In Keutschach, dem Heimatort der Filmemacherin Andrina Mračnikar, sprach vor hundert Jahren die große Mehrheit Slowenisch,
                                 eine Minderheit Deutsch. Heute hat sich das Verhältnis umgekehrt. In VERSCHWINDEN/IZGINJANJE, ihrem sehr persönlichen Essay über das leise Entschwinden materieller wie immaterieller Gegebenheiten, zeichnet sie hundert
                                 Jahre, nachdem sich die slowenischsprachige Bevölkerung per Abstimmung für eine Zugehörigkeit zu Kärnten entschieden hat,
                                 nach, wie de Zeit und politischer (Un-)Wille die Präsenz einer Minderheit verblassen lassen.
 
 
Die Geschichte Kärntens und der Kärntner Slowenen ist eng mit einer Volkabstimmung, die im Jahr 1920 stattfand, verbunden.
                                    Können Sie uns kurz einge wichtigen Eckdaten zum Verständnis der aktuellen Situation geben?
 
ANDRINA MRAČNIKAR: Die so genannten Alpenslawen haben die Region des heutigen Kärntens bereits im 6. Jh. besiedelt und das Fürstentum Caranthanien
                                 begründet, das bis ins heutige Osttirol reichte. Kärnten ist aufgrund dieser Geschichte das älteste Bundesland des heutigen
                                 Österreich. Nach dem Ersten Weltkrieg sind die Grenzen neu gezogen worden, im gemischt deutsch-/slowenischsprachigen Gebiet
                                 war es strittig, wo die Linie verlaufen sollte. Es blieb über das Kriegsende hinaus umkämpft, bevor dann eine Volksabstimmung
                                 die Entscheidung bringen sollte. Auf der einen Seite war die SHS-Monarchie mit Serben, Kroaten und Slowenen, auf der anderen
                                 Seite die ganz junge Erste Republik Österreich. Den Slowenen versprach man von österreichischer Seite, rechtliche Gleichstellung
                                 mit Anerkennung ihrer Sprache als Unterrichts- und Amtssprache. Unter dieser Voraussetzung haben viele Kärntner Slowenen –
                                 in erster Linie sind Männer zur Abstimmung gegangen, das Wahlrecht für Frauen war noch ganz neu – für Kärnten gestimmt. So
                                 auch mein Urgroßvater, der außerdem in keiner Monarchie mehr leben wollte. Es gab für viele Menschen sehr pragmatische Gründe,
                                 wie z.B. für die Bauern, wo der nächste Markt war, wo sie ihre Waren verkaufen konnten oder wo die nächste Hauptstadt war.
                                 Für die SHS-Monarchie wäre das Ljubljana gewesen und hätte eine Fahrt über die Karawanken nötig gemacht, mit Klagenfurt und
                                 seiner Region war man stärker verbunden. Die Versprechungen wurden nicht gehalten. Gleich nach der Volkabstimmung für den
                                 Verbleib bei Kärnten wurden slowenischsprachige Menschen, die Lehrer oder bei der Eisenbahn waren, entlassen. Einige tausend
                                 Kärtner Slowenen sind sofort nach Slowenien gegangen, viele weil sie ihre Arbeit verloren hatten oder enteignet worden sind.
                                 Darüber weiß man sehr wenig. Das kommt erst jetzt mehr ins Bewusstsein der slowenischsprachigen Öffentlichkeit. Bei der deutschsprachigen
                                 Bevölkerung ist bis heute nicht angekommen, dass die Benachteiligung der slowenischsprachigen Bevölkerung sofort nach der
                                 Volkabstimmung eingesetzt hat. Darüber wird nicht geredet. Es wird zum Teil immer noch behauptet, dass die Slowenen gar nicht
                                 für den Verbleib bei Kärnten gestimmt haben. Eine Lüge, die sich hartnäckig hält.
 
 
Sie haben mit bisherigen Arbeiten wie Andri 1924 – 1944 und Der Kärntner spricht Deutsch über eine familiäre Ebene Bewusstsein für die Geschichte der Kärntner Slowenen geschaffen. Hat das offizielle Datum des 100.
                                    Jahrestags der Volksabstimmung, der 2020 stattfand, Fragen aufgeworfen, der Sie mit diesem Film nachgehen wollten?
 
ANDRINA MRAČNIKAR: VERSCHWINDEN/IZGINJANJE hat schon viel früher aus einem persönlichen Motiv begonnen und ich hatte nicht geahnt, welche Dimension
                                 er entwickeln würde. Ich weiß nicht, ob ich mich darüber gewagt hätte, hätte ich das zu Beginn gewusst. Ich musste mich in
                                 die komplexen historischen Zusammenhänge einarbeiten, um sie in einem weiteren Schritt auch erzählen zu können. Der erste
                                 Anstoß kam vom Historiker Oliver Rathkolb, der eine historische Fotoausstellung über Keutschach vorbereitete und, da er meine
                                 Dokumentarfilme kannte, mich fragte, ob ich einen kurzen filmischen Beitrag zur Ausstellung machen wollte. Weder kannten wir
                                 uns persönlich noch wusste er, dass ich aus Keutschach/Hodiše stamme. Was mich an der Geschichte dieses Ortes besonders interessierte,
                                 war die eklatante Verschiebung in der sprachlichen Realität. Vor hundert Jahren haben hier über 90% der Menschen Slowenisch
                                 gesprochen, kaum jemand konnte Deutsch. Jetzt ist es umgekehrt. VERSCHWINDEN/IZGINJANJE hat also von Keutschach aus begonnen,
                                 wo ich eine sehr resignative Stimmung wahrgenommen habe. Mit der geografischen Erweiterung meines Fokus hoffte ich, mehr vom
                                 Widerstandsgeist vor allem junger Leute hineinbringen zu können. Was sich in Keutschach vollzogen hat, ist ziemlich repräsentativ
                                 für ganz Südkärnten, es gibt aber Dörfer und Gegenden, wo das Slowenische schon noch mehr erhalten ist. Die Idee, mehr Protagonist:innen
                                 und Ereignisse einzubinden, ist leider durch die Pandemie erschwert worden. Dann erst näherte sich der 10.Oktober 2020. Ich
                                 hatte erwartet, dass sich rund um dieses Jubiläum viel tun wird. Es bestand auch die Hoffnung seitens einiger Kärntner Slowenen,
                                 dass es eine Chance bieten würde, um rechtemäßig eine Verbesserung zu erreichen. Es ist aber wenig passiert und das ist auch
                                 eines der Themen dieses Films.
 
 
Ist Ihrer Meinung nach die Sprache und der Umgang mit der Sprache der Angelpunkt des Konfliktes und auch der Problematik?
 
ANDRINA MRAČNIKAR: Ich glaube nicht, dass es nur um die Sprache geht. Es wird aber oft versucht, das Problem als einen Sprachenkonflikt darzustellen.
                                 Ich glaube, dass es darum in Wirklichkeit gar nicht geht, sondern dass der entscheidende Aspekt in Österreichs Umgang mit
                                 dem Nationalsozialismus liegt. Das Deutschnationale hat in Kärnten eine sehr lange Tradition und man hat bekannterweise 1945
                                 in Österreich nicht komplett damit gebrochen. Es sind so viele Menschen NSDAP-Mitglieder gewesen, dass man sie zum Teil mangels
                                 anderer Möglichkeiten in ihren Posten belassen hat. In meinem Film Der Kärntner spricht Deutsch erfährt man, dass ein ehemaliger
                                 SS-Offizier das Fürsorge-Referat für Opfer des Nationalsozialismus über hatte oder man denke an den Politiker Otto Scrinzi,
                                 der als Psychiater auch traumatisierte Opfer des Nationalsozialismus behandelt hat. Man hat in Kärnten nie eine klare Trennlinie
                                 gezogen. Die Kärtner Slowen:innen haben den einzigen organisierten bewaffneten Widerstand im ganzen Gebiet des Dritten Reichs
                                 geleistet. Darüber wird nicht nur nicht geredet, es kam zu einer Umkehr durch Behauptungen, dass die Partisan:innen eigentlich
                                 die Täter:innen gewesen seien. Ich glaube, der Widerstand gegen den Nationalsozialismus seitens der Slowenen hat den Grundstein
                                 für den heutigen Konflikt gelegt.
 
 
Der Film bewegt sich zwischen einer offiziellen Ebene und einer sehr persönlichen familiären Ebene. Das Thema des Verschwindens
                                    bezieht sich auf ein physisches und auch auf ein immaterielles Verschwinden. Hat der Film im Laufe der Arbeit auch immer mehr
                                    Facetten des Verschwindens gewonnen?
 
ANDRINA MRAČNIKAR: Ich hatte natürlich ein Konzept, vieles hat sich aber erst durch die Dreharbeiten eröffnet. Vom Abriss des Hauses meiner Großmutter
                                 wusste ich noch nicht, als ich mit dem Film begann. Wir haben immer wieder gedreht und geschnitten. Die Pandemie hat uns immer
                                 wieder gezwungen, uns neu zu positionieren. Wir hätten gerne mit Kindern gedreht, Dreharbeiten in Schulen waren während der
                                 Pandemie aber zuerst undenkbar, deswegen konnten wir diesen Dreh erst gegen Ende machen. So haben wir uns immer wieder weitergetastet.
                                 Die Darstellung dieses Abrisses und was er symbolisiert, war der einzige heikle Punkt innerhalb der Familie. Im Laufe des
                                 Drehens und Schneidens, gerade angesichts des Hauses, das auch noch verschwand, hat sich vieles verzahnt: Das Verschwinden
                                 der Erzählungen und der Sprache innerhalb der Familie und dieses materielle Haus, das auch nach dem Tod meiner Großmutter
                                 ein zentraler Treffpunkt meiner Familie war.
 
 
Sie haben in den TV-Archiven recherchiert und v.a. den Streit um die Zweisprachigkeit der Ortstafeln in den 70-er Jahren in
                                    Erinnerung gerufen. Haben Sie auch Informationen entdeckt, die Ihnen unbekannt waren? Ist auch dies ein Aspekt des Verschwindens,
                                    dem Sie entgegenarbeiten, indem sie diese Ereignisse für eine jüngere Generationen zugänglich machen?
 
ANDRINA MRAČNIKAR: Auf jeden Fall. In diesen Bereich fallen auch die Momente, wo meine Position als Filmemacherin fast aktivistisch wird. Das
                                 war nicht beabsichtigt, weil ich als Filmemacherin offen an das Thema herangehen wollte. Es ist ein hochpolitisches Thema,
                                 zu dem ich eine klare Haltung einnehme. In den Reaktionen auf den Film merke ich, dass sich viel tut und viele Leute aufwachen.
                                 Ich habe noch nie so viele Briefe und Mails bekommen, von Politiker:innen ebenso wie von Menschen, die ich gar nicht kenne.
                                 Es ist etwas in Gang gekommen, die Frage wird sein, was jetzt daraus wird. Es ist vielen einiges klar geworden: wie z.B. die
                                 Kranzniederlegungen auf ein Grab eines ehemaligen Nazis durch den SPÖ-Landeshauptmann. Das ist in den Medien nicht thematisiert
                                 worden und ich denke, es hat bewusst gemacht hat, wie damit umgegangen wird. Es sind Dinge, die die Menschen innerhalb der
                                 Volksgruppe gespürt haben, der Film bringt sie noch einmal auf den Punkt. Ich kannte manche Archivmaterialien aus TV-Dokus,
                                 und habe auch meine Recherche über diese Materialien begonnen. Es ist ganz klar, dass der Hass in den siebziger Jahren viel
                                 offener war, die Menschen würden sich vor laufender Kamera nicht mehr so offen äußern. Über die Archivmaterialien kann man
                                 die aufgeheizte Stimmung der damaligen Zeit gut nachvollziehen. Ich hatte zunächst entschieden, keine Archivmaterialien in
                                 meinem Film zu verwenden. Erst gegen Ende tauchte die Option doch nochmals auf. Mit dem Produzenten Jürgen Karasek, der auch
                                 mein Partner und der Vater unseres gemeinsamen Sohnes ist – der im Film auch zu sehen ist – kam die Idee wieder auf und wir
                                 haben noch einmal Archivmaterial gesichtet. Ich halte es für einen wichtigen Mehrwert. Es sind nur wenige Archivinseln, die
                                 zum einen zeigen, wie sehr das Deutschnationale Tradition hat und wie lange diese Hetze stattgefunden hat und sie führen in
                                 ein Heute, wo die Menschen nicht mehr so massiv, aber immer noch mitten in Klagenfurt auftreten. Man sieht anhand dieser Ausschnitte
                                 auch wie viele Proteste es seitens der Slowen:innen gegeben hat. Denn was ich bei Screenings manchmal gehört habe, ist, dass
                                 die Slowenen doch lauter protestieren sollten. Die Archive zeigen, wie viele Menschen auf der Straße waren, es hat Solidaritätskomitees,
                                 Sitzstreiks und andere Aktionen gegeben. Wenn man heute eine kleine Gruppe von Studierenden auf der Straße protestieren sieht,
                                 stimmt es traurig, wenn man es mit den Massen vergleicht, die vor einigen Jahrzehnten auf die Straße gegangen sind. Es zeigt,
                                 dass der Prozess der Zermürbung erfolgreich war.
 
 
Durch die Gespräche mit Ihren Familienmitgliedern und den individuellen oft traumatischen Erfahrungen erzählen Sie auch Mikrogeschichte,
                                    die kaum oder nicht Teil der offiziellen Geschichtsschreibung ist. Der Film hält sie für die Familie wach und schafft Bewusstsein
                                    auf einer breiteren Ebene.
 
ANDRINA MRAČNIKAR: Es ist eine inoffizielle Geschichtsschreibung, die in den Schulen nicht weitergegeben wird und die über diese individuellen
                                 Erfahrungen spürbarer wird. Es bliebe sonst sehr abstrakt. Was heißt es denn genau, so und so viele Menschen sind deportiert
                                 worden. Individuelle Geschichten schaffen ein klares Bild und tragen viel dazu bei, dass die Menschen wirklich berührt sind.
                                 Interessant sind auch die Erzählungen von Tomi Schuschu, dem Bauern, der zu Beginn im Stall zu sehen ist. Er ist als Dreijähriger
                                 deportiert worden und hat danach die Erfahrung gemacht, als „Ausgesiedelter“ nichts mehr wert zu sein. Er hat in seiner Familie
                                 nie davon erzählt. Im Interview mit mir spricht er meistens Deutsch, obwohl er beim ersten Treffen Slowenisch gesprochen hat.
Er tendierte dazu, wenn Leute da waren, eher Deutsch zu sprechen. Er ist leider inzwischen verstorben. Eigene Kinder hatte
                                 er keine, aber bei der Vorführung in Klagenfurt waren seine Nichten und Neffen anwesend. Dass der Film dazu beiträgt, etwas
                                 weiterzugeben, was in der Familie bisher ein Tabu war, freut mich.
 
 
Sie sprechen im Film auch an, dass das Verschwinden Ihres Großonkels Andri Leerstellen in der Familie hinterlassen hat, die
                                    Sie mit Ihrer Arbeit zumindest zum Teil füllen können.
 
ANDRINA MRAČNIKAR: Bei Andri hat mich die Frage beschäftigt, was ihn bewegt hat, zu den Partisanen zu gehen. Was seine Erlebnisse an der Front
                                 und dann bei den Partisanen waren. Natürlich habe ich es nicht direkt erfahren können, aber ich konnte mich annähern. Mit
                                 VERSCHWINDEN/IZGINJANJE sind nochmals andere Aspekte aufgetaucht. Ich bin jetzt langsam historisch recht gut eingearbeitet.
                                 Über Nationalsozialismus, Widerstand und Partisanen hinaus weiß ich nun auch viel über die Nachkriegszeit und die Zeit davor.
                                 Es hat z.B. 1958 den Schulstreik gegeben, bei dem es gelungen ist, den in Kärnten nach 1945 obligatorischen zweisprachigen
                                 Unterricht wieder abzuschaffen. In Kärnten mussten sich die Kinder aktiv zum Slowenisch-Unterricht anmelden und sind dabei
                                 unter massiven Druck geraten. Ich habe gehört, dass Leute bis heute in manchen Ortschaften unter Druck gesetzt werden. Aber
                                 im Schnittprozess musste vieles wieder weggelassen werden, damit der Input an Information auch nicht erdrückend wurde.
 
 
Sie haben auch bei öffentlichen Anlässen zur 100-Jahr-Feier gedreht. Hundert Jahre ist ein imposantes Jubiläum. Es entsteht
                                    ein Eindruck, dass etwas offiziell, aber nicht mit allen und für alle gefeiert wird. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
 
ANDRINA MRAČNIKAR: Gefeiert wurde, dass diese Region ein Teil von Österreich geworden ist und dadurch vermieden wurde, dass sie unter kommunistische
                                 Herrschaft gelangt ist, was nach allgemeiner Auffassung Armut und Angst bedeutet hätte. Das Abstimmungsergebnis ist sofort
                                 von deutschnationaler Seite vereinnahmt worden und es wurde behauptet, dass keine Slowenen für Österreich gestimmt hätten.
                                 Es tauchte der Begriff der „Windischen“ auf, ein Wort, das sich bis heute hält und um das bis heute in Kärnten Verwirrung
                                 herrscht, weil es im Grunde nur ein anderes Wort für Slowenisch beziehungsweise für den slowenischen Dialekt ist. Es wurde
                                 künstlich ein Begriff eingeführt, um damit quasi die „besseren“, die anpassungswilligen Slowenen zu bezeichnen. Gleichzeitig
                                 wird „windisch“ immer als Schimpfwort wahrgenommen. Wir haben viel rund um den 10. Oktober gedreht, Veranstaltungen des Landes
                                 Kärnten und auch von deutschnationalen „heimattreuen“ Organisationen. Ich habe mich nicht immer wohl gefühlt, weil man mit
                                 der Kamera sehr exponiert ist. An den Drehorten habe ich die Interviews geführt, manche davon haben mehrere Stunden gedauert
                                 und es hat mich erstaunt, dass ich nie gefragt wurde, wer ich bin, woher ich mein Wissen und meine Informationen habe. Es
                                 gab sehr viele dieser Veranstaltungen – Kranzniederlegungen, neue Denkmäler für ehemalige Nazis. Dass ich bei der Kranzniederlegung
                                 für Martin Wutte auf den Landeshauptmann selbst treffen würde, war eine Überraschung. Wutte war NSDAP-Mitglied der ersten
                                 Stunde, man bezeichnet ihn als Landeshistoriker und er gilt v.a. als Erfinder der „Windischen-Theorie“. Er hat sich ausgedacht,
                                 dass die Slowenen, die für Österreich gestimmt haben, alle deutschfreundliche Windische waren und eben keine Slowenen, somit
                                 auch keinen Rechtsanspruch auf Gleichberechtigung erheben brauchten. Für jemanden, der sich solchen Schwachsinn ausgedacht
                                 hat, der bis heute hält und der außerdem ein überzeugter Antisemit und Hetzer war, wird heute noch ein Kranz niedergelegt.
                                 Das Interview mit dem Landeshauptmann Peter Kaiser ist entsprechend spontan entstanden und war nicht sehr viel länger als
                                 das, was im Film zu sehen ist. Anlässlich der großen offiziellen Feier zum Jubiläum hat sich Bundespräsident Van der Bellen
                                 bei der slowenischen Volksgruppe entschuldigt. Irritierend fand ich die Rede des Landeshauptmanns, der davon spricht, dass
                                 man von beiden Seiten der Brücke kommend einander in der Mitte treffen müsse, als würde man von zwei gleichstarken Parteien
                                 reden, die etwas auszuhandeln haben. Dass er von überzogenen Forderungen spricht, zu einem Zeitpunkt, wo die Minderheit schon
                                 so klein ist, ist ebenfalls befremdlich. Mit dem Argument, die Wähler:innen nicht zu vergraulen, wird diese laue Politik weitergeführt.
 
 
Sie haben entschieden, mit Ihrem Sohn Slowenisch zu sprechen, Sie lassen slowenische Aktivist:innen zu Wort kommen. Haben
                                    Sie das Gefühl, dass eine Öffnung der Gesellschaft hinsichtlich mehr Diversität einen positiven Impuls setzen kann?
 
ANDRINA MRAČNIKAR: Es hat sich zum Glück Einiges geändert. Und der Film will auch erzählen, dass Dinge besser geworden sind. Aber es wird gerne
                                 nach außen kommuniziert, dass alles nun gelöst sei und das möchte ich sehr entschieden in Frage stellen. Es ist schlicht und
                                 einfach nicht der Fall, dass so viele Kinder wirklich Slowenisch lernen und es liegt sehr viel im Argen. Das soll der Film
                                 auch zeigen. Über die fehlende Gleichberechtigung wird geschwiegen und nach außen behauptet, die Slowenen hätten ausgezeichnete
                                 Minderheitenrechte im Vergleich zu anderen Ländern. In Istrien gibt es überall zweisprachige Ortstafeln, auch in Südtirol
                                 und der Schweiz, zum Teil auch dreisprachige. Wem würde es denn weh tun, wenn die Ortstafeln in Kärnten zweisprachig wären
                                 und Slowenisch als Amtssprache gelten würde? Das Slowenische ist in Kärnten beinahe unsichtbar. Dieses Jahr haben junge Menschen
                                 anlässlich des 10. Oktober protestiert, die Medien haben darüber und auch über meinen Film berichtet. Wenn man es schafft,
                                 in die Medien zu kommen, dann kann man mit einer gewissen Wirkung rechnen. Ich habe das Gefühl, dass sich gerade etwas tut
                                 und sich etwas tun könnte. Es wird von jenen abhängen, die an der Macht sind, wieviel sie verstehen wollen, wie sehr es ihnen
                                 bewusst ist, dass sie es in der Hand haben.
 
 
Hat diese Auseinandersetzung mit dem Verschwinden Ihnen auch auf einer politischen wie persönlichen Ebene den Wettlauf mit
                                    der Zeit deutlich gemacht und Bewusstsein geschaffen, was unvermeidlich der Zeit zum Opfer fällt?
 
ANDRINA MRAČNIKAR: Es gibt Dinge, die man nicht mehr verhindern kann. Ich habe auf den Film sehr viele positive Reaktionen bekommen, viele Menschen
                                 erzählen mir auch von der Trauer, die der Film in ihnen ausgelöst hat. Jemand hat mir erzählt, dass seine Tochter die Einzige
                                 in der Klasse ist, die zu Hause noch Slowenisch spricht und in der Schule wiederum einen Slowenisch-Unterricht erhält, der
                                 sie total unterfordert. Wenn man das hört, wird klar, dass hier ein Prozess des Verschwindens unaufhaltsam ist. Gleichzeitig
                                 ist noch etwas vorhanden und es kommen ja doch auch neue Generationen nach. Jetzt aufzugeben, wäre völlig im Widerspruch zur
                                 Intention des Films. Ich denke, der Film kann auch für neue Energie sorgen. Ich spreche mit meinem Sohn Slowenisch, er mit
                                 mir auch, aber er spricht es nicht in allen Situationen. Es kann sein, dass er gerade eine Sprache lernt, die ihn vielleicht
                                 einmal an eine Zeit erinnert. Er lernt die Sprache, aber er wird vielleicht nicht mehr die Leute haben, mit denen er sie sprechen
                                 kann. So verliert eine Sprache ihren Sinn und ihre Funktion und man vergisst sie.
Um den Trend aufzuhalten, müsste es tiefgreifendere politische Schritte geben. Der Schulunterricht müsste in der Mittelstufe
                                 weitergehen, es müsste für die Kindergärten bessere Lösungen geben, um ernsthaft Zweisprachigkeit anzubieten. Und vor allem
                                 müsste man für Kontinuität sorgen. Viele Leute haben mir erzählt, dass sie als Kind Slowenisch gekonnt haben, sich aber irgendwann
                                 keine Möglichkeiten mehr geboten haben es zu praktizieren. Das bedeutet auch einen Schmerz, zu der Sprache, mit der man emotional
                                 verbunden ist, den Bezug verloren zu haben und eine Zerrissenheit, weil die Verbundenheit spürbar ist, die Werkzeuge aber
                                 fehlen, auf sie zuzugreifen.
 
 
Interview: Karin Schiefer
Oktober 2022
                           
                        








