INTERVIEW

Günter Schwaiger: HAFNERS PARADIES – Interview

 

Sie haben 2005 begonnen, zum Thema Spanien als Fluchtland für Nationalsozialisten zu recherchieren. 2005 haben Sie auch Ihren letzten Film Der Mord von Santa Cruz fertiggestellt, wo es um ein Kapitel nicht verarbeiteter Geschichte Spaniens während des Franco-Regimes. Wie kamen Sie auf diesen Aspekt der Geschichte.
Günter Schwaiger: Die Arbeit für Der Mord von Santa Cruz hat mich dazu gebracht, die spanische Zeitgeschichte vor dem Franquismus und wie sich der Franquismus nach dem Bürgerkrieg strukturiert hat, zu untersuchen. Franco hat u.a. auch dank der massiven Unterstützung von Hitler und Mussolini den Spanischen Bürgerkrieg gewonnen, nach dem zweiten Weltkrieg hat er sich revanchiert, indem er vielen Nazis geholfen hat, über Spanien nach Südamerika zu gelangen oder in Spanien Zuflucht zu finden. Dieses Thema lieferte für mich den Anlass, zu untersuchen, was wirklich nach dem Zweiten Weltkrieg mit Nazis auf der Flucht passiert ist? Das Thema war anfangs sehr weit gefasst, ich habe mich eingelesen und entdeckt, dass es in diesem Zusammenhang über Spanien sehr wenig gibt. Ein Grund dafür liegt darin, dass es Franco immer wieder verstanden hat, im richtigen Zeitpunkt die Seiten zu wechseln. Große Kriegsverbrecher hatten die Möglichkeit, sich für kurze Zeit in Spanien zu verstecken, mussten dann aber nach Südamerika weiter reisen, das Land hat aber sehr viele kleine und mittlere Nazis aufgenommen. Durch den Kalten Krieg wurde Franco im Westen wieder salonfähig, die Nazis der zweiten und dritten Linie sind still und heimlich in verschiedenen Gegenden von Spanien untergetaucht und bis zum heutigen Tag dort geblieben. Als sie in den fünfziger/sechziger Jahren plötzlich Angst bekommen haben, weil die Prozesse wieder aufgerollt wurden, war Franco-Spanien einfach ein bequemes Pflaster für sie. Ich habe also angefangen zu recherchieren und nach Zeitzeugen zu suchen. Immer noch als großes Thema. Natürlich kam ich als deutschsprechender Österreicher in Spanien irgendwann in Kontakt mit dieser alten „deutschen Kolonie“ ? eine Gruppe von Deutschen, die während des Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs nach Spanien gekommen sind, zum Großteil Parteimitglieder gewesen sind und zum Teil auch noch mit Nazi-Deutschland sympathisieren. Ich habe über 30 Stunden Interviews mit den verschiedensten Leuten geführt, die in den vierziger/fünfziger Jahren nach Spanien gekommen sind.

Waren sie offen für Gespräche?
Günter Schwaiger: Es war unterschiedlich. Prinzipiell sind sie vor diesem für sie unangenehmen Thema zurückgeschreckt. Ich habe ihnen von Anfang an gesagt, dass ich einen Film über die Deutschen in Spanien nach dem Zweiten Weltkrieg machen möchte, wo das Thema Nazis natürlich im Vordergrund stehen würde. Ich habe aber auch klargestellt, dass ich keinen sensationalistischen Film machen und als brutaler Nazi-Aufschrecker auftreten wollte. Mein Interesse war nicht nur ein historisch-politisches sondern auch ein psychologisches. Ich wollte einfach herausfinden, welche Menschen das sind. Dieser Zugang auf der menschlichen Ebene hat dann eine gewisse Vertrauensbasis geschaffen, vor allem für die Jüngeren unter ihnen, die erkannt haben, dass sich da eine Möglichkeit bot, etwas aufzuarbeiten.

Wie kam es, dass sich diese Recherche schließlich auf Paul Hafner fokussiert hat?
Günter Schwaiger: Nach längerem Suchen ist mir schließlich Paul Hafner ist vorgestellt worden. Ich hatte bis zu diesem Punkt nicht gefunden, wonach ich gesucht hatte.

Wonach hatten Sie gesucht?
Günter Schwaiger: Ich suchte Zeitzeugen, über die ich etwas erfahren konnte, was ich zuvor noch nicht wusste und die das repräsentieren, was Spanien für ehemalige Nazis dargestellt hat: Zuflucht und vor allem ein bequemes Nest, um Kontakte zur rechtsradikalen Seite zu entwickeln. In Spanien wurde in den sechziger und siebziger Jahren z.B. alles gedruckt, was in Österreich an rechtsradikaler Literatur veröffentlicht wurde. Das Interessante an Hafner war, dass er schon so lange in Spanien lebt, zweitens SS-Offizier war und drittens enge Kontakte mit der rechtsradikalen Bewegung hatte, die wichtigsten Rechtsradikalen und Nazis persönlich kannte. Neu dazu gekommen ist der Aspekt, wie er selbst damit umgeht. Für mich war das so, als hätte ich einen Menschen aus dem Glashaus geholt, der mit dem Denken von 1945 aus Deutschland weg ist und damit bis heute überlebt hat. Dadurch, dass er dort völlig unbehelligt leben konnte, musste er sein Denken nie modifizieren. Daher war es für mich extrem interessant, so einem Menschen gegenüber zu stehen. Hafner ist ein extrem widersprüchlicher Mensch.

Wie ist die Beziehung zwischen Ihnen und Hafner entstanden und gewachsen?
Günter Schwaiger: Zuerst war er sehr reserviert, ich natürlich auch. Für mich war er am Anfang nur ein weiterer interessanter Interviewpartner. In den ersten Gesprächen hat er versucht, die Neonazi-Propaganda loszuwerden und sie in dem Film, von dem er nicht genau wusste, worum es ging, unterzubringen. Irgendwann habe ich ihm vorgeschlagen, den Film auf ihn zu konzentrieren, jedoch unter der Bedingung, dass er wirklich was von sich hergeben würde. Er hat überlegt ? lange, still ? und sagte dann „Ich könnte ihnen einiges erzählen, was Sie interessieren würde.“ Das war der springende Punkt, wo ich mir dachte, über ihn kann ich dasselbe und viel intensiver erzählen und dazu noch einen menschlichen Aspekt hineinbringen, der über eine normale Dokumentation hinausgeht. Ab da ist es zwischen uns losgegangen und er hat begonnen aufzumachen. Vielleicht kann man diesen Prozess auch als Duell zwischen uns beschreiben. Er war lange davon überzeugt, dass er den Film und mich in der Hand hat und teilweise ist ihm das auch am Anfang gelungen. Es war ein permanenter Kampf, weil er bis zu einem gewissen Grad immer genau wusste, was er wollte. Aber ist sein eigener Wille weiterzumachen hat ihn dann auch aufgebrochen.

Was war Ihrer Meinung nach die Triebfeder, die ihn motiviert hat?
Günter Schwaiger: Ich glaube, seine Hauptmotivation war seine Einsamkeit und die Notwendigkeit, sich selbst nach außen aus dieser Einsamkeit heraus wieder zusammenzustellen. Er die Hoffnung gehabt, dass ich ihm dabei helfe, dass er sich nach außen projizieren kann, nämlich eine Figur die seinem Idealbild von sich selbst entspricht. Er war aber doch schlau genug, im Laufe des Films zu merken, dass dem nicht so ist und dass es zwischen uns nur funktioniert, wenn wir beide unsere Absichten verfolgen können und jeder dabei etwas hergibt. Das Idealbild seiner selbst zu bauen war für ihn ebenso unmöglich, wie für mich, die Idealfigur vom zerbrochenen Nazi zusammenzubasteln, was fürs Publikum sehr angenehm gewesen wäre. Das entspricht einfach nicht der Realität. Die Realität ist, dass gerade der Aspekt, der ihn zum Nazi macht, ihm auch diesen unbändigen Willen verleiht, gegen jede Vernunft und alle Evidenz durchhalten zu müssen. Das Interessante an Hafner ist ja nicht, dass der Film eine historische Neuigkeit bringt oder einen Nazi zum Geständnis führt, sondern es ist seine Art, mit sich und seiner Realität umzugehen und der Prozess, der dabei zwischen uns beiden entsteht. Es ist das Verhalten von bestimmten Menschen in bestimmten Situationen, was mich interessiert. Aus dem Verhalten Hafners mir gegenüber kann man sehr viel herauslesen. Es geht nicht darum zu zeigen, dass man einen Nazi belehren kann oder dass ein Nazi bereut, sondern darum, wie sich so ein Mensch verhält, woher er kommt, seine Widersprüche, und vor allem wie, aus moralischer Perspektive, Anziehendes und Abstoßendes nebeneinander existieren und ineinander greifen können. Das war für mich die große Erfahrung.

Dieser vor Willenskraft und Gesundheit strotzende 80-Jährige beginnt plötzlich an heftigen Schmerzen zu leiden...
Günter Schwaiger: Ich habe über ein Jahr mit ihm gedreht. Der Film ist ganz chronologisch aufgebaut, so wie er geschnitten ist, so ist auch gefilmt worden, das war mir sehr wichtig. Herr Hafner hatte noch nie zu etwas Nein gesagt, er war immer zu allem bereit gewesen, wenn auch oft nur, um mir zu beweisen, dass er in seiner Vorstellung vom Herrenmenschen vor nichts Angst hat. Nur ein einziges Mal hat er Nein gesagt, wir hatten am Samstag den Film über den Holocaust gesehen, fünf Tage später rief er mich an, um mir für den Dreh abzusagen. Er hatte fürchterliche Schmerzen, konnte nicht reden und legte auf. Es dauerte drei Wochen, bis wir unsere Arbeit wieder aufnehmen konnten, denn er wollte weiter machen. Es ist bei ihm eine Nervenkrankheit aufgetreten, die einen Nerv befällt, der vom Gehirn in den Gaumen reicht. Den Grund konnten sich die Ärzte nicht erklären. Vielleicht ist jener Schmerz aufgetreten, den er immer verdrängt hat. Ein großer Schock war ja Marbella für ihn gewesen. Der Umstand, dass ihn seine Freunde im Stich gelassen hatten und v.a. ihre Art es zu tun. Das ist übrigens ein weiterer Aspekt, den ich in meinen Recherchen über Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg herausgefunden habe ? der Geist von Einheit, Treue, Kameradschaft und gemeinsamem Kampf war immer nur dann existent, wenn er sich gegen Schwache richten konnte. Nach der Flucht, die ja für die meisten ein Armutszeugnis bedeutete, hieß es plötzlich „Rette sich, wer kann“, die ehemaligen Kameraden verhielten sich meist feig und verrieten sich oft gegenseitig. In diesem Zusammenhang ist die Reaktion seiner Freunde verständlich, denn sie hatten Angst, vor die Kamera zu treten und aufgespürt zu werden. Ihr Verhalten ist symptomatisch für gewisse Geisteshaltungen, deren Ehrenkodex eigentlich nur als Machtinstrument verwendet wird, der aber inhaltlich völlig leer ist. Hinter scheinbarem Idealismus versteckt sich simpler Opportunismus und transformierter Egoismus. Eine Figur wie Hafner, der immer noch versucht, Ideen aufrechtzuerhalten, ist da die Ausnahme. Die meisten haben nach dem Krieg pragmatisch und opportunistisch gehandelt.

Sehr spannende Momente entstehen in den Gesprächen mit Hans Landauer und Cristina de Rueda, der Tochter eines Franco-Generals...
Günter Schwaiger: Das war für uns auch eine große Überraschung. Er hatte uns eine hochintelligente, traditionsbewusste spanische Power-Frau aus seinem Milieu angekündigt. Sie wollte uns zunächst nicht treffen, wir mussten mehrmals anrufen, sie ließ uns dann eine Weile vor der Türe warten. Als sie aber merkte, dass es mir im Film darum ging, wie sie zu ihm als Menschen steht, da hat sie sich für sich selber und gegen Hafner entschieden. Die Freundschaft zwischen ihnen war natürlich aus diesem Milieu heraus entstanden, das sie als Generalstochter in Spanien frequentiert. Sie erzählt, dass er sie schon vor 15 Jahren zu Nazi-Veranstaltungen mitgenommen hat, sie weiß genau, wer er ist und ist damit immer klar gekommen. Bis zu diesem Tag. Es die erste Auseinandersetzung zwischen den beiden und sie hat sich von selber ergeben hat. Für Hafner ist sie völlig überraschend gekommen ist. Dass sie jüdische Wurzeln hat, hatte sie ihm nie gesagt. Er war dann auch völlig außer sich und ist dann weggegangen und war innerlich total verstört. Für mich war es eine wichtige Erfahrung mitzuverfolgen, wie sich ein Mensch, der sich unter moralischem Druck fühlt (in diesem Fall ein selbstauferlegter), innerhalb kürzester Zeit die Beziehung zu anderen völlig verändern kann. Als sie gemerkt hat, wo wir standen, schlug sie sich auf unsere Seite. In diesem Moment war es ihr plötzlich wichtig, nach außen darzustellen, wie sie denkt. Das war ihr wichtiger als die Freundschaft zu ihm.

 
 

Wie verlief das Gespräch mit Hans Landauer?
Günter Schwaiger: Hans Landauer kenne ich schon länger und bewundere ihn sehr. Er lebt ihn Wien, hat im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft und ist über Lager in Frankreich nach Dachau gekommen. Ich habe ihm oft vom Film erzählt mit der geheimen Hoffnung, dass er sich dafür interessieren könnte. Ich wollte ihn nie dazu überreden. Ich habe viel über Dachau gefragt, weil es eines der wenigen KZs war, wo ich nachweisen konnte, dass Hafner dort gewesen war. Schließlich hat mir Hans Landauer vorgeschlagen, sich mit ihm zusammenzusetzen. Es kam aus freien Stücken, das war mir wichtig, so wie es mir wichtig ist, dass die Dinge aus der Dynamik des Films selbst entstehen. Ich leite und denke voraus, aber die Dynamik und der Wunsch, es voranzutreiben, soll aus den Menschen kommen. Dass Landauer sich bereit erklärt, sich einem ehemaligen SS-Offizier gegenüberzusetzen, der in Dachau war und sich dann auch so positioniert, ist ein starkes Stück. Für mich war es eine einzigartige Gelegenheit, diese beiden Menschen, die beide grundlegend verschiedene Auffassungen und Perspektiven repräsentieren, miteinander zu konfrontieren.

Wie hat Herr Landauer es erlebt?
Günter Schwaiger: Beide waren sehr nervös vorher. Landauer hat sich aber im Gespräch als großartiger Mensch gezeigt. Diese Ruhe und Gelassenheit und die Sicherheit seiner moralischen, inneren Überzeugung waren bewundernswert. Es war dennoch für ihn sehr hart und er war nach dem Gespräch sehr angegriffen und richtig froh, dass er draußen war. Er hat uns dann erzählt, dass es für ihn ein sehr intensives, aber auch gutes Erlebnis war. Auf eine gewisse Art und Weise repräsentiert Landauer in dem Gespräch die Position des historischen Zeugen, der sich der Manipulation entgegenstellt. Hafner reagiert manchmal ein bisschen hilflos, in Wirklichkeit weiß er genau, was er will und das ist der springende Punkt. Wenn er Landauer z.B. vorwirft überlebt zu haben, entspricht das einer Strategie der Holocaust-Leugner, die die Berichte der Opfer gerade deshalb in Frage zu stellen, weil sie überlebt haben. Hier kommen wir natürlich auch zu einem wichtigen Aspekt des Filmes. Was ist Wahrheit? Wer manipuliert sie? Welche Wechselwirkung besteht zwischen Wahrheit und Macht. Am Ende drücken jedoch das Schweigen von Hafner und seine geschlossenen Augen mehr aus, als jedes Geständnis. Es war der Punkt erreicht, wo Ruhe eingekehrt war und beide wussten, das ist jetzt die Wahrheit und da gibt es nichts mehr zu sagen. Das war, glaube ich, eine innere Befriedigung für Hans Landauer, auch wenn er wusste, dass Hafner nur „verletzt“ war, nicht bekehrt. Ich glaube, es war ein großer Moment für Landauer und ein ganz entscheidender für den Film.

Über das rein dokumentarische in Gesprächen und den Alltagsbildern hinaus, gibt es auch etwas wie Traumsequenzenen, sozusagen fiktive Elemente. Warum haben Sie diese Elemente in den Film aufgenommen?
Günter Schwaiger: Das ist eine gute Frage. Erstens entstand intuitiv das Bedürfnis, weil Hafner immer wieder von seiner Schlaflosigkeit erzählt hat, da er mit sich selbst und seiner Vergangenheit und seinem Denken beschäftigt ist. Er hat oft vom Traum erzählt, der kein Traum ist, in dem seine Gedanken, seine Bücher, seine Ideen immer wieder kehren. Es gibt Momente, wo er zwischen der Realität, die er sich selber konstruiert, und der Wirklichkeit herumschwimmt. Das wollte ich irgendwie auf poetische Weise zum Ausdruck bringen. Diese Sequenzen drücken auch sein Sisyphus-Dasein aus, dieses Ankämpfen gegen die Realität, ohne wirklich vorwärts zu kommen, ständig wiederholt sich etwas, das ihn beschäftigt. Ich habe ewig mit ihm gedreht und immer wieder kam dasselbe und dasselbe, nur irgendwo dazwischen tauchte etwas Neues auf. Das Obsessive ist sehr stark in ihm und darauf spielen auch meine Traumsequenzen, genau gesagt diese Wachträume, an. Es ist der Versuch, nur über das Emotionale und Intuitive etwas mitzuteilen. Wenn er immer wieder zum Turm geht und doch keinen Schritt vorwärts kommt, sehe ich einen negativen Don Quijote, der gegen die Windmühlen der Wahrheit kämpft und dabei doch keinen Schritt weiterkommt, das aber weiß und spürt. Was Hafner aufrecht erhält ist ja gerade dieser fast religiöse Fanatismus und groteske Wille. Es ist immer wieder der Wille, der überbleibt. Auch in der Sequenz am Ende, wenn er sagt, dass es für ihn kein Aufgeben und keinen Verrat gibt. Das ist wieder dieser ganz enge, kleine Horizont, diese starre Überzeugung, diese verbissene Welteinstellung, in der der politische Fanatiker dem religiösen Fanatiker gleicht.