INTERVIEW

Hüseyin Tabak über DEINE SCHÖNHEIT IST NICHTS WERT...

 

«Die Menschen bringen ja nicht nur die Koffer aus ihren Ländern mit, sondern auch die eigene Kultur und ihre Konflikte.» Hüseyin Tabak über Deine Schönheit ist nichts wert...



Der türkische Dichter Aşık Veysel, eine Ihrer Inspirationsquellen, ist ein Künstler, der sich in eine Tradition der Dichtkunst der fahrenden Sänger einreiht. Welche Bedeutung hat er für Sie? Hat das Gedicht Deine Schönheit ist nichts wert eine besondere Bedeutung für Sie?
Hüseyin Tabak: Aşık Veysel ist in der Türkei bekannt, wie in der deutschen Literatur vielleicht Goethe. Er war Dichter durch und durch, er hat nichts anderes gemacht als geschrieben, mit ein Grund dafür war sicherlich der Umstand, dass er blind war. Das Besondere an seiner Kunst war, dass er seine Gedichte mit der Saz, einem türkischen Saiteninstrument, vorgetragen hat und damit von einem Dorf zum anderen gezogen ist. Ich selbst komme aus Ostanatolien und bin mit diesen Liedern aufgewachsen, weil besonders mein Vater sie sehr mochte. Sie gehören zu mir. Der Idee zu diesem Film lag die Frage zugrunde – Was bringen die Leute mit, wenn sie ihre Heimat verlassen? Da muss ja etwas passiert sein, was sie zu diesem Schritt gezwungen hat: entweder wurden sie weggescheucht oder sie haben schlechte Lebensbedingungen. Sie bringen ihre eigene Kultur mit, aber auch Probleme und Konflikte. Für mich war es reizvoll, dass ein kleiner Junge die alte Kultur, die heute viele junge Türken gar nicht mehr kennen, aus seiner Heimat mitbringt. Für mich ist Deine Schönheit ist nichts wert... vor allem ein Liebesfilm und Aşık Veysel schrieb die schönsten Liebesgedichte in der türkischen Sprache. In der Türkei weiß jeder, dass er ein Dichter und Musiker war und es war auch gar nicht einfach, die Rechte zu bekommen – allein, dass der Film diesen Titel tragen durfte, war nicht einfach, besonders für einen Studentenfilm, der fast kein Budget hat. Ich habe dem Musikverlag den fertigen Film geschickt und sie mochten es sehr, sodass sie uns finanziell entgegen gekommen sind.

Aşık Veysel steht für einen populären Künstler, der auch die einfachsten Menschen anspricht, der durch die Generationen berührt. Ist das auch ein Ansatz, den Sie mit Ihren Erzählungen fürs Kino verfolgen möchten?
Hüseyin Tabak: Ich hoffe sehr, dass das rüberkommt. Es war mir auf alle Fälle ein großes Anliegen, dass dieses Lied ausgehend von der Hauptfigur Veysel mit allen fünf Nebenfiguren miteinander und untereinander verbindet und irgendwann im Laufe des Films durch die Musik sich der Kreis schließt.

DEINE SCHÖNHEIT IST NICHTS WERT... beinhaltet einen Kurzfilm, der an der Filmakademie entstanden ist und der in der Folge zum Langfilm gewachsen ist. Können Sie etwas über die Entstehungsgeschichte des Films erzählen?
Hüseyin Tabak: Es war für uns alle Neuland. Es war als Kurzfilm gedacht und beim Schreiben merkte ich bereits, dass es zu lang wird. Ich habe dann Szenen gestrichen, um in einer Kurzfilmlänge zu bleiben. Nach dem Abschluss des ersten Drehblocks, waren wir aber auf ca. 65 Minuten. Eine sehr ungünstige Länge für einen Film und man merkte auch, dass genau jene Szenen, die ich weggelassen hatte, fehlten. Konflikte waren nicht auserzählt. Ich hab dann sofort entschieden, diese Szenen zu drehen, auch wenn es ein Kostenproblem bedeutete. Wir hatten mit der kürzeren Version Testscreenings gemacht, immer mit denselben Fragen zu denselben Konflikten und da wurde uns klar, dass etwas fehlte und so kam es dann zwei Monate später zum zweiten Drehblock.
Wir hatten das Glück, dass die Dor-Film das Projekt als Produktionsfirma übernahm und wir haben noch sechs Tage nachgedreht. Das führte aber zu rechtlichen Schwierigkeiten, weil wir als Studenten auf der Akademie keine Filme machen dürfen, die später im Kino kommerziell ausgewertet werden. Der Grund ist, dass wir das Team nicht nach Kollektivvertrag bezahlen können und somit eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber „normalen“ Filmen eintritt. Daher habe ich die Rechte des Archivmaterials vom Kurzfilm an die Dor-Film abgegeben und sie haben – juristisch korrekt gesprochen – mit diesem Material den Kinofilm zusammengestellt. Dafür steht mir ein Teil des Gesamtumsatzes zu, den ich an mein Team aufteilen möchte. Ich hoffe also, dass der Film eine gute nationale und internationale Auswertung in Kino und Fernsehen hat. Wenn dies nicht der Fall ist, bleibt uns allen trotzdem immer noch der Film. Unser Film kann hoffentlich als Beispiel dienen, dass die Abschlussfilme der Studenten ihren Weg ins Kino finden sollten. In Deutschland ist dies völlig normal.

Wie lange habt ihr gedreht?
Hüseyin Tabak: Wir hatten 22 Drehtage, 16 im ersten Block, sechs im zweiten und es gab keine Einstellung, wo Abdulkadir Tuncer, der Darsteller des Veysel, nicht dabei war. Unser Konzept sah vor, dass wir alles aus seiner Sicht erzählen und sehr nahe an ihm dran sein wollten. Dazu kam, dass wir auf 16 mm gedreht haben, weil das eine Vorgabe der Filmakademie war. Wir hatten nur eine beschränkte Anzahl an Filmrollen von der Schule und haben uns bei verschiedenen Produktionsfirmen einige alte Rollen zusammengesammelt. Es war ein Glück, dass wir in diesem Film 38 Einstellungen nur ein einziges Mal drehen mussten und sonst fast nie mehr als zwei Takes gemacht haben. Alle 38 „One Shot Wonder“ – so nennt man eine Einstellung mit nur einem Take – waren mit Abdulkadir, dem ich die Problematik mit den Filmrollen erzählte hatte. Wir haben sehr sorgfältig geprobt und ich denke, es war auch diese Spannung, die uns in allen Departments in diesen Zustand der Konzentration versetzt hat, dass so viele erste Takes funktionierten.

Ihr Film beginnt mit einer Sequenz, die in Veysels Phantasie spielt. Diese Phantasie-Passagen kommen mehrmals wieder. Waren Poesie und Phantasie Stränge in Ihrer Erzählung, die etwas wie ein Gegengewicht zum Alltag der Einwanderer, von denen Sie erzählen, bilden sollten.
Hüseyin Tabak: Kinder träumen sehr viel. Ich meine damit, dass sie sich als Tagträumer sehr viele Sachen vorstellen. Nach ein paar Wochen wissen sie dann nicht mehr, ob sie sich etwas vorgestellt haben oder ob es wirklich so war. Ihre Wünsche und Vorstellungen sind sehr stark. Deshalb beginnt der Film mit der Erfüllung seines innigsten Wunsches. Dann folgt die Wirklichkeit, er muss nachts allein auf offener Straße und bei Kälte seinen Bruder suchen. Mit diesem Kontrast wollte ich gleich zu Beginn die Situation des Jungen erzählen, sodass die Zuschauer von Anfang an bei ihm bleiben. Dies wäre mit einem rein realistischen Einstieg für einen Film, in dem die Poesie eine große Rolle spielt, schwieriger gewesen. Ich schreibe fast immer chronologisch und so hat für mich die Geschichte mit dieser Wunschvorstellung auch angefangen.

Die Situation der Einwanderer hier in Wien bestimmt zwar Handlung und Verlauf der Geschichte, bleibt aber in gewisser Weise im Hintergrund. Im Vordergrund stehen alltägliche Probleme, die in jeder Familie stattfinden könnten – Konflikte zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, Beziehungsprobleme, Schulprobleme. War es Ihnen wichtig, hier in einer Normalität zu bleiben?
Hüseyin Tabak: Ja, absolut. Ich mag Filme nicht, die nach Mitleid rufen. Ich wollte besonders darauf hinweisen, dass die Migranten alltägliche Probleme haben und auch viele aus der eigenen Heimat mitgebracht haben; über die wollte ich eine Geschichte erzählen. Ich wollte weder einen Flüchtlings- noch einen Immigrationsfilm machen. Für mich ist es ein österreichischer Liebesfilm, wie er durch die Verhältnisse in diesem Land zustande kommen kann. Ich wollte so viel Normalität wie möglich reinbringen, ohne mit dem Finger auf Missstände zeigen zu wollen. Ich habe auch sehr viel durch die Recherchen und aus Erzählungen beim Casting in den Hauptschulen erfahren. Wir haben viele Kinder kennen gelernt, die neu im Land waren und ich hab viel von ihren alltäglichen Problemen gehört. Davon konnten wir viel aufnehmen. Natürlich kommen auch ein Identitätsproblem und der Konflikt zwischen zwei Völkern, den sie nach Österreich mitgebracht haben, dazu.

Dieser Konflikt zwischen Türken und Kurden, ist auch insofern ein interessanter Punkt, als er zeigt, dass die Flüchtlinge die Konflikte, die sie zur Flucht gezwungen haben, auch mitnehmen und ihre Geschichte keineswegs hinter sich lassen.
Hüseyin Tabak: Die Menschen bringen ja nicht nur die Koffer aus ihren Ländern mit, sondern auch die eigene Kultur und Konflikte. Es gibt viele Scheidungen hier, viele Familien, die, nachdem sie die Heimat hinter sich gelassen haben, hier dann auseinander brechen. Die Kinder lehnen sich gegen ihre Eltern auf, weil sie vielleicht ihre Heimat nicht verlassen wollten, weil sie in der Schule nun Außenseiter sind und hier meist das Gefühl kriegen, unerwünscht zu sein. Doch wir Europäer stellen uns das einfach vor und wissen meistens nicht, was für eine Geschichte hinter der Familie steckt.

Haben Sie sich für die Geschichten der Einwanderer von wahren Begebenheiten inspirieren lassen?
Hüseyin Tabak: Natürlich gab es Fälle, die in den Medien sehr präsent waren. Als Filmemacher nimmt man all dies und noch viel mehr wie ein Schwamm auf. Ich habe die Idee fürs Buch über Monate in meinem Kopf herumgetragen, schließlich dann in nur drei Nächten im November 2010 niedergeschrieben und dann weiter während den Castings ausgearbeitet. Ich musste mir die Geschichte schnell von der Seele schreiben, woher einzelne Einflüsse vielleicht kommen, weiß man dann nicht. Sechs Monate später haben wir gedreht. Als wir die Abschiebung drehten, kam Abdulkadir zu mir und erzählte, er hätte mit seiner Familie Ähnliches erlebt. Er erzählte, dass die Fremdenpolizei drei Jahre lang immer kurz vor Weihnachten bei ihnen aufgetaucht war, die Wohnung auf den Kopf gestellt hat und sie mehrmals kurz vor der Abschiebung waren. Dazu kam es dann nicht, vor allem auch deshalb, weil er so ausgezeichnete Schulnoten hatte. Ich hatte die Geschichte bereits geschrieben ohne zu wissen, dass unserem Hauptdarsteller das Gleiche widerfahren war.
Zu Abdulkadir kann ich auch noch eine Anekdote vom Casting erzählen: Vedran Kos, der das Casting leitete, hatte einmal kurz das Handy ausgeschaltet. Als er es wieder einschaltete, waren 45 Anrufe in Abwesenheit drauf, alle von Abdulkadir. Er hatte sein eMail-Passwort vergessen, ohne das er keinen Zugriff auf den Text hatte, den er fürs Casting lernen musste. Er war ganz verzweifelt, weil er um seine große Chance fürchtete. Ich fragte mich immer wieder, was in einem Menschen vorgehen muss, der innerhalb einer Stunde 45 Mal anruft. Als ich ihn fragte, warum er unbedingt mitspielen wollte, sagte er, „Ich weiß es nicht, mein Inneres will einfach.“ Er hatte so ein Gefühl für diesen Jungen.

Der Nachbar ist auch Übersetzer, Vermittler, Freund und er erhält dadurch eine entscheidende Rolle im Film, weil er derjenige ist, der zwischen den Generationen, zwischen den Kulturen und Sprachen die Drehscheibe ist und genau jene Funktion erfüllt, an der es in den verschiedensten Konflikten fehlt.
Hüseyin Tabak: Orhan Yildrim, der Darsteller des Nachbarn, hat schon in meinem Dokumentarfilm Kick Off mitgewirkt. Ich habe sehr viel mit ihm über diese Geschichte gesprochen und ihn ausgefragt. Er wusste nicht, dass ich ihm die Rolle zuschrieb. Er ist wie ich zwischen zwei Kulturen aufgewachsen: draußen auf der Straße waren die Freunde und die europäische Kultur und drinnen, zu Hause, prägte uns die Kultur der Heimat. Seine Figur hat sich als Bindeglied in die neue Heimat gut angeboten. Seine Geschichte habe ich dann noch verfeinert, weil er in jener Zeit Beziehungsprobleme hatte und es mich so verwundert hat, dass ein so starker, großer Mann bei so einem Problem total eingehen und zerbrechlich werden kann. Das Gespräch am Balkon war ein Gespräch, das ich mal mit ihm hatte. Wort für Wort. Er ist kein Schauspieler, er muss das wirklich spüren, damit es wirklich rüberkommt. Wir sind einander im Denken sehr nahe und haben in vielerlei Hinsicht vieles gemeinsam.

Nicht-miteinander-sprechen-Können hat nicht immer etwas mit Sprache/Fremdsprache zu tun – der Vater spricht nicht mit seinen Söhnen, der ältere Sohn verweigert seinen Eltern das Gespräch, der Nachbar redet nicht mehr mit seiner Ex-Freundin, die Anwältin wird von den Polizisten nicht gehört. Ist die Sprachlosigkeit im wörtlichen wie im übertragenen Sinn ein Thema, das Ihnen besonders am Herzen lag?
Hüseyin Tabak: Ja, sie ging vor allem von der Figur des Vaters aus: Nazmi Kirik ist ein sehr bekannter kurdischer Schauspieler. Er konnte lange nichts machen, weil er nicht in die Türkei durfte und in Deutschland keine Angebote bekam. Als ich ihm den fertigen Film geschickt habe, meinte er – „Ich sage ja nie etwas“. Ich widersprach zunächst und sah mir dann den Film bewusst wieder an und in der Tat hat man das Gefühl, dass er kaum etwas sagt, erst zum Schluss, wenn er sich ein wenig öffnet.
Bei mir ist es so, dass ich beim Drehen ca. 20 Prozent des Dialogs weglasse, weil sich herausstellt, dass das Spiel das Wort überflüssig macht. Bei ihm ist so viel weggefallen, weil sich so viel durch seine Art zu schauen oder zu handeln, erklärt und im Schnitt fallen dann noch einmal Dialoge weg. Bei einer Familie, wo der Vater lange weg war, wird die in unserer Kultur sehr beliebte Methode, alles unter den Teppich zu kehren, besonders gerne praktiziert.

Sie haben bereits anklingen lassen, dass der Nachbar vieles auch von Ihnen trägt. Ich hätte eher vermutet, dass Ihr Protagonist, Veysel, Züge eines Alter Ego trägt? Liege ich da falsch?
Hüseyin Tabak: Der Nachbar hat das von mir, was ich heute bin, aber natürlich ist auch Veysel ein Alter Ego. Ich bin ein sehr großer Träumer. Ich habe mich als Kind aufs Bett gehen gefreut, weil ich mir im Bett neue Geschichten ausdenken konnte. Und in der nächsten Nacht machte ich dort weiter, wo ich davor die Nacht aufgehört hatte. Besonders was Liebe, Wunschdenken und große Träume angeht, da hat der Junge viel von mir. Auch im Umgang mit Konflikten – dass er sich lange nicht traut, etwas zu sagen, nur beobachtet und dann platzt es aus ihm heraus. Der Junge ist definitiv auf mich im Alter von zwölf zugeschrieben. Der Nachbar repräsentiert vielmehr mein Leben zwischen der europäischen und der türkischen Kultur, vom Charakter her jedoch ist es vielmehr Veysel, der mir nahekommt.

Wie haben Sie Ihren vielsprachigen Cast zusammengesetzt?
Hüseyin Tabak: Es gab zwei Rollen – den Nachbarn und den Vater – die ich von Beginn an auf zwei bestimmte Darsteller zugeschrieben habe. Für die Rolle der Mutter ging es ganz schnell, ich habe Lale Yavas gefragt, die schon in einigen türkischen Serien und Filmen mitgespielt hat, ohne sie extra für diesen Film zu casten. Meine Frau kannte sie aus Serien und hat sie mir für die Rolle empfohlen und ich habe sie dann aus reinem Bauchgefühl besetzt. Lehrerin, Schuldirektor und die Anwältin waren auch Profis, alle anderen waren Laien. Schwierig war die Besetzung des Jungen und des Mädchens. Für den Jungen wollte ich zunächst jemanden aus meinem Dorf in der Osttürkei holen, der noch nie in einer Großstadt, geschweige denn in Europa war. Wir haben uns drei Monate lang bemüht, ihn nach Österreich zu bringen, er durfte aber nicht ausreisen. So begannen wir, für Veysel in Wien zu casten. Wir sind ja Studenten und keine professionellen Caster, insofern war es erstaunlich, dass wir an dreißig Wiener Schulen casten durften. Die Tatsache, dass mein Dokumentarfilm Kick Off an vielen Schulen gezeigt worden war, hat mir dabei geholfen und Türen geöffnet. Aus 800 Kindern haben wir die Darsteller für Veysel und Ana ausgewählt. Wie ich schon vorher erzählt habe, haben wir Veysel dann in fünf bis sechs Wochen mit Abdulkadir besetzt. Beim Mädchen war es schwieriger. Wir hatten einige in der engeren Wahl. Es ging dann darum, wer die natürlichste Ausstrahlung und Schönheit hatte. Außerdem musste sie mit Blicken arbeiten können, den sie hat auch nicht viel Text. Wir haben uns dann alle in Milica verliebt, ich hoffe, im Kino wird es den Zuschauern genauso ergehen. Für die Rolle des Bruders gab es auch mehrere Anwärter. Da haben wir in Jugendzentren und Internetforen gesucht. Yüsa Durak hat uns von Anfang an überzeugt, weil er so viel Herzblut und Leidenschaft in diese Rolle hineingelegt hat. Nach dem Dreh der Regen-Szene, ist er zu mir gekommen und sagte, das sei das Beste gewesen, was er je in seinem Leben gemacht hätte. Es ist ein schönes Gefühl, jemandem auch geholfen zu haben. Er hatte auch große Probleme, war viel auf der Straße, ich habe das Gefühl, durchs Proben und die disziplinierte Arbeit hat er für sich entdeckt, dass er doch etwas kann. Jetzt macht er eine Ausbildung in einer Bank.

Wie hat sich die Schauspielarbeit bei Deine Schönheit ist nichts wert... gestaltet? Ich denke besonders an die Schulszenen?
Hüseyin Tabak: Die Schulszenen waren so ziemlich das Schwierigste, abgesehen von der Regenszene. Es war nervenaufreibend, mit vielen Kindern, die noch nie vor der Kamera waren, zu drehen. Ich habe vier Tage in der Hauptschule in der Grundsteingasse gedreht. Sie waren sehr diszipliniert, dennoch war es anstrengend, weil man immer gegen zwanzig Kinderstimmen anreden muss. Es hat aber auch viel Spaß gemacht und ich habe sehr viel gelernt. An diesem Film haben mehr als sechzig Studenten mitgearbeitet, für die meisten war es der erste Langfilm und eine wahre Ausbildung. Der Kameramann hatte 27 Beleuchter, weil wir niemanden bezahlen konnten, musste er jeden Tag aufs Neue jemandem sein Konzept erklären und ihn einschulen. Ich weiß nicht, ob ich je wieder die Kraft haben werde, so etwas zu schaffen. Es war für mich jedenfalls ein sehr wichtiger Dreh. Ich habe zwei Monate später den Kinderfilm Das Pferd auf dem Balkon gedreht und ich habe gespürt, wie viel Erfahrung ich mir erworben hatte und wie kräftesparend es war, nicht selber die Schauspieler abholen oder Semmeln machen zu müssen. Der Dreh zu DEINE SCHÖNHEIT IST NICHTS WERT... war für uns alle ein Lernprozess, den wir nie auf der Filmakademie in dieser Dichte hätten durchmachen können.

Sie haben wieder mit dem gleichen Kameramann zusammengearbeitet, mit dem Sie schon Kick-Off gedreht haben. Ist Lukas Gnaiger jemand, der es besonders gut versteht, Ihre Vorstellungen umzusetzen?
Hüseyin Tabak: Lukas bin ich beruflich wie privat sehr verbunden. Ich halte bei Regie und Kamera für sehr wichtig, dass man sich auf beiden Ebenen gut versteht. Es gibt immer Diskussionen und Konflikte, doch wenn man den anderen aber schätzt und liebt, dann kann man auch mal einstecken und mal austeilen. Es ist ein Geben und Nehmen, was für einen Dreh sehr wichtig ist. Ich bin kein autoritärer Regisseur, sondern höre gerne zu, was mein Team sagt und entscheide dann, ob ich es annehme oder auch nicht. Bei Lukas und mir funktioniert es so, dass ich ihm eine Auflösung und ein Konzept vorlege und wir es dann gemeinsam wochenlang überarbeiten. Am Set reden wir dann kaum mehr über die Auflösung. Ich schaue da auch nicht mehr durch die Kamera, weil ich ihm total vertraue. Am Set haben bei mir die Schauspieler Vorrang. Die Menschen, die vor die Kamera treten, um Emotionen auf die Leinwand zu bringen – das ist jetzt keine Floskel – das ist für mich das A und O. Alles andere muss ich vorher erarbeitet und vorgeplant haben. Das gilt für alle anderen Departments auch. Wenn es nicht der Fall ist, dann war ich nicht gut. Wenn die Konzentration den Schauspielern gilt, bewährt es sich, mit Lukas einen Kameramann zu haben, mit dem ich denselben Film sehe und auf den ich mich verlassen kann.

Sie haben das Drehbuch in erster Linie in Türkisch geschrieben, der zweite Film in diesem Jahr nach Kuma, der in Türkisch gedreht wurde. Wie wichtig ist es für Sie, in Türkisch zu erzählen?
Hüseyin Tabak: Die Sprache per se hat für mich gar keine Wichtigkeit. Es war die Geschichte, die es verlangt hat, dass sie in Türkisch erzählt wird. Ich habe danach den Kinderfilm Das Pferd auf dem Balkon gedreht, in dem es zum Glück in keiner Weise um Migration geht. Ich möchte genauso wenig wie Umut Dağ in die Schublade des Migrantenregisseurs gedrängt werden. Wir studieren im selben Jahrgang, haben uns sehr viel ausgetauscht und haben Kuma und Deine Schönheit ist nichts wert... zum Teil parallel gedreht. Ihm habe ich auch Abdulkadir für seinen Film vermittelt. Es ist ein wirklich positiver Konkurrenzkampf zwischen uns beiden, indem wir uns gegenseitig helfen, austauschen und viel diskutieren. Auch dieses Thema der Sprache. Ich bin jemand, der in zwei Kulturen aufgewachsen ist, ich mache Geschichten, die ich erzählen will. Die österreichische oder deutsche Kultur und Sprache sind mir ebenso vertraut, ich will mich beider bedienen und werde das auch in Zukunft so machen. Es kann auch eine Herausforderung sein, in einer anderen Sprache zu arbeiten, die man nicht kennt. Cheeese... ist ein Kurzfilm von mir, den ich in Kurdisch gedreht habe. Ich bin zwar selber Kurde, kann aber die Sprache nicht. Dieser Dreh war eine ungewöhnliche Erfahrung für mich. Ich hatte den Film in Türkisch geschrieben und ließ die Dialoge dann übersetzen. Beim Dreh wusste ich zwar, was sie sagen, habe aber kein Wort verstanden. Im Endeffekt bestimmt bei mir die Geschichte die Sprache.


Interview: Karin Schiefer
Juni 2012