«Schauspielen und Filmemachen ist für mich wie Radfahren und Autofahren. Wenn ich Rad fahre, gehen mir die Autofahrer am Nerv
und wenn ich Auto fahre die Radfahrer. Ich habe beide Seiten besser kennen gelernt. Ich denke, nur Schauspielerin zu sein,
fände ich irgendwann frustrierend.» Kathrin Resetarits, Hauptdarstellerin in Böse Zellen und Crash Test Dummies ist bei den
Filmfestspielen in Berlin Österreichs Shooting Star 2006
War es schon sehr früh ein Wunsch von dir, Schauspielerin zu werden?
KATHRIN RESETARITS: Als Kind wollte ich gerne Schauspielerin werden, da ich der irrigen Annahme war, dass mein Vater Schauspieler ist. Ich habe
mir gedacht, der Schauspieler macht den ganzen Film, denkt sich seine Rolle aus, bestimmt die Bilder, so wie man sich eben
was zusammenträumt. Das kennt wahrscheinlich jeder. Man geht im Winter von der Schule nach Hause und stellt sich vor, man
ist ein schwedisches Waisenkind oder ein Polarforscher. Dann bin ich aber bald draufgekommen, dass die meisten Schauspieler
ihre Rollen nicht selbst bestimmen oder schreiben, und dass mein Vater eigentlich Kabarettist ist und sich selbst ausdenkt,
was er sagt und was nicht. Dann hat mir das Schreiben immer besser gefallen, weil das meiner Vorstellung etwas näher kam.
Und schließlich der Film, weil da die Bilder dazukommen. Ich hab' dann einmal im WUK Theater gespielt, eine stumme Magd, und
eben klassisch - ich weiß nicht, was ich studieren soll - Theaterwissenschaften, Publizistik und Philosophie in der Fächerkombination
studiert und hab' dann die Aufnahmeprüfung auf der Filmakademie gemacht, dort hat es erst auf den zweiten Anlauf hin geklappt.
Ging es bereits an der Filmakademie in beide Richtungen - Filmemachen und Schauspiel?
KATHRIN RESETARITS: Ägypten war mein erster Film, den ich an der Filmakademie gemacht habe und ich habe dort auch Barbara Albert und Jörg Kalt kennen
gelernt - meine beiden wichtigsten "Arbeitgeber." Bei Bärbel begann ich mit Sonnenflecken. Ich hatte immer Lust gehabt zu
spielen und es macht mir auch Spaß. Das Spannende am Spielen ist, dass der Körper einerseits dein Werkzeug ist und gleichzeitig
bist du aber auch ein schwarzes Loch. Man weiß ja so wenig über sich und im Spiegel schaut man immer ganz anders aus. Dazu
kommt, dass gewisse innere Vorgänge gewisse Dinge nach außen zeitigen, die man auch nicht kontrollieren kann. Wie bringe ich
mich in eine Stimmung, wie komme ich über Grenzen, über Schwellen hinweg? Das sind Fragen, die mich interessieren. Es kann
passieren, dass man während des Spielens mit dem Fuß hängen bleibt und man trotzdem irgendwie weiterspielt, weil man nicht
abbrechen will und fühlt sich schrecklich dabei, und dann ist genau diese Szene interessant und die Leute sagen sich - hier
wirkt diese Frau so geheimnisvoll. Dann gibt es wieder Momente, da hat man das Gefühl, man ist super drinnen und das Ergebnis
ist alles andere als entsprechend. Ich selbst kann mich ja nur ganz selten anschauen, wenn ich spiele. Ich durchschaue mich
zu gut und sehe genau, ich spiele nur was vor. Das ist das Spannende und das interessiert mich sehr. Vieles andere ist nicht
so toll.
Wie lassen sich die Erfahrungen vor und hinter der Kamera vereinen?
KATHRIN RESETARITS: Ich möchte schon spielen, aber ich möchte vermeiden, nur Schauspielerin zu sein. Mittlerweile verstehe ich das viel besser
als früher, dass viele Schauspieler irgendwann durchknallen. Wenn man auf der anderen Seite der Kamera steht, neigt man dazu
zu sagen - "Mein Gott, so ein wehleidiges Kinderl." Man wird aber als Schauspieler in diesem System zum Kind gemacht, das
keine Verantwortung trägt, das man bedienen muss, das viel Liebe braucht. Das braucht man auch, solange Filme so gemacht werden,
dass der Schauspieler eine untergeordnete Rolle hat. Schauspielen und Filmemachen ist für mich wie Radfahren und Autofahren.
Wenn ich Rad fahre, gehen mir die Autofahrer am Nerv und wenn ich Auto fahre, die Radfahrer. Ich habe beide Seiten besser
kennen gelernt. Ich denke, nur Schauspielerin zu sein, fände ich irgendwann frustrierend.
Woran liegt das?
KATHRIN RESETARITS: Unter anderem, weil man sich exponiert. Ich spiele genauso gerne jemanden Hässlichen wie jemanden Feschen, fast sogar lieber,
weil ich mich da sicherer fühle. Wenn ich fesch sein muss, frage ich mich dauernd, ob eh alles passt. Irgendwann kommt unweigerlich
der Moment, wo man sich auf der Leinwand sieht und natürlich schaut man dann, ob der Oberarm zu dick oder die Augenbraue zu
weit hochgezogen ist oder die Frisur blöd ausschaut. Es sind alles Aspekte, die für mich das Schauspielen ein bisschen problematisch
machen und der größte ist wahrscheinlich der, der meinem Irrtum als Kind gleichkommt, dass ich meinte, ich könnte meine eigene
Welt erschaffen. Man schafft natürlich nicht seine eigene Welt, sondern ist sehr abhängig - von der Regie und allem rundherum.
Man kann sehr wenig mitreden, was mir sehr schwer fällt. Ich muss mir immer gleich den Mund verbieten, weil ich immer gleich
alles besser wüsste. Ich muss auch aufpassen, wenn ich vor der Kamera stehe, dass ich dann nicht beginne, anders zu denken.
Der Schauspieler stellt sich auf etwas ein und kurz bevor er spielen muss, richtet sich die Aufmerksamkeit total auf etwas
anderes, das gesamte Team wird in höchste Aufmerksamkeit gepusht und in diesem Moment verliere ich als Schauspielerin meine
Stimmung. Ich fange dann an zu schauen, ob eh jeder auf seiner Marke steht, ob das Licht noch stimmt, schaue zum Aufnahmeleiter,
ob der die Kamera im Auge hat. Dann fällt vor mir die Klappe und dann bin ich total draußen.
Macht es die Sache schwerer, beide Seiten zu kennen?
KATHRIN RESETARITS: Es macht es einerseits schwer, andererseits glaube ich, dass es für mich der richtige Zugang ist. Ich glaube, ich kann mich
auf einer Videoausspielung anschauen und kann daraus lernen. Ich bin nicht so selbstvergessen, sondern relativ reflektiert
und kann erst wieder durch diese Reflexion in die Selbstvergessenheit reinkommen, wenn es gut läuft. Für andere ist es sicherlich
anders, ich muss da eher einen schwierigen Weg gehen. Es gibt zwei schöne Momente im Film: entweder man ist ein Laie, hat
keine Maske vorm Gesicht und die Realität dieses Gesichtes oder die Komplexität des Abbildes allein ist großartig - das gehört
zu den tollsten Momenten im Film. Das kann ich nicht mehr erreichen. Und das andere Ziel wäre - und das kann ich wahrscheinlich
auch nicht erreichen - aber das könnte vielleicht als eine Utopie vor mir schweben, das wäre, dass man über Reflexion wieder
zu einer Selbstvergessenheit kommt. Das liegt aber in weiter Ferne.
Du hast schon bei einigen Filmprojekten mit Barbara Albert und Jörg Kalt zusammengearbeitet. Was verbindet euch?
KATHRIN RESETARITS: Mich interessiert zunächst einmal daran, dass sie etwas machen, was ich mir zutraue. Ich habe ein paarmal Fernsehen gemacht,
meist ein, zwei Drehtage - das war total schrecklich für mich. Ich dachte, ich werde das nie wieder machen, jetzt sehe ich
es schon wieder anders. Das Furchtbare für mich ist, dass es ganz anders funktioniert. Dort will man etwas von mir, von dem
ich zwar ein Bild habe, weil ich es andauernd im Fernsehen sehe. Für mich ist es allerdings eine Sekundärrealität und ich
müsste wirklich spielen, das traue ich mir aber nicht zu. Was ich mir zutraue, ist, von meiner Primärerfahrung im Leben, von
mir oder von Leuten, die ich kenne, auszugehen. Aber dort habe ich immer das Gefühl, ich ufere aus, oder ich bin peinlich.
Ich bin nicht der liebe Schmetterling, der ruft: "Liebling, das Essen ist fertig!" Ich werde in solchen Situationen immer
leiser und unbeholfener. Bei Bärbel und Jörg hingegen ist es so, dass wir eine gemeinsame Ebene haben, was unser Verständnis
von Film, unsere Ziele betrifft, das gibt mir Sicherheit. Und wir haben eine gemeinsame Sprache.
Die Schauspielerei bist du ohne Ausbildung angegangen, aus dem Bauch heraus, aber auch weil dieses Gespür wahrscheinlich in
der Familie liegt?
KATHRIN RESETARITS: Ich sehe das eigentlich nicht so. Es ist natürlich klar, wenn dein Vater ein Witzemacher ist und du ohne jeden Humor auf die
Welt kommst, wirst du trotzdem mit der Zeit lernen, wie das geht. Man hat einfach eine Schule hinter sich. Das ist etwas,
wo ich sehr viel gelernt habe, obwohl ich in meiner Familie immer das Gefühl hatte, ich bin total langweilig, so als wäre
ich aus einer Versicherungsangestellten-Familie zufällig da drinnen gelandet. Alle anderen haben einen Mörder-Schmäh, in dieser
Familie lernt man das einfach, und man bekommt einen anderen Fokus, schaut Leute anders an. Ich würde nicht sagen, dass ich
so speziell aus dem Bauch heraus arbeite. Ich glaube, dass es viele Leute gibt, die das besser können. Ich bin ein Kopfmensch,
aber ich bemühe mich darum, intuitiver heranzugehen und das ist auch das Abenteuer dabei, daran zu arbeiten. Ich habe z.B.
sehr viele Schwellen, mir ist sehr schnell etwas peinlich. Das ist vielleicht etwas, wo mir die Schauspielausbildung abgeht.
Dort lernt man zu brüllen, sich auf dem Boden zu wälzen, sich auszuziehen ich hab da meine Probleme.
Beim Cinessonne-Festival in Frankreich hast du für die Rolle der Martha in Crash Test Dummies einen Preis bekommen. Was für
eine Rolle war das?
KATHRIN RESETARITS: Ich war sehr froh, dass ich für diese Rolle den Preis bekommen habe. Es hat mir großen Spaß gemacht, die Martha zu spielen
und es war das erste Mal eine Rolle, wo ich wirklich etwas habe spielen müssen. Das darf man jetzt nicht missverstehen. Natürlich
bin ich von mir ausgegangen, ganz stark sogar, aber es war eine Seite von mir, die ich bedienen konnte, die ich irgendwie
hasse und irgendwie auch liebe.
Welche Seite war das?
KATHRIN RESETARITS: Das "Patscherte", Komische, dieses Nicht-Entsprechen. Diese Seite hat ja jeder, ich jedenfalls. Mir hat es gefallen, mich
da reinzulassen und so jemanden zu spielen. Ich bekomme dann immer gleich so ein Bedürfnis, für diese Seite in allen Leuten
kämpfen zu wollen. Es war anfangs für mich relativ schwierig, hineinzufinden. Als ich das Buch gelesen habe, hatte ich das
Gefühl, das verstehe ich nicht. Irgendwann hab' ich dann bei einem Casting die Macht entdeckt, die Martha hat - dadurch, dass
sie so daneben ist, gab sie den Rhythmus der Szenen vor. Ich hab mir gesagt, eigentlich kann ich jetzt alles machen - abschweifen,
jemandem auf die Nase schauen - ich war wirklich sehr froh, dass ich dafür den Preis bekommen habe. Martha war toll, weil
es mehr war als "Normal-Sein." Normal-Sein ist auch manchmal schwer, Normal-Sein als jemand, der nicht so ganz normal ist.
Bei Bärbel spiele ich sehr oft die Mittellinie, den Durchschnitt, was auf andere Art eine Herausforderung darstellt. Aber
es ist schön beides probieren zu können.
Welche Art von Rollen würden dich in Zukunft reizen?
KATHRIN RESETARITS: Alles, wo man auch die Zeit hat, den Zugang zu finden und genau zu arbeiten. Die Rollen, die ich bei Barbara Albert bisher
gespielt habe, haben nicht allzu klare Konturen. Ich würde mir einmal eine Rolle wünschen, wo ich auch einen emotionalen Weg
zu gehen habe, wo es eine Entwicklung und einen Freiraum gibt.
Es gibt schon eine lange Zusammenarbeit mit Michael Haneke, wie ist es dazu gekommen?
KATHRIN RESETARITS: Ich habe für Funny Games und Wolfzeit Kinder gecastet und hab dann bei Klavierspielerin den Job der Videoassistentin übernommen. Während dieser Zusammenarbeit
hat sich das eher zu einer künstlerischen Assistenz hin entwickelt. Das habe ich dann auch bei Wolfzeit und Caché gemacht. Das ist eine sehr angenehme Zusammenarbeit, ich kenne seine Arbeit inzwischen sehr gut und wenn ich als Regieassistentin
arbeite, dann versuche ich, mit seinem Kopf zu denken. Natürlich lernt man viel, auch wenn ich jetzt nichts Konkretes nennen
könnte.
Darüber hinaus schreibst du auch?
KATHRIN RESETARITS: Ja, seit vier Programmen schreibe ich an den Programmen meines Vaters mit. Am Anfang haben wir nur improvisiert, oder er
hat improvisiert, ich hab' das dann zusammengeschrieben und gereiht, jetzt schreibe ich immer mehr, er spielt und fügt dann
sehr viel hinzu. Was mich am Kabarett fasziniert und was auch unser Thema ist, das wir hoffentlich immer besser herausarbeiten,
ist die wohlbekannte Erkenntnis, dass Politik sich viel mehr in der Wirtschaft und Gesellschaft abspielt und Politik immer
weniger Politik macht, weil die Wirtschaft viel mächtiger ist. Das ist eine Tatsache, die seinen wie meinen Alltag total prägt
und es beschäftigt mich auch die Frage, wie wir heute leben. Ob es tatsächlich menschengerecht ist, was ich ja bezweifle.
Ob wir wirklich so leben wollen und deswegen so leben oder ob andere systemimmanente Sachen unsere Lebensweise bestimmen.
Dem auf den Grund zu gehen, finde ich wirklich sehr interessant. Und natürlich ist die Auseinandersetzung mit Schmäh einfach
großartig. Etwas so zu durchleuchten, dass es auch lustig ist. Ich glaube, dass Schmäh eine Lebenseinstellung ist, die mir
total wichtig ist, weil es eine Distanzierung schafft und man Dinge wieder anschauen kann, man muss es nicht so dramatisch
nehmen.
Ein Film ist ebenfalls im Entstehen, der bei der Diagonale zu sehen sein wird.
KATHRIN RESETARITS: Ich bin ICH ist eine Art Essayfilm, ähnlich wie Ägypten. Es ist eine Arbeit mit einer sehr ungewöhnlichen Struktur. Es geht um ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt - um "Ich
und der Andere" oder die Frage, wie komme ich zum anderen? Gibt es da eine Möglichkeit zusammenzukommen oder gibt es sie nicht?
Das betrachte ich anhand von zwei Zwillingspärchen, die acht und elf Jahre alt sind.
Was heißt es zur Zeit konkret, Shooting Star zu sein?
KATHRIN RESETARITS: Richtige Erwartungen habe ich nicht, ich lasse mich einmal darauf ein. Ich schau mir das an, es wird einiges auf mich zukommen
und ich werde versuchen, das dann einzeln für mich zu bewerten. Es ist komisch, plötzlich von außen als Schauspielerin gesehen
zu werden, es kommen Dinge auf mich zu, die ich nicht gewohnt bin. Es gibt gewisse Dinge, die ich als Regisseurin nicht machen
würde, als Schauspielerin aber machen muss. Da habe ich noch nicht meinen Standpunkt gefunden.
Schafft das Schauspiel auch so etwas wie eine ideale Ergänzung zur Kopfarbeit des Schreibens und Filmemachens zu sein?
KATHRIN RESETARITS: Wenn alles vereinbar ist. Ich will aber das Spielen nicht als reine körperliche Tätigkeit verstanden wissen, ich denke natürlich
dauernd, ich denke auch ständig über meine Rolle nach. Der Unterschied ist, dass ich bei den anderen Tätigkeiten viel mehr
Herr meiner selbst bin. Da kann ich wirklich selber entscheiden. Beim Schauspiel gibt man sich immer ein bisschen her und
in die Hände von jemand anderen. Deshalb ist das Vertrauen so wichtig, das ein Schauspieler aufbauen muss. Das habe ich früher
als Regisseurin viel zu sehr unterschätzt, als Schauspieler muss man das, weil man abhängig ist. Abhängig ist man immer, aber
beim Schauspiel in einem höheren Ausmaß.
Interview: Karin Schiefer
Jänner 2006