INTERVIEW

«So eine Filmfigur wie Jack hat man selten.»

 

Elisabeth Scharang über die Dreharbeiten zu ihrem neuen Spielfilm Jack und den Versuch, Klischee und Mythenbildung rund um Jack Unterweger zu überwinden.


Es ist unvermeidlich, angesichts der Thematik von JACK auch an Ihre Auseinandersetzung mit Franz Fuchs zu denken. Ist das Verstehen-Wollen von Dingen, die kaum zu verstehen sind, ein Motor in Ihrer Arbeit?

ELISABETH SCHARANG: Ich glaube, es ist grundsätzlich immer gut, wenn man Fragen hat. Meine Fragen gehen immer von etwas Größerem aus: Das kann eine globale Frage betreffen, wie in Kick Out Your Boss oder auch das Land, in dem ich lebe. Von diesem Ansatz aus werden die Kreise, die ich ziehe, immer enger, bis der Mensch da steht – das kann ich selber sein oder die Figur, mit der ich mich beschäftige. Von außen mag der Eindruck entstehen, dass sich da Heinrich Gross, Franz Fuchs und jetzt Jack Unterweger aneinander reihen. Sie sind immer nur Symptome für einen Weg, den ich als Filmemacherin einschlage. Letztlich geht es sehr viel um Liebe. Ich möchte jetzt nicht so weit gehen und sagen, Jack Unterweger ist ein Film über die Liebe. Aber wie in vielen anderen Geschichten ist es im Grunde das. Was passiert, wenn du die emotionalen Grundvoraussetzungen im Leben nicht mitbekommst? Wie geht eine Gesellschaft mit ihrem Strafvollzug um? Ich habe im Zuge der Drehvorbereitung die Strafvollzugsanstalten Jakomini und Karlau besucht und dort auch erfahren, in welch engem Korsett die Menschen agieren müssen, die mit den Häftlingen arbeiten. Es gibt zu wenig Personal, die Gefängnisinsassen sitzen ab  15 Uhr in der Zelle, d.h. es gibt nicht einmal einen Tagesablauf, der erwachsenengerecht ist. Solche Dinge blenden wir gerne aus, weil sie nicht zu sehen sind. Und da habe ich es mit einem Protagonisten zu tun, von dem man sich sagen muss: Woher nimmt der diese Kraft und Energie, fünfzehn Jahre da drinnen zu sitzen? Das hat mich aber auch an Friedrich Zawrel so fasziniert. Es geht mir immer um die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Individuum.


Welcher Aspekt wird in JACK mehr in den Vordergrund gelangen?

ELISABETH SCHARANG: So eine Filmfigur wie Jack hat man selten. Es ging mir vor allem darum, vom Klischee und der Mythenbildung, die in den Medien von diesem Menschen übriggeblieben sind, wegzukommen. Ich habe mit Johannes Krisch einen unglaublichen Schauspieler, der sich da hineinbegibt. Er spiegelt über die Vielfalt seiner Gesichter das wider, was ihm passiert und das ist wiederum etwas, was er auch selber verursacht hat. Ich verwende sehr gerne das Bild einer Schleife. Das Leben bietet uns immer wieder die Möglichkeit, einen anderen Weg zu gehen und dennoch ist man nicht fähig, diese andere Route zu beschreiten. Manche Menschen können aus Fehlern lernen, manche müssen diese Fehler immer wieder machen. Jack können wir zuschauen, wie er immer wieder an den Punkt gerät, wo er abbiegen könnte und wie er trotzdem wieder auf bekannten Pfaden weitergeht. Er geht dort weiter, weil dort das Licht ist. Wir kennen das alle: Man bekommt ein tolles Angebot für einen Job und entscheidet sich dafür. Dieser Wechsel ist aber die Schleife und nicht das Abbiegen. Ob der tolle Job am Ende für einen selber gut ist, ist eine Frage, die sich gar nicht sehr oft bejahen lässt. Es gibt immer eine Reihe von Themen, die man anhand einer Figur erzählt, die wir in Wirklichkeit aber auch bei uns selber kennen.


Es handelt sich allerdings auch um eine Figur, die durch die Medien bereits mit sehr starken Konturen versehen ist. Wie haben Sie sich ihr genähert?

ELISABETH SCHARANG: Es gibt sehr viele Menschen, die noch leben und die viel Interessantes zu sagen hätten. Es gibt auch durchaus Leute, die keine Scheu davor haben, einen Fehler einzubekennen. Den Leuten, die sich damals für Unterwegers Freilassung eingesetzt haben, ging es darum, eine Lockerung des Strafvollzugs durchzusetzen. Ihnen ging es um ein politisches Signal. Ich hätte einen sehr interessanten Dokumentarfilm machen können. JACK ist aber eine Fiktion. Meine Interpretation, die auf bestimmten Eckdaten beruht: Jemand hat einen Mord begangen, war lange im Gefängnis, hat sich dort einen Namen als Autor gemacht, wird freigelassen und gerät erneut unter vielfachen Mordverdacht. Ich habe mich sehr lange mit der Geschichte beschäftigt und war nahe daran, das Projekt aufzugeben, weil es immer wieder zerfallen ist. Es ging darum, ein Umfeld zu schaffen, Jack nicht als Einzelereignis zu betrachten, sondern ihn in eine Gesellschaft hineinzustellen. Wie laufen die Regeln, wenn man aus dem Gefängnis kommt? Wie kann jemand zerbröseln, weil er die Regeln nicht kennt? Den dramaturgischen Schlüssel habe ich dann darin gefunden, Jacks Geschichte über die Frauen zu erzählen, die mit ihm zu tun hatten.


Worin sehen Sie filmisch jetzt Ihre großen Herausforderungen?

ELISABETH SCHARANG: Wenige Wochen vor Drehstart habe ich zu mir gesagt: So, jetzt hast du das in der Hand – mit so einer Schauspielerriege, tollen Kostümen, die auf den Körper geschneidert sind, unheimlichen Locations...  Wie soll ich das jetzt formulieren? Es sieht alles unglaublich cool aus. In Österreich macht man normalerweise keine coolen Filme. Das machen die Amerikaner, manchmal die Franzosen. Und jetzt habe ich das alles -  mit einem Typen, der unfassbar aussieht, mit einem Auto und allem drum und dran. Ein großes Glück ist mein Kameramann Jörg Widmer, der u.a. mit Terence Malick, viel mit Wim Wenders zusammengearbeitet hat. Er wird für einen Blick nach außen und eine coole Optik sorgen. Man spürt die unterwegersche Sehnsucht nach Amerika, ähnlich wie bei Karl May. Unterwegers Vater war amerikanischer Soldat, den er nie gesehen hat, nach dem er sich immer gesehnt hat. Und darum wird aus auch gehen –  diese amerikanische Sehnsucht in dieses Wien hineinzubringen.


Interview: Karin Schiefer
Oktober 2014