INTERVIEW

«Ich mag das Genre der Komödie, denn es erzählt ja im Grunde von traurigen Dingen.»

Ein russischer Geschäftsmann will seinen Wohntraum auf einer Wiener Brücke verwirklichen und so mancher Wiener mit Verbindungen nach oben bietet bereitwillig Hilfe an. Die aus Russland stammende und in Österreich lebende Filmemacherin Elena Tikhonova lässt sich in ihrer Komödie Kaviar auf einen Clash der Mentalitäten ein und zeigt, dass mit russischen Oligarchen und Wiener Geschäftemachern durchaus auch zu spaßen ist, vorausgesetzt, dass man ihre Schwächen kennt.

Sie stammen aus Russland und leben seit fast 20 Jahren in Wien. Haben Sie in dieser Zeit nicht nur Wien und die WienerInnen entdeckt, sondern auch die russische Community in Wien kennengelernt und beides Ihnen Stoff geliefert, eine Komödie zu entwickeln?
 
ELENA TIKHONOVA: So ist es. Ich lebe genau genommen in zwei Communities – einerseits mit österreichischen Künstlern, andererseits mit der russischen Community, der auch einige Künstlerinnen, vor allem sehr viele „normale Leute“ angehören, die ich sehr gut kenne. Mein Glück ist, dass Leute mir gerne ihre Geschichten und Sorgen anvertrauen. Ich bin eine Art Psychotherapeutin für sie, weil ich sehr gerne zuhöre. Mit ihnen habe ich großartige, lustige und schräge Geschichten miterlebt. Durch kulturelle Missverständnisse gewinnen viele Situationen eine komische Dimension und so habe ich da ein Potenzial für eine Komödie geortet, die dann den Stoff für meinen Plot geliefert haben.
 
 
Sie haben das Drehbuch im Rahmen von DIVERSE GESCHICHTEN entwickelt. Wie hat Ihr Ausgangsszenario ausgesehen, wie hat es sich dann im weiteren Verlauf entwickelt?
 
ELENA TIKHONOVA: Wenn ich ein Drehbuch schreibe, versuche ich so viele Interviews wie nur möglich zu machen, die mir für die unterschiedlichen Figuren die Erfahrungen liefern. Ich habe zu schreiben begonnen, ohne mir sicher zu sein, wohin es führen würde. Witcraft, meine Produktionsfirma, veranstaltet auch den Workshop Diverse Geschichten, für den mein Plot ausgewählt wurde. Ich habe im Rahmen dessen dann das Treatment entwickelt und auch Robert Buchschwenter, der den Workshop mit Ursula Wolschlager leitet, kennengelernt. Da meine Geschichte stark auf Frauen fokussiert war, hatte ich das Gefühl, dass ich einen Koautor und einen österreichischen, männlichen Blick brauchte. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass Robert einen sehr ähnlichen Sinn für Humor hatte und ich fragte ihn, ob er nicht mit mir gemeinsam das Drehbuch schreiben wollte. Zunächst war er eher skeptisch, wir hatten dann aber unheimlichen Spaß beim Schreiben des Buchs, für das wir gemeinsam am Computer gesessen sind.  
 
 
KAVIAR ist Ihr erster Spielfilm, die Komödie gilt als schwieriges Genre. Können Sie das nach Ihrer ersten Erfahrung mit einem fiktionalen Stoff bestätigen?
 
ELENA TIKHONOVA: Ich würde das nicht so eindeutig bejahen. Da es mein erster Film war, bestand eine Schwierigkeit darin, dass ich künstlerisch noch nach meiner Handschrift suche. Eine andere Problematik war, dass ich genau wusste, welche Geschmacksrezeptoren am Ende in meiner Komödie funktionieren sollten und habe versucht, das kompromisslos durchzuziehen. Mir schien es schwierig, dass bei einer Komödie besonders viele Menschen eingebunden sind, jeder seinen eigenen Sinn für Humor hat und Buch, Regie und Produktion Kompromisse und einen Konsens finden müssen. Drama scheint mir da einfacher, auch wenn mir bewusst ist, dass es weder im Leben noch im Film eine einfache Sprache gibt. Die größte Aufgabe war gewiss die Kommunikation. Sehr problematisch war z.B. die Animation, die ich unbedingt drinnen haben wollte. Da sich die Realisierung als schwierig erwies, war die Produktion irgendwann eher geneigt, darauf zu verzichten und ich musste sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, dass sie drinnen bleiben konnte. Wir müssten die Animationen zwei Mal machen. Die Hauptproduzentin Ursula Wohlschlager hat mich in diesen komplizierten Prozessen sehr unterstützt und auch andere überzeugt.
 
 
Was hat Sie zu formalen Elementen wie Erzählstimme oder auch die  Animation inspiriert?
 
ELENA TIKHONOVA: Für mich standen beide Elemente immer fest: Die Animation, weil ich eine verspielte Note hineinbringen wollte, die das Publikum auch daran erinnern sollte, dass alles nur erfunden und nicht bitter ernst zu nehmen ist. Das Voice-Over hat im Spielfilm den Ruf, als Krücke zu dienen. Das sehe ich nicht so. Gerade bei Komödien oder Culture-Clash-Geschichten kann man Dinge über die Off-Stimme sehr gut zuspitzen. Da Humor in Russland anders funktioniert als im deutschsprachigen Raum, wollten wir uns damit auch die Möglichkeit eröffnen, hier zwei unterschiedliche sprachliche Versionen anzulegen.
 
 
Komödie bedient Stereotype – KAVIAR tut das in zwei Richtungen – in Richtung der nationalen Klischees zum einen und der Geschlechterklischees zum anderen. Wo unterscheiden sich die österreichischen und russischen Stereotype, wo treffen sie einander?
 
ELENA TIKHONOVA:
Die russische und die österreichische Mentalität sind grundverschieden. Die Russen sind Offen, Impulsiv, lieben Abenteuer im Alltag und oft distanzlos, während die Österreicher sehr überlegt und diplomatisch vorgehen. Was hier in Österreich schon als Beleidigung aufgefasst wird, ist in Russland nur eine normale Diskussion. In Beziehungen sagt man hier lange nichts und dann kommt es zur Explosion, während man in Russland Diskutieren, ab und zu Streiten für einen wahren Liebesbeweis hält. Für KAVIAR habe ich versucht, mentale Dissonanzen und Unterschiede auszuarbeiten und zuzuspitzen, andererseits muss man einräumen, dass Klischees ja nie aus der Luft gegriffen sind.
 
Ich habe sehr lange recherchiert und ich kenne reiche Russen, vor allem solche, die in den neunziger Jahren reich geworden sind und sich in Wirtschaft und Politik engagieren. Was ich recherchiert habe, habe ich in die Figur des Igor. Es birgt halt viel komisches Potenzial, wenn ein Oligarch in Wirklichkeit ein Prolet ist, der mit ein paar Zitaten um sich schmeißt. Bei den österreichischen Männern hat sich das Milieu der Politik angeboten, wenn ich an Skandale wie Hypo-Alpe-Adria denke oder mir anschaue, wie viele zwielichtige Finanzierungen es für diverse Großprojekte gibt. In Russland gibt es keine Schranken, die Reichen bleiben reich, während in Österreich schon eine Ordnung herrscht und die Gefahr besteht, dass man für Korruption im Gefängnis landet. KAVIAR ist ja auch als politische Satire gedacht. In Russland darf man über Korruption nicht sprechen. Da herrscht Zensur. In Österreich haben wir Demokratie und entsprechende Offenheit, das wollte ich nutzen. Die Zeiten haben sich so verändert, die europäischen Demokratien in eine Richtung entwickelt, dass ich es für dringend notwendig halte, darüber zu sprechen.
 
 
Im Mittelpunkt stehen drei Frauen – Nadja, Vera, Teresa – wie würden Sie sie typisieren? Wie finden diese drei konträren Frauentypen zusammen?
 
ELENA TIKHONOVA: Meine Idee war, drei Frauen zu erzählen, die aus einem komplett unterschiedlichen Umfeld kommen und auch entsprechend unterschiedliche Mentalitäten und Weltsichten verkörpern. Ich wollte eine Geschichte über russische Emigranten machen: eine Russin, die einen Österreicher geheiratet, eine Russin, die schon seit ihrer Kindheit in Österreich lebt und eine Österreicherin als Gegengewicht zu den beiden.  Es war mir sehr wichtig, ein breites Publikum anzusprechen. Nadja, die als Übersetzerin für einen Oligarchen arbeitet, steht für die kosmopolitischen Russen, die in erster Linie nach Europa kommen, Sprachen beherrschen, keine Angst vor der Zukunft haben, weil es ihnen auch in Russland gut gehen würde, nur sind sie mit dem politischen System nicht einverstanden. Vera steht für einen Typ Frau, den ich mit „gut geheiratet“ labeln würde. Dafür gibt’s viele Möglichkeiten, wir fanden es am lustigsten, dass Klaus sie im Internet sozusagen „bestellt“ hat. Teresa, die Österreicherin, ist Künstlerin und Aktivistin und bewegt sich in der Szene, in der ich mich zu Hause fühle, sie hat kein Geld und kämpft wie Don Quijote gegen die Windmühlen der Ungerechtigkeit. Sie ist für mich ein komplettes Spiegelbild. Für mich ist sie die positivste Figur dieser drei Musketierinnen, weil sie eine Idealistin ist und dann doch auch Lust aufs Geld bekommt. Die zwei Russinnen verkörpern zwei Typen, die eine ist gierig, will das Geld oder Rache und es ist ihr egal, was passiert, weil es Korruption überall gibt. Die andere ist jemand, mit der man kaum ein Gespräch führen kann, sie ist impulsiv und rastet aus, als sie erfährt, dass ihr Mann fremdgegangen ist.
 
 
Wie sind diesem Trio gegenüber die männlichen Figuren entstanden?
 
ELENA TIKHONOVA: Für Igor, den Oligarchen, habe ich sehr viel eingebracht. Ich war im Zuge meiner Recherche auf dem Geburtstagsfest eines Star-Urologen in einem Luxushotel, wo viele Businessleute anwesend waren und habe drei Tage dort verbracht, um Fotos und Videos zu machen und die Gelegenheit zu nutzen, viele Gespräche zu führen. Ich kann definitiv bestätigen, dass meine Figuren nicht aus der Luft gegriffen sind. Robert war sehr stark auf die österreichischen Männer fokussiert. Er hat viele Bücher über Korruptionsskandale gelesen und wir haben immer wieder versucht, Details ganz beiläufig hineinzupacken. Meine Sympathien liegen eindeutig bei den Frauen. Das erklärt sich auch theoretisch, weil ich im Plot Protagonisten und Antagonisten brauchte und meine Dramaturgie sehr klassisch aufgebaut habe. Alle Figuren sind einander auch Antagonisten, die Männer den Frauen, aber auch die Frauen untereinander. Ich wollte auch, dass die Antagonisten Sympathieträger sind. Das Tolle an den Figuren von Georg Friedrich und Simon Schwarz ist ja, dass sie eigentlich totale Arschlöcher verkörpern und dennoch sympathisch bleiben. Es war mir schon wichtig, komplexere Charaktere zu schaffen, die alle (wie wir) ihre Büchse der Pandora in sich tragen. In KAVIAR hatte ich noch nicht die Erfahrung, die ich jetzt in ein nächstes Projekt mitnehmen werde. Ich wollte, dass die Antagonisten in ihrer Schrägheit sympathisch sind und sich auch die Frauen idiotisch benehmen.
 
 
Wie hat sich in der Drehbucharbeit diese Gratwanderung gestaltet, einerseits mit Klischees/Karikaturen von Frauen zu operieren und andererseits ein feministisches Anliegen zu transportieren?
 
ELENA TIKHONOVA: Das war natürlich schwierig. Ich vermisse grundsätzlich eine stärkere feministische Komponente in europäischen Filmen. Ich weiß nicht, ob ich es richtig getroffen habe. Ich bin mir nicht sicher, ob ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Männern und Frauen dem Film mehr gebracht hätte, als die Frauen in den Vordergrund zu spielen. Da ich selbst Frauen viel besser verstehe und ich von drei weiblichen Figuren erzähle, die in einer so abenteuerlichen Situation zusammenhalten, ist der Film so geworden, wie er jetzt ist. Der Punkt war, dass ich zu viele Filme mit männlichen Protagonisten gesehen habe und fand, dass sich das ändern muss. Frauen müssen in den Vordergrund, weil sie oft aktiver und vielschichtiger sind, das gibt auch mehr Stoff für das Buch und die Inszenierung. Gleichzeitig hatte ich mit Georg Friedrich, Simon Schwarz, Josef Lorenz und Mikhail Evlanov einen so großartigen männlichen Cast, dass es mir leid getan hat, dass ich nicht mehr Szenen für sie geschrieben hatte. In der Komödie haben wir immer ein Spiel mit den Doppeldeutigkeiten und Wortspielen. Was ist eine gelungene Überzeichnung? Ab wann geht es zu weit? Es ging um eine ständige Suche nach einer Balance. Dazu kommt, dass letztlich die Interpretation durch die Schauspieler entscheidend ist, der Spielraum zwischen Übertreibung und gerade nicht genug Überzeichnung ist sehr klein.
 
 
Wie hat sich der Casting-Prozess gestaltet, wo es auch darum ging, Schauspielerinnen zu finden, die beide Sprachen perfekt beherrschen?
 
ELENA TIKHONOVA: Eine der schwierigsten Suchen im Casting war die nach einer Russin, die Deutsch spricht für die Rolle der Vera. Es gibt viele Frauen, die im Westen aufwachsen, zwar beide Sprachen beherrschen, aber sie sind in ihrer Mentalität keine Russinnen. Für mich war es wichtig, einen komplett authentischen Typ zu finden. Mit Daria Nosik hatte ich großes Glück. Sie stammt aus einer alteingesessenen russischen Schauspielerfamilie. Ihr Vater ist ein sehr bedeutender Schauspieler, der in vielen russischen Klassikern mitgewirkt hat. Sie war beim Casting so dermaßen authentisch und lustig und sie konnte ganz gut Deutsch, auch wenn sie für die Rolle natürlich einen Coach hatte. Sabrina Reiter war sofort ein klarer Fall. Für Nadja war es nicht so einfach, in Wien gibt es nur ganze wenige Schauspielerinnen, die perfekt zweisprachig sind. Mit Margarita Breitkreiz bin ich dann in Berlin fündig geworden.
 
 
Wie haben Sie die Dreharbeiten, insbesondere die Arbeit mit den SchauspielerInnen erlebt?  
 
ELENA TIKHONOVA: Mit den drei Frauen habe ich in der Vorbereitung fast alles durchgeprobt. Georg Friedrich und Simon Schwarz haben es abgelehnt, im Vorfeld zu proben. Das war für mich als Kontrolljunkie eine harte Vorgabe, aber was hätte ich tun sollen? Es hat mich vor allem für die intimeren Szenen sehr beunruhigt, auch weil Daria viel weniger Erfahrung als Schauspielerin hatte als Georg. Er ist aber dermaßen gut und erfahren, dass sich alle Ängste sofort als unbegründet erwiesen haben. Georg Friedrich hat darüber hinaus unglaublich viel improvisiert, was wir dann auch im Film drinnen lassen haben, weil es bei ihm einfach so organisch ist. Allein in der Szene mit der Baustelle auf der Brücke, wo Klaus Igor die Pläne für die Villa schmackhaft macht, ist vom Zoo mit den Zebras bis zum Swimmingpool unter dem Donaukanal keine Zeile aus dem Drehbuch. Er ist ein Genie. Mit so einem Schauspieler zu arbeiten ist ein seltenes Glück. Er liefert derartig viele Varianten, von denen man jede nehmen kann. Aber auch bei den anderen männlichen Darstellern war es nicht notwendig, Take für Take Verbesserungen vorzunehmen. Eine wahre Freude, mit ihnen zu arbeiten. Du machst vier Takes und einer ist besser als der andere. Da hat man so richtig Spaß am Set.
 
 
Das legt den Schluss nahe, dass sie auch gerne im Spielfilm-Genre weiterarbeiten werden?
 
ELENA TIKHONOVA: KAVIAR ist mein erster Spielfilm, zuvor habe ich nur Kurzfilme und einen Kino-Dokumentarfilm gemacht. Dokumentarfilm und Spielfilm sind beides gleich anspruchsvolle Genres. Beim Spielfilm kommt dazu, dass man als Regisseurin sehr viel Organisatorisches, Atmosphärisches mitdenken muss. Am Spielfilm ist mir lieber, dass man alles besser kontrollieren kann. Ich liebe Kontrolle. Beim Dokumentarfilm weiß man nie, wohin die Geschichte schwebt und man muss strategisch sehr wachsam sein. Der Film kann sich selber formen und in eine unerwartete Richtung gehen, was im Spielfilm nicht denkbar ist.
Ich liebe beides und als nächstes habe ich vor, zu experimentieren, beide Richtungen zu verschmelzen und einen Spielfilm mit dokumentarischen Elementen zu machen.
 
 
Welche Qualitäten hat für Sie eine gute Komödie? Worüber soll das Publikum lachen können?
 
ELENA TIKHONOVA: Ich mag das Genre der Komödie, denn es erzählt ja im Grunde von traurigen Dingen. Unser Leben ist schwierig, auch wenn wir in einer sehr behüteten Gesellschaft leben. Jeder Mensch trägt eine Drama-Komponente in sich. Ich finde, der Humor ist das einzige Mittel, um das Ganze ein bisschen zu verschönern. Ich mag auch das Drama und in Österreich ist die Drama-Kultur hoch entfaltet. Ich dachte mir jedoch, man muss mit dem ersten Spielfilm nicht unbedingt ernst beginnen.

Interview: Karin Schiefer
Jänner 2019
 
«Die russische und die österreichische Mentalität sind grundverschieden. Die Russen sind offen, Impulsiv, lieben Abenteuer im Alltag und sind oft distanzlos, während die Österreicher sehr überlegt und diplomatisch vorgehen. Was hier in Österreich schon als Beleidigung aufgefasst wird, ist in Russland nur eine normale Diskussion. »