INTERVIEW

«Es wird viel zu viel und viel zu wenig geben.»

So plötzlich wie im März in den Kinos die Leinwände eingefahren wurden, so unerwartet schnell gingen sie im Juni wieder auf. Manche Filme holten ihren für Frühling geplanten Start nach, einige nahmen einen zweiten Anlauf, andere warten immer noch auf grünes Licht und verlieren dabei an ihrer Festivalfrische. Im Kino selbst ist wenig wie zuvor geblieben – für die Betreiber ebenso wie für die Zuschauer. Ein Gespräch mit dem Verleiher und Kinobetreiber Michael Stejskal über die Rückkehr des Publikums, Programmieren und Verschieben, Festivalfeeling in Venedig und die Aussichten auf Post-Corona.


Die aktuelle Aussendung des Filmladen Filmverleihs vom 21.9. sieht für die kommenden Monate folgendes vor:  20 Filme bis Weihnachten, d.h. 1-2 Filme pro Woche,
davon vier österreichische Produktionen und eine Koproduktion. Wie hätte die Aussendung vor einem Jahr ausgesehen? Nach welchen Gesichtspunkten und mit welchen Bedenken entsteht zurzeit eine Startliste?

MICHAEL STEJSKAL:
Von der Menge her betrachtet, wäre es möglicherweise eine ähnliche Anzahl gewesen, vielleicht zwei oder drei weniger. Die Zusammensetzung hätte allerdings deutlich anders ausgesehen. Bei der aktuellen Liste handelt es sich um kleine und mittlere Produktionen. Wir sind z.T. von unseren deutschen Lizenzgebern abhängig, größere Starts sind auf unbestimmte Zeit verschoben. Auch bei den österreichischen Produktionen würde die Liste anders aussehen. Zum Teil müssen wir jetzt noch den Rückstand aus dem Lockdown aufarbeiten und der Sommer war auch nicht gerade ein günstiger Zeitpunkt, um Filme zu starten. Es gilt da immer abzuwägen: Ich fühle mich den ProduzentInnen und RegisseurInnen verpflichtet, das Bestmögliche für ihren Film zu raten. Was das Bestmögliche in der aktuellen Situation ist, ist sehr schwer zu sagen. Es wäre fatal, alle österreichischen Filme auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Es hätte zur Folge, dass irgendwann drei, vier, fünf österreichische Filme in einer Woche starten und ich hielte es auch für unklug, dem Publikum über längere Zeit Produktionen aus Österreich vorzuenthalten. Ich habe ja auch eine Verantwortung gegenüber den Kinos. Wenn man sie nicht mit einem gewissen Mix an Filmen versorgt, werden es die Kinos noch schwerer haben zu bestehen. Gleichzeitig will man ja auch vermeiden, dass sich das Publikum endgültig Richtung Streaming-Dienste verabschiedet. Wenn ich diese übergeordnete Verantwortung auch in Betracht ziehe, muss ich, sofern es in meiner Hand liegt, sehr sorgfältig abwägen, ob man das ökonomische Risiko eingehen kann. Was vergleichsweise im Moment gut funktioniert, sind klassische Genre-Filme für sehr junges Publikum, da diese Zielgruppe die Folgen einer Corona-Infektion am wenigsten zu fürchten hat und nach wie vor sehr gerne ausgeht. Gleichzeitig ist die Konkurrenz geringer. Auch Family-Entertainment funktioniert recht gut. Das Gros der Filme, die zurzeit in den Charts vorne liegen, sind diesen beiden Segmenten zuzuordnen. Bei diesen Filmen kann man sich daher mehr trauen und hier kann ich auch empfehlen, mit einem Film rauszugehen, weil die Konkurrenzsituation jetzt weitaus günstiger ist, als sie in Post-Corona sein wird. In anderen Fällen wird verschoben. Es sitzt einem auch die VOD-Auswertung im Nacken, die die Deutschen u.U. vorziehen. Aus der Kombination all dieser Faktoren ergibt sich die Startliste.


Haben die Filme, die zum Zeitpunkt des Lockdowns gerade gestartet oder kurz vor Kinostart gestanden sind, inzwischen einen neuen Anlauf genommen?

MICHAEL STEJSKAL:
Das Bitterste war, dass für die Filme, die gut angelaufen waren, völlig der Faden abgeschnitten worden ist. Känguruh-Chroniken hat in der durch die Ankündigung des Lockdowns eigentlich verkürzten Startwoche mehr als 13 000 Zuschauer. Schon vor der Zwangsschließung der Kinos sind sehr abrupt – von einen Tag auf den anderen – die Zuschauerinnen und Zuschauer weggeblieben. Wir haben dann vorzeitig geschlossen, auch um gegenüber dem Publikum Verantwortung zu signalisieren. Auch La Vérité, der auch sehr gut angelaufen war, wurde in vollem Lauf gestoppt. Waren einmal Revoluzzer von Johanna Moder wäre eine Woche nach dem Lockdown gestartet. Es war sehr bizarr und wie ein Hohn durch Wien zu spazieren und überall Filmplakate von Filmen zu sehen, die wir nicht spielen durften. Känguruh-Chroniken wurden dann vorzeitig von den deutschen Kollegen gestreamt. Wir haben ihn im Sommer erneut rausgebracht mit einem Ergebnis von nahezu null, dasselbe gilt für La Vérité. Ein abgeschnittener Faden lässt sich nicht mehr anknüpfen. Bei Waren einmal Revoluzzer war es anders, weil er ja noch gar nicht angelaufen war wir und wir dann dankenswerterweise vom ÖFI nochmals einen Zuschuss bekommen haben, um die verpufften Kosten vom März zu kompensieren. Wir konnten den Film gut bewerben und ich finde es gut, dass wir ihn im Sommer rausgebracht haben, da er ja schon im Bewusstsein der Menschen war. Wir werden deutlich über 10 000 Zuschauer kommen, was im Moment ein sehr respektables Ergebnis ist. Unseren ursprünglichen Erwartungen entspricht das aber  natürlich nicht.


Es gab in den letzten Monaten den Marché de Cannes online, es sind soeben die Filmfestspiele von Venedig zu Ende gegangen, in San Sebastián wird eine Auswahl an Filmen gezeigt, die für Cannes programmiert waren. Wie akquirieren Sie zurzeit neue Filme? Wie sehr ist der Mangel an Nachschub spürbar? Wird es später als erwartet zum prophezeiten Flaschenhals für die zurückgehaltenen Filme kommen?

MICHAEL STEJSKAL:
Im Moment ist der Markt sehr langsam und sehr dünn. Am virtuellen Markt von Cannes gab es sehr schöne, aber sehr kleine Filme. Ich habe dort einen sehr kleinen Film erworben. Jetzt in Venedig habe ich zwei Filme gekauft. Das zu tun, war eher eine Frage der Ehre als der ökonomischen Überlegung. Man hat ja ein cineastisches Herz im Leib. Mit diesen Filmen werde ich nicht viel Geld verlieren, wenn sie nicht gut laufen, aber auch nicht viel verdienen können. Die Weltvertriebe, die es sich leisten können, halten die potenziell ertragsstärkeren Filme zurück und die wenigen, die auf den Markt kommen, sind für uns nicht so relevant, weil sie stark in eine Genre-Richtung gehen und eine wesentliche VOD-Verwertungskomponente dazu kommt. Wenn man sich nur in der Kinoverwertung bewegt, ist es im Moment sehr zäh.


Wie lange lassen sich die potenten Arthouse-Filme dieses Jahres noch zurückzuhalten?

MICHAEL STEJSKAL:
Die Schwäche dieser Strategie zeigt sich gerade. Viele hatten auf die im Herbst stattfindenden Märkte spekuliert. Die Filme, die mit einem Cannes-Label versehen worden sind, bei Cannes online nicht zu sehen waren und nun zum Teil in San Sebastián gezeigt werden, sind nun alt. San Sebastián zeigt diese Filme wiederum nicht online. Aufgrund der aktuellen Lage fährt aber kaum jemand zum Festival. Ich hätte es versucht, bin aber an der Reiseoption, die lange und kompliziert gewesen wäre, gescheitert. Ganz abgesehen von den Quarantäne-Vorschriften. So ist es nicht nur mir gegangen. Nun laufen die Cannes-gelabelten Filme dort unter Ausschluss der Öffentlichkeit und sind irgendwann alt. Ich glaube, dass wir in den kommenden eineinhalb Jahren mit einer Situation zu tun haben werden, wo Mangel und Überfluss gleichzeitig vorhanden sein werden. Es wird viel zu viel und viel zu wenig geben. Es wird Wochen geben, wo aus verschiedensten Gründen 15 Filme starten und Wochen, wo riesige Lücken aufreißen.


Mit welchem Stimmungsbericht kommen Sie aus Venedig zurück?

MICHAEL STEJSKAL:
Es haben sich alle riesig gefreut, endlich Filme wieder auf der Leinwand zu sehen. Ich bin mit großen Vorbehalten hingefahren, ich muss aber sagen, dass das diesjährige Festival in Venedig perfekt organisiert war. Man musste alles im Vorhinein reservieren, spontane Entscheidungen waren unmöglich, das Fiebermessen beim Betreten des Geländes hat auch genervt. Es hat sehr schön die Möglichkeiten und Grenzen eines Festivals in der aktuellen Situation gezeigt. Man hat gesehen, es geht, wenn auch mit großem, manchmal überzogen anmutendem Aufwand. Es hat aber auch die Grenzen aufgezeigt. Der große Vorteil ist, dass sich in Venedig abgesehen von den Screenings alles im Freien abspielt. Meetings sind problemlos und angstfrei möglich. Sobald sie innen stattgefunden haben, herrschte Maskenpflicht. Das lässt mich sehr skeptisch für Berlin sein. Unter den Kollegen war die Stimmung erstaunlich gelassen. Rosige geschäftliche Perspektiven hat ja niemand vor sich, alle versuchen mit der Situation umzugehen und sich anzupassen. Es war niemand besonders optimistisch, was die Zukunft betrifft, es ist aber auch niemand deprimiert durch die Gegend gelaufen. Viele der dort Anwesenden wussten nicht, ob sie die nächsten zwei Jahre wirtschaftlich überleben werden.


Als die großen Gewinner des Lockdowns gelten die Streaming-Dienste. Sieht eines der Zukunftsszenarien nun so aus, dass man am Beginn des Verwertungsprozesses die Frage stellt, ob es sich eher um einen Kino-Film oder einen VOD-Film handelt und wird entsprechend mit unterschiedlichen Verwertungsstrategien ansetzen?

MICHAEL STEJSKAL:
Ich glaube, es wird in Zukunft im Kino zwei unterschiedliche Arten von Filmen geben. Einerseits die Filme, die ich im weiteren Sinn als „Premium-Filme“ bezeichnen würde, die mit einigermaßen üblichen Auswertungsmustern und Fenstern (das liegt zurzeit bei vier Monaten) auskommen. Das würde bedeuten, dass der Film seine Kinokarriere abschließen kann, bevor er gestreamt wird. Die Verleiher werden dann hoffentlich den Kinos anständige Spielzeiten abverlangen können, sonst würde sich das Investment nicht mehr lohnen. Andererseits all jene Filme, die man im weitesten Sinn als „alternative content“ bezeichnen kann. Das sind Filme, die möglicherweise gleichzeitig auch gestreamt werden und die das Publikum nur in einem sehr kurzen Fenster auf der Leinwand sehen kann. Was da auch darunter fällt ist Oper, Sport, Theater etc., wo die Kinos eine relative große Freiheit haben, den Film nur begrenzt einzusetzen und möglicherweise auch anders abzurechnen. Es ist zumindest meine Hoffnung, dass sich der Markt in diese Richtung entwickelt, weil es bedeutet, dass ein Segment, das Kinofilm im klassischen Sinn betrifft, weiterhin existieren kann und unangetastet bleibt. Das Worst-Case-Szenario wäre, dass es keinerlei Fenster mehr gibt und die Kinos gezwungen wären, ein sehr unruhiges, inkonsistentes Programm zu spielen, wo einzelne Filme keine große Sichtbarkeit mehr hätten. Das hätte meiner Meinung nach weitreichende Folgen für die Herstellung der Filme in kleineren Ländern und ihre Chancen beim Publikum.


Im Jahr 2019 sind 450 Filme ins Kino gekommen, eine unbefriedigende Situation für alle Seiten. Hat die aktuelle Zwangsreduktion nicht auch einen positiven Effekt, dass Filme wieder ein längeres Leben in den Kinos haben können und das Angebot überschaubar ist?

MICHAEL STEJSKAL:
Ich kann daran gar nichts Positives entdecken. Ein Blick auf die Kinoprogramme zeigt, dass diese noch unruhiger geworden sind. Die Fokussierung auf einzelne Filme ist noch schwieriger als vorher. Um irgendwie auf Zuschauerzahlen zu kommen, ist man als Kinobetreiber derzeit ja gezwungen, Kraut und Rüben zu spielen, wie man es noch nie zuvor getan hat. Zugkräftige Produktionen, die über mehrere Wochen Zuschauerzahlen sichern könnten, sind rar gesät. Ich will damit nichts gegen die Qualität der Filme sagen, aber sie haben ein begrenztes Potenzial. Dazu kommt, dass man zurzeit mühsam das Publikum zusammenhalten muss. Ich habe noch nie so viel gearbeitet und so wenig Umsatz gemacht. Es ist immer noch besser, ein patchworkartiges Programm zu spielen, um eine größtmögliche Vielfalt abzudecken. Alle blicken jetzt wie das Kaninchen auf die Schlange auf den für Herbst geplanten James Bond No Time to Die. Wenn der nicht käme, dann wäre es furchtbar.  Der neue James Bond-Film macht mit seiner medialen Präsenz Kino per se attraktiv und verhindert, dass das Kino zur Nischen- und Randerscheinung wird. Aktuell sind wir Teil eines größeren gesamtwirtschaftlichen Komplexes, der starke wirtschaftliche Fokus führt dazu, dass eine gewisse Bandbreite abgedeckt werden muss.


Kann man demnach nicht sagen, dass es die kleineren Kinobetreiber momentan etwas leichter als die großen haben, die viel stärker von attraktiven Neustarts abhängen?

MICHAEL STEJSKAL: 
Ja und nein. Ich bin mir sicher, dass die Rückgänge im Arthouse-Bereich geringer sind als in den Multiplexen. Das hat auch damit zu tun, dass Mulitplex-Kinos im Sommer das stärkere Geschäft haben. Im Arthouse-Bereich brauchte man ein, zwei starke Filme, die einen möglicherweise über den Sommer retten konnten. Oft waren diese Zugpferde aber nicht da. Der Sommer ist für uns sowieso immer eine schwere Zeit. Die Mulitplex-Kinos haben von den Sommer-Blockbustern gelebt. Daher ist das Gefälle bei ihnen jetzt höher. Ich komme so leichter auf 50 bis 60 Prozent des Vorjahresumsatzes heran als die Multiplexe. Und es ist richtig, dass diese Kinos stärker von den großen amerikanischen Filmen abhängen, die nicht kommen.


Die Wiedereröffnung des Kinobetriebs erfolgte Mitte Juni. Wie sah die Bilanz nach den ersten Wochen der Wiedereröffnung aus? Hat es etwas wie einen Nachholbedarf beim Publikum gegeben?

MICHAEL STEJSKAL:
  Der Neustart ist ja leider nicht so wie wir das geplant gehabt hätten, erfolgt. Wir hatten auf einen einheitlichen Start mit 1. Juli hingearbeitet, um Kino wieder ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. Es war aber dann so, dass ja gerade überfallsartig die Öffnung der Säle verkündet wurde. In dieser ersten Phase hat man deutlich gespürt, wie groß die Freude war, wieder ins Kino gehen zu können und wie sehr die Menschen das Kino schätzen. Die Versorgung an Filmen war zu Beginn sehr spärlich. Ein Verleihbetrieb lässt sich nicht im Handumdrehen wieder hochfahren. Es hat sich aber auch gezeigt, dass Menschen gesundheitliche Bedenken hatten, ins Kino zu gehen und es bei Schönwetter wohl vorzogen, im Freien zu bleiben. Sobald Schreckensmeldungen durch die Medien gegangen sind, konnte man es in den Besucherzahlen ablesen.


Wie haben Sie in der Zeit des Lockdowns versucht, mit Ihrem Publikum in Kontakt zu bleiben?

MICHAEL STEJSKAL:
Man hat inzwischen die Stimmung, die zu Beginn des Lockdowns herrschte, vergessen. Die ausgesprochene Erwartungshaltung war die, dass irgendwann die Herdenimmunität erreicht ist und dann alles munter weitergeht wie vorher. Es war nur eine Frage, wann der Peak endlich erreicht ist. Wir haben Geld investiert, um das Publikum bei der Stange zu halten, indem wir unsere Website umgebaut haben, wir haben versucht, mit Trailern und Ankündigungen in eine rege Kommunikation mit unseren Zuschauer*nnen zu treten und waren während des Lockdowns beim Kino VOD-Club, was wir sonst nicht sind. Das war alles ziemlich arbeitsaufwändig und kostenintensiv. Rückblickend war das eine naive Unterschätzung der Wegstrecke, die vor uns lag und liegt.


Wie schnell und effizient haben die Unterstützungen der Regierung gegriffen?

MICHAEL STEJSKAL:
  In der ersten Phase war ein großes Bewusstsein vorhanden, dass den Programmkinos geholfen werden soll. Wir fanden aber, dass wir nicht losgelöst behandelt werden sollten und haben mit allen Kino-Betreibern gemeinsam ein Konzept erarbeitet, das  einen Liquiditätszuschuss für alle Kinos vorsah. Die Unterstützung für die Programmkinos war aber schon im Laufen, und es war für uns ein sehr hilfreiches und ermutigendes Signal. Die Hilfe für die anderen Kinos sollte nun Ende September nachgeholt werden. Niemand hat natürlich damit gerechnet, dass die schwierige Lage so lange andauern würde. Die Hilfsmaßnahmen sind für Veranstaltungsbetriebe in unterschiedlicher Weise geeignet. Es macht einen Unterschied, ob man als gemeinnütziger Verein oder als Firma organisiert ist. Für erstere funktioniert der NGO-Topf sehr gut, für alle anderen ist der Umgang mit den Hilfsmaßnahmen ein mühsamer Fleckerlteppich. Ein Vor und Zurück. Manche Maßnahmen sind meiner Meinung nach zum falschen Zeitpunkt gesetzt, wie z. B. die Mehrwertsteuersenkung. Es wäre sinnvoller, wenn sie erst dann in Kraft treten würde, wenn alles wieder hochfährt, weil man dann das verlorene Terrain schneller aufholen würde. Jetzt haben diejenigen am meisten davon, die am wenigsten von der Krise betroffen sind und die, die am schwersten getroffen sind, haben gar nichts davon. Es wird immerhin auf 2021 verlängert, das ist eine gute Nachricht für den hoffentlich stattfindenden Neustart. Beim COVID-Hilfsfonds hat es in der zweiten Phase wesentliche Verbesserungen gegeben. Was für uns als Veranstaltungsbetriebe verheerend ist, ist, dass man die Lohn- und Gehaltskosten nicht im COVID-Hilfsfonds unterbringen kann. Kurzarbeit war in der Phase des Lockdowns eine gute Maßnahme, jetzt hilft sie mir nicht, weil ich den Betrieb laufen habe, nur leider nicht genug Umsatz mache. Ich habe die vollen Personalkosten, die ich nirgendwo unterbringen kann. Als Veranstaltungsbetrieb kommt man auch nicht ohne geringfügig Beschäftigte aus. Sie füllen die Pufferzeiten, die man mit fix Beschäftigten nicht schaffen kann. In Corona-Zeiten ist jeder Veranstalter gut beraten, zwei Teams zusammenzustellen, die nichts miteinander zu tun haben. Für diese Flexibilität brauche ich auf alle Fälle geringfügig Beschäftigte. Sie kommen in den Kurzarbeitsmodellen nicht vor. Gerade sie berühren aber auch eine soziale Thematik, weil es oft Studierende sind, die das Geld dringend brauchen, um über die Runden zu kommen. Wir haben versucht, sie durch die Zeit des Lockdowns mitzunehmen.


Wie sehr hat sich der organisatorische Alltag im Kino verändert?

MICHAEL STEJSKAL:
  In organisatorischer Hinsicht sind wir ständig damit beschäftigt, je nach Vorschriften unsere Dispositionen neu zu adaptieren. Der Alltag ist in jeder Hinsicht sehr mühsam geworden: Angefangen damit, dass die Beginnzeiten auseinandergezogen werden müssen, damit nicht zuviele Menschen gleichzeitig im Foyer sind. Das bedeutet einen Verlust der besten Programmslots für die anderen Filme. Allein durch die Ausdehnung der Betriebszeiten, um über mehr Vorstellungen mehr Zuschauer zu bekommen, entstehen wieder höhere Kosten, gleichzeitig sind wir in der Personaleinteilung weniger flexibel.  Die Handläufe, Kassen, Stehtische etc. müssen regelmäßig desinfiziert werden, die Zuschauer über die Notausgänge die Säle verlassen etc. Das sind, jedes für sich genommen, keine großen Dinge, die Summe aller Faktoren macht etwas aus. Wir sind als Struktur schwerfälliger geworden und müssen gleichzeitig viel flexibler sein als sonst.


Wie sieht Ihr Blick in die Zukunft aus: Hat dieser Bruch unwiederbringliche Einschnitte für das Kino gebracht?

MICHAEL STEJSKAL:
Ums Kino mache ich mir langfristig überhaupt keine Sorgen. Es hat schon so viele Krisen überlebt. Die Menschen lieben, brauchen, wollen das Kino. Es wird möglicherweise eine Frage der Quantität. Aus jeder Krise ist das Kino einerseits gestärkt hervorgegangen, andererseits sind nach jeder Krise die Zuschauerzahlen und damit auch die Anzahl der Kinos geringer geworden. Man darf sich keine Illusionen machen. Ich glaube nicht, dass alle das überleben werden. Ich unterstütze da in keiner Weise die wirtschaftsdarwinistische Auffassung, die es für gut befindet, wenn nur die Stärksten überleben. Ich erhoffe mir Unterstützung für jene, deren Existenz in Gefahr ist, damit sie es überleben, weil ich glaube, dass sonst etwas unwiederbringlich verloren geht. Es wird vom Ausmaß der politischen Unterstützung abhängen, wie viele überleben. Dass es ein Großteil der Kinos weiterhin geben wird, daran habe ich keinen Zweifel. Man darf sich aber keine Illusionen darüber machen, wie mühsam die kommenden drei bis vier Jahre sein werden.


Interview: Karin Schiefer
September 2020





«Ein Blick auf die Kinoprogramme zeigt, dass diese noch unruhiger geworden sind. Um irgendwie auf Zuschauerzahlen zu kommen, ist man als Kinobetreiber derzeit ja gezwungen, Kraut und Rüben zu spielen, wie man es noch nie zuvor getan hat. Zugkräftige Produktionen, die über mehrere Wochen Zuschauerzahlen sichern könnten, sind rar gesät. Dazu kommt, dass man zurzeit mühsam das Publikum zusammenhalten muss. Ich habe noch nie so viel gearbeitet und so wenig Umsatz gemacht.»