INTERVIEW

Karin Berger über HERZAUSREISSER

 

«Es ist eine verlogene Sentimentalität, die sich wie eine Hauptlinie durch das Wienerlied zieht und die mich aufgeregt hat.» Ein Gespräch mit Karin Berger.



Das Wienerlied ist ein musikalisches Genre, das nicht gerade internationales Renommee genießt und auch in Österreich eher einem Insider-Publikum vorbehalten ist. Ist dieser Film ein Versuch, diesem Genre eine Plattform zu bieten, die es einem breiteren Publikum zugänglich macht?
Karin Berger: Es ging mir vor allem darum, das Phänomen Wienerlied anzuschauen, weil es dazu zwei Arten der Wahrnehmung gibt. Zum einen sind da die, die es zum Teil mit guten Gründen total ablehnen, zum anderen jene, die es lieben und sich total damit identifizieren. Das Volksliedwerk hat bisher 70.000 Wienerlieder gesammelt, d.h. alles, was in Herzausreißer über das Wienerlied gesagt wird, betrifft nur einen Teil des Gesamtphänomens. Der Grund für die breite Ablehnung liegt, so glaube ich, in der Rückwärtsgewandtheit der Themen und in der sich bis zum Kitsch steigernden Sentimentalität. Es ist eine verlogene Sentimentalität, die sich wie eine Hauptlinie durchzieht ? ich meine damit, das Beschönigen, das Verklären des ?wunderschönen? Wien, dann kommt als Thema noch die Mama dazu, ansonsten spielen Frauen eine geringe Rolle. Die Texte spiegeln eine männliche Perspektive wider.

Was hat Sie auf dieses Genre eigentlich neugierig gemacht?
Karin Berger: Wahrscheinlich die Tatsache, dass ich damit aufgewachsen bin, insofern als es durch Heinz Conrads und auch durch die Filme der fünfziger Jahre präsent war und weil mich diese Verlogenheit aufgeregt hat. Es ist ja kein Film über d a s Wienerlied, sondern es ging mir darum, näher hinzuschauen, wie sehen die Suche und die Versuche der Musiker und Musikerinnen nach 1945 (genauer genommen ab den sechziger Jahren) aus, sich diese Musiktradition wieder anzueignen, herauszufinden, was an diesem Genre auch heute verwendbar ist und der Frage nachzugehen, ob es etwas gibt, das über diesen sentimentalen Quatsch hinausgeht? Die Frage, ob wir wirklich nur auf musikalische Einflüsse aus Lateinamerika oder den USA bauen können und gar nichts Eigenes haben, hat offenbar zu einer Unzufriedenheit geführt. Während des Nationalsozialismus kam das Wienerlied in einer sehr kitschigen Form als Form der Unterhaltung und Ablenkung in den Filmen vor, dazu war es meiner Meinung nach auch sehr gut zu gebrauchen. In der musikalischen Entwicklung hat das in der Folge zu einer Starre geführt, der Kitsch ist in den fünfziger Jahren so langsam weitergetröpfelt und irgendwann gab es dann Leute, die wieder einmal eingeatmet haben. Ihnen galt mein Interesse.

Welches Bild des Wienerliedes ist dabei entstanden?
Karin Berger: Prinzipiell kristallisieren sich da zwei Hauptlinien heraus ? die eine, beginnend mit Karl Hodina, wo es darum geht, einerseits sehr alte Instrumentalmusik, die alten "Tanz" wie sie genannt werden, auszugraben und andererseits, neue, mit Jazz oder Blues verschnittene Lieder vor allem mit neuen Texten zu machen. Das Furchtbare an vielen Wienerliedern ist ja der Text und die superschmalzige Interpretation. Diese beiden Dinge hat die folgende Generation versucht, loszuwerden und die Musik nach außen hin offener zu gestalten. Die zweite Linie, die als Reaktion auf den extremen Kitsch entstanden ist, hat mit Ironie und schwarzem Humor darauf reagiert. Sie war mir besonders wichtig. Dazu gehören die Schwarzen Lieder, die in den sechziger Jahren das erste waren, das in Erscheinung trat. Sehr viele Musiker beziehen sich auf H.C. Artmann, die Lieder wurden damals auf Platte von Helmut Qualtinger gesungen. Ich denke z.B. an Ernst Kölz, der die Schwarzen Lieder komponiert hat und der mit seiner Interpretation ein großes Geschenk an diesen Film ist.
Die beiden Stränge, einerseits der Versuch, das Traditionelle aufzunehmen und mit neuen Einflüssen zu verschneiden und diese ?schwarze?, sich auf Qualtinger beziehende Linie, die z.B. beim Kollegium Kalksburg sehr stark herauskommt ? ziehen sich durch den Film.

Der Film hatte sehr lange einen Arbeitstitel Nua ka schmoez how e xogt, der sich auf H.C. Artmann bezieht, nun heißt er Herzausreißer. Was steht hinter diesen beiden Titeln?
Karin Berger:  Herzausreißer hat sich aus demselben Artmann-Gedicht entwickelt. Es ist das erste, das als eine Art Prolog vor der Sammlung med ana schwoazzn dindn steht. In diesem Gedicht, das ich wirklich sehr mag, heißt es nua ka schmoez how e xogt, nua ka schmoez, es geht darum, dass der Dichter sich erst einmal das Herz herausreißen (Artmann schmeißt es über die Brücke der Vororte-Linie in Ottakring), und dann warten muss, bis das Loch wieder zugewachsen ist. Dann erst soll man sein Gedicht schreiben. Für mich steht das für jede künstlerische Tätigkeit, die meist mit vielen Schwierigkeiten, Zweifeln, einem Sich-Ausliefern, verbunden ist, die in die Tiefe gehen und mit einer Liebe zur künstlerischen Tätigkeit verbunden sein muss. Dann gibt es im Film noch zwei weitere Stellen, die einen Bezug zum jetzigen Titel Herzausreißer haben: in einem "schwarzen Lied", einem der raren Liebeslieder im Wienerlied, heißt es "am eaxtn is ma r one dia um fire in da frua (...) i kent ma s heazz ausreißn um fire in da frua und auf de gossn schmeißn". Schließlich kommt es noch als Interviewzitat vor, wo Clemens Lendl von den Strottern über Walther Soyka sagt – "der spielt, dass es einem das Herz herausreißt." Am wichtigsten ist mir sicherlich das Artmann-Zitat.

Worauf kann man die Themen im Wesentlichen zusammenfassen?
Karin Berger: Im allgemeinen drehen sich die Themen des traditionellen Wienerliedes darum, dass man sich ansäuft, dass es in der Vergangenheit sehr schön war und dass alles Positive in den Himmel projiziert wird, wo es dann ziemlich toll wird, weil man dort alle wieder findet, sie alle Wiener Dialekt sprechen und alle unter sich sind. Was in der Gegenwart stattfindet, das nimmt man lieber nicht wahr. Es gibt aber auch viele Wienerlieder, wo es um Alltagsgeschichten geht, so z. B. das Badengehen. Eines gefällt mir besonders gut, weil ich gerne in der Alten Donau schwimme, da heißt es: „in da oidn donau schwimmt a krokodü, hat so lange haxn wia a besenstü“. Das finde ich herrlich absurd, Ironie und Absurdität spielen im Wienerlied eine große Rolle. Und es gibt auch Lieder über das Essen (...der Kalbsbraten is aus...).
Dann gibt es sozialkritische Lieder, die zu zeigen, war mir wichtig, sie haben aber nie einen aufmüpfigen Ton, der sagt, das machen wir jetzt anders, sondern es geht eher darum, wie richtet man sich in der Armut ein. Das geht bis zur Schrägen Wiese oder in einer Variante heißt es bei Heinz Conrads „es gibt kan lido und kan palazzo, i foa waun d’sonn scheind am monte glatzo“. Das ist immer doppelbödig: man kann es so interpretieren, dass es heißt, man braucht nicht ins Ausland zu fahren, weil es hier schön und gut ist, in Wirklichkeit ist kein Geld da zum Wegfahren. Es geht um das Sich-Arrangieren mit der Armut, zu einem Aufbegehren kommt es nie. Raunzerei und das Selbstmitleid sind zweifellos ein Thema. Es gibt den unschönen Kitsch, der absolut keine Zwischentöne mehr kennt, aber so lange es Zwischentöne gibt, ist es immer interessant.

Kann man im neueren Wienelied einen anderen thematischen Tenor finden?
Karin Berger: Im neueren ist es sehr unterschiedlich. Eines der wichtigsten Lieder von Karl Hodina heißt : „i liassert kirschen für di wachsen ohne kern“, dieses Lied hat einen sehr süßen text. Hodina hat Liebeslieder eingebracht, auch die Strottern singen nun Liebeslieder. Die Musiker des Kollegium Kalksburg gelten als Ironiker, sie verfolgen eher die Qualtinger-Linie weiter, es gibt ein Lied von ihnen, das heißt Schöner Tag, das sich auf ein Paar bezieht, wo der Mann die Frau unterdrückt, aber sie trinken gemeinsam. Männer als „Bsuff“, die sich wahnsinnig selber leid tun, rechts und links nichts mehr wahrnehmen, das ist eine Hauptlinie bei den Kalksburgern.

Für Sie als Filmemacherin hat sich sicherlich zunächst die grundsätzliche Frage der Herangehensweise zu einem musikalischen Thema gestellt. Wie haben Sie Ihre Interviewpartner ausgewählt?
Karin Berger: Ich wollte keinen Musikfilm machen, weil das Thema Wienerlied für mich zu widersprüchlich ist. Ich wollte herausfinden, warum sich die Musiker mit dem Wienerlied auseinander setzen. Ich wollte wissen, was sie motiviert und wie sie mit Text und Musik umgehen, das war mein Hauptzugang. Es war natürlich unheimlich schwierig, das Thema einzugrenzen und vielleicht sind 95% des Gesamtphänomens nicht berücksichtigt, weil ich im Film nur neunzig Minuten zur Verfügung hatte. Es ist auch keine Auswahl der „Besten“, es gibt auch seit Drehschluss schon wieder unzählige neue Gruppen, die gut sind und sich wieder auf eine neue Weise damit auseinander setzten. Irgendwann musste ich aufhören, mir war es wichtig, diese neue Bewegung in ihrer Entstehungsgeschichte nachzuzeichnen und eine bestimmte zeitgeschichtliche Linie drinnen zu haben, mit Hodina und Kölz zu beginnen, hier einen Faden aufzugreifen, der über Roland Neuwirth oder Walter Soyka oder die Strottern weitergesponnen wird. Für die Auswahl spielte zum einen der historische Aspekt eine Rolle, zum anderen die Art der Musik, die sie machen. Das Kollegium Kalksburg steht für die Weiterführung des Ironischen, Walter Soyka dafür, ganz in die Vergangenheit zurückzugehen und Basismaterial zu suchen, das er dann unverkitscht spielt oder neue Kompositionen daraus entstehen. Abgesehen von der Sängerin Doris Windhager sind alle meine Interviewpartner Komponisten, das war mir sehr wichtig. Die Strottern stehen für die Interpretation sehr alter Lieder, bei ihnen ist der Umgang mit der Geige sehr interessant. Oskar Aichinger und Walter Malli stehen für Free Jazz, haben alte Sachen aufgegriffen und dann sehr frei weiterentwickelt.

Und abgesehen von den Sängerinnen scheint das Wienerlied in erster Line eine männliche Domäne zu sein?
Karin Berger: Ich hätte gerne viel mehr Frauen im Film gehabt, es gibt aber sehr wenige Frauen, die komponieren. Es gibt unter Komponisten zu viele, die für die neue Entwicklung wichtig sind, dass ich nicht auf sie verzichten wollte. Frauen sind von der Geschichte her bis heute in erster Linie Interpretinnen.

Geht man in der Geschichte zurück, so gibt es auch Archivmaterial. Wie sah es mit der Verfügbarkeit des Materials aus, wie haben Sie es verwendet?
Karin Berger: Es ist eigentlich schwierig, es gibt wenig Archivmaterial. Dokumentarisches Material im Film gibt es über Mali Nagl, dann einige Spielfilmausschnitte, nicht allzu viele. Ich hatte eine Schnittversion, wo ich sehr viele Spielfilmausschnitte verwendet habe, davon habe ich aber dann abgelassen, das wäre sehr einfach, war mir dann aber zu witzig. Dadurch reduzierte ich auf einige wenige Filmausschnitte, die mir wichtig waren. Von den Protagonisten – Karl Hodina, Roland Neuwirth, Walter Soyka – gab es schon mehr Material. Von älteren „Natur“-Sängerinnen gibt es wenig, abgesehen von den Spielfilmen.
 

Es scheint also eine sehr große Recherche- und Archivarbeit am Beginn der Arbeit gestanden zu haben?
Karin Berger:  Ja, sehr viel. Ich habe vor zirka vier Jahren begonnen, habe zwar den Film Unter den Brettern hellgrünes Gras eingeschoben, das ein Film war, der sehr viel Energie gekostet hat, weil es um KZ-Erfahrungen ging. Es hat viel Recherche bedeutet, ich wusste zu Beginn ungefähr, was in Wien so an neueren Entwicklungen läuft und kenne die alten Klassiker, das Volksliedwerk hat vor zwei Jahren ein Buch herausgebracht, ich wollte mich näher über Wurzeln und Geschichte der Musik informieren und das war alles andere als leicht. Ich ging in die Musikbuchhandlung und wollte mir ein paar Bücher kaufen, es gab aber kaum etwas. Roland Neuwirth hatte eine Art Geschichte anhand von Beispielen herausgegeben, es gab ein Reclam-Heft von Jürgen Hein mit einer Liedersammlung und Arbeiten über Einzelmusiker. Dass sich jemand global mit dem Phänomen auseinandergesetzt hätte, das war zu dem Zeitpunkt, als ich meine Arbeit begann, noch nicht der Fall. Jetzt gibt es eine Geschichte der Wiener Volksmusik, sie erschien aber erst, als ich in der Fertigstellung des Films war.

Wie sah angesichts der Menge des Filmmaterials der Schnittprozess aus?
Karin Berger: Wir hatten neunzig Stunden Material, wo natürlich sehr viele Lieder vorhanden waren. Prinzipiell muss ich zu meiner Arbeitsweise sagen, dass ich anfangs ein Konzept im Kopf habe. Dann kommt es darauf an, was beim Drehen passiert. Es konnte vorkommen, dass Lieder, die ich unbedingt haben wollte beim Dreh nicht so gut kommen sind, wie ich sie zuvor schon mehrmals gehört hatte. Man muss das Konzept irgendwann über Bord werfen, sich nach dem Material richten und dieses auch sehr genau kennen lernen. Das hieß, diesen Wust an Material zu ordnen, dann Fragen aufzuwerfen wie ? Reiht man die Protagonisten hintereinander? Gibt es Einschübe? Braucht es einen Kommentar, jemanden, der durch den Film führt? Ich wollte aber keinen Kommentar, mir ist es lieber, das vorhandene Material zu sieben und immer mehr zu verdichten. Das ist ein langer Prozess, vor allem dann, wenn sich durch die Schnitte Widersprüche ergeben sollen. Meine Cutterin Niki Mossböck und ich, wir haben uns sehr gut ergänzt, ich war nicht immer dabei, habe aber den Schnitt sehr nahe verfolgt. Ich halte es für wichtig, auch wenn es sehr viel Zeit kostet. Jeder Schnitt ist entscheidend, es ist ja auch ein künstlerischer Prozess, wo man gemeinsam vor dem Material sitzt, mal nicht weiterkommt oder mal gerade besonders gut in Form ist, dann entsteht genau durch diese Zusammenarbeit etwas, ich habe ja das gesamte Material im Kopf. Wir haben sehr lange geformt, aufgrund des Umfangs des Themas waren sehr viele Entscheidungen zu treffen, es sollte keinesfalls ein Musikfilm im klassischen Sinn werden, Musik kann man ja im Konzert anhören.

Es war wohl auch schwierig in diesem breiten Thema einen Schlusspunkt zu finden?
Karin Berger: Ja, ganz genau. Wir sagten irgendwann, jetzt müssen wir aus dem vorhandenen Material etwas herausholen, das ist natürlich hart, weil immer wieder noch etwas Interessantes auftaucht. Man kann auch nicht zu viele Protagonisten in den Film einbringen, das ist verwirrend. Mir war wichtig, etwas über die Musik zu erfahren, andererseits über das Wienerlied und seine neuen Formen und ich wollte, dass die Protagonisten nicht nur zu Informanten degradiert, sondern als Charaktere erkennbar werden. Diese Balance zu halten war nicht immer einfach. Grundsätzlich stelle ich fest, dass Schnittzeiten immer unterschätzt und viel zu knapp kalkuliert werden. Die Dinge brauchen ihre Zeit und es wird durch die Möglichkeiten am Computer nicht gerade einfacher. Man wird nicht schneller, dadurch, dass sich unendlich mehr Möglichkeiten eröffnen. Ich halte Schneiden auch für körperlich ? im Kopf wie für die Augen ? sehr anstrengend. Der Schnitt ist dann gut, wenn man ihn nicht mehr merkt. Das erfordert Zeit.


Die Grundthematik des Wienerliedes ist rückwärts gewandt, inwiefern weist seine Entwicklung dennoch in die Zukunft?
Karin Berger: Ich glaube, es geht in interessante Richtungen, die sich aber vom traditionellen Wienerlied schon sehr weit wegbewegen. Den Schlusspunkt des Filmes setzt das Kollegium Kalksburg mit einer Sequenz, die ich sehr bewusst in einem sehr hellen, coolen Raum gedreht habe. Sie spielen das Che Guevara-Lied, ein flottes südamerikanischen Lied, das sie mit einem sehr wienerischen Text verbinden, der einerseits Nestroy-Einflüsse in sich trägt, andererseits wird nur noch geschrieen ? und das sehe ich als eine Art Befreiungsschrei aus dem sentimentalen Sumpf, der etwas Lösendes und Öffnendes hat. D a s Wienerlied ist in seiner Form etwas Altes und ist abgeschlossen. In Zukunft wird man Zitate oder Versatzstücke verwenden und es immer wieder brechen, das ist die Richtung, in die es meiner Meinung nach weitergehen wird. 



Interview: Karin Schiefer