INTERVIEW

«Das Kind ist eigentlich ein Objekt, wie ein Auto oder ein Haus.»

Das Geschäft mit dem Kinderwunsch boomt, die Optionen, die die Wissenschaft dafür eröffnet, avancieren weit rasanter als die Gesellschaft dafür ein Bewusstsein entwickeln kann. Maria Arlamovskys Future Baby lädt auf eine Gedankenreise und lenkt auf gerne ignorierte Perspektiven der Schatteneltern und Spenderkinder.


Ich nehme an, dass sich viele Facetten und Denkmöglichkeiten im Zugang zum Thema Reproduktionsmedizin erst im Zuge Ihrer Recherche ergeben haben und diese auch für Sie eine Entdeckungsreise war. Welche Fragestellungen haben Sie ursprünglich auf diese Forschungsreise geschickt?
 
MARIA ARLAMOVSKY: Es gab unterschiedliche Fragen, die mich beschäftigten. Im Vordergrund stand eindeutig der Umstand, dass ich selbst Mutter, aber auch Adoptiv- und Pflegemutter bin. Als Pflegemutter bin ich immer wieder in Fortbildung und Supervision und dabei viel mit sozialen Eltern in Kontakt, die bei den Kindern, die sie nicht selbst ausgetragen haben, gerne die biologische Elternschaft vergessen würden, um das gängige Schema von Vater-Mutter-Kind zu leben. Ich halte das für problematisch, denn es gibt die Schatteneltern im Hintergrund, ohne die es nicht möglich wäre, dass Menschen, die selbst kein Kind bekommen können, doch ein Kind haben können. Man muss sie respektieren, weil das Kind Teil dieser Schatteneltern ist. Diese so gern verdrängte Schatten-Elternschaft, insbesondere die Schatten-Mütter – damit meine ich Eizellspenderinnen und Leihmütter – wollte ich mir näher anschauen.
Als ich mit meinem Produzenten Michael Kitzberger darüber sprach, meinte er – das klänge sehr nach „Opferfilm“, ich solle mir das Thema unter einem breiteren Winkel anschauen. Dann begann ich intensiv zu recherchieren und stellte erst fest, was für reproduktionsmedizinische Möglichkeiten es gibt, die uns in Österreich noch gar nicht ins Bewusstsein gedrungen sind. Wir stehen an einem Punkt, wo die Wissenschaft Fortschritte erzielt, für deren Umsetzungsmöglichkeiten die Gesellschaft noch gar nicht mitgewachsen ist. Dazu kommt seit 2000 vehement die Genetik ins Spiel. Das Thema hat mich so richtig aufgesogen, weil man – ist man einmal in die Materie vertieft – kaum mehr aufhören kann.
 
 
Ungewohnt für einen Dokumentarfilm stellen Sie an den Anfang schriftlich ein persönliches Statement, das mit der Frage endet: „Wie weit wollen wir gehen?“ War es Ihnen wichtig, diese Arbeit unter diese persönliche Note zu stellen und gleichzeitig die Zuschauer zum Aufbruch ins gemeinsame Nachdenken einzuladen?
 
MARIA ARLAMOVSKY: Es gab über dieses Statement im Produktionsteam lange und heftige Diskussionen. Mir war es besonders wichtig meinen subjektiven Zugang im Dokumentarfilm zu betonen. Ich hab sehr lange an diesem winzigen Text gefeilt, weil es mir ein Anliegen war, dieses „Ich“ an den Anfang des Films zu stellen, ohne dass ich meine persönliche Meinung zu einzelnen Methoden vermitteln wollte. Mein Ziel war, dass der/die ZuschauerIn Schritt für Schritt mitgehen und sich jedes Mal überlegen kann, ob sie/er das eine oder andere noch mitmachen würden oder ob eine entscheidende Schwelle des Unwohlseins erreicht war. Unser dramaturgischer Bogen entspricht daher einem quasi-Ablauf: Am Anfang bekommt eine Frau trotz Versuchen kein Kind und am Schluss jemand Drillinge. Diese Dramaturgie soll auch verdeutlichen, wie man von der Medizin aufgesaugt wird und sie immer wieder etwas Neues anbietet. Die Komplexität dieses Themas hat uns vor große Herausforderungen gestellt. Letztendlich haben wir es wie einen Staffellauf angelegt. Man wird immer wieder ein Stückchen weitergetragen. Die Schraube wird immer in einem Moment, wo diese Nachjustierung plausibel erscheint, nur ein kleines Stückchen weitergedreht. So kommt es zu einer stetigen Steigerung.
 
 
Angesichts der Debatten, wo es so sehr um Schwangerschaft und ersehnte Elternschaft geht, könnte der Film auch „Future Mum“ heißen. Sie haben den Film aber Future Baby genannt und damit den Akzent klar auf das Lebewesen gesetzt, dass dank all der angesprochenen Methoden erzeugt wird. Wird Ihrer Meinung nach zu viel wenig an das entstehende Kind gedacht?
 
MARIA ARLAMOVSKY: Das Kind ist eigentlich ein Objekt, wie ein Auto oder ein Haus. Wer genug Geld auf den Tisch legt, kann sich ein Kind machen lassen. Dort, wo Fertilitätstourismus stattfindet, sind auch die gesetzlichen Schranken lose. Die Idee des optimierten Kindes ist nicht neu. Wir bemühen uns um die Optimierung unserer Kinder, auch wenn wir sie in zweisprachige Kindergärten oder ins Ballett schicken. Aber jetzt kann ich diesen Optimierungswunsch immer weiter zurückführen und kann mir bald aus fünf Embryonen das intelligenteste oder das blondeste Kind aussuchen. Es wird immer technischer. Ich schau nicht mehr auf die Begabungen meines Kindes und versuche, diese zu fördern. Ich könnte mir schon vorher überlegen, was ich für ein Kind möchte. Der Weg dorthin ist noch weit, aber das Gedankenkonstrukt ist im Rollen.
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es nicht immer um ein Bedürfnis nach Elternschaft geht, sondern oft eine Frage der sozialen Konvention dahinter steht. Das thematisiere ich in Future Baby zwar nicht explizit, lasse es aber anklingen. Denn alle Frauen in meinem Film bekommen die Kinder für ihre Männer. Beide Frauen, ob sie nun mithilfe einer Eizellenspende  oder mithilfe einer Leihmutter ein Kind bekommen, verweisen darauf, dass ja immerhin die DNA ihres Mannes vorhanden ist. Ich wollte in diesem Film auch den sozialen Druck durchspüren lassen. Ich wollte mit Future Baby Aspekte der Reproduktionsmedizin zusammen führen, die in der Regel auseinanderdividiert werden. Die Industrie weist uns ja nicht darauf hin, was eine Eizellenspenderin auf sich nehmen muss oder zeigt uns nicht, wie traurig eine Leihmutter nach der Geburt aussieht. Wenn ich mich den Bildern nicht stellen muss, die zeigen, was andere Frauen leisten müssen, damit sich mein Kinderwunsch erfüllen kann,  dann lege ich mein Geld leichter auf den Tisch, um eine Leistung in Anspruch zu nehmen.
 
 
Welchen Rahmen haben Sie für die Recherche abgesteckt? Gab es Aspekte, die Sie von Beginn an ausgeklammert haben, weil es zu weit geführt hätte?
 
MARIA ARLAMOVSKY: Mir war wichtig, dass dieser Film die Möglichkeit bietet, sich das Thema in seiner Breite anzuschauen, ohne dabei auch Aspekten, die mit Vorurteilen verbunden sind,  das Tor zu öffnen. Damit meine ich Schlagwörter wie „Designerbaby“, das sofort Ablehnung hervorrufen würde oder auch die Bedeutung, die die neuen Reproduktionsmethoden für homosexuelle Paare haben. Diese emotional besetzten Diskussionen wollte ich nicht hereinnehmen. Das hätte den Blick für mein ursprüngliches Anliegen verstellt.
Ich glaube, dass alle – ob homosexuelle Paare oder Singles oder Paare mit Kinderwunsch – die Möglichkeit haben sollten, ein Kind zu bekommen. Ich glaube aber, dass es bessere und schlechtere Methoden gibt, ans Ziel zu kommen. Wenn wir nicht beginnen, über die Techniken zu reden, dann versagen wir als Gesellschaft. Dazu will ich einen Anstoß liefern.
 
 
Technik ist der eine Aspekt, der gesetzliche Rahmen gewiss der andere: Ihre Recherche und Drehreise hatten gewiss mit den Gesetzgebungen in den verschiedenen Ländern zu tun. Welches sind die Länder, wo durch liberale Gesetze auch sehr viel in Bewegung und möglich ist?
 
MARIA ARLAMOVSKY: Wer Fertilitätstourismus ins Auge fasst, findet schnell heraus, wo was möglich ist. Da gibt es wandelnde Landkarten, die man sich erarbeiten muss. Leihmutterschaft war für uns ein fixes Thema, allerdings wussten wir lange nicht, wo wir dazu drehen konnten. Zu Beginn der Recherche war Indien die boomende Destination, da es dort die Möglichkeit für erschwingliche Leihmutterschaft auch für homosexuelle Paare gab. Dann läuft es wie bei der Adoption. Wenn etwas zu gut funktioniert, entsteht ein solcher Run, dass es kippt. Ein Skandal genügt und das Ganze wird unterbunden. Dann wandert der ganze Tross in ein anderes Land, das gerade offen ist. Nach Indien verlagerte sich unser Fokus auf Thailand, bis auch dort Einzelfälle der Sache ein Ende setzten. Zum Zeitpunkt unseres Drehs, war gerade Mexiko offen, die Gesetze gerade liberal, alles strömte hin. In manchen Ländern sind wir sozusagen durch Zufall gelandet. Kalifornien ist eine Station, um die man nicht herum kann. Seit der Ära Reagan herrscht dort eine sehr liberale Politik mit großzügigen Investitionen in die Forschung, weil das wirtschaftliche Potenzial der Bio-Politik früh erkannt wurde. Spanien erließ nach der Franco-Diktatur sehr liberale Gesetze und hat im Bereich der Forschung in Europa eine Vorreiterrolle inne. Israel ist das Land mit dem dichtesten Netz an IVF-Kliniken. Dort greift man schon auf IVF zurück, wenn sich mit 25 nach einem halben Jahr keine Schwangerschaft einstellt, weil es bis zum dritten Kind bezahlt wird. Da ist also eine sehr starke staatliche Politik dahinter.
 
 
Wie haben Sie in der Auswahl der Gesprächspartner versucht, ein Gleichgewicht zwischen Dienstleister-Seite und Menschen mit Kinderwunsch herzustellen?
 
MARIA ARLAMOVSKI: Manche Leute wollte ich unbedingt als Interviewpartner. Paare wollte ich anfangs gar nicht im Film haben, weil ich ihren Standpunkt zunächst für meinen Zugang nicht für wesentlich hielt. Die Dramaturgie des Films verlangte es letztlich, um ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie stark dieser Wunsch nach einem Kind sein kann. Es kommt im Film nur ein Kinder-Standpunkt vor, der mich wiederum sehr interessiert hat. Grundsätzlich haben mich für diesen Film zwei Fragen beschäftigt: Was passiert mit Frauenkörpern, wenn sie verwendet werden müssen und wie geht es den Kindern? Unter diesem Blickwinkel habe ich meine Recherche geführt. Jetzt mag es so aussehen, als würden die Eltern im Mittelpunkt stehen. Im Kino sitzen potenzielle Eltern oder Großeltern und keine Kinder. Es wird ein Thema werden, das uns alle betrifft. Carl Djerassi weist im Film darauf hin, dass es zwar jetzt um die Menschen geht, die unfruchtbar sind oder sich mit dem Kinderkriegen zu lange Zeit gelassen haben, diese aber nur den Anfang darstellen. Der eigentliche Markt sind jene Frauen, denen die Industrie einreden kann, sich in jungen Jahren ihre Eizellen einfrieren zu lassen. Denn für sie führt später kein Weg an IVF vorbei. Da wird es für mich so richtig gruselig, zumal die Prozentsätze für die Erfolgschancen mit kryokonservierten Eizellen noch immer sehr gering sind.
 
 
Es gibt Drehsituationen in Operationssälen, in medizinischen Praxen. Auch hier tauchte gewiss die Frage auf –  Wie weit kann/will ich gehen? Ist das Ausreizen der Grenzen in der Bildgestaltung auch ein Mittel, beim Zuschauer das Gefühl der Grenzüberschreitung in der Thematik spürbar zu machen?
 
MARIA ARLAMOVSKY: Ich halte es für wichtig, harte Bilder zu machen und die Menschen mit schwer erträglichen Bildern zu konfrontieren, weil man sich dem nicht entziehen kann. Wenn sich etwas als Bild festgesetzt hat, kann ich es nicht mehr so leicht wegblenden. Und es ist auch eine Erleichterung zu etwas Abstraktem auch einmal die Bilder dazu zu bekommen.
Dass wir diese wirklich harten Bilder zeigen wollten, das stand von Beginn an fest. Auch die Kameraperspektiven von oben, die etwas von Aufgespießt-Sein vermitteln. Unser Kamerakonzept, das ich mit meinem Sohn Sebastian, dem Kameramann dieses Films, entwickelt habe, hat sich eher hinsichtlich des Einsatzes von Handkamera verändert. Ursprünglich wollten wir näher an den Menschen dran sein. Handkamera braucht aber Zeit, Nähe und Intimität und dazu waren wir nicht lange genug mit unseren Gesprächspartnern im Kontakt und schließlich zogen wir es auch vor, nicht so nahe an die Menschen heranzugehen.
 
 
Es fiel zuvor der Begriff vom „Ausbeuten der Frauenkörper“ und die Frage „was den Frauenkörpern angetan“ wird. Können Sie das näher erläutern?
 
MARIA ARLAMOVSKY: In meiner Wahrnehmung findet in der Reproduktionsmedizin wie auch schon in der Verhütung in gewissen Sinne ein Übergriff auf den Frauenkörper statt. Man hätte grundsätzlich auch die Pille für den Mann erfinden können. Die wäre kein Markt gewesen. Die Ursachen für Unfruchtbarkeit verteilen sich ca. zu je einem Drittel auf die Männer, die Frauen und auf gemeinsame Faktoren. Männer auf Unfruchtbarkeit zu untersuchen, ist viel billiger und demnach ist damit viel weniger zu verdienen. Daher werden zunächst mal die Frauenkörper bearbeitet, bevor man feststellt, dass man vielleicht doch auch beim Mann nach Ursachen für Unfruchtbarkeit suchen könnte. Die Hormonbelastungen bei IVF sind immens und es gibt zu wenige unabhängige Folgeuntersuchungen, welche Nachwirkungen damit verbunden sind. Zum Teil ist es auch zu früh. Louise Brown, das erste durch IVF geborene Kind ist 1978 geboren, also keine 40 Jahre alt. Die Pille hat zu deutlich erhöhten Krebswerten geführt, weil man heute weiß, dass sie viel zu stark dosiert war. Und nun tut man in der Reproduktionsmedizin wieder so, als hätten diese starken Hormonverabreichungen keinerlei Konsequenzen. Future Baby zeigt, dass es einer Vollnarkose bedarf, um Eizellen abgesaugt zu bekommen und man dafür hormonell überstimuliert wird, damit mit einem Eingriff z.B. 20 Einer abgesaugt werden können. Ich will zeigen, dass eine Frau, die zu alt ist, um mit ihren eigenen Eizellen ein Kind zu bekommen, nun eine junge Frau braucht, um das zu tun. Warum ist die Frau älter geworden, bis sie daran denkt, Kinder zu bekommen? Weil wir in einer Gesellschaft leben, die nicht die Bedingungen für ein Sowohl-als-auch – Kinder kriegen und Karriere machen – schafft, geschweige denn dafür sorgt, dass wir, Männer und Frauen, auch Lust auf Kinderkriegen bekommen. Die Gesellschaft drückt Frauen Richtung Karriere und dann haben sie das Nachsehen. Ich empfinde das einen Angriff auf den Frauenkörper, von Leihmutterschaft gar nicht zu reden. Ich will unbedingt betonen, dass ich nicht gegen diese Methoden bin, ich möchte nur zu einem Bewusstsein lenken, dass es zwischen den Partnern, derer es in der Reproduktionsmedizin bedarf, eine Regelung auf Augenhöhe geben muss, die für alle stimmig ist. Ich kann nicht einer Frau, die gar nicht näher aufgeklärt wird, Eier absaugen, um sie einer anderen Frau, die dafür viel bezahlt, in den Körper zu setzen. Das hat nichts mehr mit Medizin zu tun. Das ist mein Punkt. Ich will das Rad nicht zurückdrehen. Ich wünsche mir bessere Regelungen und eine Bewusstseinsarbeit dafür, dass es soziale und biologische Mütter, oder biologische Zellenspenderinnen gibt, wenn man den Begriff Mutter nicht verwenden will. Das nicht zu artikulieren, das halte ich für problematisch.
 
 
Im Mittelpunkt des Films stehen zunächst Eltern mit Kinderwunsch. Umso interessanter ist es, die Perspektive von Noa und Ruth zu entdecken, die einzige Mutter-Kind-Konstellation mit einer erwachsenen Tochter, für die es so wichtig wäre, ihren Vater zu kennen.
 
MARIA ARLAMOVSKY: Ich habe mit vielen Menschen gedreht, die nicht auf natürliche Weise gezeugt worden sind. Noa ist die einzige, die auch im Film vorkommt, weil sich herausstellte, dass diese Menschen ein starkes Thema für sich darstellen und ich freue mich, aus dem vorhandenen Material noch etwas Eigenes zu schneiden, das vielleicht eine TV-Dokumentation wird. Noa war die Gesprächspartnerin, die am stärksten die Problematik auf den Punkt bringt, nämlich, dass es nicht in Ordnung ist, nicht zu wissen, woher man genetisch abstammt. Auch wenn die Genetik nicht alles ist, ist es so, dass ein Kind ein Recht drauf haben muss, sich zu spiegeln und zu wissen, woher es kommt. Es ist offensichtlich ein enormes Bedürfnis und darf einfach nicht übersehen werden. Bisher kannten wir aus Patchwork-Familien  Stiefmütter und Stiefväter. Dieses Rollenrepertoire wird jetzt noch größer, wir haben soziale Mütter und Väter, abgebende Mütter und biologische Mütter .... Das müssen wir als Gesellschaft einmal erkennen und irgendwo ansetzen. Wir werden es noch erleben, dass die erwachsenen Spenderkinder aufstehen und ihre Rechte einfordern.
 
 
Ist dies der Grund, warum Vertreter der Gesetzgebung in Future Baby gar nicht zu Wort kommen. Wäre es verfrüht?
 
MARIA ARLAMOVSKY: Ich glaube ja. Das Gesetz wurde 2015 in Österreich zwar novelliert und gelockert. Nun dürfen Paare mit Kinderwunsch auf eine Eizellspende zurückgreifen, Single-Frauen dürfen das weiterhin nicht. Ich erlaube mir zu behaupten, dass da viele Abgeordnete über ein Gesetz abstimmen, ohne sich genauer mit der Materie auseinanderzusetzen. Ich habe drei Jahre recherchiert, um annähernd einen Überblick zu bekommen. Dieses Thema ist enorm. Wir leben im 21. Jh. und wir haben die technischen Möglichkeiten für gewisse Dinge. Dann ist es meines Erachtens eine Ungerechtigkeit, jemanden aufgrund seiner sexuellen Orientierung, gewisse Dinge zu verbieten. Ich glaube, dass nationale Gesetzgebungen keine Lösungen anbieten. Es müsste einen überstaatlichen Corpus geben, der sich dazu etwas überlegt. Solange das nicht geschieht ist der Fertilitätstourismus ein völliger Wilder Westen. Ein Beispiel: In England haben die erwachsenen Spenderkinder durchgesetzt, dass die Samen- oder Eizellspenden nicht mehr anonym erfolgen dürfen. Konsequenz: alle Frauen, die wollen, dass die Herkunft der Spende anonym bleibt, gehen jetzt nach Spanien, weil es dort weiterhin die Anonymität der Eizellspenderinnen gewahrt bleibt. Wofür sich die WHO bereits einsetzt, ist IVF in Entwicklungsländern zu fördern, um zu verhindern, dass Frauen, die keine Nachkommenschaft produzieren, verstoßen werden.
 
 
Wie würden Sie Ihre persönliche Frage vom Anfang des Films nach den eigenen Grenzen für sich persönlich beantworten?
 
MARIA ARLAMOVSKY: Für mich war es ein Gedankenexperiment. Ich habe eigene Kinder und als ich keine mehr bekommen konnte, habe ich adoptiert und ein Pflegekind aufgenommen. Die Pflegschaft, auch wenn sie manchmal schwierig ist, erscheint mir die probateste Lösung, weil da alle Karten am Tisch sind. Ich halte das für die Kinder für sehr wichtig.
 Früher war das Geschäft mit der Hoffnung ein Geschäft der Kirche. Man kann bereits in der Genesis über Leihmütter nachlesen. Die Kirche hat versprochen, wenn Du an Gott glaubst, dann bekommst du auch ein Kind.  Heute hat dieses Geschäft mit der Hoffnung die Medizin übernommen. 30% der Fälle klappen, 70% klappen nicht. Es ist immer der kulturelle Kontext, der uns darauf reinfallen lässt. Wir sind im Zuge der technologischen Entwicklungen an einem viel bioliberaleren Ende angekommen als noch vor vierzig Jahren. Die Möglichkeiten werden sich rasant weiterentwickeln. Und auch der Umstand, dass wir sie konsumieren können, muss uns bewusst sein. Auf dieser Basis muss jeder für sich entscheiden, was für ihn tragbar ist. Ich glaube, wir entwickeln uns in eine Richtung, wo man nicht mehr Vater oder Mutter sein kann, weil einem etwas gegeben wird. Man wird als Eltern für alles verantwortlich gemacht werden, was man nicht durchdacht oder rechtzeitig weggescreent hat. Es wird Kinder geben, die sich beklagen können, dass die Eltern nur darauf geachtet haben, dass es nicht Diabetes hat und dabei eine andere Krankheit übersehen haben. Wie grauenvoll ist das? Andererseits haben wir heute Möglichkeiten, die vorher nicht bestanden haben. Es ist auch spannend , dass wir in unsere Evolution auch eingreifen können. Wenn ich mich nun weiter mit der Thematik auseinandersetzen wollte, dann würde ich in Richtung der transhumanistischen Ideen, der Idee des „Upgrades“ forschen. Transhumanisten sprechen gerne von der Schaffung des neuen „Übermenschen“, der mit Artificial Intelligence und Robotniks konkurrieren muss. Sie gehen davon aus, dass wir, wenn wir uns nicht genetisch upgraden, d.h. die Embryonen im Vorfeld testen, unsere Aufgabe als Eltern verfehlen.


Interview: Karin Schiefer
April 2016