INTERVIEW

Antonin Svoboda über IMMER NIE AM MEER

 

«Humor beschränkt sich nicht auf den klassischen Kabarettfilm in Österreich. Es gibt ja auch andere Formen, wo gelacht wird und die auch von den Protagonisten. Immer nie am Meer bewegt sich auch in einem Kabarettkosmos. Es ist wichtig, dass der Kosmos Grissemann&Stermann um einen Film erweitert wird, dass man auch in ihrer Wahrnehmung konsequent bleibt und die Figuren im Film etwas mit denen zu tun haben, die sie sonst im Radio präsentieren. Antonin Svoboda über seinen zweiten Langfilm Immer nie am Meer, ein aberwitziges Überlebensszenario abseits des Straßenrandes mit Grissemann&Stermann und dem deutschen Entertainer Heinz Strunk.


Das Drehbuch hat vier Autoren – Sie und alle drei Protagonisten. Wie verlief diese Drehbuchentwicklung?

ANTONIN SVOBODA: Ich haben bereits bei meinem Kurzfilm Mahjong 1996, als ich noch an der Filmakademie war, mit Grissemann&Stermann zusammengearbeitet. Ich wollte schon lange etwas Längeres mit ihnen machen. Die beiden sind äußerst vielbeschäftigt und unsere Zusammenarbeit ist lange an der Terminfrage gescheitert. Es hat fast drei Jahre gedauert, das Drehbuch von Immer nie am Meer zu entwickeln. Es gab von Grissemann&Stermann den Ansatz, dass sie in zwei Autos in einen Unfall verwickelt werden und dann in getrennten Autos auf einem abgeschotteten Waldstück der Rettung harren. Ich schlug dann vor, daraus ein Kabinett in einem einzigen Auto zu machen.


Wie kam Heinz Strunk als dritter Protagonist dazu?

ANTONIN SVOBODA: Heinz Strunk ist ein Hamburger Entertainer, in Deutschland gibt es als Pendant zu Salon Helga auf FM4, Studio Braun mit Rocko Schamoni und Heinz Strunk, die ähnliche Dinge machen. Sie sind Gesinnungsgenossen der Unterhaltung. Es hat sehr viel gebracht, einen Dritten sozusagen auf die Rückbank zu setzen. Grissemann&Stermann kennt man mittlerweile als Duo infernal, Heinz Strunk bildet da einen interessanten Umleitungsfaktor.


Wer hat welchen Beitrag zum Drehbuch geleistet?

ANTONIN SVOBODA: Es war ein Staffellauf mit vielen Treffen. Heinz Strunk hat als Außenstehender versucht, aus dem Sammelsurium an Ideen ein erstes Treatment zu schreiben, das Jörg Kalt zu einem technischen Drehbuch aufgearbeitet hat. Dann ging es an alle Autoren zurück. Aufbauend auf diesem Drehbuchgerüst musste sich jeder seiner Figur wieder annehmen, meine Aufgabe war es dann, aus diesem Konvolut an Dialogen ? d.h. jeder schrieb seinen „eigenen Dialog“ ?, ein einheitliches Drehbuch zu machen, zu kürzen, dem ganzen eine Dramaturgie einzuhauchen. Eine sehr komplizierte und unökonomische Herangehensweise, letztendlich gut, weil jeder für sich sein Ding schreiben und etwas von seiner „Kabarettfigur“ einbringen konnte. Es ging aber in erster Linie darum, dass sich alle etwas schrieben, das sie die fünf Wochen des Drehs durchhalten konnten, etwas, das näher an ihrem Charakter dran ist. Es ist halb autobiografisch, halb sind es ihre Kunstfiguren und ich glaube, dass es dadurch eine Art von Intimität hat.


Eine Geschichte im geschlossenen Raum zu entwickeln, ist immer eine besondere Herausforderung?

ANTONIN SVOBODA: Es hat auch drei Jahre gedauert, man sieht ja am Ende nicht die Arbeit, die rundherum weggefallen ist. Es gab unendlich viele Versionen. Die Frage war, was braucht es von außen? Was braucht es an Spektakulärem von innen? Wie weit geht man in die Survival-Dramaturgie hinein? Wie weit entfernt man sich von den Figuren Grissemann&Stermann, die ja nie so reagieren, wie man es eigentlich erwartet. Wir sind hinsichtlich der Dramaturgie in einem absolut nicht naturalistischen Film. Jeder andere würde am zweiten oder dritten Tag im Angesicht des Todes alles probieren. Wir sind in einer Kunstform der Lethargie bzw. des Fatalismus. Der Film heißt Immer nie am Meer, man ist in einer Situation eingeschlossen, wo man mehr oder weniger paralysiert ist. Das Problem war nicht, die Geschichte spannend zu gestalten, die Frage war, mit der Spannung zu spielen, gewisse Dinge nicht einzuhalten, Erwartungen nicht zu erfüllen, weil wir mehr auf eine surreale Ebene, eine absurde Überhöhung des Thema, hindeuten wollten.


Wie kann man diese drei Kunstfiguren kurz umreißen?

ANTONIN SVOBODA: Herr Baisch alias Stermann ist der selbstverliebte, verstaubte Geschichteprofessor, selbstgerecht, mit seinen Wünschen und Projektionen sehr einsam, und lebt in einer selbstverliebten Scheinwelt. Sein Schwager Anzengruber alias Grissemann ist eine Manifestation von Weltekel, zynisch, nihilistisch, angriffslustig, letztendlich so etwas wie ein schwarzes Loch im Film, von ihm kommt nichts an Vision. Heinz Strunk als Kleinkunstdarsteller Schwanenmeister ist ein bisschen anders positioniert. Er schwebt in seiner Interpretation des Lebens und der Welt zwar auch über dem Boden, er fasst aber diesen Sterbeprozess am stärksten bewusst ins Auge und setzt sich daher von der Scheinrealität, auf der die beiden anderen leben, ab. Es sind drei sehr unterschiedliche Charaktere mit Hang zum Buddy. Frauen kommen nur als Ehefrau, die ihrem Mann gerade verlässt oder als Erinnerung an eine Jugendliebe vor. Es gibt kein Gespräch über Frauen, letztendlich nur ein Gespräch unter Männern und das ist nicht sehr visionär.


Mit dem Eingeschlossensein ist eine Grundangst verbunden. Schwebt mit diesem mitleidlosen Kind auch die Angst vor der Entsolidarisierung der nachfolgenden Generationen mit?

ANTONIN SVOBODA: Ja, das Kind hat etwas vom Horrorszenario. Wer will, kann darin einen gesellschaftspolitischen Ansatz sehen. Es gibt eine Tendenz, wo eine gewisse
Funktionalität in unserer Gesellschaft mehr und mehr von Kindern und Heranwachsenden eingefordert wird, Funktionalität von Beitrag zur Forschung, was braucht die Zukunft. Mit dem bevorstehenden Regierungswechsel haben wir wenigstens wieder ein paar Werte am Tisch. Alles andere war eine kapitalistisch ausgerichtete Effizienzsteigerung, versteckt hinter christlichen Werten.


Dieser Film ist eine weitere Kameraarbeit mit Martin Gschlacht. In der letzten, Spiele Leben, war sehr viel Bewegung in der Kamera, hier galt es wohl eher die Enge zu bewältigen.

ANTONIN SVOBODA: Man fragt sich immer, was kann man anderes oder Besonderes machen? Das Besondere von Immer nie am Meer ist, dass mehr als fünfzig Minuten reiner Spielzeit im Auto stattfinden. Szenen im Auto sind für den Dreh immer eine relativ anstrengende Angelegenheit. Man muss sich fragen, worin steckt das größte Potenzial? Alle drei kommen vom Radio, sind gute Jongleure, was Stimmung und Stimme angeht, physische Bewegung spielt hier keine Rolle. Ich glaube, dass es gut ist für die drei, dass sie nicht viel Spielraum haben, sie können wie in einer Sprecherkabine ihre Qualitäten ausspielen. Filmisch war es für Martin Gschlacht schwierig, die Ausschnitte zu variieren, wenn man mit einer halbwegs großen Kamera agiert, sind die Möglichkeiten beschränkt. Es war eine relativ zermürbende taktische Arbeit, wo man die Kamera, in welchem Moment setzt. Das Auto ist "on location" in der Natur in dieser Schräge gestanden und dort drehten wir, vier Wochen lang allen Witterungsbedingungen im April ausgeliefert. Rein physisch war es ein sehr anstrengender Dreh, auch wenn es nicht so wirkt.



 

 
AFN: Kann man Immer nie am Meer als einen Versuch einer "anderen" österreichischen Komödie betrachten?Antonin Svoboda: Humor beschränkt sich nicht auf den klassischen Kabarettfilm in Österreich. Es gibt ja auch andere Formen, wo gelacht wird und auch dort lebt es von den Protagonisten. Immer nie am Meer ist nicht die "andere"; Komödie, wo man à la Lubitsch oder Billy Wilder klassische Schauspieler in eine Komödie hineininszeniert, die das Publikum zum Lachen bringt. Der Film bewegt sich auch in einem Kabarettkosmos. Ich wollte auch in unserem Fall nicht versuchen, aus unseren Protagonisten Schauspieler zu machen, die eine Rolle spielen. Was den Humor betrifft: man kann auch über andere Dinge lachen, über eine Verweigerung oder eine absurde Situation. Ich glaube aber auch nicht, dass es mehrere Sequels geben soll. Es ist wichtig, dass der Kosmos Grissemann&Stermann um einen Film erweitert wird, dass man auch in ihrer Wahrnehmung konsequent bleibt und die Figuren im Film etwas mit denen zu tun haben, die sie sonst im Radio präsentieren. Wir gehen davon aus, dass der Film auf alle beim Fan-Publikum sehr gut funktionieren wird. AFN: Der Schluss ist, ohne allzu viel vorwegzunehmen, eine ultimative Verweigerung? Antonin Svoboda: Ich hoffe, dass man akzeptiert, dass der Film kein naturalistischer Survival-Film ist, es ging nicht darum, einen klaustrophobischen Thriller zu produzieren. Es gibt eine Situation, die wir benutzen, zum Teil ist man in dieser Klaustrophobie drinnen, dann ist man aber wiederum in der Abstraktion. Es wird etwas angedeutet, und diese Andeutung erfährt einen neuerlichen Switch, der naheliegende Ausgang wird wiederum vereitelt, wir haben das Ende getestet, für viele war es sehr befreiend. Vielleicht ist ein eindeutiges Ende etwas, das mir nicht so behagt. Interview: Karin Schiefer© 12/2006 Austrian Film Commission