INTERVIEW

«Familie war noch nie einfach.»

 

 

Familie war noch nie einfach und wird es auch in Zukunft nicht sein, wir tun aber gerne so, als wäre Familie früher einfach gewesen und ist es jetzt nicht mehr. Ein Gespräch mit Cornelia Travnicek, der Autorin des Romans CHUCKS, der  von Sabine Hiebler & Gerhard Ertl fürs Kino adaptiert wird.



Sie haben mit 25 Ihren ersten Roman (bei weitem nicht Ihre erste literarische Veröffentlichung) vorgelegt. Nun zwei Jahre später wird CHUCKS von Sabine Hiebler & Gerhard Ertl verfilmt. Wie sehr standen Sie mit dem Drehbuch und nun mit den Dreharbeiten in Berührung?

CORNELIA TRAVNICEK: Die Filmrechte werden von der Medienagentur meines Verlags vertreten, der zu Random House gehört. Diese Agentur hat mich informiert, dass ein Regie-Duo gerne mit mir über das Buch sprechen wollte. So kam es zum ersten Treffen mit Sabine Hiebler und Gerhard Ertl. Da haben wir uns mal gegenseitig abgeklopft, um herauszufinden, ob wir uns für den doch längeren Prozess der Adaptierung verstehen würden. Da ich vom Drehbuchschreiben nichts wusste und die beiden mit ihrem letzten Film Anfang 80 sehr erfolgreich waren und viel Knowhow einbrachten, war klar, dass sie auch für die Umsetzung zuständig sind. Mir kam eher eine beratende Funktion zu, wenn es darum ging, Hintergrundfragen zu den Figuren und zur Geschichte zu beantworten. Ich habe auch das Drehbuch gelesen und dazu meine Meinung abgegeben, die allerdings nie bindend war. Es stand fest, dass die Regisseure freie Hand haben würden. Ich war aber sehr froh, dass ich dennoch Einblick behalten und auch sehr viel lernen konnte. 


Erinnern Sie sich an einen Moment des Zögerns beim Gedanken die Geschichte in ihrer Sichtbar-Machung aus der Hand zu geben?

CORNELIA TRAVNICEK:Diesen Moment gab es schon. Nachdem ich mich aber mit Sabine und Gerhard unterhalten und auch ihren letzten Film gesehen hatte, hatte ich ein gutes Gefühl. Es wäre etwas anderes, wenn da eine gesichtslose Hollywood-Produktion dahinter stände, wo ich am Ende nicht mehr als drei Schlüsselszenen meines Romans wiedererkennen würde. Der österreichische Film ist da ja viel familiärer und zugänglicher. Es hat für die beiden gesprochen, dass sie sich in ihrem letzten Film auch mit einer Verlust-/Liebesgeschichte beschäftigt haben. Es war die gleiche Thematik, aber ein ganz anderes Setting, im Falle von Anfang 80 mit alten Menschen. Sabine sagte, am Roman Chucks hätte ihr so gut gefallen, dass es ähnlich und doch ganz anders sei. Das Kernzielpublikum von CHUCKS ist im Vergleich zu  Anfang 80 grundlegend anders. Und die Tatsache, dass die beiden zuvor auch im Bereich des Experimentalfilms gearbeitet haben, hat mich zusätzlich überzeugt. Damit war für mich klar, dass da nicht Kommerzdenken, sondern ein künstlerischer Anspruch dahinter war.


Roman wie Drehbuch nehmen eingangs gleich einmal das Ende vorweg: Eine der wichtigen Figuren wird sterben.  Soviel erfährt der Leser sofort. Warum reden Sie gleich am Anfang vom Ende?

CORNELIA TRAVNICEK: Die ganze Erzählung ist in drei verschiedenen Zeitebenen aufgebaut und sehr stark ineinander verschachtelt. Deshalb war es mir wichtig, dem Leser von Anfang an eine Leuchtboje ans Ende zu stellen. Man muss ja irgendwie durch diese zunächst sehr chaotisch erscheinende Erzählstruktur durchkommen. Es gibt ja auch die Menschen, die, bevor sie einen Roman vorne beginnen, die letzte Seite lesen. Das fand ich immer ganz schrecklich, sich selbst um die Spannung zu bringen. Es hat mich aber gereizt, ein Buch zu schreiben, das beim Lesen Spaß macht und bei der Stange hält, obwohl man das Ende kennt. Ich gehöre nicht zu jenen Autorinnen, die eingangs genau wissen, wohin es gehen wird, aber zu wissen, wie das Ende aussieht, erweist sich als recht praktisch. Man hat dann etwas, worauf man hinarbeitet.


Die Protagonistin in CHUCKS ist eine junge Frau Anfang 20, die schon einiges an Trennung und Verlusten geliebter Menschen erlebt hat. Für ihr Alter eigentlich zuviel. Ihr Roman kommt als Geschichte übers Jungsein daher und ist eigentlich viel mehr. Stimmen Sie dem zu?

CORNELIA TRAVNICEK: Die Verortung des Stoffes kann ja nie so eindeutig vorgenommen werden. Chucks ist ja kein Buch für ein spezielles Alter. Es kommen Menschen der verschiedensten Altersgruppen auf mich zu und erzählen mir, wie stark sie das Buch berührt habe oder wie wenig sie damit hatten anfangen können. Das ist immer etwas sehr Persönliches. Man fragte mich auch immer wieder, warum ich mich als junger Mensch mit dem Sterben auseinandersetze. Ich kann dem nur entgegenhalten: Jung-Sein schützt nicht vor dem Tod. Wir leben in einer Kultur des Jung-Seins, Gesund-Seins, Attraktiv-Seins, wo Themen wie Tod oder Krankheit gerne auf später verschoben werden, was einfach an der Realität vorbeigeht. In meiner Volksschule gab es ein Kind, das an Krebs erkrankt war, in einer anderen Klasse ertrank ein Mädchen beim Schwimmunterricht. Also allein in meiner Volksschulzeit kann ich mich an zwei Anlässe erinnern, wo Krankheit und Tod zur „Unzeit“ ins Leben eines Kindes getreten sind. Wir stellen uns gerne vor, dass Kindheit bis 16 stattfindet und bis dahin nichts Schlimmes passiert. Wenn wir die Welt global betrachten, dann haben Kinder oft gar keinen Schutz und sie müssen auch damit umgehen können.


Den Protagonisten Mae und Paul widerfährt einiges im Leben, das sie zu Randfiguren macht, sie sind aber auch starke Persönlichkeiten, die sich gegen Konventionen auflehnen und den Mut haben, ihre Ängste zu überwinden.

CORNELIA TRAVNICEK: Außenseitertum ist ja heutzutage nicht unbedingt negativ behaftet. Es gibt so viele positive Stories über Außenseiter und Underdogs. Man hält ja als Leser oder Zuschauer gerne zu jemandem, der gegen das große Ganze anrennt. Unsere Gesellschaft ist ja auch durch einen Hang zum Individualismus geprägt.  Jeder will etwas Besonderes sein. Außenseitertum ist ja beinahe ein zeitgemäßes Merkmal. Vom Thema Trennung der Eltern wird auch gerne angenommen, dass Kinder so etwas nicht lesen wollen oder vielleicht gar nicht lesen sollten. Einige Lehrerinnen, die Chucks als Schullektüre verwendeten, haben erzählt, dass viele Kinder sehr positiv auf den Umstand reagiert haben, eine Figur vorzufinden, der es so wie ihnen auch manchmal schlecht geht, die aber daran nicht kaputt geht und auch nicht die Schuld bei sich selbst sucht. Deswegen glaube ich, dass die Geschichte bei manchen so gut ankommt, weil sie das Gefühl vermittelt, dass es nicht so sein muss. Familie war noch nie einfach und wird es auch in Zukunft nicht sein, wir tun aber gerne so, als wäre Familie früher einfach gewesen und ist es jetzt nicht mehr.


Mae produziert Literatur, beteiligt sich auch an einem Poetry Slam. Damit verbunden ist einer Ihrer Cameo-Auftritte in CHUCKS. Trägt Mae in manchen Facetten etwas von einem Alter Ego?

CORNELIA TRAVNICEK: Da unterscheiden sich Buch und Film relativ stark voneinander. Im Film ist der literarische Aspekt sehr stark hervorgehoben, dadurch dass Mae ein Buch schreibt. Als mein Roman erschien, bin ich sehr vielen Menschen gegenüber gesessen, die von mir hören wollten, dass die Geschichte autobiografisch ist. Das ist sie definitiv nicht. Im Film ist da eine interessante Meta-Ebene eingezogen worden, die vielleicht wieder zu Verwirrungen führen wird. Andererseits finde ich es lustig, dass es so gehandhabt wird, da so über den Film wieder ein Stück Realität einfließt. Der Poetry-Slam ist im Buch eine politische angehauchte Sache, wo sich Mae ziemlich unwohl fühlt. Das ist interessant, da sie sich in der Regel sehr leicht wo zugehörig fühlt.


Die Buchpräsentation ist der eine Moment, wo man Sie im Film zu sehen sein werden. In welcher Rolle?

CORNELIA TRAVNICEK: Eigentlich als ich selbst und gleichzeitig auch als Figur, die im Film vorkommt. Das ist ja noch einmal witziger, weil Mae im Film das Buch schreibt und ich somit gar nicht ich als Filmfigur sein kann und dennoch da bin. Es ist, als hätte ich einen Schritt in die Lebenswelt dieser anderen Figur hineingemacht, von der so viele Leute annehmen wollten, dass ich sie sei.


Wann kam die Idee auf, dass Sie im Film auftauchen sollten?


CORNELIA TRAVNICEK: Nicht sofort. Ich denke, es war nach unserem dritten, vierten Treffen mit Sabine und Gerhard, als sie mich fragten, ob ich mir vorstellen konnte, vor der Kamera zu stehen. Dann verfolgten wir die Idee nicht weiter, doch kurz vor Drehbeginn hieß es dann doch, ich müsse schnell zum Casting, da es ein oder zwei Szenen geben sollte, wo man mich sieht. Es war für mich vor allem Spaß, ich hatte aber immer den Wunsch geäußert, dass ich zumindest einen Drehtag dabei sein wollte, um zu erleben, wie das Drehbuch umgesetzt wird.


Wie gefallen Ihnen die Darsteller Ihrer drei Protagonisten: Anna Posch, Thomas Schubert und Markus Subramaniam?

CORNELIA TRAVNICEK: Anna Posch hat sich sehr für das Projekt engagiert. Es war schön für mich zu hören, dass die Schauspielerin mit der Rolle und der Umsetzung so zufrieden ist. Bei Thomas Schubert, der den Jakob spielt, war mir gar nicht bewusst, was für einen jungen aufstrebenden Schauspieler wir das für unser Projekt gewonnen hatten. Markus, der den Paul spielt, habe ich nicht persönlich kennen gelernt. Ich bin mir aber sicher, dass da eine gute Casting-Entscheidung getroffen worden ist.


Jakob ist im Roman eine viel stärkere Kontrastfigur zu Paul als im Film. Wie sehen Sie diesen anderen Jakob?

CORNELIA TRAVNICEK: Es gibt auch in der Rahmenhandlung einige Dinge, die verändert wurden. Ich habe die Auffassung vertreten, wenn Leute, die vom Filmemachen etwas verstehen, zum Schluss kommen, dass die Geschichte auf der Leinwand anders funktionieren muss, dann verstehe ich, dass man die Struktur der Erzählung ändern muss. Im Buch funktionieren gewisse Dinge anders als in einer visuellen Form. Ich glaube auch, dass es der Geschichte guttut, dass zum Beispiel die Sprayer-Szene in Wien aufgrund der Vorfälle in diesem Jahr stärker in den Mittelpunkt gerückt ist. Jakob steht im Buch in einem viel stärkeren Gegensatz zu Paul, weil man in der geschriebenen Form die Verschachtelung der verschiedenen Zeitebenen gegeneinander schneiden kann. Für die filmische Erzählweise war es besser, alles näher zusammenzurücken und auf eine Zeitebene zu ziehen. Es wäre schwierig gewesen, den Zeitverlauf über mehrere Jahre schlüssig zusammenzufassen.


Wie sehr waren Sie bei den Dreharbeiten präsent?

CORNELIA TRAVNICEK: Ich war an zwei Drehtagen dabei. Es war interessant, auch die Komparsen kennenzulernen.  Einer erzählte mir, dass er nun endlich seiner Mutter sagen konnte, er habe einen Job genau deshalb bekommen, weil er sprayen konnte. Wir brauchten Sprayer, die das wirklich gut konnten. Interessant war auch, dass ich da Leuten begegnete, die nichts mit der Filmszene und schon gar nichts mit Literatur zu tun hatten.


Eine Rezension von Chucks hat Ihren Erzählton als „täuschend leicht“ beschrieben. Es scheint eines Ihrer Anliegen zu sein, die Tiefe, die der Motor der Geschichte ist, möglichst gut zu kaschieren. War das eines der Elemente, die Sie in der filmischen Umsetzung unbedingt übertragen wissen wollten.

CORNELIA TRAVNICEK:  Das kann ich schwer beurteilen, da das Drehbuch das alleine nicht  transportieren kann. Das muss ja dann von Kameraeinstellungen, Lichtverhältnissen und vielem mehr getragen werden. Ich hoffe, dass diese Ambivalenz auch gut durch die Hauptfigur in Erscheinung treten wird.


Ein Blick auf Ihren Lebenslauf verweist auf ein sehr buntes Spektrum an Interessen und Tätigkeiten: Studium der Sinologie und Informatik, Researcherin am Zentrum für Virtual Reality, Publikumspreis beim Ingeborg Bachmann-Preis... Einordnen kann man Sie auf keinen Fall.

CORNELIA TRAVNICEK:  Ich hab mir immer die Freiheit genommen, mich für alles zu interessieren, was ansatzweise mein Interesse weckt. Das führt natürlich zu Kollisionen. Leute, die sich nur auf ein Thema stark konzentrieren, erreichen eine ganz andere Tiefe. Um das Dilemma für mich zu lösen, versuche ich, seriell monogam zu sein. Wenn ich ein Buch schreibe, mache ich wenig anderes. Interessanterweise konnte ich in Prüfungsphasen sehr gut schreiben, weil die kreative Bewegung der eigenen Gedanken einen guten Ausgleich zum Auswendiglernen geboten hat. Zur Zeit nutze ich ein Studienabschluss-Stipendium für meine Masterarbeit in Sinologie.


Worin erklärt sich das Interesse für die chinesische Kultur?

CORNELIA TRAVNICEK:  Das geht weit in meine Jugend und Kindheit zurück. Nach der Schule habe ich drei Studienzweige inskribiert, weil ich mich nicht entscheiden wollte. Sinologie faszinierte mich deshalb, weil sich unser eurozentrisches Weltbild dadurch relativiert. Es hat mir ermöglicht zu sehen, wie groß die Welt immer schon war, wie klein sie in unserer Geschichtsschreibung oft dargestellt wurde und wie ignorant wir Europäer anderen Kulturen gegenüber sind. Sinologie ist ein Studium, das ich stärker als Charakter bildend, denn als ausbildend beschreiben würde. Ich habe viele Dinge aus speziellen Bereichen gelernt, aber vor allem, Dinge anders zu sehen.


Interview: Karin Schiefer
Oktober 2014