INTERVIEW

«Auf Kino verlassen wir uns bis zum Sommer 2021 jetzt mal nicht.»

CPH:DOX war nicht nur eines der ersten Festivals, das im März 2020 spontan auf den Lockdown reagieren musste, es war auch der Pionier unter den Online-Festivals. „Back to normal“ galt damals noch als eine Frage von wenigen Monaten. Daran hat sich ebenso viel geändert wie an Online-Märkten und -Festivals, die ihr Angebot von Event zu Event verbessern und verfeinern. Mit IDFA Amsterdam schließt eine der wichtigsten Dok-Plattformen einen Jahreszyklus der Ungewissheiten, Absagen und Verschiebungen. Salma Abdalla von Autlook Filmsales war wie auf allen anderen großen Dokumentarfilm-Märkten digital dabei und zieht mit uns Bilanz über ein Jahr Business im virtuellen Raum.


IDFA 2020, eine der wichtigsten Zusammenkünfte im Dokumentarfilm-Business ist zum Zeitpunkt unseres Gesprächs fast gelaufen. Wie kann sich ein Worldsales wie Autlook auf einem reinen online Event positionieren? Welches erste Resümee lässt sich bereits ziehen?

SALMA ABDALLA:
IDFA hat sich auf alle Fälle bemüht, die Dokumentarszene zu aktivieren. Die wichtigen Akteure des Dokumentarfilm-Geschäfts waren bei den Pitching-Sessions anwesend. Ein großer Vorteil war, dass wir als Akkreditierte auch das Feedback anderer Industry-Members hören konnten. Es ist sehr aufschlussreich zu hören, was BBC oder arte über ein bestimmtes Projekt denken und wie sie sich positionieren. Wenn ein Sender sagt, dass es gerade drei Projekte über Russland gibt und die nächsten drei Jahre nichts zum Thema gesucht wird, dann ist das eine sehr relevante Information für alle Beteiligten in der Branche. Das Forum war sehr effizient organisiert, Kürze ist im Online-Bereich essentiell. Wir haben uns die Pitchings angehört und werden Filme einkaufen. Was fehlt ist, der informelle Austausch bei Lunch oder Dinner. Es ist so schwierig, sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen, da es die Highlights, wo einfach alle zusammenkommen und sich auf einen gleichen Informationsstand bringen, nicht gibt. Aber wir sitzen alle im gleichen Boot…. Wir haben, wie schon zuvor bei MIPCOM oder Cannes, IDFA als Referenzpunkt genommen, um Telefontreffen auszumachen, d.h. wir haben mit Broadcastern aus den USA, Europa und Asien in den Tagen vor und nach IDFA Online-Treffen ausgemacht, um mit jedem nochmal eine Stunde zu sprechen, ehe die Weihnachtspause heranrückt. Bei IDFA haben wir die Meetings noch ein bisschen früher angesetzt, weil wir wissen, dass viele jetzt die Budgets schließen und es ganz allgemein ein bisschen länger dauert, bis die Filme gescreent werden. So haben wir uns schon gut zehn Tage vor IDFA unser Update eingeholt, was Projekte betrifft, die sich noch in Produktion befinden. Bei den Filmen, die in den Programmreihen des Festivals selektiert worden sind, stellen wir fest, dass sie stark an Aufmerksamkeit verlieren. Es ist sehr schwierig, die Industry dazu zu bringen, einen Wettbewerb durchzusehen, wenn das Festival nicht extrem groß ist. Meistens bekommen wir zu hören – „Schick uns doch den Link“.  Es ist sehr schwierig, wenn nicht unmöglich geworden, im Rahmen eines Festivals einen Buzz zu kreieren, wie das halt sonst funktioniert, wo wir die Leute persönlich einladen, den Film im Kino zu sichten. Das fehlt uns ungemein.


CPH:DOX war das erste wichtige Dokumentarfilmfestival, das schnell auf die neuen Gegebenheiten reagiert hat und eine Online-Version auf die Beine gestellt hat. Wenn man den Bogen nun von März bis November 2020 zieht und einen Vergleich zwischen einer improvisierten Situation, die auf keinerlei Erfahrung zurückgreifen konnte und einem IDFA online, das bereits stärker die Erfahrungswerte berücksichtigen konnte, zieht:  Wie hat sich das Online-Setting im Laufe des Jahres weiterentwickelt? Welche Festivals haben Sie dieses Jahr online besucht?

SALMA ABDALLA:
Jedes Festival berücksichtigt die Erfahrungen des vorangehenden, die Online-Märkte und -Festivals werden immer besser, immer straffer. Wir finden es sehr gut, dass die Festivals auch die Filmemacher*innen weiter unterstützen. Wir haben viele Events besucht und hauptsächlich Filmemacher*innen getroffen. Was weniger funktioniert, ist der Austausch mit den Einkäufer*innen im Rahmen eines Festivals. Das fand eigentlich (mit Ausnahme der ganz großen) eher außerhalb der Festivals statt. Wir haben sehr viele Gespräche mit unseren Kund*innen, Fernsehsendern und Verleihern auch zwischendurch. Grundsätzlich merken wir eine große Bereitschaft, an vorgegebenen Strukturen festzuhalten und z.B. Telefonate im 30 Minuten-Takt zu organisieren als wäre man vor Ort. Gut funktioniert haben Cannes, Toronto ein bisschen, sehr gut MIP, IDFA und AFM. Die Kommunikationstools der Festivals wie z.B. Hang-out-Rooms, die von den Märkten zur Verfügung gestellt wurden, haben wir aber gar nicht genutzt. Da haben wir uns eigenständig Meetings auf Zoom oder Google ausgemacht. Physisch gereist bin ich dieses Jahr nur nach Zürich. Das hat wirklich gutgetan, auch wenn hauptsächlich Industry-Vertreter aus dem deutschsprachigen Raum da waren, Filmemacher*innen und internationale Produzent*innen, nur wenige auf Seiten des Einkaufs. Es hat frische Energie gespendet, einander persönlich zu treffen und wieder im Kino zu sein. Dasselbe habe ich von Kolleg*innen gehört, die in Venedig oder San Sebastián waren.


Die ganz großen und wichtigen Festival-/Marktevents haben auch einen Nimbus von Exklusivität, wo sich die Player unter sich treffen. Die Niederschwelligkeit von Online-Modellen hat auch einen Aspekt von Inklusivität mit sich gebracht. Festivals sprechen von neuen Publikumsschichten, die sie online erreichen. Hat sich da auch im Bereich der Industry etwas bewegt, dass auch kleinere Akteure sich einbringen können?

SALMA ABDALLA:
Vor allem im Bereich der Fortbildung, wie Masterclasses war der Zugang erleichert, die wurden sehr gut besucht. Viele Festivals haben auch davon berichtet dass sie digital neue Publikumsschichten erreicht haben, darauf kann man natürlich aufbauen. Bezüglich der Marktaktivitäten dem Business2Business-Bereich, habe ich das Gefühl, dass man umso mehr auf die aufgebauten Netzwerke angewiesen war.


Als World Sales agieren sie grob gesagt in den Bereichen Festivals, Kino, VOD und Fernsehen, was bis letzten Frühling wahrscheinlich ein einigermaßen eingespieltes Gefüge darstellt hat. Wie sehr ist dieses Gefüge mit einem Schlag über den Haufen geworfen worden? Worin bestand im März erster Handlungsbedarf?

SALMA ABDALLA:
Der erste Schock für uns betraf FOR SAMA: Viele Länder hatten ihn aufgrund der Academy-Nominierung Anfang März herausgebracht, er ist in Japan, Deutschland, Italien, den Niederlanden extrem gut gestartet und hat zwei Wochen lang bei zehn bis 30 Kopien vor ausverkauften Sälen gespielt. Zum Glück war er zuvor in Frankreich sehr erfolgreich in den Kinos gelaufen. Darüberhinaus war vor allem auf der Festivalseite extrem viel Handlungsbedarf. Zunächst einmal regnete es Absagen, dann kam die Welle, dass viele Festivals eine digitale Version konzipierten. Für einen Film, der schon sechs Monate auf Festivals unterwegs gewesen war, haben wir dann alle digitalen Einladungen zugesagt. Dieser Film wurde dann aber von einem Streamer global gekauft, der wiederum sämtliche Festivals abgesagt hat, weil er sie als direkte Konkurrenz betrachtete. Damit verbunden hat sich die Frage, wie wir mit der Online-Verfügbarkeit unserer Filme umgehen sollten. Wir haben mal alle Broadcaster durchgerufen, ob das mit ihren Interessen kollidiert, weiters haben wir die Produzent*innen kontaktiert, da manche nicht zu schnell online gehen wollten. Man muss auch dazu sagen, dass wir im Frühling davon ausgegangen sind, der ganze Spuk sei in zwei Monaten wieder vorbei. Jeder einzelne Schritt musste nachverhandelt werden. Das war eine extrem anstrengende Zeit mit einem Übermaß an Kommunikation. Im 3. und 4. Quartal sind nun die Umsatzzahlen wieder enorm in die Höhe gegangen. Wir konnten eine Erholung feststellen. Andererseits muss man festhalten, dass wir für Festivalscreenings ja Fees verlangen. Dieser Markt ist für gute drei bis vier Monate zusammengebrochen.


Wie sehr kollidiert der Kino-Release zur Zeit mit anderen Verwertungen?

SALMA ABDALLA:
  Kino war schwierig. Wir haben zur Zeit einen Film CAUGHT IN THE NET, der auf CPH:DOX gestartet ist. In diesem Film geht es um die Gefahr des sexuellen Kindesmissbrauchs im Internet. Der Film ist sehr spannend und gut gebaut, kann von Erwachsenen wie auch von Teenagern geschaut werden. Allein in Tschechien hat er mehr als 550.000 Zuschauer im Kino erreicht, mehr als jeder Blockbuster. Und der Film hat jetzt nochmals an Relevanz gewonnen. Da die Kinder durch die Lockdowns stärker digitalisiert worden sind, brennt dieser Film unter den Nägeln. Wir haben sehr viele Territorien verkauft, in Österreich hat ihn der Filmladen-Verleih erworben, in Deutschland und in der Schweiz wäre er jetzt ins Kino gekommen. Nun wurde erneut verschoben. Der Film behält seine Aktualität, dennoch ist es schade, wenn immer wieder verschoben werden muss. Die Fernsehsender würden ihn auch kaufen. Es ist halt ein Film, mit dem man aufgrund des Themas einen tollen Kinostart machen kann, weil viele Partner den Film unterstützen würden.


Seit einem dreiviertel Jahr rückt der Horizont der Normalität immer wieder nach hinten? Wie geht man mit dieser strategischen Herausforderung um, ständig kurz- und langfristige Konzepte in der Tasche haben zu müssen?

SALMA ABDALLA:
Mit Kopfschmerzen (lacht). Es ist schwierig. Man muss mit jedem Film anders umgehen. Die Frage ist – „Ist der Film zeitlos genug, um ihn zurückzuhalten? Wird er nächstes Jahr überhaupt noch von Interesse sein?“ Gerade bei Dokumentarfilmen geht es um das richtige Timing? Dazu kommt die Frage, was die Filmemacher*innen dazu sagen? Es ist ja auch sehr relevant, darauf einzugehen, in welchem Environment sie sich wohlfühlen? Ein gutes Beispiel ist unser Film THE IMPOSSIBLE PROJECT, der auf 35 mm gedreht worden ist und den wir in Rotterdam herausgebracht haben… Es war alles andere als der Plan dieses Films, auf Online-Festivals zu spielen. Andererseits gibt es Fälle wie A CASA – MY HOME, der in Sundance gestartet ist und dann bei etlichen Festivals digital gelaufen ist und Preise gewonnen hat. Der Film hat in Sundance den Preis für Best Cinematography gewonnen, er funktioniert aber auch am kleinen Screener und der Filmemacher hat sich inzwischen damit abgefunden, dass das jetzt sein Weg der Verwertung ist. In einer Kurzversion wird er jetzt auch noch ins Fernsehen kommen. In Frankreich wird er vielleicht 2022 oder 23 ins Kino kommen.  


Obliegt dem World Sales in so heiklen Situation nicht ein stärkeres Entscheidungspouvoir über die Verwertungsstrategie?

SALMA ABDALLA:
Nein, schon lange nicht mehr. Es gibt jetzt so viele Verwertungsmöglichkeiten im Vergleich zu den starren früheren Modellen. Jetzt ist der Spielraum viel größer. Allein bei der Festivalverwertung stellt sich die Frage – Warte ich auf ein starkes lokales Festival oder gehe ich auf spezialisiertes Festival wie Human Rights z.B., das eine starke Publikumsbindung hat? Gehe ich digital oder ins Kino? In welchen Territorien gehe ich ins Kino? Wann setze ich den Film auf iTunes? Es gibt heute unzählige Möglichkeiten, einen Film zu releasen. Es ist ein Arbeiten in Abstimmung mit den Filmemacher*innen und Produzent*innen. Es müssen bei diesen Entscheidungen alle an Bord sein, was natürlich die Arbeit auf der Kommunikationsebene vervielfacht hat. Es bringt aber unter allen Beteiligten eine andere Art der Zufriedenheit. Es fühlt sich jeder eingeschlossen und es ist aber auch so, dass man allein in Hinblick auf die Vielzahl der Awards die Unterstützung der Produzent*innen braucht. Wenn sie diesen Prozess nicht mittragen, dann schafft man das gar nicht.


Hat sich der Autlook-Katalog in diesem Jahr noch einmal stärker fokussiert?

SALMA ABDALLA:
Filme, die den Blooming-Effect der Festivals benötigen, haben sich eindeutig schwerer getan. Im Moment konzentrieren wir uns auf den TV und den Streaming-Markt und natürlich auch Festivals, die in einer anderen Form aktiv sind. Filme müssen zur Zeit sehr klar zu pitchen sein, ein starkes Narrativ und eine relativ flotte Erzählweise haben. Da sind wir kompromisslos geworden. Wir haben noch zwei, drei Filme, die „echte“ Festivalfilme sind und die wir unterstützen wollen, aber sonst sind wir stärker darauf angewiesen, dass die Filme auch im Fernsehen reüssieren. Auf Kino verlassen wir uns bis zum Sommer 2021 jetzt mal nicht. Was sich immer noch extrem gut verkauft sind Biopics: ich denke z.B. an den Film über John Belushi von R. J. Cutler und John Battsek als Produzenten. Das sind Top-Namen in der Industry. Der hat sich innerhalb von Minuten weltweit lizensieren lassen. Wenn es um politische Dokumentarfilme geht, werden jene gekauft, die die Menschen direkt ansprechen. Da geht es entweder um ein sehr starkes lokales oder ein globales Phänomen, das so starke Auswirkungen hat, dass auch für das lokale Publikum von Interesse ist. Das war vor einem Jahr in Ansätzen so, es hat sich im Lauf von 2020 verschärft und ich hoffe sehr, dass sich das wieder ändert.


Das bedeutet, dass für den inhaltlich wie formal „kleineren“ Dokumentarfilm die Festivals bleiben?

SALMA ABDALLA:
So ist es. Die können wir im Moment nicht vertreten. Wir haben jetzt z.B. einen Film aus Indien, der auf einem sehr starken Festival starten wird. Es hat sehr lange gedauert. Es handelt sich um Erstlingsfilmemacher*innen, die sehr konstruktiv auf das Feedback der Fernsehsender reagiert und diese Hinweise umgesetzt haben. Wir haben jetzt in kürzester Zeit vier weitere Fernsehsender an Bord geholt. Auf die Redakteur*innen zu hören hat nicht am kreativen Potenzial des Films genagt, aber es hat den Stoff für ein Publikum außerhalb Indiens nochmals stärker kontextualisiert und verständlicher gemacht, flotter geschnitten und einen stärkeren Einstieg geschaffen. Wenn formal diese Bereitschaft und Offenheit seitens der Filmemacher*innen besteht, mit den Fernsehsendern zu kooperieren, dann kann man auch einen Film über ein Journalistinnen-Kollektiv in Indien verkaufen.


Wie schwer haben es Erstlingsfilmemacher in dieser Zeit, wo Risikobereitschaft gegen Null geht, generell?

SALMA ABDALLA:
Das ist jetzt besonders schwierig. Das Wichtigste ist, dass man sich jetzt besonders gut vernetzt und versucht, Leute an Bord zu holen, die hinter dem Projekt stehen. Durch ein Online-Meeting allein ist es im Augenblick nicht leicht, Financiers zu überzeugen. Es empfiehlt sich, dass man im Development mit einem Netzwerk zusammenarbeitet und sich auch mit diesem präsentiert.


Welches Potenzial sehen Sie im Konzept des e-Cinema?

SALMA ABDALLA:
e-Cinema wird in manchen Ländern gerade diskutiert und es werden die ersten Konzepte dafür entwickelt. Ich halte es für ein interessantes Modell, das aber noch in den Kinderschuhen steckt. Es basiert auf der Zusammenarbeit zwischen Kino und Plattform. In der Schweiz hat man bereits versucht, dass sich Arthouse-Kinos zusammenschließen und Filme nach einer kurzen Zeit im Kino auf ihrer eigenen Online-Plattform zur Verfügung stellen. Sie arbeiten also mit ihrem Stammpublikum weiter, können weiter ihre Zielgruppe bedienen und verdienen auch mit. Damit man das „Kinogefühl“ nicht verliert, ist der Film nicht einfach jederzeit verfügbar, sondern er wird auch nur zu gewissen Slots , z.B. 15h und 20h angeboten, sodass es seinen Event-Charakter behält. Die Ticket-Einnahmen, sollen zum B.O. Ergebnis zählen, damit es für die Referenzfilmförderung relevant ist. Das Modell wird zur Zeit in mehreren Ländern diskutiert, wichtig ist ja, dass auch die Förderer an Bord sind.


Welche Einschätzungen haben Sie hinsichtlich der Filme, die jetzt sehr lange zurückgehalten worden sind. Wird es Filme geben, für die es zu spät ist? Wie wird die Konkurrenzsituation 2021 aussehen?

SALMA ABDALLA:
Schwierig einzuschätzen. Es sind gewiss sehr viele starke Filme vor allem im Spielfilmbereich zurückgehalten worden, beim Dokumentarfilm weniger. Große Sorgen mache ich mir bei den Filmen, die vor Corona zu drehen begonnen haben. Der Dokumentarfilm lebt von der Beobachtung; viele Filme haben jetzt lange pausieren müssen, weil es sehr schwierig war, mit Protagonist*innen weiterzuarbeiten oder zu reisen. Man kann jetzt nicht bei jedem Film eine Corona-Phase einbauen. Über ein halbes Jahr wäre man schon hinweggekommen, aber jetzt reden wir von über einem Jahr und viele Filme werden sich massiv verspäten. Und manche Konzepte sind durch Corona einfach durchkreuzt worden und nicht mehr so haltbar wie zu Drehbeginn.
Anfänglich dachte ich, 2021 würde ein extrem starkes Dokumentarfilmjahr werden, inzwischen sehe ich das anders und merke, dass sehr viele Produktionen nicht fertig geworden sind. Was Spielfilme betrifft, sind viele zurückgehalten worden, andere aber sind auf Streamers ausgewichen und am Kino vorbeigegangen. Bei den Festivals wird es extrem kompetitiv werden, weil aufgrund der Covid-Maßnahmen in den kommenden Monaten weniger Säle bzw. Sitzplätze zur Verfügung stehen werden. Aufgrund halber Kapazität wird es eine Verkürzung der Wettbewerbe bzw. der Selektionen geben, das wird 2021 zu einem kompetitiven Jahr machen. Ob es auch an einer höheren Anzahl an Filmen liegen wird, kann ich nicht sagen. Dokumentarfilme werden viele auf 2022 ausweichen müssen, weil sie nicht drehen konnten.


Stellen Sie sich auf einen eher langsamen oder möglichweise einen schnellen Übergang 2021 ein, wenn es plötzlich zu einem Durchbruch kommt?

SALMA ABDALLA:
Auf alle Fälle auf einen langsamen. Vor Cannes rechnen wir nicht mit einer Normalität. Sundance – das Key-Festival für den Dokumentarfilm – wird auch hybrid stattfinden. Das Festival bietet ein extrem ausgefeiltes Konzept an, bei dem alles bedacht ist, was bei bisherigen Online-Festivals noch nicht perfekt gelaufen ist, um es zu optimieren. Sie versuchen, das perfekte Online-Festival zu bieten.


Wie hybrid wird die Festivalzukunft aussehen, wenn nun soviel Know-how in die Ausarbeitung von Online-Modellen geflossen ist?

SALMA ABDALLA:
Man wird diese Option aus ökologischen Gründen in Zukunft bedenken müssen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass ich auch online an Pitching-Foren teilnehmen werde, aber nicht ausschließlich. Wir werden weniger reisen, alle haben sich in einem gewissen Rahmen an das Digitale gewöhnt. Aber die Leute sind auch müde, von so vielen Videokonferenzen. Die Effektivität und die Vertrauensbildung, die notwendig sind, um in einem so risikoreichen Business zu arbeiten, kann nur face-to-face passieren.


Interview: Karin Schiefer
November 2020



«Es ist sehr schwierig, wenn nicht unmöglich geworden, im Rahmen eines Festivals einen Buzz zu kreieren.»