INTERVIEW

Elisabeth Scharang und Alex Jürgen über TINTENFISCHALARM

 

«Tintenfischalarm ist ein Begriff, der beschreibt, wie ich in der Pubertät die ersten Erfahrungen mit dem männlichen Geschlecht gemacht habe. Sobald die forschenden Hände der Burschen gekommen sind, hatte ich immer das Gefühl, als wären es mehr als zwei. Und wenn sie sich dem Bereich unter die Gürtellinie genähert haben hieß es für mich "Tintenfischalarm!" Ich musste sofort schauen, dass die Hände nicht weiter kommen und Gegenstrategien einleiten.» Elisabeth Scharang und Alex Jürgen im Gespräch über ihren Dokumentarfilm tintenfischalarm.

 

Wie habt ihr erstmals voneinander gehört?

ALEX JÜRGEN:  Ich hab' an einem Sonntagnachmittag im Herbst 2002 - ich war an dem Tag sehr gut drau - beim FM4 Doppelzimmer angerufen. Ein 17-jähriges Mädchen hatte kurz davor erzählt, dass sie sich die Nase operieren lassen möchte und ich dachte mir, ich muss da jetzt anrufen und von Schönheitsoperationen erzählen, die man sich nicht selber aussuchen kann. Es war ein sehr langes Gespräch. Elisabeth hat das gehört und mich kurz darauf ins FM4-Jugendzimmer eingeladen. So haben wir uns kennen gelernt.

 

Es war also eine der Sendungen, die eine nachhaltige Wirkung hatten?

ELISABETH SCHARANG:  Ich hatte mir bis dahin, wie wahrscheinlich sehr viele andere Menschen auch, zum Thema Intersexualität wenig Gedanken gemacht. Ich wusste, dass es Hermaphroditen gibt, war aber im festen Glauben, so etwas kommt alle heiligen Zeiten einmal vor. Ich wusste nicht, dass allein in Deutschland jährlich 350 Menschen intersexuell geboren werden und ich wusste vor allem nichts von den Folgen für die Betroffenen. Alex hat mir von den Operationen erzählt hat, die er als Kind über sich musste ergehen lassen, nur um formal als Mädchen aufgezogen werden zu können es werden also Kinder über Operationen normiert, damit die Gesellschaft in ihren eingefahrenen Mustern bleiben kann. Ein "Dazwischen" darf es offenbar einfach nicht geben.
 

ALEX JÜRGEN:  Ich hatte es schon so satt, mich ständig zu verleugnen, eine Rolle spielen zu müssen, nur um nicht als das enttarnt zu werden, was ich wirklich bin. Ich hatte wirklich die Nase voll.


Entstand die Filmidee bald nach der Sendung?

ELISABETH SCHARANG: Ja, wir waren uns schnell darüber klar, dass wir gemeinsam ein Projekt starten wollen. An der Form des Films haben wir dann noch gearbeitet: die Videotagebücher, die Reisen und Begegnungen, meine Rolle in diesem Film - all das hat sich in den zwei Monaten nach unserer ersten Begegnung nach und nach zusammen gefügt. Alex ist alle zwei Wochen von Oberösterreich, wo er damals noch gewohnt hat, nach Wien gefahren und hat ein, zwei Tage bei mir gewohnt. Von Anfang an war die Kamera als Dritte im Bunde mit dabei. Ich habe unsere Begegnungen fast vom ersten Moment an aufgezeichnet. Daraus ergab sich eine besondere Intimität, weil es kein kalkuliertes Drehen war, aber wir dennoch bei unseren Gesprächen wie unter einer Käseglocke saßen: konzentriert und nur auf uns gerichtet.


War es eine schwierige Entscheidung, sich für eine noch größere Öffentlichkeit zu öffnen?

ALEX JÜRGEN: Wenn ich etwas mache, dann sind es Nägel mit Köpfen. Ich wollte, dass die Öffentlichkeit erfährt, was mit Intersexuellen passiert, und ich wollte Kontakte zu anderen Betroffenen. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft sieht, was sie mit ihrer zwanghaften Einteilung in zwei Geschlechter anrichtet. Das Filmprojekt war für mich der beste Weg, eine öffentliche Diskussion zu starten und vor allem anderen Betroffenen Mut zu machen, ihr Tarnnetz fallen zu lassen und sich nicht mehr zu verstecken.


Wie seid ihr dann ans Projekt herangegangen?

ELISABETH SCHARANG: Wir hatten uns einen Rahmen von einem Jahr gesetzt, den wir nach und nach erweitert haben, weil es ja kein Film ist, in dem jemand rückwirkend über sein Leben erzählt, sondern die Zuschauer mit mir und Alex gemeinsam Schritt für Schritt an Alex' Veränderungen teilhaben. Alex hat nach ein paar Monaten die Kamera zum ersten Mal nach Oberösterreich mitgenommen. Das war für mich eine der spannendste Phasen, weil ich ja nie wusste, was mich auf dem Material erwartet, das ich zurückbekommen! Nach den ersten Wackelversuchen hat Alex sich zum Profi entwickelt. Er saß manchmal 25 Minuten im Stück allein vor die Kamera und hat erzählt. Ich war gebannt! Es hat eine andere Atmosphäre, wenn jemand allein mit sich und der Kamera im Raum ist. Aus dem heraus entstanden einige der intimsten Szenen. Es gab natürlich auch unterschiedliche Phasen zwischen Alex und mir. Manchmal haben wir uns wochenlang nicht gesehen, dann war der Kontakt wieder sehr eng. Im ersten Jahr der Dreharbeiten hat sich Alex beruflich eine Auszeit genommen. Er war in dieser Zeit als Schauspieler über die Wega-Film angestellt, was bedeutet, viel Zeit für dieses Filmprojekt zu haben, und vor allem viel Zeit mit sich selbst, was sicher nicht immer einfach war.

ALEX JÜRGEN:  Einfach nicht, aber effizient. Das Filmprojekt hat mich in eine Auseinandersetzung mit mir selbst geführt, die ich mir früher nie angetan hätte. Durch den Film war ich ständig mit der Problematik konfrontiert, musste darüber nachdenken, mich fragen, ob ich mich überhaupt wohl fühle, so wie es läuft. Und damals habe ich mich definitiv nicht wohl gefühlt. Natürlich hat es während der Dreharbeiten Höhen und Tiefen gegeben. Es gab schließlich für mich sehr einschneidenden Begegnungen wie z.B. mit dem Psychotherapeuten Knut Werner-Rosen in Berlin. Unser Gespräch hat in einer dreistündigen Therapiesitzung geendet, an der ich lange zu beißen hatte.

ELISABETH SCHARANG: Wir waren zunächst nach Berlin gefahren, weil er einer der wenigen ist, die Therapie für Intersexuelle und deren Eltern anbieten und als Künstler und Therapeut hat er viel über Geschlechterrollen gearbeitet. Es war in Berlin auch das erste Mal, dass Alex und ich aus unserer Zweierkonstellation raus sind, das erste Mal, dass Alex mit jemand anderem vor der Kamera war und es war nicht ganz klar, in welcher Form das ablaufen würde. Es hat sich daraus ein dreistündiges intensives Gespräch entwickelt, das sehr tief gegangen ist.

ALEX JÜRGEN:Da brauchte ich dann lange, um das zu verarbeiten.


Hattet ihr euch bestimmte Ziele gesetzt?

ELISABETH SCHARANG: Wir hatten kein klar definiertes Ziel. Wir hatten uns nicht vorgenommen: hier fangen wir an und dort arbeiten wir hin. Der Film ist ein Teil von Alex - und meinem Leben. Ich kann mich noch so gut erinnern, als Alex mir erzählt hat, dass er jetzt Testosteron nehmen werde und ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich immer wieder gefragt habe, ob er sich wirklich sicher ist. Oft war es so, dass die Kamera alleine dagestanden ist und wir beide saßen davor. Die Kamera war bald egal, sie war wie ein Freund, niemals ein Feind.

ALEX JÜRGEN: Für mich war sie weder noch. Ich bin nach Wien zu Elisabeth gefahren, um über diese Geschichte zu reden und zufällig war eine Kamera dabei.


War es schwierig, einen Schlusspunkt zu setzen?

ELISABETH SCHARANG: Nein, letztlich gab es ein natürliches Ende und das fand ich gut. Es war im Oktober 2004. Alex ist in Wien in seine neue Wohnung eingezogen, dann war die Operation und danach hat er gesagt: jetzt bin ich wieder privat.

ALEX JÜRGEN:  Es hat sich einfach so entwickelt, mit dem Geschlechtswechsel war ein natürliches Ende gegeben, das eingangs weder geplant noch konstruiert war.

ELISABETH SCHARANG: Wir haben uns ein Jahr später noch einmal mit der Kamera hingesetzt. Ich hab' es gut gefunden, den Dingen Zeit zu lassen. Dass man nach einiger Zeit noch einmal hinschaut und sagt: Das bin ich heute! ist, glaube ich, für die Zuschauer bei diesem Film wichtig.


Gegen die Konventionen im Dokumentarfilm ist in Tintenfischalarm auch die Regisseurin vor der Kamera sehr präsent. Warum diese Entscheidung?

ALEX JÜRGEN:  Ich weiß nur noch, dass Elisabeth irgendwann die Kamera aufgestellt und sich zu mir aufs Sofa gesetzt hat. Ich hab sie nie gefragt, warum.

ELISABETH SCHARANG:  Ich glaube, ich wäre mir sonst blöd vorgekommen. Es war mir von vornherein klar, dass ich hier nicht die Fragestellerin bin. Das waren von Beginn an Gespräche und keine Interviews. Somit war die Auflösung herkömmlicher Positionen: die Regie sitzt hinter der Kamera, der Protagonist- beobachtet- davor, eine natürliche Entwicklung.

ALEX JÜRGEN: Das Ergebnis wäre sicher nicht das, was es heute ist, wenn ich ständig in eine Linse geschaut hätte oder mit jemandem spreche, der immer durch einen Kamerasucher schaut. Es wäre sicher nicht so viel aus mir herausgekommen.


ELISABETH SCHARANG: Das war der eine Aspekt. Der andere ist, dass ich wusste, dass bei diesem Filmprojekt irgendwann das Thema "Voyeurismus" auftauchen wird, weil Alex vor der Kamera sehr persönlich ist und sehr viel von sich hergibt. Letzten Endes wird heute niemand sagen: Das ist ein voyeuristischer Film – was einerseits mit Alex' Schmäh zu tun hat, er vermittelt nie das Gefühl, dass hier eine Grenze überschritten wird. Es hat aber auch damit zu tun, dass ich mich nicht hinter der Kamera verstecke, sondern dass sich beide Beteiligten diesem Thema aussetzen. Dass ich der eigenen Unsicherheit und den Fragen, die ich dem Thema gegenüber habe, ein Gesicht gebe.


Darüber hinaus gab es auch das Video-Tagebuch, als Option, dass Alex ganz alleine mit der Kamera agiert?

ALEX JÜRGEN: Das hat sich so entwickelt. Ich habe mir die Filme angesehen, die Elisabeth vorher schon gemacht hat. Bei einem hat die Darstellerin ein Videotagebuch geführt, das hat mir gefallen. Und die Video-Tagebucheinträge, die man im Film sieht, – ich weiß nicht, ob ich das gesagt oder gemacht hätte, wenn da noch jemand anderer im Raum gewesen wäre.

 

Woher kommt der Titel tintenfischalarm?

ALEX JÜRGEN:  Ich hab früher mal versucht, ein Buch zu schreiben, ich habe es Elisabeth zu lesen gegeben und dieses Wort ist dort aufgetaucht. Sie hat diesen Begriff genial gefunden. Er beschreibt, wie ich in der Pubertät die ersten Erfahrungen mit dem männlichen Geschlecht gemacht habe. Sobald die forschenden Hände der Burschen gekommen sind, hatte ich immer das Gefühl, als wären es mehr als zwei. Und wenn sie sich dem Bereich unter die Gürtellinie genähert haben - dort durften sie ja nicht hin, weil ich zu diesem Zeitpunkt noch keine Vagina hatte und diese Geheimnis wie meinen Augapfel gehütet habe -, hieß es für mich "Tintenfischalarm!" Ich musste sofort schauen, dass die Hände nicht weiter kommen und Gegenstrategien einleiten.
 

Es gibt viele Aufnahmen in Innenräumen, daneben Reisen und Ausflüge. War es euch für die Arbeit wichtig, den Kontext des Alltags zu verlassen?

ELISABETH SCHARANG:  Der Alltag war weniger das Thema. Wir hatten immer konkrete Gründe, an einen bestimmten Ort zu fahren. Nach Ameland sind wir vor dem ersten Treffen mit der Selbsthilfegruppe in Wuppertal gefahren. Es war klar, dass es eine total wichtige Begegnung für Alex sein würde. Ich habe vorgeschlagen, vorher irgendwohin zu fahren, wo es schön ist, um den Kopf frei zu machen und da sagte Alex, er würde gerne ans Meer. Da wir nach Norddeutschland mussten und unsere Affinität nach Holland größer war als nach Deutschland, sind wir einfach dorthin gefahren. Es war unsere erste Reise und es war zauberhaft! Ein unglaublicher Ort. Berlin war dann Großstadt und kalt - die Stadt und die Kälte haben genau zu der aufrüttelnden Begegnung mit Knut Werner-Rosen gepasst. Es war vor allem für Alex anstrengend. Und sonst sind wir oft ans Wasser gefahren, an den Neusiedler See oder an die Donau, sind am Wasser gesessen und haben bis an den Horizont geschaut. San Francisco war unser gegenseitiges Abschlussgeschenk.

ALEX JÜRGEN: Das war das Highlight. Ich hatte mir damals den Film Gendernauts angeschaut und Leute gesehen, die ihr eigenes Ding durchziehen, abseits von Mann und Frau leben grenzüberschreitend. Für mich war sehr schnell klar, dass ich diese Leute kennen lernen wollte.

ELISABETH SCHARANG:  Außerdem fand in diesem Jahr die erste Transgender-Intersex-Transsexuellenparade statt. Das war ein besonderes Erlebnis, weil Alex das erste Mal mit seiner Community marschiert ist.


Das meiste habt ihr zu zweit ohne weitere Teammitglieder gedreht?
 

ELISABETH SCHARANG:  Bei uns gab es nie klassische Dreharbeiten. Die Kamera war immer da, manchmal haben wir sie eingeschaltet, manchmal nicht. Es gibt entsprechend viel Material - ich würde sagen um die hundert Stunden. Wir haben meistens zu zweit gedreht, bei den Reisen waren noch andere Leute dabei, meistens Menschen, mit denen wir befreundet sind, da man solche Reisen nur als "Familienreisen" machen kann. Bei den Reisen war auch eine 16-mm-Kamera dabei. Ich wollte weite Landschaftsaufnahmen haben, die im Gegensatz zu den intimen, engen Gesprächssituationen stehen, die wir auf Video gedreht haben. Für den Schnitt ist Christine Öllinger verantwortlich, die ich seit 15 Jahren kenne und mit der ich schon viele schöne Projekte gemacht habe. Und das Tondepartment war gemäß dem restlichen Aufwand ziemlich ausgebaut. Wir haben auf den Reisen 5.1 Töne gesammelt, weil der Sound zu den 16-mm-Totalen eine satte und breite Fläche für die Gedanken der Zuschauer bieten soll - ein Durchatmen zwischendurch. Dafür war der französische Tonmeister und mein Freund William Franck verantwortlich. Der zweite Tonmann auf Reisen und außerdem verantwortlich für die Plakat- und Pressefotos ist Norbert Becwar, mein bester Freund, du siehst, es waren viele Leute in dieses Projekt involviert, die ich gut kenne.

 

ALEX JÜRGEN: Für mich war das sehr positiv. Wenn ständig fremde Leute rund um uns gewesen wären, wäre es mir schwer gefallen, dass ich ich bleibe. So hatte ich die Leute aus dem Umfeld langsam kennen gelernt das war eine Crew, mit der es gut gelaufen ist und aus der heraus Freundschaften entstanden sind.


In welchem Zeitraum sind diese hundert Stunden Material entstanden? Wie ist dann der Schnitt erfolgt?

ELISABETH SCHARANG:  Wir haben über dreieinhalb Jahre gefilmt. Ich habe das Material immer wieder gesichtet, um einen Überblick zu behalten. Letztlich war es so, dass ich mich auf den Schnitt genauso eingelassen habe wie auf das Projekt. Einfach mal anfangen - hätte ich zuerst darüber nachgedacht, wie ich es organisiere, hätte ich verzweifelt aufgegeben. Gemeinsam mit der Cutterin Christine Öllinger haben wir eine 13-Stunden-Version gemacht. Alex war zum Wochenende manchmal im Schneideraum, was mir wichtig war, damit das Ergebnis für ihn nicht zur Überraschung wurde. Dann haben wir uns langsam herunter gearbeitet. Interessanterweise ging es ab einem gewissen Zeitpunkt relativ einfach. Ab der dreieinhalb Stunden Version haben wir jede Woche ein Screening auf der Leinwand in kleinem, aber wechselnden Kreis organisiert. Die große Frage war für mich immer - Was wird Alex dazu sagen, wenn das Ding fertig ist? Schließlich ist es sein Gesicht, das zwei Stunden lang von der Leinwand herunter schaut.
 

Und was hat Alex gesagt?

ALEX JÜRGEN: Ich bin total happy, dass der Film jetzt so ist, wie er ist. Ich muss schon dazu sagen, ich bin so persönlich in dem Film, dass ich lieber am Samstag nackt über die Mariahilfer Straße gehen würde, als mich ins Kino zu setzen und mir neben Leuten, die ich nicht kenne, diesen Film anzuschauen. Es gibt sehr viele intime Dinge, die ich einfach zeigen musste. Aber nicht nur weil ich will, dass die Leute wissen, was mit mir passiert ist, sondern damit Eltern, die ein intersexuelles Kind bekommen oder jemanden kennen, der ein intersexuelles Kind hat, wissen, was mit Kindern passiert, wenn sie operiert werden, und was auf sie zukommt. Ärzte versprechen: Da machen wir eine Operation und alles ist vorbei und verläuft "normal". So ist es aber leider nicht. Auch wenn es mir innerlich alles zusammenzieht, wenn ich mir die Ausschnitte im Film anschaue, wo ich über die Operationen erzähle, es muss sein. Die Leute müssen das wissen.


Die Uraufführung in Berlin hat auch zum Film selbst einen Bezug?

ELISABETH SCHARANG:  Berlin hat in vielerlei Hinsicht einen Bezug. Die Berlinale ist das einzige Festival, auf das ich seit Jahren regelmäßig fahre, um mir Filme anzuschauen. Das war für meine Arbeit so wichtig und hat mir oft Mut gemacht, andere Wege einzuschlagen – formal und inhaltlich. Gerade bei den Dokumentarfilmen gab es im Jahr 2002, zwei, drei Filme, die auch mit Video gedreht waren, sehr persönliche Filme wie "Mein Leben Teil 2" waren. Damals habe ich wieder Lust bekommen, etwas fürs Kino zu machen, und zwar ohne den großen technischen Aufwand, der bei meiner Art des Dokumentarfilms kontraproduktiv sein kann. Als ich Alex kennen gelernt habe, war mir dann auch klar: das ist das geeignete Projekt. Nicht dass man jetzt einen Film, für ein bestimmtes Festival macht, darum geht es nicht. Es ist nur der Rahmen, wo wir den Film international zeigen wollten. Das war unser absoluter Wunsch.


Der Schritt in die Öffentlichkeit ist vollzogen. An welches Publikum soll sich der Film richten?

ALEX JÜRGEN: Ich möchte das "normale" Publikum erreichen und zum Denken anregen. Der Knackpunkt ist, dass die meisten Menschen nichts über Intersexuelle wissen, und das will ich durch diesen Film ändern. Natürlich freue ich mich über jeden Schwulen, jede Lesbe und alle Trans-Leute, die ins Kino kommen, aber bei denen muss man kaum mehr Basisarbeit leisten.
Elisabeth Scharang: Der Film wirft die Frage auf - Was heißt Mann/Frau, wie definiert man selbst seine Rolle. Aber es ist in unseren Gesprächen auch viel um Liebe und Beziehung gegangen – um Ding, die jeden betreffen. Und dann kommen wir zu Subthemen wie Selbstbewusstsein und Erwachsenwerden. Was übernimmt man von den Eltern - Prozesse, die jeder kennt. Alex und ich wollten keinen Nischenfilm machen. Das soll ein Film für ein breites Publikum sein. Und wir werden den Film mit vielen Publikumsgesprächen begleiten. Und hoffentlich wird Alex es dadurch auch schaffen, in Österreich endlich eine Intersexgruppe aufzubauen. Es braucht immer einen oder eine, die den ersten Schritt macht.
Alex Jürgen: Aus heutiger Sicht würde ich keinen Schritt der letzten dreieinhalb Jahre mehr zurückgehen. Für mich war es die beste Entscheidung, an die Öffentlichkeit zu gehen. Wenn mir die Gesellschaft keinen Platz lässt, so sein zu dürfen, wie ich bin, muss ich mir den Platz erkämpfen.

 

Interview: Karin Schiefer
2006