INTERVIEW

«Wir interessieren uns für Projekte, hinter denen Menschen stehen, die eine Haltung dazu haben.»

Während wir hier über neue Produktionen sprechen, die demnächst in Cannes Weltpremiere feiern werden – Western von Valeska Grisebach in der Reihe Un Certain Regard und Teheran Tabu in der Semaine de la Critique, kommt ihr von der Romy-Verleihung in Wien, wo ihr nach einer unglaublichen internationalen Erfolgsserie von Maren Ades Toni Erdmann, auch noch die Romy für den besten Kinofilm entgegengenommen habt.  Sowohl Toni Erdmann als auch Western sind in Koproduktion mit der deutschen Komplizen Film, ein deutscher Koproduktionspartner, mit der euch eine wahre Erfolgsgeschichte verbindet.
Wie ist die Komplizen Film zum Komplizen der coop99 filmproduktion geworden?
 
BRUNO WAGNER: Der Name unserer deutschen Partner ist da sehr gut gewählt. Denn immer, wenn Koproduktionspartner an einem Projekt arbeiten und dabei auch Komplizen sind und gemeinsam an einem Strang ziehen, ist die Arbeit natürlich unvergleichlich leichter. Unsere erste Zusammenarbeit geht auf Barbara Alberts Die Lebenden zurück, die für uns Gelegenheit war, festzustellen, dass wir eine ähnliche Philosophie von künstlerisch anspruchsvollem Film vertreten. 
 
 
Wie lässt sich diese gemeinsame Philosophie auf den Punkt bringen?
 
ANTONIN SVOBODA: Die Komplizen Film funktioniert genauso wie wir als Kollektiv, wo mehrere ProduzentInnen füreinander arbeiten und füreinander da sind. Jonas Dornbach lernte ich schon, bevor er die Komplizen Film mitbegründet hat, in Cannes kennen, wo wir damals Hans Weingartners Die fetten Jahre sind vorbei präsentierten. Maren Ade führt selbst nur alle sechs, sieben Jahre Regie, ansonsten sagt sie von sich, dass sie auch sehr gerne produziert. Da sehe ich große Ähnlichkeiten, es ist für uns interessant, in verschiedenen Funktionen des filmischen Entstehungsprozesses zu arbeiten und eine gewisse Kontrolle über die Ausrichtung der Firmenphilosophie zu haben.
 
 
Mit Valeska Grisebach habt ihr den Film einer Regisseurin koproduziert, die mit euch gemeinsam an der Filmakademie studiert hat, die mit euch damals für eine hierzulande neue, junge Philosophie des künstlerischen Autorenfilms stand. Hier spannt sich auch ein Bogen zur Gründungszeit der coop99. Hat es insofern eine besondere Bedeutung für euch, einen Spielfilm mit Valeska zu produzieren? 
 
ANTONIN SVOBODA: Wir freuen uns sehr, dass wir wieder zusammengekommen sind. Gerade weil es ein Film ist, der nicht unmittelbar einen Österreichbezug hat. Western erzählt von einem deutschen Montagetrupp, der in der Nähe eines bulgarischen Dorfes nahe der griechischen Grenze stationiert ist und lässt seine Geschichte in einem Spannungsfeld von Misstrauen und Anziehung zwischen den einsamen Helden des Lagers und der lokalen Dorfgemeinschaft entstehen. Western ist also ein europäischer Film und thematisiert das brisante Thema der europäischen Außengrenzen. Western wirft auch die Frage nach der Befindlichkeit unseres sehr ungleichen Europas auf. Wichtige Fragen, die oft viel zu kurz kommen.
 
 
Nach Toni Erdmann spielt auch Western in der Arbeitswelt, zweimal in grundverschiedenen Milieus, dennoch geht es in beiden auch darum, die Entfremdung des Einzelnen durch die Arbeit zu thematisieren.
Geht es euch in der Auswahl der Projekte über ein Verständnis von Kino hinaus auch um eine politische/gesellschaftskritische Komponente?
 
ANTONIN SVOBODA: Quentin Tarantinos Credo „Form ist alles“ unterschreiben wir auf keinen Fall. Bei uns steht auf alle Fälle eine inhaltliche Ausrichtung im Vordergrund. Uns interessieren Projekte, die eine gesellschaftspolitisch relevante Thematik transportieren und hinter denen Menschen stehen, die eine Haltung dazu haben. Wenn diese Kombination stimmt, dann wird es für uns spannend. Wenn nur das eine oder das andere gegeben wäre, wäre uns das zu wenig.
 
BRUNO WAGNER: Western ist da noch einmal etwas Besonderes. Es gab ja kein Drehbuch im klassischen Sinn, da Valeska ja immer mit nicht-professionellen Darstellern arbeitet. Wir haben vielmehr 30 Seiten Sozialstudie über das Western-Genre eingereicht – eine sehr ambitionierte Diskussionsgrundlage, die aber alle wesentlichen Grundbausteine enthielt: die Baustelle, das Dorf, das Pferd, das Duell, die Protagonisten waren sehr genau beschrieben. Durch Valeska Arbeit mit nicht-professionellen Darstellern wurden die Dialoge bei den Proben erarbeitet und dann gedreht. Als Arbeits- und Einreichgrundlage war Western völlig anders als Toni Erdmann, für den es ein ausgefeiltes Drehbuch gegeben hat. Von österreichischer Seite ist der Film vom Österreichischen Filminstitut unterstützt worden.
 
ANTONIN SVOBODA: Eine anteilig eher kleine Beteiligung schaut fälschlicherweise nach weniger eingebrachter Arbeit aus. Das ist das Unfaire an solchen Konstellationen. Weniger Fördergeld heißt eben nicht weniger Arbeit. Man bleibt ja dennoch Partner und muss das Projekt erst recht stemmen, was immer das an Verträgen, Finanzierungen, Email-Verkehr etc. bedeutet. Somit sind Rückflüsse verschwindend, aber die Grundarbeit bleibt dieselbe. Leider wird man als „kleiner“ Koproduzent dann in gewisser Weise „bestraft“, wenn Unwissenheit und Neid dominieren.
 
 
Eine zweifache Einladung nach Cannes sieht durchaus auch nach großer Wertschätzung aus. Neben Western wird der Animationsfilm Teheran Tabu von Ali Soozandeh, der in der Semaine de la Critique laufen. War die Produktionskonstellation mit dem deutschen Partner Little Dream Entertainment vergleichbar?
 
BRUNO WAGNER: Bei einem Projekt wie Western, wo ausschließlich in Bulgarien gedreht wurde, ist man notgedrungen nur am Rande dabei. Ich war im Zuge der Dreharbeiten einmal drei Tage in Bulgarien, wir erhielten alle Dispos und Tagesberichte, lieferten ab, was abzuliefern war.
Bei einer Koproduktion wie Teheran Tabu, die fast 60:40 angelegt war, war das völlig anders. Da ist man voll dabei. Teheran Tabu wurde zur Gänze in Österreich gedreht mit einem Team, das abgesehen vom Regisseur und seinem Assistenten ausschließlich österreichisch war.
 
 
Wie kam hier die Zusammenarbeit zustande?
 
ANTONIN SVOBODA: Es gab einen Regisseur, ein Drehbuch und mich, der da Lunte gerochen hatte. Ich halte relativ wenig von Pitch-Veranstaltungen und suche mir meine Partner und Projekte lieber instinktiv. Die Leute von Little Dream Entertainment hatten Der Fall Willhelm Reich gesehen und haben sich dann mit uns zusammengesetzt. Das Spannende für uns an diesem Projekt lag darin, dass das technische Know-how ursprünglich nicht vorhanden war. Teheran Tabu bedeutete für uns ein Projekt, bei dem wir mitlernen und uns Know-how aneignen konnten. Vor allem ist durch Martin Gschlachts Kameraarbeit und den Umstand, dass wir mit einem Erstlingsregisseur arbeiteten, ein kreativer Austausch in Gang gekommen, der unsere Erwartungen weit übertroffen hat.  
 
MARTIN GSCHLACHT: Little Dream Entertainment hat einen visuell sehr eindrücklichen 3-Minuten-Trailer vorgelegt und vor allem war es inhaltlich eine sehr packende Geschichte.
 
ANTONIN SVOBODA: Es geht um die sexuelle Ausbeutung der Frau im Iran, und zwar eine sehr mannigfaltige. Die Form der Animation ermöglicht es, eine gewisse Distanz zu gewinnen und Dinge an- und auszusprechen, die sonst verschleiert bleiben.  
 
MARTIN GSCHLACHT: Die Ausdrucksform der Animation war in der Tat der einzige Weg, das Projekt überhaupt  zu realisieren und die Geschichte zu erzählen. Als Realfilm wäre das nicht denkbar gewesen. Daher rührt auch das Bedürfnis seitens Little Dream Entertainment, diese Animations-Technik selber zu verfeinern und weiterzuentwickeln.
 
 
Wie sieht Ali Soozandehs künstlerisch-biografischer Hintergrund aus?
 
ANTONIN SVOBODA: Er ist Animation-Supervisor für die Pettersson&Findus-Filme, die ebenfalls von Little Dream produziert werden und aus einer Mischung aus Animation und realem Dreh bestehen. Er hat selbst schon mit dem Produzenten Ali Samadi Ahadi einen langen Dokumentarfilm – Green Wave – gedreht, der in einer ganz eigenen Animationstechnik mit Fotos entstanden ist. Das Buch zu Teheran Tabu stammt aus seiner Feder, dieser Film ist sein Debüt als Spielfilmregisseur.
 
 
Teheran Tabu übt eine sehr harsche Kritik an der sexuellen Doppelmoral in der iranischen Gesellschaft. Gab es eurerseits inhaltlich gesprochen keinerlei Bedenken, dieses Thema anzugreifen?
 
MARTIN GSCHLACHT: Für uns stellte Teheran Tabu ein Gesamtpaket dar, das uns in vielerlei Hinsicht reizvoll erschien und in dem, wie Antonin zuvor schon betont hat, auch eine ganz klare Haltung zu einem Thema ersichtlich ist. Das war uns wichtig, über mögliche Bedenken hinaus! Für die Menschen, deren Heimat der Iran einmal war, ist es eine schwierigere Entscheidung, an so einem Projekt mitzuwirken. Für sie ist es damit vielleicht unmöglich, ihre ehemalige Heimat oder ihre Familien dort wieder zu besuchen.
 
ANTONIN SVOBODA: Man muss auch sagen, dass es sich um ein sehr mutiges Projekt handelt, das es für uns umso ansprechender gemacht hat. Da sind Leute wirklich ein Risiko eingegangen und es hat im Zusammenhang mit dem Film auch Drohungen gegeben, die nicht uns als Produktionsfirma betrafen und auf die wir nicht weiter eingehen dürfen. Ich kann es schwer nachvollziehen, den Inhalt des Films als provokant zu bezeichnen, letztendlich zeigt er auf, was Tatsache ist. Man beginnt ja langsam zu zweifeln, ob die Menschen noch Augen und Ohren haben. Sudabeh Mortezai hat schon vor Jahren einen Dokumentarfilm über die Zeithochzeit im Iran gemacht. Das ist ganz einfach Alltag dort. Ich halte es für provokanter von den offiziellen Stellen so zu tun, als gäbe es das nicht. Das ist erschütternd. Natürlich ist die Geschichte sehr verdichtet, so viel Probleme können kaum einer Person allein widerfahren. Man wird sehen, ob der Film eine Diskussion auslösen wird.
 
 
Wie sahen die Dreharbeiten für diese hybride Form aus Animations- und realer Kameratechnik in Wien aus?
 
BRUNO WAGNER: Wir hatten 26 Drehtage in einem Studio ohne jegliche Außeneinflüsse. Aus einer Planungsperspektive betrachtet, war dies ein besonders entspannter Dreh, fast ein wenig wie ins Büro-Gehen, mit festen Beginn- und Drehschlusszeiten. Das Einzige, was uns während des Drehs vielleicht zu schaffen machte, war die Sommerhitze, die sich in der Studiohalle besonders bemerkbar machte.
 
MARTIN GSCHLACHT: Für mich als Kameramann war es ein Projekt, das ich relativ kurzfristig zwischen zwei anderen Filmprojekten übernommen habe. Es war zeitlich kompakt, an einem einzigen Motiv gedreht, und im Vergleich zum „klassischen Spielfilmdreh“ sehr gut überschaubar. Nachdem ich die technischen Aspekte im Griff hatte und die Erfahrung mit der Form der Animation gereift war, konnte man diese Dreharbeiten wirklich genießen! Dazu kam, dass alle Beteiligten Partner, ausgesprochen professionelle und nette Menschen sind, mit denen uns rasch eine super Freundschaft verbunden hat. Einer der Produzenten, Ali Samadi Ahadi ist selbst ja auch Regisseur, er war in Wien den ganzen Dreh über präsent und hat sehr viel von seinem Know-how in die Produktion eingebracht.
 
 
Die Festival- und Erfolgsbilanz des letzten Jahres – Kater, Toni Erdmann, Tiere, Western, Teheran Tabu – um nur einige zu nennen, spricht jedenfalls für einen sehr glücklichen Griff nach Projekten allein in den letzten zwei Jahren. Wie sehr legen solche Erfolge die Grundsteine für folgende Projekte, wie sehr stärken sie euer nationales wie internationales Standing?

MARTIN GSCHLACHT: Ob der Griff „glücklich“ ist oder schon auch ein wenig mit unserer mittlerweile fast 20-jährigen Erfahrung zu tun hat, kann ich nicht beurteilen. Tatsache ist, dass wir bei der Auswahl unserer Projekte eine sehr strenge interne Selbstkontrolle haben und uns lange und ausgiebig mit den Projekten, Autoren, Regisseuren und Produzenten inhaltlich beschäftigen und austauschen, bevor wir die Entscheidung treffen, in Produktion zu gehen. Diese strenge Auslese hat den Nachteil, dass wir verhältnismäßig wenig produzieren, und den Vorteil dass wir mit den meisten Projekten künstlerisch und wirtschaftlich ganz gut landen.
Der Grundstein für folgende Produktionen wird dann natürlich immer ein wenig vom momentanen Erfolg beeinflusst und unser internationales Standing lebt von unseren internationalen Erfolgen. Und das sehr gut. Seit Beginn. Für das nationale Standing sind minoritäre österreichische Koproduktionen, die internationale Erfolge feiern, leider eher belanglos bis beschwerlich. Hier blickt man lieber auf den „österreichischen“ Österreichischen Film, der auch in erster Linie österreichisches Publikum erfreut. Dann ist man erfolgreich und geachtet. Wir meinen, beides ist richtig und wichtig!


Interview: Karin Schiefer
April 2017