INTERVIEW

«Das Tolle ist – er gibt nicht auf.»

Winfried Conradi vermisst seine Tochter und sucht die Business-Frau unverhofft in Bukarest auf. Als er als sorgender Vater abblitzt, wagt er unter abstruser Maske und mit ausgesucht deplatzierten Auftritten einen zweiten Versuch, sie aus der Reserve zu locken und eine stille Verbundenheit wiederzufinden. In Toni Erdmann der deutschen Filmemacherin Maren Ade triumphiert der subversive Schalk, im beinahe dreistündigen Match vom Überrumpeln und Überrumpelt-Werden brillieren Peter Simonischek und Sandra Hüller in den Hauptrollen. Ein Gespräch mit Peter Simonischek.


Man kann Sie in Maren Ades Toni Erdmann zweifach entdecken: als etwas kauzigen Klavierlehrer Winfried Conradi und als den selbsternannten Coach Toni Erdmann im business-getriebenen Bukarest. Welche Herausforderung bedeutet es für einen Schauspieler zwei und einer zugleich zu sein?
 
PETER SIMONISCHEK: Ich sehe das eben auch nicht als Doppelrolle. Da ist einer, der den Mut zu einem riesigen Blödsinn hat und diesen auch in aller Konsequenz durchzieht. Er hofft, seine Tochter, die Karriere macht und ihm völlig entglitten ist, auf dieser Ebene, die in dieser Familie scheinbar eine Tradition hat, noch einmal zu erreichen. Er war gewiss ein lieber Papa, der sie abends zu Bett gebracht hat und ihr Geschichten erzählt hat und seine Freude daran hatte, seine Tochter zum Lachen zu bringen. Jetzt ist sie als Business-Frau unterwegs und er überfällt sie ausgerechnet in einem Moment, wo sie beruflich vor einer entscheidenden Präsentation steht, die über ihren Aufstieg entscheiden kann. Bei ihm steht da keinerlei kalkulierte Absicht dahinter, sondern sein Bedürfnis nach Nähe. In den ersten Tagen seines offiziellen Besuchs als Vater funktioniert das nicht und es macht beide sehr traurig. Sie verschließt sich und wehrt ihn ab, er fühlt sich unfähig und ungeschickt, seine Witze landen nicht, er schämt sich ein wenig. Das Tolle ist – er gibt nicht auf. Anstatt zum Flughafen zu fahren und nach Wien zu fliegen, besorgt er sich eine Perücke, steckt die falschen Zähne rein, zieht sich ein Zuhälter-Sakko an und kommt zurück, und taucht als skurriler Coach erneut in ihrem Leben auf. Er stellt sich als Toni ... Erdmann vor. Er zögert kurz, wahrscheinlich fällt ihm der Name erst in dem Moment ein, als er spricht. Das Spannende war, dass nicht der Schauspieler gefordert war, der Toni Erdmann gut spielt, sondern der Winfried, der alle Aufregung und alle Angst und Peinlichkeit riskiert, in so eine Verkleidung zu schlüpfen.
 
 
Wie haben Sie ihren Zugang gefunden?
 
PETER SIMONISCHEK: Maren Ade hat uns, als wir in Bukarest ankamen, mit einer Stretch-Limousine am Flughafen abgeholt. Nicht damit wir uns wie VIPs fühlen, sondern zum Spaß, als Jokus. Und als wir einstiegen, saß sie als Go-go-Girl da, im Bikini mit einem Mantel drüber und Katzenbrillen und sie trug auch Zähne. Sie hat uns später erzählt, wie unsicher sie war, ob diese Art des Empfangs nicht zu peinlich sein würde, sie hat sich geschämt für ihren Mut und hat es gleichzeitig auch durchgezogen. Als es dann darum ging, Winfried zum Toni zu machen, habe ich mich daran erinnert, was es unsere Regisseurin gekostet haben muss, das zu riskieren. Mir ergeht es im Leben oft so, dass ich vor etwas Angst habe und in dem Moment, wo ich das erkenne, ist es für mich beschlossene Sache, dass ich es machen muss. Ich will nicht damit leben, vor etwas den Schwanz eingezogen zu haben. Hast du Angst vor etwas? Dann mach es! Winfried Conradi entschließt sich, aus sich Toni Erdmann zu machen. Für einen Schauspieler ist es nicht aufregend, Toni Erdmann zu spielen. Das lernt man schon an der Schauspielschule. Seit 50 Jahren fahre ich mit dem Fahrrad ins Theater, gehe in den ersten Stock in meine Garderobe – dort hängt ein Sommeranzug für Tschechow oder ein Umhang für Goldoni. Als Schauspieler lebt man damit, dass man sich fast jeden Abend umzieht und einen anderen spielt. Der ist nicht der beste Schauspieler, der alle Hemmungen abgelegt hat, aber man lebt und verdient sein Geld damit, sich in einen anderen zu verwandeln. In Toni Erdmann geht es um etwas anderes und das muss man zum Vorschein bringen, sonst ist es fad.
 
 
Ab dem Moment, wo Sie von Winfried zu Toni Erdmann mutieren und Ines den Coup durchschaut, gibt es eine gesagte und eine ungesagte Ebene zwischen den beiden. Das ist eine der Subtilitäten des Drehbuchs, es braucht aber auch eine Schauspielpartnerin, mit der man diese Komplizenschaft austragen kann. Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Sandra Hüller gestaltet? 
 
PETER SIMONISCHEK: Die Besetzung ist durch Casting zustande gekommen. Ich habe das Buch gelesen und wollte den gerne spielen – so ein verqueres Buch und so eine Phantasie... Ich war sofort neugierig. Ich fuhr zum Casting nach Berlin und zehn Tage später bekam ich einen Anruf von Maren Ade, dass sie gerne mit mir arbeiten würde. Dann musste in weiteren Castings auch noch eine passende Tochter gefunden werden. Ich hab mit einigen tollen Schauspielerinnen gecastet und dann kam Sandra Hüller herein und mir war gleich klar, dass sie eine tolle Tochter wäre. Mit Sandra zu spielen, das ist wie beim Tennisspielen: Wenn man einen tollen Partner hat, dann läuft man auch selbst zu einer großartigen Form auf. Dasselbe gilt für Film und Theater. Wer immer Sandra in die Quere kommt, der ist besser als er sonst ist. Ich halte sie für besonders begnadet. Es war für mich ein umwerfender Moment, als ich den Film zum ersten Mal sah und da die Szene, als Toni zum ersten Mal auftaucht. Wir haben ja im Spiel den Blick zueinander sehr gemieden, höchstens gestreift. Es wird ja nur gelogen und den, den man anlügt, schaut man nur dann in die Augen, wenn man mit der Lüge „on top“ ist. In diesem Augenblick hat man auch die größte Angst, dass alles zusammenbrechen könnte, weil man dem Blick nicht standhält. Ich hab dann auf der Leinwand zum ersten Mal dieses Entsetzen, diese Fassungslosigkeit in ihrem Gesicht gesehen und sie verrät ihn trotzdem nicht und sagt nicht zu den Damen: „Verzeihung, das ist mein Vater, ich glaube, ich fahre mit dem jetzt mal in die Klinik“. Einfach toll.
 
 
Wer ist dieser Winfried, der nach Bukarest fährt, wo seine Tochter als Unternehmens-beraterin arbeitet und dort eine Welt entdeckt, die ihm fremd ist und die, das erkennt er rasch, auch seiner Tochter nicht guttut?
 
PETER SIMONISCHEK: Winfried ist Musiklehrer an der Mittelschule gewesen und kein Provinzkauz. Er war ein 68-er, politisch engagiert, aber nicht verbissen, weil er immer schon diese Art von Scherzkeks war. Ich denke an die erste Szene des Films mit dem Postboten. Wenn man so etwas macht, muss man schon ein Talent haben, seine Einsamkeit zu gestalten. Solche Leute können ja auch nerven. Das tut er dann auch bei seiner Tochter und manchmal verlässt sie auch der Humor. Er stellt sie auf eine harte Probe und ist selbst einige Male sehr gefährdet, umzufallen. Wenn sie z.B. auf der Terrasse sagt: „Papa, willst du mich fertig machen?“ Ich spüre noch, was sich da plötzlich in mir abgespielt hat. Sie hat mir auf einmal so leid getan, ich hatte das Gefühl, verantwortungslos zu sein und ihr zu schaden. Und Toni sagt zu ihr: „Wenn Sie über Ihren Vater reden wollen, da bin ich nicht der Richtige, aber wenn Sie einen Coach suchen oder merken, dass sie telefonieren, obwohl niemand dran ist (da nimmt er Bezug auf eine Szene, wo sie ihm vorgespielt hat, am Telefon zu sein, um ihn abzuwimmeln), dann ja.“ Er ist nie aggressiv, sucht nicht die Konfrontation. Das war für mich persönlich sehr schwer. Ich selbst bin nicht so friedfertig, ich würde gerne von ihm lernen. Der Business-Welt, in der sich seine Tochter bewegt, begegnet er mit Staunen. Er hört zu und stellt sich manchmal ein bisschen dümmer als er ist.
 
 
Wie hat Maren Ade mit Ihnen den Dreh erarbeitet? Wieviel Komik war geschrieben, wieviel davon ist in der gemeinsamen Arbeit entstanden?
 
PETER SIMONISCHEK: Die Szenen waren geschrieben und der Text auch. Manchmal hat sie etwas weggelassen, manchmal hat sie während des Drehs gesagt „sag doch mal so“, wenn sie das Gefühl hatte, dass etwas bereits abgenudelt war. Sie hat nie beurteilt. Sie war immer ein Teil der positiven Provokation für unser Tun. Sie hat sich alles Mögliche einfallen lassen. Sie hat einen z.B. zur Seite geholt und gesagt „Sprich doch mal Italienisch.“ Wenn ich sagte „Kann ich nicht“, sagte sie „Macht doch nichts.“ Tu halt so, als ob und schau, was passiert.“ So sind wir am Set miteinander umgegangen, mit allen möglichen Ideen, auch ganz verrücktes Zeug, das man normalerweise als kindisch abtun würde. Als Ganzes konnte man das nicht verwenden, aber Teilchen davon. Dadurch, dass das Material nichts mehr kostet, ist der Unterschied zwischen Proben und Drehen nicht mehr so feierlich wie er einmal war. Es bedeutet für uns Schauspieler viel Arbeit, aber letztlich führt es zu besseren Ergebnissen. Unsere Arbeit war ein Puzzle-Spiel, das Resultat kannte nur sie. Und ich habe den schweren Verdacht, dass sie selbst das Resultat in den zwei Jahren beim Schneiden langsam und liebevoll kennen gelernt hat. Da ist sie unglaublich gut. Da ist sie musikalisch, da weiß sie etwas von Timing, von Suspense, da weiß sie, was unverzichtbar ist. Sie weiß, dass jede noch so große Verstiegenheit einen realen Boden haben muss,  dass alles, was passiert, in der Psyche nachvollziehbar sein muss. Ich hatte das große Glück, ihr zu begegnen.
 
 
Was für ein Erlebnis ist Cannes für einen Hauptdarsteller eines Wettbewerbsfilms?
 
PETER SIMONISCHEK: Ich schau mir gerne tolle Fußballspiele an. Ich war schon bei Weltmeisterschaften oder Champions-League-Spielen im Stadion. Ich würde sagen, Cannes ist so etwas wie eine Kino-Weltmeisterschaft. Wo man hinschaut, geht es ums Kino, ums Kinofilm-Business. Und man geht schön angezogen über den roten Teppich, auf dem es zugeht wie auf dem Kasernenhof. Alle müssen in einer Reihe stehen und dann werden die Schauspieler und Regisseure kommandiert „Stop!“, „Go!“, „Arrêtez“. Dafür gibt es schöne einheitliche Bilder und oben wird man vom Direktor des Festivals empfangen. Das ist toll.
Ich habe es so genossen, den Film bei der Weltpremiere mitzuerleben, in diesem vollen Haus, auf dieser großen Leinwand. Ich hab geheult wie ein Schlosshund während des Films, weil ich ihn das erste Mal so richtig genossen habe. Und dahinter zehn Minuten Applaus, das hat man am Theater nicht. Das war schon schön. Da habe ich gebadet drin.

 
Nach der Euphorie der Weltpremiere war auch punkto Preis alles drinnen...
 
PETER SIMONISCHEK: Das wünscht man sich eigentlich immer und ist schon froh, wenn es ein Mal passiert. Ich hatte schon mit manchen Filmen einen großen Erfolg, aber einen so großen noch nie und das noch dazu in der Titelrolle. Ich fand das wunderschön. Ich werde im Sommer 70 und man kann sich sagen, die ganz großen Erfolge brauche ich nicht, das war bei mir nicht vorgesehen. Und dann passiert es doch und es macht sehr glücklich. Und wenn die Palme von Cannes so zum Greifen nahe ist, dann denkt man sich natürlich „das hätte auch noch klappen können“. Aber man will ja nicht unverschämt sein und danke sagen. Immerhin haben wir den Kritikerpreis bekommen und immerhin erhielt Toni Erdmann im Kritiker-Ranking die höchste je in Cannes erreichte Zustimmungsquote. Das ist auch was.
 
 
Interview: Karin Schiefer
Mai 2016
« Unsere Arbeit war ein Puzzle-Spiel, das Resultat kannte nur sie.»