Am 11. März startete die Film AG die Dreharbeiten zum Landkrimi Vier in der Regie von Marie Kreutzer in Niederösterreich und dauerten ganze zwei Tage. Filmdrehs waren zwar nicht explizit untersagt,
eine Weiterarbeit nicht mehr praktikabel. Der Zeitpunkt der Wiederaufnahme steht nun ebenso in den Sternen wie der ursprünglich
für Juni geplante Drehstart der Vier-Länder-Koproduktion Alma und Oskar, sind doch Sicherheitsvorschriften mit der Lebendigkeit eines Filmsets ebenso inkompatibel wie die Garantieverpflichtungen
für Produktionsfirmen mit dem allgegenwärtigen Infektionsrisiko im Team. Ein Gespräch mit Alex Glehr und Johanna Scherz über
das Hereinbrechen einer neuen Realität, die die ganze Branche und ihre Arbeitsverhältnisse erschüttert.
Welche Projekte hatte die Film AG mit Datum des Lockdowns um den 15. März in Produktion bzw. Pre-Production?
JOHANNA SCHERZ: Am 11. März hatten wir den Drehstart zu Vier, einem Landkrimi unter der Regie von Marie Kreutzer, in Niederösterreich. Am Freitag, den 13. haben wir ihn wieder abgebrochen
– eine extrem schwierige Entscheidung, da sich die Ereignisse derart überschlugen. Wir sehnten uns nach einer klaren Aussage
seitens der Regierung, dass alle Arbeiten einzustellen seien. Die kam leider nicht, schon gar nicht explizit für Dreharbeiten.
Die vielen Maßnahmen, die gegen die Verbreitung von Corona aber gesetzt wurden, machten die Arbeit immer schwieriger bis letztlich
unmöglich machten. Es hätte zum Beispiel beim Dreh einen Feuerwehreinsatz gegeben, den wir mit Hilfe der dortigen Freiwilligen
Feuerwehr, mit Komparserie, Fahrzeugen und Feuerwehrequipment hätten abwickeln müssen. Obwohl bis zum Vortag alles wie geplant
lief, rief uns der Landesfeuerwehrhauptmann kurz vor Beginn der Dreharbeiten an und sagte uns die Hilfestellung ab, mit der
– verständlichen – Begründung, dass sich aufgrund der COVID-19-Situation die Prioritäten dringend verlagert hätten. Es war
immer deutlicher absehbar, dass wir viele Motive nicht mehr würden bedienen können, viele Szenen einfach angesichts dieses
Shutdowns nicht mehr zu drehen sind. Drei Drehtage hätten in einem Krankenhaus stattfinden sollen – undenkbar. Selbst abseits
von öffentlichen Einrichtungen war es nicht mehr möglich, mit einem Team von 30, 40 Leuten die geplanten, auch privaten Locations
zu nutzen. Von der Bevölkerung vor Ort wurden wir nur mehr als wandelnde Virenschleuder wahrgenommen – und ich kann diese
Wahrnehmung niemandem verdenken!
Mit wem muss in dieser kurzen Zeit ein Drehabbruch geklärt werden?
ALEXANDER GLEHR: In so einer Situation geht es natürlich darum, wer die Verantwortung für den Abbruch übernimmt. Die Maßnahmen, die durch
die Regierung verkündet wurden, lauteten eben nie so, dass uns die Dreharbeiten eindeutig verboten wurden. Es waren aber allgemeine
Verbote, Verhaltensvorschriften und Empfehlungen ausgesprochen, die es uns unmöglich machten, den Dreh weiterzuführen. Allein
aus ethischen Gründen war es undenkbar weiterzumachen, wenn gleichzeitig das ganze Land zugemacht wird. So blöd das klingt,
aber es wurde uns immer deutlicher bewusst, dass uns niemand zum Abbruch zwingen wird. Die Entscheidung mussten wir treffen
– nicht wissend, was das nach sich ziehen wird. Es geht ja sofort um die Haftungsfrage, wenn es kein ausdrückliches Verbot
gibt. Jede Wiederaufnahme führt auf alle Fälle zu erhöhten Kosten, wir können nicht behaupten, dass wir die ganzen rechtlichen
Konsequenzen, die uns in den Wochen danach klar wurden, im Moment der Entscheidung schon gewusst, geschweige denn mitgedacht
hätten. Im Grunde genommen mussten wir einem Bauchgefühl folgen. Es ist eine Situation totaler Rechtsunsicherheit, die sich
selbst in den Wochen danach nur zu Teilen aufgelöst hat. In so einem Moment trifft dich die ganze Latte unternehmerischer
Verantwortung.
JOHANNA SCHERZ: Das ging danach auch so weiter: die erste Ansage von Seiten der Regierung war die, niemanden in die Arbeitslose zu schicken,
sondern für Kurzarbeit zu optieren. Die Richtlinien haben aber bei unseren Leuten gar nicht gegriffen, da sie noch nicht lang
genug angestellt waren. Immer wieder wurden Verbesserungen verlautbart, nicht einmal unser Steuerberater konnte den Überblick
richtig behalten. Leider trafen diese Verbesserungen nicht die filmtypischen Arbeitsverhältnisse. Wir versuchten Ausnahmen
zu erwirken, waren mit Gewerkschaft, Wirtschaftskammer, AMS bis hin zu den Entscheidungsträgern in den diversen, davon betroffenen
Ministerien in Kontakt. Leider ohne Erfolg, da man von Seiten der Politik kein Präjudiz in dieser, unserer sehr speziellen
Arbeitswelt setzen wollte. Aus unserer Sicht klingt es zynisch, wenn bei den Pressekonferenzen behauptet wird, jeder könne
die Kurzarbeit wahrnehmen. Es stimmt nicht.
Wie reagieren Versicherungen bei einer Pandemie?
ALEX GLEHR: Sobald die WHO eine Krankheit zur Pandemie erklärt, greift keine Versicherung mehr. Darin steckt eines unserer größten Probleme
für die Zukunft. Abgesehen von allen Mehrkosten und Verzögerungen, wird die Schlüsselfrage, ob wir wieder drehen können, darin
liegen, ob wir unsere Filme wieder voll ausfallversichert bekommen. Was ist, wenn ein Teammitglied Corona bekommt oder übers
Team Quarantäne verhängt wird? Diese Fälle wird in Zukunft keine Versicherung der Welt mehr versichern. SARS zum Beispiel
ist seit 2004 aus allen Filmversicherungen ausgenommen, nur gehörte das bisher eher zu den Paragraphen, die man überliest,
weil es uns eh nicht betroffen hat. Das ist jetzt bei COVID 19 ganz anders. Wir wissen um das Risiko und die relativ hohe
Wahrscheinlichkeit, dass eine zweite Welle kommen wird. Als ProduzentInnen unterschreiben wir bei allen Finanzierungsverträgen
eine Fertigstellungsgarantie. Genau das können wir aber nicht garantieren, im Wissen, es könnte jederzeit wieder wegen COVID
19 zu einem Drehabbruch kommen. Wir brauchen daher entweder eine Art Ausfallshaftung – oder alle nationalen wie internationalen
Finanziers verzichten auf unsere Fertigstellungsgarantie. Das bereitet mir zur Zeit das größte Kopfzerbrechen. Es betrifft
einerseits eine Wiederaufnahme des Landkrimi-Drehs, aber noch verschärft unser großes Kinoprojekt Alma und Oskar, für das im Juni der Drehstart geplant war. Bei einer TV-Produktion kann man noch versuchen, mit dem ORF, dem ZDF und RTR
eine Einigung zu finden, dass das Fertigstellungsrisiko verteilt wird. Bei einer Vier-Länder-Koproduktion wie Alma und Oskar ist es undenkbar, dass man da vom Fertigstellungsrisiko befreit wird, vor allem dann, wenn es wie in Österreich noch die
Auflage gibt, bei einer Produktionsgröße, die 3 Mio € übersteigt, einen Completion Bond abzuschließen. Ein Completion Bond
kostet immens – wenn er das größte Risiko, das es im Moment gibt, aber nicht abdeckt, dann ist das verschwendetes Geld.
Worum wird es in ALMA UND OSKAR gehen?
JOHANNA SCHERZ: Im Mittelpunkt steht die Amour Fou zwischen Alma Mahler und Oskar Kokoschka, die sich kurz nach Gustav Mahlers Tod kennen,
lieben und hassen lernen. Es ist eine Beziehung, in der beide weder miteinander noch ohne einander leben können. Regie führt
Dieter Berner, das Drehbuch basiert auf Hilde Bergers Roman Ob es Hass ist diese Liebe? und wurde von Hilde Berger und Dieter
Berner geschrieben, mit denen wir ja bereits Egon Schiele – Tod und Mädchen umgesetzt haben. Die beiden Titelrollen sind mit
Emilie Cox und Noah L. Perkthold, der soeben das Reinhardt-Seminar abgeschlossen hat, besetzt.
ALEXANDER GLEHR: Vom Produktionsbudget her ist es mit 6 Mio € ein größeres Projekt als der Schiele-Film. Es ist mit rund 60% eine majoritär
österreichische Produktion, Schweiz und Deutschland sind mit etwa 15%, Tschechien mit ca. 10% beteiligt.
Sind auch die Hauptdreharbeiten in Österreich vorgesehen?
JOHANNA SCHERZ: Es sind inklusive der VFX-Arbeiten 12 Drehtage in Tschechien, vier bis fünf in Hamburg, fünf Tage in der Schweiz und die
restlichen rund 15 in Österreich geplant.
War mit dem Lockdown im März auch hinsichtlich dieses Projekts klar, dass der Drehstart im Juni nicht haltbar sein würde oder
gab es anfänglich noch Hoffnung, dass wir schneller wieder zur Normalität zurückkehren würden?
JOHANNA SCHERZ: Wir haben Ende Februar mit den konkreteren Drehvorbereitungen begonnen, waren mitten in den Schauspielproben und den Location-Begehungen.
Aber mit dem 13. März war auch für diesen Film klar, dass wir den angedachten Drehstart am 10. Juni nicht halten können. Wir
mussten das Team informieren, dass der Dreh auf unbestimmte Zeit verschoben werden muss. Unsere Schweizer Szenenbildnerin
und das deutsche Art-Department hätten mit Ende März/Anfang April ihre Zelte in Wien aufgeschlagen, die tschechische Kostümbildnerin
und der Schweizer Maskenbildner hätten kurz darauf ihre Vorbereitungsarbeiten begonnen, was aufgrund der Reisebeschränkungen
und der Ausgangsbeschränkungen nicht mehr möglich war. Ebenso wenig konnten wir die internationalen Schauspieler*innen zu
den notwendigen Castings, Proben und Fittings nach Wien einfliegen.
Welche Akkordierung muss es bei der Verschiebung einer Vier-Länder-Koproduktion unter den Produktionspartnern geben?
ALEX GLEHR: Rund um den 13. März, dem Tag unseres Drehabbruchs, kursierten ja in den Social Media alle möglichen Gerüchte von Ausgangssperre,
es waren die Tage der Hamsterkäufe, der Angst, dass Wien abschottet werden könnte, usw.
Vieles hatte sich sehr zugespitzt.
Das Team war bereits sehr beunruhigt, wir mussten handeln. Eine Woche davor, als mich Schweizer Kollegen bereits fragten,
wie wir wohl mit der Corona Situation umgehen wollten, glaubte ich noch, nur abwarten zu können und auf den Moment zu warten,
dass uns jemand das Drehen untersagen würde. Eine Woche später war meine Logik eine andere. Auf der einen Seite wünscht man
sich den Deus ex Machina und will die Entscheidung so spät wie möglich treffen, um das Haftungsrisiko möglichst nicht selbst
und alleine tragen zu müssen. Aber irgendwann wird einem bewusst, dass das Zuwarten direkt in eine andere Haftungsfrage, nämlich
die der Fahrlässigkeit, führt. Jetzt, nachdem wir vom absoluten Shutdown wieder in Richtung Normalität voranschreiten, warten
alle darauf, dass wir den neuen Plan präsentieren. Wieder giert man nach den Parametern, an denen man sich festhalten kann.
Wieder gibt es sie nur begrenzt: Tschechien hat vor Tagen angekündigt, die Grenzen für ein Jahr zu sperren. Letzte Woche hat
unsere tschechische Koproduzentin das wieder abgeschwächt. Vor kurzem wurde bekannt, dass die tschechische Regierung komplett
ihre Strategie ändert. Deutschland schwankt zwischen, „es ist vielleicht gar nicht so schlimm“ oder „es könnte noch schlimmer
werden“. Und dann eben die Frage der Ausfallshaftung, ohne die wir gar nicht über einen Dreh nachzudenken brauchen. Was würde
es bedeuten, wenn der Dreh in den Herbst 2020 verschoben werden kann? 36 Drehtage sind für einen historischen Film nicht sehr
üppig veranschlagt. Das geht sich in der „neuen“ Normalität wahrscheinlich nicht aus, wenn unsere Arbeitsrealität um Schutzmasken,
Plastikanzüge, Desinfektion der Hände, Testungen, Fiebermessungen, etc. erweitert ist. Eine Szenenfolge des Films sollte im
Wiener Musikverein spielen. Man kann sagen, gut, denn durch Corona ist der Musikverein im Moment gut verfügbar. Aber, wenn
man so wie wir dort eine voll besuchte Premiere, selbst mit Hilfe von CGI, erzählen will, wie soll so ein Dreh logistisch
bewerkstelligbar sein? Schon ohne Corona braucht man Stunden und Unmengen von Mitarbeitern, um 200 Komparsen und mehr historisch
herzurichten, anzukleiden, zu frisieren, etc. Und davor alle Fiebermessen und mit 1 Meter Abstand? Unter den aktuellen Voraussetzungen
scheint es unmöglich, diesen Film zu drehen.
JOHANNA SCHERZ: Man braucht wahrscheinlich nicht noch einmal darauf herumreiten, aber der politische Vorschlag, Kussszenen später zu drehen
und davor die Dinge, bei denen sich die Darsteller nicht näher als einen Meter kommen, ist mehr als fern aller Realitäten.
Im Fall von Alma und Oskar geht es um die Geschichte einer Leidenschaft, in der es Kuss-, wie Liebesszenen wie auch körperliche Konflikte und ganz viel
(wenn auch nicht durchgehend) physische Interaktionen gibt. Man kann natürlich die beiden Hauptdarsteller*innen für zwei Wochen
in Quarantäne zu setzen, um sie dann aufeinander loszulassen. Klar ist aber, dass man ein Set nicht hermetisch abriegeln kann.
Schon gar nicht bei einem historischen Film, wo es mit jedem Tag neuen Komparsen, Zusatzgarderoben oder -maskenbildnern, Darstellern
aus vier unterschiedlichen Ländern, etc. gibt
ALEX GLEHR: Man kann weder das Team noch die Komparsen in Quarantäne schicken. Die unbeantworteten Fragen potenzieren sich ins Unendliche.
Ich schaue mir Manches bei meinem Vater ab, der Teamarzt beim TSV Hartberg ist, wo die Spieler ab Mitte Mai ohne Maske spielen
sollen und regelmäßig getestet werden. Man achtet darauf, dass gewisse Gruppen nie zueinanderkommen – z.B. kein Kontakt zwischen
Fernsehteams und den Spielern oder dem Betreuerstab. Man isoliert so bestimmte Gruppen voneinander. Eventuell liegt darin
eine Lösung. Aber selbst das wird bei einem Dreh mit 200 Komparsen und 70 Teammitgliedern schwierig durchzuexerzieren sein.
Wir warten jetzt einerseits auf die Entscheidung von Eurimages, die auf Mitte Mai verschoben worden ist und hoffen andererseits
darauf, dass die Maßnahmen so weit gelockert werden, dass wir Ende des Jahres ein Fenster bekommen, wo wir die Dreharbeiten
halbwegs regulär durchführen können. Wenn das nicht klappt, müssten wir wahrscheinlich auf 2021 vertagen. Dass sich mit Jahresende
die Jahreszeit verschieben würde, macht mir die geringsten Sorgen. Für so etwas findet sich eine Lösung. Unlösbar scheint
mir jetzt die Frage, wie es möglich sein soll, dass sich ein Team, das mehr als 50, an Ausnahmetagen aber bis zu 300 Menschen
umfasst, halbwegs den Vorschriften entsprechend verhalten kann.
Gibt es einen Austausch von Knowhow mit der Politik, um überhaupt ein Bewusstsein für die Problematiken, die sich in einzelnen
kulturellen Bereichen ergeben, zu schaffen?
JOHANNA SCHERZ: Wenn man sich aktuell die Pressekonferenzen und Interviews anschaut, kann man diesen Eindruck nicht gewinnen.
ALEX GLEHR: Mittlerweile ja. Aber es macht fast traurig, wo der Erklärungsbedarf in der Kulturpolitik schon ansetzt. Man tut so, als
wären wir ein paar Künstler, die am Tropf der Gesellschaft hängen, und die halt jetzt einmal ein halbes Jahr Pause machen
müssen. Es ist offensichtlich nicht klar, dass die Filmwirtschaft einen jährlichen Gesamtumsatz von 1,4 Mrd € in Österreich
erwirtschaftet, dass 8 000 Menschen in unserem Bereich einfach keine Chance auf Beschäftigung haben. Und in dieser Zahl sind
die Schauspieler und die Beschäftigten bei den Zulieferbetrieben noch gar nicht mitgerechnet. Da gehören Sender ebenso wie
die Werbefilm- und die Musikproduktion dazu. Wenn ich nur für den Bereich des Bildproduzierens spreche, haben wir spätestens
in einem Jahr ein großes Problem, weil uns dann Content fehlt, der dringend nötig wäre, weil Sportveranstaltungen oder Shows
nicht in gewohnter Weise stattfinden können. Nur weil die Kinos zu sind, heißt das ja nicht, dass die Menschen keine fiktionalen
Filme anschauen. Österreichisches Produkt ist plötzlich wieder gefragter als noch vor einem halben Jahr, man könnte darin
auch eine Chance sehen. Wenn die Geschäfte wieder aufmachen, muss man die angebotenen Produkte wieder bewerben. Man braucht
also Spots, um sie bei den TV-Stationen einbuchen zu können. Insofern muss man auch Überlegungen dahingehend anstellen, wie
der ganze Bereich wieder hochgefahren werden kann. Zu lange wurden wir in der öffentlichen Debatte als etwas Schöngeistiges
dargestellt, das halt jetzt nicht stattfinden kann. Ich akzeptiere, dass wir nicht „systemrelevant“ sind. Aber wir sind nicht
wurscht. Und wir sollten es nicht drauf ankommen lassen, dass diese österreichische Filmwirtschaft in sich zusammenbricht.
Wir brauchen Hilfe zur Selbsthilfe.
Wie wirkt sich dieser Zustand der totalen Ungewissheit auf den aktuellen Arbeitsalltag aus? Wie lassen sich Projekte voranbringen,
wenn gleichzeitig die Pausetaste gedrückt ist?
JOHANNA SCHERZ: Alex verbringt zur Zeit ca. 15 Stunden am Telefon. Es gibt immer genügend Dinge, die aufgearbeitet werden müssen. Und wir
haben aktuell auch Ulrike Koflers Spielfilmdebüt Der Lauf der Dinge in Fertigstellung. Die Tonpostproduktion kann gottseidank zu großen Teilen vom Homeoffice aus erledigt werden und ist gerade
im Gange. Ansonsten gibt es unzählige Gespräche, die geführt werden müssen. Was den Landkrimi betrifft, stellen wir uns auf
Ende September ein und haben jetzt einmal versucht, die Schauspieler und Teammitglieder für diesen Zeitraum zu bekommen. Da
ja überall Stillstand herrscht und nichts voraussagbar ist, wird die nächste Herausforderung darin bestehen, mit Situationen
umzugehen, wo verschobene Projekte mit jenen, die für einen späteren Zeitpunkt geplant waren, kollidieren werden. Ich gehe
davon aus, dass es einen Mangel an Teammitgliedern und eine große Nachfrage bei manchen Schauspielern geben wird. Adele Neuhauser
kann sich nicht teilen und drei Tatorte gleichzeitig machen.
ALEX GLEHR: Ein großer Teil des Arbeitstages vergeht auch mit Bemühungen, sich gemeinsam mit Kollegen anderer Produktionsunternehmen
auf einen Stand zu bringen und zu versuchen, gemeinsame Strategien zu entwickeln, um aus dieser Krise wieder herauszukommen.
Das Bemerkenswerte und Positive ist, dass trotz der Distanz, die man gerade gegenüber dem Team, der Kollegenschaft und den
Financiers und Partnern einnehmen muss, eine extreme Solidarität spürbar ist. Es ist jedem bewusst, dass wir im selben Boot
sitzen und es ist uns auch klar, auch wenn wir mit aktuellen Ansagen aus der Kulturpolitik nicht glücklich sind, dass alle
mit einer noch nie dagewesenen Situation konfrontiert sind und niemand allein den Weg vorzeigen kann, wie man da wieder rauskommt.
Diese Zeit hat eben auch viel Positives.
Wie sieht das Hoffnungsszenario für Alma und Oskar aus?
JOHANNA SCHERZ: Wir hätten jetzt vierzehn Wochen Vorbereitungszeit gehabt. Mit den nun gültigen Sicherheitsauflagen und einem zusätzlichen
Puffer, den man nun wohl besser einkalkuliert, muss man wohl mit der einen oder anderen Woche mehr an Vorbereitungszeit rechnen.
Das heißt, wir müssten also demnächst wieder starten, wenn man einen Drehbeginn im Oktober ins Auge fassen will.
ALEX GLEHR: Die Hoffnung ist, dass man kontrolliert und dennoch halbwegs uneingeschränkt die Arbeit wieder aufnehmen kann, indem man eine
Lösung für das Thema Ausfallshaftung findet. So wie es sich mir im Moment darstellt, wird diese Lösung nicht von der Versicherungswirtschaft
kommen – insofern müssen wir an einer staatlichen Ausfallshaftung im Interesse nicht nur der Produzenten, sondern auch der
Verwerter, der TV-Sender, der Mitarbeiter, der Darsteller und des Publikums arbeiten.
Interview: Karin Schiefer
April 2020