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Weinenden und lachenden Auges ... ein Rückblick auf das Filmjahr 2014

 

Das Filmjahr 2014 mag noch so fulminant mit elf (Ko-)Produktionen allein bei der Berlinale begonnen, mit Premieren in Cannes, Venedig, San Sebastián einen noch so glänzenden Verlauf genommen haben, in der Bilanz 2014 schlägt die Waage diesmal dennoch auf der Seite der Verluste aus.  


Ein gutes Jahr ist es her, dass Michael Glawogger aufbrach, um, ohne konkretes Konzept im Gepäck, die Welt zu bereisen. Anstelle Bilder zu suchen, wollte er sich für sein Projekt UNTITLED von ihnen finden lassen. Fünf Monate später nahm die Reise ein jähes Ende, die österreichische Filmszene verlor durch Michael Glawoggers unerwarteten Tod nicht nur einen ihrer vielseitigsten Erzähler, sondern auch einen Kenner dieser Welt, der seine alltäglichen Begegnungen mit ihr in eine einzigartige Bilderkraft zu transformieren verstand. Nur wenige Monate später verstummte eine zweite Stimme des heimischen Autorenkinos. Mit Florian Flicker haben wir einen Filmemacher verloren, der einen sechsten Sinn für die subtilen Schwingungen von Liebe und Macht im Spannungsfeld zwischen den Menschen hatte und dem es gelang, diese in ihrer reinsten Form in Szene zu setzen. Michael Glawogger wie Florian Flicker gehören zu jenen Filmemachern, die dem neuen österreichischen Film, der in den neunziger Jahren zu erwachen begann, erste markante Prägungen verliehen. Ihre Beobachtungen, ihr Witz, ihre unerzählten Gedanken und Geschichten werden im vielfarbigen Spektrum des österreichischen Filmschaffens fehlen.

Das Festivaljahr 2014 legte von Beginn an ein atemberaubendes Tempo vor: zwei Erstlinge in Rotterdam (MEIN BLINDES HERZ, SITZFLEISCH), drei weitere Debüts in Saarbrücken, darunter als Eröffnungsfilm ZWEISITZRAKETE,  HIGH PERFORMANCE als Publikumsfavorit des Festivals; zur Europapremiere von WE COME AS FRIENDS bei der Berlinale reiste Hubert Sauper bereits mit dem World Cinema Special Prize des Sundance Festivals an. Saupers neuer, mit Spannung erwarteter Dokumentarfilm war nur einer von nicht weniger als elf österreichischen (Ko-) Produktionen, die im Programm der 64. Berlinale firmierten. In allen relevanten Programmreihen von Wettbewerb bis Forum war ein Film österreichischer Provenienz vertreten. Eine beispiellose Dichte, die kurz Bedenken aufkommen ließ, wie viele Neuigkeiten made in Austria angesichts des jährlich etwa gleichen Produktionsvolumens wohl noch für die weiteren wichtigen Festivaldestinationen vorhanden sein würden.  Unberechtigte Sorge, wie sich schnell herausstellte. Wie sehr eine wachsende Zahl an Filmen mit einer hohen künstlerischen Qualität einhergeht, ist eine Konstante, die sich im österreichischen Filmschaffen von Jahr zu Jahr auf eindrucksvolle Weise neu bestätigt. Trotz des Großauftritts in Berlin standen auch in Cannes und Venedig herausragende Arbeiten im Rampenlicht: AMOUR FOU (Un Certain Regard), IM KELLER (Out of Competition, Venedig) und ICH SEH ICH SEH/GOODNIGHT MOMMY (Orizzonti). GOODNIGHT MOMMY received a rave reception in Venice, schreibt Variety, und wenige Tage nach der Nordamerika-Premiere in Toronto war der  US-Verleihvertrag mit The Weinstein Company unter Dach und Fach. Oktober und November folgten als die festivalintensivsten Monate, die mit 196 Teilnahmen österreichischer Filme ein bemerkenswertes Filmjahr 2014 schlossen.

2014 ist ein Jahr
●  der neuen Stimmen - Lisa Weber (SITZFLEISCH), Peter Brunner (MEIN BLINDES HERZ), Johannes Gierlinger (THE FORTUNE YOU SEEK IS IN ANOTHER COOKIE);
● der bestätigten Talente  -  Sudabeh Mortezai sowie Veronika Franz & Severin Fiala legten nach dokumentarischen Arbeiten ihre vielbeachteten Spielfilmdebüts MACONDO bzw. ICH SEH ICH SEH vor, Umut Dağ kehrte nach nur zwei Jahren mit seinem zweiten Spielfilm RISSE IM BETON erneut zur Berlinale zurück und
● der erfreulichen Rückkehr bewährter Namen, die nach längerer Pause wieder eine Arbeit fürs Kino realisiert haben – Johannes Holzhausen (DAS GROSSE MUSEUM), Michael Sturminger (CASANOVA VARIATIONS),
David Ruehm (DER VAMPIR AUF DER COUCH).

Im Rennen um den erfolgreichsten Festivalfilm 2014 liegen EVERYDAY REBELLION der Riahi Brothers sowie Sudabeh Mortezais MACONDO an der Spitze, ihnen folgen als weitere Festivalfavoriten Johannes Holzhausens DAS GROSSE MUSEUM,  Hubert Saupers WE COME AS FRIENDS und Jessica Hausners AMOUR FOU.  Starke Festivalnachfrage genießen auch die beiden Produktionen der Ulrich Seidl Filmproduktion - IM KELLER sowie ICH SEH ICH SEH, deren Uraufführung erst wenige Monate zurückliegt.

Das Gesamtergebnis von 537 Teilnahmen von 71 Filmen reflektiert die Kontinuität sowie die enorme inhaltliche wie formale Breite, mit der das österreichische Filmschaffen internationale Wahrnehmung erfährt. Von den 71 im Jahr 2014 auf Festivals vertretenen Filmen feierten 38 ihre internationale Premiere, 15 davon waren Erstlingsfilme, 14 Filme wurden auf einem der für die internationale Verwertung besonders relevanten Key-Festivals präsentiert. Insgesamt gingen 35 Preise an 19 Filme*.
*alle Zahlen Stand 22.12.2014

Die Welt- und Europa-Premieren auf Key-Festivals: MEIN BLINDES HERZ (Rotterdam, Wettbewerb), SITZFLEISCH (Rotterdam, Bright Future), MACONDO (Berlin, Wettbewerb), DAS FINSTERE TAL (Berlin, Berlinale Special), WE COME AS FRIENDS (Berlin, Berlinale Special), RISSE IM BETON (Berlin, Panorama Spezial), FIEBER (Berlin, Panorama), DAS GROSSE MUSEUM (Berlin, Forum), UND IN DER MITTE, DA SIND WIR (Berlin, Forum), AMOUR FOU (Cannes, Un Certain Regard), EARTH’S GOLDEN PLAYGROUND (Karlovy Vary, Out of Competition), IM KELLER (Venedig, Out of Competition), ICH SEH ICH SEH (Venedig, Orizzonti), CASANOVA VARIATIONS (San Sebastián, Wettbewerb)

Gespannt blicken wir ins Filmjahr 2015 und freuen uns auf die neuen Arbeiten von: Wolfgang Murnberger (DAS EWIGE LEBEN), Nikolaus Geyrhalter (ÜBER DIE JAHRE), Karl Markovics (SUPERWELT), Peter Kern (DER LETZTE SOMMER DER REICHEN), Andrina Mračnikar (MA FOLIE), Thomas Woschitz (BAD LUCK), Marie Kreutzer (GRUBER GEHT), Daniel Hoesl (WINWIN), Elisabeth Scharang (JACK), Händl Klaus (KATER), Barbara Eder (THANK YOU FOR BOMBING), Hiebler Ertl (CHUCKS), Constantin Wulff (IN BEHANDLUNG), Fritz Moser (A GOOD AMERICAN), Edgar Honetschläger (BILLIONAIRE) ...