem Katalog: The Trouble with Being Born und Die Dohnal. Worin sahen Sie die Potenziale dieser Filme, als Sie sie vor Corona erworben haben?

CHRISTA AUDERLITZKY:
Die Dohnal ist ein Film, der eine unheimlich positive Kraft zum Ausdruck bringt. Er erweckt ein Bewusstsein, das meinem Empfinden nach verloren gegangen ist, nämlich, dass es vor vierzig Jahren eine große Persönlichkeit gegeben hat, die sich den Kampf für die Rechte von Frauen zur Lebensaufgabe gemacht hat. Das Material, das ich gesichtet habe, hat mich überzeugt. Sabine Derflinger schafft es sehr gut, einen Bogen zur jungen Generation herzustellen und auch zu zeigen, wer die Aktivistinnen heute sind. Bei den ersten Testscreenings mit jungem Publikum ist der Film sehr gut angekommen und es hat sich eine Art „Bildungslücke“ bestätigt: von Johanna Dohnal hatten sie noch nie gehört. Umso mehr hielt ich diesen Film für ein extrem wichtiges Zeitdokument, das gerade jetzt, wo wir in feministischer Hinsicht einen Backlash erleben, richtungsweisend sein und einen Geist wieder wachrütteln kann. Dazu kam, dass ich sehr gerne mal mit Sabine Derflinger zusammenarbeiten wollte, weil ich besonders ihr Dokumentarfilmschaffen sehr schätze. Wir haben in erster Linie auf die Kinoverwertung gesetzt und versuchten Frauenorganisationen sowie ein jüngeres Publikum im Besonderen anzusprechen. Die Medienresonanz war wirklich enorm. Die Premiere bei der Viennale 2019 war überwältigend, ein sofort ausverkaufter Saal und eine Stimmung wie ich sie selten im Saal erlebt habe. Das gab uns schon ein Vorgefühl, dass der Film das Potenzial zur Begeisterung hatte. Die Dohnal war auch in Zuschauerzahlen gemessen der erfolgreichste österreichische Film 2020.


filmdelights vertrat auch den Gewinner des Diagonale-Preises für den Besten Spielfilm: The Trouble with Being Born der jungen Filmemacherin Sandra Wollner. Einer der eher raren Spielfilme in Ihrem Programm…  

CHRISTA AUDERLTIZKY:
Ja, wir haben nicht sehr viele Spielfilme im Programm, das hat sich vor allem im Internationalen Vertrieb für mich so entwickelt, aber was den Verleih in Österreich anbelangt, möchte ich auch weiterhin eine Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm bedienen. Auf The Trouble with Being Born hatte man mich aufmerksam gemacht, außerdem spielte wieder die von mir sehr geschätzte Ingrid Burkhardt mit, die schon in Die Einsiedler, einem unserer Filme, mitgespielt hat. Der Film hatte bei der Berlinale in der Wettbewerbssektion Encounters seine Weltpremiere. Dieses Screening hat mich dann endgültig überzeugt. The Trouble with Being Born ist ein Film, der einen auf einen selbst zurückwirft. Nichts erklärt und nichts vorgibt. Es ist kein Crowd-Pleaser, aber Sandra Wollner zeigt nach zwei Langfilmen ihr Gespür für neue narrative Wege und ich bin mir sicher, sie wird ihre Karriere machen.


Wie hat dann, als plötzlich Corona alle Strategien durchkreuzte, Ihr Plan B für diese Filme ausgesehen?

CHRISTA AUDERLITZKY: 
Die Dohnal ist ein Monat vor dem Lockdown in den Kinos gestartet, am 8. März, dem Weltfrauentag, hatten wir noch eine Diskussions-Veranstaltung mit an die zehn zugeschalteten Kinos. Ich glaube, an diesem einen Abend wurde der Film von 4000 Personen gesehen. Eine Woche später ging alles zu. Dennoch können wir von Glück im Unglück sprechen, in den ersten Verwertungswochen waren die Kinos ausverkauft, wir haben es in den knapp fünf Wochen auf 37 500 Zuschauer*innen gebracht. Für einen österreichischen Dokumentarfilm eine unglaubliche Performance. Die Frage war, wie schaffen wir es, dieses Momentum in den Lockdown mitzunehmen und die Leute nicht komplett zu verlieren. Wir hatten von den Kinos Zusagen, dass sie den Film sofort nach Wiedereröffnung wieder programmieren würden. Daher wollten wir uns trotz der Ungewissheit diese Chance mit einem zu raschen VOD-Release nicht vertun. Wir versuchten einen Probelauf für eine Woche in Kooperation mit Kino-VOD, wo wir es auch auf rund 4000 Ticketverkäufe brachten. Wir haben uns irgendwie vorwärts gehantelt. Im Juni kam der Film nochmals ins Kino, mit den Sitzplatzbeschränkungen war alles verlangsamt. Alles in allem hat Die Dohnal an 42 000 Zuschauer*innen erreicht. Als der Film im Herbst 2020 als DVD bei Hoanzl herauskam, war er sofort vergriffen und seit Herbst ist der Film auch auf verschiedensten VOD-Plattformen verfügbar. Der Film hat auch einen deutschen Verleiher, was den deutschen Kinostart betrifft, ist Geduld angesagt. Dasselbe gilt auch fürden Kinostart von  The Trouble with Being Born.


Ein Blick auf Ihren Katalog 2020 und die österreichischen (Ko-)Produktionen verweist eine durchwegs weibliche Handschrift mit durchwegs (gesellschafts)politischem/-kritischem Fokus: Weiyena – ein Heimatfilm von Weina Zhao & Judith Benedikt | Das Fieber von Katharina Weingartner | This Land Is My Land von Susanne Brandstätter | Glory to the Queen von Tatja Skhirtladze | Wood – Der geraubte Wald von Ebba Sinzinger, Michaela Kirst, Monica Lăzurean-Gorgan. Kann man darin klar Ihren Schwerpunkt verorten?

CHRISTA AUDERLITZKY:
Absolut. Filmschaffen von Frauen war mir immer wichtig. Ich sehe es als meine Aufgabe, im Rahmen meiner Möglichkeiten diesen Filmemacherinnen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. Wir haben auch Katharina Mücksteins Talea, Clara Trischlers The First Sea oder Bettina Blümners Parcours d’Amour rausgebracht. Ich habe immer auch besonderes Augenmerk auf Erstlingswerke gesetzt, auch Zerschlag mein Herz, das Debüt von Aleksandra Makaraová, haben wir vertreten. Sozialpolitisches Engagement als dominierendes Thema ist definitiv eine Ausrichtung von filmdelights. Wir wollen mit unseren Filmen zum öffentlichen Diskurs beitragen, auf Themen aufmerksam machen und wenn möglich Veränderungen anstoßen.


Es ist auch eine klare Gewichtung hin zum österreichischen Film zu sehen.

CHRISTA AUDERLITZKY:
Auf jeden Fall. Das erklärt sich zum einen durch meine guten Kontakte, die immer zur österreichischen Filmbranche bestanden haben. Ich halte Österreich für ein sehr schlagkräftiges Filmland, ganz besonders im Dokumentarfilm. Und dazu kam, dass wir ein, zwei Jahre nach der Gründung des Weltvertriebs unser Tätigkeitsfeld auf den Verleih erweitert haben. Damit machte es auch Sinn, österreichische Filme rauszubringen.


Zurück in die Gründungs- und Aufbaujahre: Worin sahen Sie 2010 eine Nische in Österreich, die Sie veranlasst hat, einen Weltvertrieb zu gründen?

CHRISTA AUDERLITZKY:
Ich hatte das Gefühl, dass es noch einiges an Bedarf gab, gerade für die so genannten „kleineren“ Filme – ein Ausdruck, den ich eigentlich gar nicht schätze. Es gibt Filme, die auf Festivals ihre Karriere absolvieren, sonst aber nicht sehr sichtbar sind. Beim einen oder anderen Film hatte ich da ein Potenzial fürs Kino vermutet und das wollte ich mit dem Weltvertrieb umsetzen. Es war nicht leicht, sich zu positionieren, gerade auch deshalb, weil es immer mehr Weltvertriebe gibt. In Österreich gibt es Autlook und East West Distribution; letzterer hat eine eindeutig andere Ausrichtung als wir, Autlook wiederum hat eine andere Entstehungsgeschichte, allerdings auch wie wir eine klare Ausrichtung zum Dokumentarfilm. Es hat aber nie einen Wettstreit um einen Film gegeben.


Sie haben bei Polyfilm viel Erfahrung im Verleihgeschäft zu einer Zeit gesammelt, wo dieses über weite Strecken in vorhersehbaren Zyklen abgelaufen ist.  Der radikale Umbruch in der Filmverwertung ist zur Zeit in aller Munde. Ist es nicht vielmehr so, dass sich das Business in den letzten zehn Jahren immer wieder neu ordnet und kein Stein auf dem anderen bleibt? Ständiges Adaptieren und Umdenken längst zum Alltag gehört?

CHRISTA AUDERLITZKY:
Es hat sich extrem viel verändert. Diese raschen Veränderungen waren für mich eine extreme Herausforderung. Angefangen von der Frage nach der angemessenen Höhe von Lizenzgebühren über die Überflutung des Marktes mit neuen Titeln. Wo gehen diese Filme angesichts wachsender Festivalzahlen und rückläufiger Kinoeinsätze am besten hin? Digitale Formate wurden immer wichtiger, für Arthouse-formate aber auch wieder nicht so sehr. Es müssen schon große Arthouse-Namen sein, die auf den größeren Plattformen reüssieren oder Nischenfilme, die ein sehr spezielles Publikum ansprechen. Das Angebot an Plattformen ist ständig gewachsen, man musste vieles ausprobieren, um zu sehen, was funktionierte. Die Arbeit ist kleinteiliger und damit aufwändiger geworden, weil es viel mehr Verwertungsformen gibt.
Wir haben im letzten Jahr rasch nach einer Lösung gesucht, um unser Publikum nicht zu verlieren, u.a. auch im Educational Bereich, wo wir sehr rasch ein Online-Filmangebot für Schulen realisiert haben. Wir arbeiten auch zum Teil mit Educational-Plattformen auch außerhalb Österreichs zusammen, in Österreich haben wir es selber versucht, in diesem Bereich ein Publikum aufzubauen, das nicht nur Schüler*innen im Auge hat, sondern auch den Universitäts- und Ausbildungsbereich. Gerade im Dokumentarfilm wird es immer wichtiger, ein Nischen- und Zielgruppenpublikum anzusprechen. Dass die Hybridform so lange das „Ersatzprogramm“ zum regulären Kinobetrieb sein würde und uns noch länger begleiten wird, hätten wir uns nie gedacht.  


filmdelights ist eine kleine Struktur. Wie kann man in dieser Komplexität effiziente Prioritäten setzen, um am Ende nicht in Arbeit unterzugehen?

CHRISTA AUDERLITZKY:
Das ist eine gute Frage, die uns immer wieder sehr beschäftigt und mich herausfordert, Strukturen zu schaffen, die Abläufe vereinfachen. Es wird leichter, wenn man auf eine längere Kooperation mit gewissen Partnern bauen kann. Da ist dann schon viel Vorarbeit geleistet. Wir sind im filmdelights-Team zu viert, wobei die Mitarbeiter*innen 20 bis 30 Stunden beschäftigt sind. Was den Verleih betrifft, haben wir Einiges ausgelagert (Presse, Zielgruppenarbeit), dennoch bleibt viel Arbeit noch bei uns, wie z.B. der Festivalbereich. Allein im April und Mai haben wir 18 Festivaleinladungen für drei Filme, einer davon wird Ende April bei HotDocs laufen. Die Koordinierung der Materialien und die Kommunikation mit den Festivals bedeutet viel Arbeit. Umgekehrt ist es sehr erfreulich, dass sich gerade jetzt, wo punkto Kino alles stillsteht, ein paar Lichtblicke auftun.


Splittet man die einzelnen Verwertungsformen auf zwischen Kino, TV, Online und Festivals. Wo sind Sie gerade am intensivsten tätig? Wo generieren sie das größte Interesse?

CHRISTA AUDERLITZKY:
Das ist nicht so leicht zu sagen. Die Intensität des Interesses hängt immer vom Film ab.  Ein internationaler Festivalerfolg heißt noch nicht automatisch, dass der Film in der Kino- oder der TV-Auswertung sein Publikum finden wird. Es kann vorkommen, dass ein Film weder im Kino noch auf Festivals erfolgreich ist und plötzlich wird er fürs Fernsehen sehr nachgefragt, weil er eine breite Zielgruppe anspricht. Das haben wir bei Offshore – Elmer und das Bankgeheimnis von Werner Schweizer erlebt. Im Kino lief er trotz guter Kritiken nicht sehr gut, da die Verwertung aber mit der Veröffentlichung der Panama-Papers zusammenfiel, war plötzlich fernsehmäßig großes Interesse da.


Bedeutet das, dass jeder Film seine maßgeschneiderte Strategie braucht?

CHRISTA AUDERLITZKY:
Im Prinzip schon. Man muss sich bei jedem Film überlegen, wo man den Schwerpunkt ansetzt. Das kostet viel Zeit, aber die Filme brauchen das. Unter den aktuellen Umständen braucht es dazu noch ein ständiges Nachjustieren. Je länger ich in diesem Bereich tätig bin, desto stärker merke ich, dass immer mehr Filmproduzent*innen  auf unser Profil aufmerksam werden und uns Filmprojekte anbieten. Wir haben uns ein gewisses Standing erarbeitet, das hat aber lange gedauert, bis es so weit war.


Seit dem zweiten Lockdown stellt man (nicht nur) punkto Kinostarts einen Stop and Go-Modus fest, Öffnungen werden in Aussicht gestellt und im letzten Moment zurückgenommen.  Dies ungefähr im Zwei-Monats-Rhythmus. Was bedeutet das für die Presse- und Marketing-Strategien?

CHRISTA AUDERLITZKY:
Konkret für unsere Filme kann ich sagen, dass wir letztes Jahr Glück hatten und unsere Kinostarts in den wenigen offenen Fenstern untergebracht haben. Heuer stellt sich das anders dar. Für The Trouble with Being Born war der Kinostart für Mitte Jänner 2021 vorgesehen. Wir haben uns dabei immer auch mit dem deutschen Verleiher und der dortigen Situation abgestimmt. Inzwischen war auf Ende April verschoben und so, wie es jetzt aussieht, wird das wieder nicht zu halten sein. Wir haben noch nicht plakatiert, aber bereits Inserate geschaltet und an Pressearbeit ist viel verloren gegangen. Wenn Medien schon berichtet haben, ist es schwer, sie dazu zu bringen, es nochmals zu tun. Darüber hinaus ist die Planung mit den Kinos schwierig, die sich verständlicherweise nicht mehr festlegen wollen. Ständig wird alles über den Haufen geworfen. Es ist sehr herausfordernd, immer wieder die Motivation zu finden, wieder von vorne zu beginnen und sich einen Zeitplan zu überlegen. Bei filmdelights spielt dann auch noch der Umstand hinein, dass wir nicht wie andere Verleiher über eigene Kinos verfügen. Das macht es uns auch nicht leichter. Es ist gerade ziemlich zäh.  
Wir Verleiher versuchen gerade Lobbying für uns zu betreiben, ohne Verleiharbeit würden die Kinos nicht existieren, wären die neuen Filme nicht sichtbar, und es bedarf dringend einer Unterstützung um unsere Strukturen aufrechthalten zu können. Die Wirtschafts- oder Covid-Förderungen sind nicht unbedingt für jeden zugänglich oder greifend. Das ist eine bittere Erfahrung. Ich würde mir mehr Bewusstsein dafür wünschen, wie wichtig Verleih als Struktur ist, aber gleichzeitig nicht unbedingt ein Wirtschaftszweig ist, der viel Geld abwirft. Diese Zeiten sind vorbei. Wir sitzen im selben Boot wie die Kinos und dafür bräuchten wir mehr Öffentlichkeit. Ich bin generell enttäuscht, welcher Stellenwert der Kultur in dieser Krise eingeräumt wird. In den Pressekonferenzen werden Gastronomie und Hotellerie diskutiert, die Kultur kommt nicht einmal mehr vor. Kultur wird als Luxusgut betrachtet, das man sich eventuell gönnen kann. Welche Bedeutung sie für die Psyche und die humanitäre Ausbildung hat, wird ausgespart.


Wieviele Filme pro Jahr können Sie aufnehmen? Bei einem kleinen Katalog muss auch die Treffsicherheit sehr hoch sein. Wie und wo finden Sie die Filme?

CHRISTA AUDERLITZKY:
In einem normalen Jahr sind es zwischen fünf und acht Filme. Es werden immer wieder Projekte an mich herangetragen. Natürlich hält man auch selber Ausschau danach, was zu uns passen könnte. Oft nehme ich an Pitching-Foren teil, so ist man am Laufenden, was gerade international am Entstehen ist. Und wir besuchen viele Dokumentarfilmfestivals: Nyon, HotDocs, Sheffield, IDFA, Leipzig, um nur einige zu nennen.  Das sind Plattformen, die für uns sowohl wichtig sind, Neues zu akquirieren, aber natürlich auch, um unsere Filme zu verkaufen. Ich muss sagen, dass wir letztes Jahr auf wesentlich mehr Märkten waren, weil sie online stattgefunden haben. Online-Märkte sind leichter zugänglich und erspart durch den Wegfall der Reisen Wesentliches an Zeit und Kosten.


Der letzte große Event war der EFM Berlin, der Anfang März online stattgefunden hat. Wie haben Sie diesen digitalen Markt wahrgenommen? Gibt es Filme, die Sie für den filmdelights-Katalog gewonnen haben?

CHRISTA AUDERLITZKY:
Wir hatten dieses Jahr am EFM einen virtuellen Stand mit online Market-Screenings für drei Filme. Dazu muss ich sagen, dass die Akzeptanz und die Zugriffszahlen wesentlich besser waren, als es sonst bei physischen Market-Screenings der Fall war. Ich war sehr glücklich über die Sales-Reports, die zeigten, dass Festivals, TV-Einkäufer etc. unsere Filme gesehen hatten. Was die Akquise betrifft, hat es heuer viel mehr Filme gegeben, die noch keinen Weltvertrieb hatten, zwei davon habe ich sehr toll gefunden, dann aber doch nicht das nötige Potenzial gesehen. Einen Film, den wir gerne gehabt hätten, haben wir leider nicht bekommen. Das heißt, konkret am EFM haben wir keinen neuen Film in den Katalog aufgenommen.


Man kann nun nach einem Jahr Corona-Krise auf eine Serie von Online-Festivals und -Märkten zurückblicken, die von Mal zu Mal ausgereifter werden. Wie würden Sie die beiden Optionen gegeneinander abwägen?

CHRISTA AUDERLITZKY:
  Begonnen haben die Online-Events letztes Jahr mit CPH:DOX. Von der Organisation her muss ich sagen, habe ich diese Events immer sehr positiv erlebt. Für mich als Teilnehmerin ist es sehr anstrengend, den ganzen Tag vor dem Computer zu sitzen. Es erfordert mehr Konzentration, mit den Menschen über Bildschirme zu kommunizieren. Wenn man physisch vor Ort ist, dann taucht man in die Festival- oder Marktatmosphäre ein, checkt vielleicht mal seine Mails, ansonsten ist man aber dem Alltag entkoppelt. Nehme ich nur online teil, dann bleibt auch der Alltag präsent und es ist schwieriger, seine Aufmerksamkeit auf den aktuellen Event zu fokussieren. Umgekehrt ist natürlich auch ein Lernprozess, bei diesen Events fokussierter zu werden. Der Kostenfaktor spricht aus unserer Sicht natürlich für die Online-Events. So hat mein Kollege erstmals an Ventana Sur teilgenommen und wir konnten auch beim FilmART Hongkong dabei sein, etwas, was sonst unsere Budgets sprengen würde. Von European Film Promotion gab es dazu noch unterstützende Maßnahmen, um unter besonderen Konditionen teilzunehmen. Natürlich fehlt der soziale Austausch, aber für uns haben sich durch die Umstellung auf online auch zusätzliche Möglichkeiten aufgetan. Das ist positiv. Und es kommt auch der ökologische Faktor dazu. Soziale Aspekte halte ich für extrem wichtig, dennoch glaube ich, dass die Filmbranche grundlegend umdenken muss. Es ist ja absurd, dass dieselben Leute von einem Festival zum anderen reisen. Ich würde mir für die Zukunft hybride Lösungen wünschen.


Klassische Verwertungswege waren gerade im Festivalbereich mehr oder weniger über ein Jahr angelegt. Führt das Aufbrechen der Verwertungsmechanismen und -fristen auch zu längeren Verwertungszeiten?

CHRISTA AUDERLITZKY:
  Die Frage ist, wie man damit umgeht. Ich habe ein gutes Beispiel: Glory to the Queen hatte seine Weltpremiere im September. Damit begann die Festivalkarriere. Als nächsten Schritt begannen wir mit Überlegungen zum Kinostart, gekoppelt mit der Frage, wann es günstig sein würde, den VOD-Release anzusetzen. Durch The Queen’s Gambit gab es einen Schach-Hype, den wir unbedingt nutzen mussten. Wir konnten uns daher nicht allzu lange Zeit lassen. Also planten wir einen internationalen VOD-Release, den wir wiederum so günstig wie möglich mit dem österreichischen Kinostart koordinieren mussten. Grundsätzlich könnte man den Film in Österreich geoblocken und ihn erst später freigeben. Die Frage ist, wie sinnvoll das ist. Gleichzeitig gibt es Festival-Anfragen, die einem VOD-Release gegenüber prioritär behandelt werden müssen. Man sieht gut, da sind viele Dinge durcheinandergeraten.  Wir müssen sehr viel flexibler sein, aber ich finde es auch sehr reizvoll, dass man nicht mehr nur in den strengen Mustern denken und agieren muss.


Interview: Karin Schiefer
März 2021






«Wir wollen mit unseren Filmen zum öffentlichen Diskurs beitragen, auf Themen aufmerksam machen und wenn möglich Veränderungen anstoßen.»