INTERVIEW

Michael Glawogger über DAS VATERSPIEL und CONTACT HIGH

 

Gleichzeitig an mehreren Projekten zu arbeiten, ist ein Akt, der eher beflügelt als einer, der lähmt. Michael Glawogger über Das Vaterspiel, Contact High und sein neues Projekt Whores' Glory.



Sie haben soeben zwei Spielfilmprojekte – Das Vaterspiel und Contact High fertig gestellt und brechen nun zum ersten Dreh für Whores' Glory auf. Das Spektrum der letzten Arbeiten ist mehr als breit: eine Literaturverfilmung, eine Komödie und ein Dokumentarfilm mit globalen Themensetzungen. Ist es Ihnen besonders wichtig, als Filmemacher in den verschiedensten Genres zu Hause zu sein?
Michael Glawogger: Das ist ganz offensichtlich so, Film ist ohnehin eine so langsame Sache. Von dem Augenblick an, wo man sich etwas ausdenkt, bis zu dem Moment, wo man es mehr oder weniger funktionierend auf der Leinwand sieht, vergeht so viel Zeit. Man muss immer daneben auch etwas Neues entwickeln. Ich habe soeben auch wieder ein Drehbuch für einen Spielfilm fertig geschrieben. Diese Art von Gleichzeitigkeit hält einen eher wach, weil man schneller schalten muss. Das liegt mir. Was das Drehen betrifft, ist jetzt wieder Dokumentarfilmzeit.


Es bedeutet aber sicherlich auch ein enormes Arbeitspensum?
Michael Glawogger: Im Grund glaube ich, dass Filmemachen nicht so funktionieren soll, dass man einen Film fertig macht und dann beginnt, sich den nächsten auszudenken. Ich finde, es ist ein ständiger Arbeitsprozess im Kopf. Ich hätte immer Lust gehabt, dass man, so wie es früher in den USA funktionierte, in einem Studio einen fixen Job hat und sich dabei Filme ausdenkt und macht. Mir ist wichtig, dass Filmemachen nicht so ein theatralischer Akt ist, sondern eine alltägliche Betätigung. Das kann durchaus etwas Künstlerisches an sich haben, aber trotzdem soll es eine tagtägliche Beschäftigung sein.


Wie lassen sich in der Praxis drei Projekte parallel realisieren bzw. vorbereiten.
Michael Glawogger: Man muss das natürlich aufteilen, aber in der Postproduktion ist es durchaus vorgekommen, dass ich von einem Schneideraum in den anderen gegangen bin. Die Drehs waren deutlich getrennt. Es gab zunächst einen großen Drehblock Vaterspiel, den wir wegen Schneeknappheit nicht fertig drehen konnten, ich drehte dann Contact High, ehe wir Vaterspiel abschlossen. In der Postproduktion haben sich die beiden Filme langsam auf gleiche Höhe hochgearbeitet. Zu diesem Zeitpunkt haben sich viele kreative Schlussentscheidungen gestellt. Es war gut, dass die beiden Filme in verschiedenen Ländern gemischt wurden und automatisch verschiedene Einflüsse da waren. So konnte man sich anhand des einen Films Einsichten für den anderen holen. Gleichzeitig an mehreren Projekten zu arbeiten, ist ein Akt, der eher beflügelt als einer, der lähmt.


Beginnen wir bei Das Vaterspiel: hier hat sich die grundsätzliche Herausforderung  durch eine Romanvorlage von 600 Seiten mit drei Erzählsträngen gestellt.
Michael Glawogger: Josef Haslinger hat selbst gesagt, dass ich eine Bresche durch das Buch geschlagen habe. Der Film wird drei oder mehrere Ebenen haben, aber nur zwei große Hauptstränge und die sind auch sehr streng herausgeschält. Das zeigt sich auch in formaler Hinsicht. Der Film ist in seiner Strenge auch sehr von seiner Musik geprägt, die beinahe ein Spielelement wird. Wir standen vor der Wahl, Musik entweder wegzulassen oder etwas zu schaffen, das sich wie eine Wand vor einem aufstellt oder eine Geschichte in sich selber erzählt. So kam es zur Zusammenarbeit mit Olga Neuwirth, die durch ihre Rhythmusvorgabe den Film sehr stark geprägt hat und der Struktur des Films sehr zuträglich war.


Der Erzählstrang, der die Ereignisse in Litauen betrifft, wird nur durch Erzählungen von Ulrich Tukur in der Rolle des Jonas Shtrom abgedeckt. Warum?
Michael Glawogger: Schon beim Lesen des Buches war für mich deutlich spürbar, dass hier jemand etwas zu Protokoll gibt, was auch in der Umsetzung für einen Schauspieler sehr spannend sein kann. Es hat den Film natürlich formal sehr geprägt, dass jemand an einem Tisch sitzt und eine Geschichte erzählt, die man auch hätte verfilmen können. Ich habe von Beginn an gesagt, ich verfilme dieses Buch nur, wenn ich keinen einzigen Schauspieler in eine Nazi-Uniform stecken muss, weil eine Bebilderung diesem Text nichts hinzufügt, sondern nur etwas illustriert. Ich habe versucht, diese Geschichte filmisch und mit den Emotionen eines Schauspielers zu Protokoll zu geben, sodass es Vorstellungen erweckt und nicht tötet. Wenn man Geschichte als illustrierte Geschichten exekutiert, kommt man letztlich nur zu Bildern, die schon gesehen sind. Wenn ich mir jetzt aber Ulrich Tukur anschaue, wie er mit all seiner Emotion in einem gesichtslosen, kahlen  Raum sitzt und diese Geschichte erzählt, so kommt mir das wesentlich eindringlicher und interessanter vor.


Blickt man auf diese drei Generationen von Söhnen, die in Vaterspiel eine Rolle spielen, so stellt man fest, mit welcher Geschwindigkeit sich das Verhältnis zwischen den Generationen gewandelt hat.
Michael Glawogger: Das war letztendlich ein Grund für mich, dieses Buch zu machen, weil es in allen seinen Ebenen, die es aufreißt, im Grunde aus sehr vielen Blickwinkeln eine ähnliche Geschichte erzählt: den Verlust von Eltern, den wahrscheinlich jeder durchmacht und der immer ein heftiger Akt ist – ob er nun von außen kommt oder von innen.  Eine Sache von mehreren Seiten zu beleuchten, das leistet dieses Buch sehr gut und ich hoffe, der Film auch. Das Buch thematisiert auch die Selbstsicherheit einer Vätergeneration, die mit der österreichischen Geschichte der siebziger und achtziger Jahren zu tun hat, wo jene, die an der Macht waren, trotz Demokratie eine unglaubliche Herrschaftlichkeit ausgestrahlt haben. Eine Selbstsicherheit und Präpotenz, die einen jungen Ratz nur ersticken kann.


Ratz hat ein sehr sonderbares Verhältnis zu den wenigen Frauen, die es in seinem Leben gibt. Wie sehen Sie Ratz im Bezug zu diesen Frauenfiguren.
Michael Glawogger: Ratz ist ein Autist, er lebt zurückgezogen und ist deshalb für einen Film auch eine schwierige Figur, weil er wie eine Projektionsfläche ist, wo Dinge auf ihn einprasseln, die er verdaut und über eine virtuelle Welt wiedergibt.  Die einzigen beiden Frauen abgesehen von seiner Mutter, mit denen er irgendwie in Kontakt kommt, sind sofort seine Lebensfrauen. Er kommt weder von seiner Schwester noch von seiner ersten Liebe weg, er ist da in einer Art Sog drinnen.


Ein wesentliches und interessantes Element in der Verfilmung ist die Auflösung des von Ratz erfundenen Spiels durch Computer-Animationen.
Michael Glawogger: Hier war vor allem der Tonfall sehr wichtig. Wir haben zwei Ebenen des Computerspiels kreiert: eine, die auf die achtziger Jahre zurückgeht, wo Ratz begann, Computerspiele zu programmieren. Das Spiel musste also so aussehen, dass es tatsächlich damals von einem Menschen zu Hause programmiert werden konnte. Gegen Ende hin erhebt sich das Spiel in gewisser Weise gegen ihn und er wird Teil seines eigenen Computerspiels.
Die zweite Ebene ist eine Mischung aus Filmbildern und realen Computerbildern. Selbst wenn man wie Ratz als Autist jahrzehntelang im Wohnzimmer sitzt, dann lebt man wahrscheinlich in einer Welt, die man fast gottgleich kommentieren kann. Es gibt eine Szene im Film, wo er Wetter, Nacht und Tag mit Sätzen aus der Programmiersprache vor sich hertreibt und dort taucht auch sein Vater als erkennbare Figur auf, die seiner virtuellen Phantasie entspringt. Das ist dann aber nicht das von ihm erfundene Computerspiel. Entscheidend war, diese virtuelle Figur in dieser Welt auftauchen zu lassen und sichtbar zu machen, wie sich das Spiel, das er in den achtziger Jahren programmiert hat, in die Jetztzeit entwickelt.


Computeranimation ist auch ein Thema, das den Bogen zu Contact High spannt. Was war die Idee, die den Anstoß zu dieser Geschichte geliefert hat?
Michael Glawogger: Es hat eigentlich mit dem Titel begonnen. Contact High ist ein interessantes Phänomen, das nicht nur mit Drogen zu tun hat, um die es zwar hauptsächlich im Film geht, sondern mit einem Phänomen, mit dem Menschen sehr intensiv zu tun haben. So wie man sagt – ich rauche einen Joint und du kannst auch high werden – glaube ich, dass sich auch Stimmungen, Gemütszustände bis zu Meinungen durch solche Phänomene übertragen lassen. Ich glaube, dass seltsame Dinge wie z. B. Aufstellungstherapien nur funktionieren können, weil es so etwas wie ein „contact high“ gibt. Aber ich will da in meinen Analysen nicht zu weit gehen, Contact High ist ein Spaßfilm. Es ist ein Film, der unterhalten soll, der durchaus seine Philosophie und Weltsicht hat, aber es ist eine Komödie über Rauschmittel. Ich verwende bewusst dieses Wort, denn, sagt man „eine Komödie über Drogen“, dann schwingt sofort ein negativer Unterton mit. Drogen werden heute nur in ihren negativen Auswirkungen besprochen, in Wirklichkeit nimmt sie fast jeder und sie sind für das Zusammenleben der Menschen auch sehr notwendig. Wenn sie nicht auch Spaß machen würden, würde sie nicht jeder nehmen.
Man kann den Film auch als zweiten Teil einer Trilogie betrachten. Wenn Nacktschnecken über Sex gehandelt hat, dann handelt Contact High von Drogen und irgendwann werden wir einen Film über Rock‘n’Roll machen.

Das Drehbuch entstand gemeinsam mit Michael Ostrowski, wie sah die konkrete Zusammenarbeit am Buch aus?
Michael Glawogger: Bei beiden Filmen – Nacktschnecken wie Contact High – kam die Idee grundsätzlich von Michael Ostrowski, wir besprechen das länger, er macht den ersten Entwurf, ich den zweiten und dann geht es als Pingpong-Spiel weiter. Dadurch, dass wir unsere Figuren schon so gut kennen, ergab sich ein unglaublicher Topf an Dingen mit mehreren hundert Seiten an Dialog. Die Freude an dieser Arbeit sollte sich auch in den Film übertragen, ich denke, man sieht, dass es ein Film ist, der vor lauter Rauschmitteln, Querverweisen, Farben und Musiken aus allen Fugen quillt. Es ist ein sehr reicher Film, den man sicher dreimal anschauen kann, um überhaupt zu sehen, was alles vorkommt.

Computeranimation spielt hier eine noch größere Rolle?
Michael Glawogger: Ja und ich hatte das Glück, einen sehr guten CGI-Kreativdirektor zu haben, der zwar in einer deutschen Firma gearbeitet hat, zufällig aber aus Graz kam, also aus jenem Biotop, aus dem alle diese Filme entstanden sind. Wir hatten sofort einen Draht zueinander, was den grundsätzlichen Tonfall der Tricks betrifft. Filmtricks sind heute immer wieder eine Art Show-Off, von dem, was die aktuelle Technik alles kann. Wir haben hier einen weiten Bogen gespannt: von den allermodernsten, dreidimensionalen Rauschzuständen, in denen alles durch die Welt fliegt, bis hin zum von Hand gezeichneten Zeichentrickfilm von Mara Mattuschka, der in der schönsten, nur denkbar altmodischen Art und Weise Blatt für Blatt gezeichnet worden war. Diese Animation wird zu einer Art Paraphrase auf Alice im Wunderland. Wie es überhaupt viele Querverweise auf dieses Buch gibt, das ja ein sehr gescheites Drogenbuch ist. Ich wollte die Wirkung der Drogen nicht durch verwaschene und verschlierende Bilder zeigen, sondern ich wollte, dass sie ganz konkret sind: z.B. am Bahnhof laufen alle Leute rückwärts, oder das Hotelzimmer ist klein geworden oder in der Disco tanzen lauter Hunde. Ich wollte die Drogenräusche freudvoll konkret machen.

Die Darsteller Detlev Buck, Georg Friedrich, Michael Ostrowski und Raimund Wallisch waren auch schon in Nacktschnecken dabei und kennen einander schon sehr gut. Entsteht mit solch einer Besetzung noch viel in der Dynamik des Drehs?
Michael Glawogger: Es gibt natürlich fertige Dialoge, aber wenn diese Pärchen, die einander schon sehr gut kennen, miteinander spielen, da kann immer etwas passieren. Georg Friedrich ist als Schauspieler sehr im Saft, die Rolle scheint mir für ihn gemacht und ich hab ihn selten eine solche Performance geben sehen. Wobei ich sagen muss, dass es bei Nacktschnecken mehr Raum zur Improvisation gegeben hat als jetzt bei Contact High. Dieser Film musste viel präziser sein, auch aufgrund der technischen Auflagen, die dieser Film stellt. Wenn mal Züge durch den Himmel schweben, Mosaike zu leben beginnen, dann ist der Raum für den Schauspieler eingeengt ? nicht für sein Spiel, sondern sein tatsächlicher Bewegungsraum. Es ist jeder Film schwierig, viele Dinge waren aus finanztechnischen Gründen schwer umsetzbar. Mit unseren Budgets muss man da sehr präzis im Denken und in der Arbeit sein. Ich glaube, bei Contact High wurde jeder Zentimeter Film verwendet, der auch gedreht wurde, um einfach das Tempo dieses Filmes herzustellen. Das ist nicht ganz so einfach, denn Komödie ist eine Frage des Timings und Geschwindigkeit allein löst das Problem nicht. Die Geschwindigkeit, auch die der Sprache, muss richtig gesetzt sein. Nicht umsonst gilt die Komödie als die Königsdisziplin des Filmemachens.

Ist die Komödie trotz aller Vielfalt in Ihrem Filmschaffen jenes Genre, das einen besonderen Reiz ausübt.
Michael Glawogger: Ganz sicherlich, und zwar in jedem Stadium: ob jetzt das Schreiben von Szenen, das Umsetzen durch die Schauspieler oder das Timen im Schnitt: Das sind Herausforderungen, denen man sich immer wieder stellen kann und man bekommt den eindeutigsten Beweis, ob etwas geglückt ist oder nicht. Man kann in jedem Genre missverstanden und doch für gut befunden werden außer in der Komödie: die Leute lachen oder sie tun es nicht, das ist sehr einfach.

Mit dem nächsten Projekt steht wieder ein radikaler Wechsel in der filmischen Disziplin bevor. Erneut mit Reisen in globale Wirklichkeiten, wohin wird es gehen?
Michael Glawogger: Mein nächster Film ist Whores' Glory – wieder ein Film, der mich um die Welt führen wird, diesmal ist Prostitution das Thema. Ich habe neun Monate recherchiert und fast ein kleines Buch darüber vorgelegt. Jetzt ist der Film finanziert und morgen reise ich ab zum ersten Dreh nach Bangladesh. Wie es weiter gehen wird, weiß ich noch nicht: Mexiko oder Moçambique könnten die nächste Station sein. Ich werde ca. fünf Drehdestinationen anpeilen, es ist zur Zeit mal in Kapiteln zu den jeweiligen Orten angedacht, ob es so bleibt, werden wir sehen. Bei einem Dokumentarfilm ist es immer schwierig, zuvor darüber zu reden. Ich begebe mich jetzt mal auf die Reise, es wird nicht einfach sein, da es im Unterschied zu Workingman?s Death ein Film sein wird, wo man am Drehort eigentlich nicht willkommen ist. Ein Bordell ist ein Ort, wo weder Freier noch Prostituierte gerne gefilmt werden. Darum sind auch die meisten Filme darüber entweder versteckte Dokumentarfilme oder es hat immer den Anstrich der Verruchtheit oder der reinen Ausbeutung. Alles Ansätze, die mich überhaupt nicht interessieren. Mich interessieren der Alltag und die Bedeutung für jede Gesellschaft, die das Vorhandensein von Prostitution kennt, ob sie nun verboten ist oder nicht. Ich nehme zur Veranschaulichung meines Zugangs immer ein mexikanisches Beispiel her: dort gibt es ein Ritual, wo die Frauen in einer Gasse im Kreis gehen und die Männer schauen ihnen dabei zu. Die Frauen sind schön gemacht, aber der Mann darf nicht wählen, sondern die Frau bleibt bei einem Mann stehen. Ich halte das für einen wunderschönen Ausdruck für das Mann-/Frau-Verhalten in der katholischen Gesellschaft und ich suche nach solchen Ritualen, Orten und Gesten, die das ausdrücken. Prostitution ist vielleicht nichts anderes als die verkürzte Form dessen, was Männer und Frauen in einer gegebenen Gesellschaft sowieso miteinander tun, nur, da es sehr schnell gehen muss, werden diese Rituale sehr verkürzt.

Wie kam es zum Titel Whores' Glory?
Michael Glawogger: Weil ich von vornherein damit sagen will, dass es eine Art Verbeugung, eine Art "filmischer Knicks" ist. Die Dreharbeiten werden eine Weile dauern, eben schon aus dem Grund, dass es sich um Orte handelt, die filmisch nicht so einfach zu erschließen sind. Ich weigere mich, irgendwo versteckt zu drehen. Ich will sehr offen drehen. Wenn ich in Bangladesh in einem Prostituierten-Ghetto drehen will, wo 3.000 Frauen arbeiten, dann kommt man entweder versteckt rein oder man muss es sich in einem langwierigen Prozess erarbeiten.


Interview: Karin Schiefer
Oktober 2008