INTERVIEW

«Diese Frauen hatten keine weiblichen Gegnerinnen mehr.»


Sie sind innerhalb einer Generation geboren, stammen aus derselben Stadt, waren fast so etwas wie Nachbarinnen, mal Kolleginnen, mal Gegnerinnen, vor allem aber eines: in den siebziger und achtziger Jahren die Königinnen des internationalen Frauenschachs. Die Georgierinnen Nona Gaprindashvili, Nana Alexandria, Maia Chiburdanidze und Nana Ioseliani haben fast 30 Jahre lang die Weltspitze im Frauenschachsport dominiert und auch die männliche Schachelite herausgefordert. In Georgien waren sie nationale Heldinnen, im Westen sind sie außerhalb der Fachkreise weitgehend unbekannt. Das sollte sich mit Glory to the Queen der in Wien lebenden Filmemacherin Tatia Skhirtladze nun ändern.


In Ihrem Dokumentarfilm Glory to the Queen geht es um das Schachwunder im georgischen Frauenschach. Können Sie kurz dieses Phänomen umreißen und die vier Protagonistinnen charakterisieren?

TATIA SKHIRTLADZE:
In Glory to the Queen geht es genau gesagt um vier sowjet-georgische Schachspielerinnen – weibliche Schach-Weltstars – , die zwischen 1962 und 1991 (das Jahr des Zerfalls der Sowjetunion) die weltbesten Schachspielerinnen waren. Sie sind im Team bei zwei Olympiaden 1980 und 1982 aufgetreten und haben in diesem Individualsport natürlich auch gegeneinander gespielt. Sie haben nicht nur in derselben Stadt gelebt, sie waren quasi Nachbarinnen. Das heißt, Frauen, die in nächster Nähe zueinander gelebt haben, konnten sich fast dreißig Jahre lang an der Schach-Weltspitze durchsetzen. Das war einzigartig. Nona Gaprindashvili, Nana Alexandria, Maia Chiburdanidze und Nana Ioseliani haben Frauen-Schach-Geschichte geschrieben. Unter ihnen waren Nona die erste und Maia die zweite Frau in der Schachgeschichte, die den Titel Großmeister (eine Auszeichnung, die es zunächst nur im Männer-Schach gab) errungen haben.


Sie haben selbst georgische Wurzeln. Wie sieht es mit der Verankerung des Schachspiels in der dortigen Kultur aus? Es scheint ja beinahe einen Status als Nationalsport zu genießen? Steht da aber auch eine längere Tradition dahinter?

TATIA SKHIRTLADZE:
Den Begriff Nationalsport kann ich bestätigen und zwar gilt das vor allem für Frauen und hat unmittelbar mit unseren Protagonistinnen zu tun. Ich bin in Georgien aufgewachsen und war 14, als die Sowjetunion auseinanderfiel, ich habe also die Ära des Kalten Krieges noch ein bisschen mitbekommen. Nona, zwei Nanas und Maia waren in meiner Kindheit die bekanntesten Frauen, die es damals gegeben hat. Schach genießt bis jetzt große Popularität durch sie. Sie haben einen sehr starken Impuls gegeben und Schach zum Nationalsport gemacht. Es spielen viele Frauen, aber auch Männer Schach, zurzeit gibt es aber nur eine Frau aus Georgien, Nana Dzagnidze, die in der obersten Liga spielt. Die Popularität des Spiels hat auch Gründe, die mit Geschichte des Landes zum tun hat: Im 16. und 17. Jh. war in Georgien der persische Einfluss sehr groß. Man nimmt ja an, dass Schach aus Persien oder Indien kommt. Dieser Einfluss hat gewisse kulturelle Prägungen mitbestimmt. Es wird gesagt, dass man Frauen höher gestellter Familien ein Schachspiel als Mitgift mitgegeben hat. In Nona Gaprindashvilis Geburtsstadt, der ersten Frau, die den Titel Großmeister erlangt hat, gab es einen Fürsten, der ein Schachmäzen war und u.a. das 1889 erschienene Lehrbuch The Modern Chess Instructor,  finanziert hat, das wiederum vom österreichischen Schachspieler und ersten Schachweltmeister Willhelm Steinitz geschrieben worden ist. Diese kulturellen Gegebenheiten haben Nonas Familie, in der alle Schach gespielt haben, gewiss beeinflusst.


Interessant ist, dass man in der ganzen Welt den Zeitgenossen Garri Kasparov kennt, dass diese vier georgischen Weltklassespielerinnen außerhalb der Schachwelt nicht bekannt sind, obwohl sich diese Frauen auch im männlichen Welt-Spitzenfeld behauptet haben. Einmal mehr wird die Diskrepanz in der Wertschätzung und medialen Beachtung weiblicher sportlicher Leistungen deutlich. Lag darin auch einer der Hauptmotive für dieses Filmprojekt?

TATIA SKHIRTLADZE:
Ich bin dankbar für diese Frage. Ich hatte immer das Gefühl, dass diese Frauen in ihrer Professionalität, ihrem Durchsetzungsvermögen und ihren Erfolgen nicht ernst genommen wurden. Ich hoffe, dass dieser Film dazu beiträgt, dass diese Wertschätzung klar ausgesprochen wird. Milunka, die Geschichtenerzählerin in meinem Film, hat mir bei unserem ersten Treffen gesagt: „Wir kannten dein Land nur über Stalin und seinen KGB-Chef Beria. Du kannst dir also einen Begriff davon machen, welches Bild wir von diesem Land hatten? Plötzlich tauchte Nona, gefolgt von Nana Alexandria, Maia und Nana Ioseliani auf. Sie haben uns die Augen geöffnet, dass es nicht nur wahnsinnige Männer gibt, die dort den Ton angeben“. Ich betrachte diese vier Frauen als positive Erfolgsgeschichte, die man erzählen sollte. Man sieht im Film, dass ihre große Zeit vorbei ist und sie keine Weltstars mehr sind. Aber sie genießen immer noch ihren Status und sind guter Dinge.


Sie interviewen auch eine fünfte Person – Milunka. Welchen Bezug hat sie zu den vier Protagonistinnen?

TATIA SKHIRTLADZE
: Milunka Lazarević, die in 2018 verstorben ist, war aus Jugoslawien und ebenfalls eine Elite-Schachspielerin. Sie war älter als alle meine Protagonistinnen und hat zunächst gegen Nona, später auch gegen Nana Alexandria gespielt. Gleichzeitig war sie die Schachjournalistin der Ära des Kalten Krieges. Jugoslawien war damals blockfreies Land, wo westliche und sowjetische Schachspieler zusammenkamen, weil man dort sehr hochrangige Turniere abhalten durfte. Milunka war eine Intellektuelle, sie hat sich selbst als die Scheherazade der Schachgeschichte bezeichnet. Sie hat mein Projekt voll und ganz unterstützt und viele Türen geöffnet. Sie kannte alle damalige Schachweltstars – Bobby Fischer, Michael Tal, Boris Spasski, Garri Kasparov, Anatoly Karpov usw. und konnte mich wie über die Liebesflirts so auch über politische und psychologische Hintergründe des weltweiten Schachwettkampfs unterrichten. Mein Film geht aber nicht darauf ein. Schachspielende Frauen werden ja meistens sehr stark über Vergleiche mit Männern definiert und ich fand es deshalb wichtig, dass sich diese Frauen durch sich selbst darstellen, ohne ständige Bezüge zu den männlichen Schachstars, die alle kennen.


War es einfach, Ihren Protagonistinnen nahe zu kommen? Wie leben sie heute?

TATIA SKHIRTLADZE
: Gerade weil sie immer sehr stark der öffentlichen Wahrnehmung ausgesetzt gewesen sind und auch nichts dagegen hatten, sind sie es gewohnt, vor der Kamera zu stehen und ihre Rolle zu spielen. Es war schwierig, ihr wirkliches Gesicht oder Leben herzuzeigen. Ich glaube, wir haben da das Maximum geschafft. Was ihr heutiges Leben betrifft, Nona ist die Älteste, die als einzige nach wie vor Schach spielt und Seniorenweltmeisterin ist. Nana Alexandria ist Direktorin einer Traditions-Schachschule, Nana Ioseliani die Businesswoman, die auch noch für die Promotion von Schach Zeit findet und Maia, die ausgebildete Ärztin ist, hat nun auch ihre Schachschule – die Chess Queen Academy – gegründet. Maia hat jahrelang zurückgezogen gelebt. Sie ist sehr stark dem christlich-orthodoxen Glauben verbunden, wollte sich beim Filmen aber nur auf Schach konzentrieren, was ich auch verstehe. Man kommt an meine Protagonistinnen nur über gute Bekannte heran. Ich hatte zum einen gute Vermittlerinnen, und beim ersten Interview mit Nona hatte ich die Idee, als Überraschung Milunka Lazarević per Skype zuzuschalten. Das heißt, wir haben natürlich Tricks angewendet, um sie zur Teilnahme zu animieren. Besonders schwierig war es, mit Maia in Kontakt zu treten. Ich musste zwei Tage hintereinander zur Messe gehen, in der Hoffnung sie anzutreffen. Am zweiten Tag ist es dann vor der Kirche gelungen. Ich hatte gottseidank auch große Unterstützung von ihren Freunden und Bekannten, die überzeugt waren, dass es diesen Film geben sollte.


Sie portraitieren diese Frauen jede für sich. Was man sich erschwerend vorstellen kann, ist die Tatsache, dass sie einst harte Konkurrentinnen waren und Siege und schwere Niederlagen zwischen ihnen stehen. Haben diese Gefühle auch noch in die Drehs und Zusammentreffen hineingewirkt?

TATIA SKHIRTLADZE
: Ich hätte sehr gerne mehr Zeit gehabt, sie alle vier gemeinsam zu zeigen. Ich glaube, dass dieses gleichzeitig Kolleginnen- und Konkurrentinnen-Sein – und das ist 30 Jahre her – bis jetzt mitspielt. Man merkt es an ein paar Stellen im Film, z.B. wenn Maia Nona zum Geburtstag einen Rubiks-Würfel schenkt, und sagt „sie soll doch ihr Gehirn damit trainieren“. Was ich aber wirklich toll fand: Es gäbe jede Menge über Spannungen zu erzählen, aber sie sind so professionell, dass dieses Konfliktpotenzial nie überhandgenommen hat und sie stets auf der Ebene des gegenseitigen Respekts geblieben sind. Sie lieben sich auch sehr. Ich würde es Hassliebe nennen, was da zwischen ihnen steht. Sie waren alle vor allem mit mir solidarisch und spielten die Rolle, die sie immer eingenommen haben: ein Team, das mitmacht und das Beste gibt, wissend, dass sie am Ende eh auseinander gehen werden. So wie sie in ihrem professionellen Werdegang waren – miteinander und gegeneinander – so waren sie auch in der Filmarbeit. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.


Einer Ihrer konzeptuellen Zugänge ist es, Frauen zu präsentieren, die einen der Vornamen der Schachspielerinnen tragen. Welcher Gedanke steht da dahinter?

TATIA SKHIRTLADZE
: Ein Erzählstrang von Glory to the Queen zeigt Namensvetterinnen der Protagonistinnen. Darüber wusste ich ursprünglich nichts. Diese Information verdanke ich Nana Alexandria. In der Schachschule, die sie leitet, gibt es eine Putzfrau, die Maia wegen Maia Chiburdanidze heißt, und bei den Dreharbeiten im Zug sind wir zufällig auf eine Zugbegleiterin gestoßen, die ebenfalls ihren Vornamen Nana, wegen Nana Ioseliani trug. Wir standen vor der Frage, wie wir parallel zu den Portraits auch erzählen konnten, wie das System damals diese erfolgreichen Frauen für Propagandazwecke instrumentalisiert hat und wie gleichzeitig diese Erfolge Liebe und Bewunderung bei den Menschen bewirkt haben. Daher die Idee, dass das gut über diese jüngeren Frauen transportiert werden konnte. Also wurde dieses Element zu einer Travelog quer durch das Land. Die Drillinge im Film vermitteln das sehr gut, wenn sie erzählen, dass sie zunächst anders hießen und dann auf Anfrage des Frauenkomitees umbenannt werden mussten. Wir zeigen aber auch junge Frauen, die gerne Schach gespielt oder von einer Schach-Karriere geträumt haben oder jene, die von ihren männlichen Verwandten ihren Vornamen bekommen haben und selbst nie etwas mit Schach am Hut hatten. Für mich sind diese Frauen ein wichtiger Bestandteil meines Films. Wir hatten keinerlei Schwierigkeit, sie zu finden. Meine Protagonistinnen wurden so oft in ihrem Leben gefilmt, dass sie meinten schon zu wissen, was ein neuer Film über sie zeigen würde. Plötzlich waren da diese anderen Frauen. Das war ein schöner Überraschungseffekt bei der Premiere des Films. Während des Konzipierens und Schneidens des Films war klar, dass wir einen historischen Exkurs über die Epoche, in der ihre Erfolge stattgefunden haben, unterbringen müssen. Er geschieht nun über das von mir gesprochene Voice-Over, über die Archivaufnahmen und die Namensvetterinnen.


Archivaufnahmen gibt es einerseits von den Turnieren, andererseits in Form von TV-Portraits, die deutlich machten, wie sehr die Propaganda die Schachstars in ihren Dienst stellte. Welche Aufnahmen haben Sie besonders interessiert?

TATIA SKHIRTLADZE:
Wir haben mit zwei Archiven zusammengearbeitet: dem georgischen Staatsarchiv und dem georgischen Dokumentarfilmarchiv MEMATIANE. Das Staatsarchiv zeigt die Aufnahmen aus Moskau, Turniere etc. Die „Home-Stories“ sind Restmaterialien, die wir in Dokumentarfilmarchiv MEMATIANE bekommen haben, die nur zum Teil oder gar nicht verwendet worden waren. Von diesen Restmaterialien konnten wir einiges nicht verwenden, weil vor allem Nana Ioseliani nicht einverstanden war, wenn wir allzu persönliches Material publik gemacht hätten. Die Entscheidung aber diese Home-Stories dennoch zu zeigen, hat damit zu tun, dass wir vermitteln wollten, wie diese Frauen abgesehen von ihren großartigen Erfolgen damals eindeutig als Hausfrauen, Mütter und schöne Frauen inszeniert wurden. Dort, wo Maia als Blumenmädchen gezeigt wird, habe ich die Stelle genommen, wo sie statt einer Blume einen Pilz in die Hand nimmt und mit schlauem Ausdruck Richtung Kamera blickt. Das finde ich auf den Punkt gebracht, weil es zeigt, dass sich dessen bewusst ist, wie sie als siebzehnjährige Weltmeisterin und angehende Ärztin in eine Rolle gesteckt wird.


Zu den einmaligen Momenten gehören auch jene, wo die Schachmeisterinnen scheinbar en passant mehrere Partien gleichzeitig gegen Männer spielen oder wo die großen Turniere voll Spannung von Männern verfolgt werden wie ein Fußballspiel. Kurze Momente einer Umkehrung der Verhältnisse.

TATIA SKHIRTLADZE:
Diese Frauen hatten keine weiblichen Gegnerinnen mehr. Nur deshalb konnten sie in die Männerwelt vordringen. Nona spielt nach wie vor gegen alle gerne. Sie gewinnt gerne gegen Männer, weil mehr Männer als Frauen auf hohem Niveau Schach spielen. Beide Nanas haben weniger gegen Männer gespielt, weil sie auch noch weibliche Gegnerinnen vor sich hatten. Den Umstand, gegen Männer zu gewinnen, erleben nicht alle Frauen gleich. Wenn man eine Sportlerin ist, ist es wichtig, dass der/die Gegner/in eine Herausforderung darstellt. Eines haben diese vier Frauen erreicht: Bei der Schach-Olympiade gibt es jetzt einen Mannschaftspreis für das weibliche und männliche Team mit dem besten gemeinsamen Score. Dieser Preis ist nach Nona Gaprindashvili benannt. Das ist ein schönes Symbol dafür, was Nona für den Schachsport geleistet hat.  Es wäre gut, dass die Trennung nach Geschlechtern im Schach bald verschwindet, dafür muss aber der prozentuale Frauenanteil noch deutlich steigen.


Habe die vier Frauen durch ihre Initiativen konkret zur Förderung des Frauenschachspiels beigetragen?

TATIA SKHIRTLADZE:
Nana Alexandria hat In ihrer Funktion als Vorsitzende des FIDE Komitee des Frauenschachs bei offenen Tournieren Preise für Frauen durchgesetzt. Damals war das sehr wichtig für Frauenförderung. Nana Ioseliani betreut talentierte Kinder persönlich und kümmert sich auch darum, dass die Kinder, die hohes Potenzial haben, von den Trainern und Eltern nicht instrumentalisiert werden. Sie hat oft betont, dass man in jungen Jahren aufpassen muss, die Kinder nicht zu stark unter Druck zu setzen. Maia hat eine ganz besondere Form des Schachspiels erfunden. Sie nennt es Maias Schach. Durch das computerunterstützte Schachspielen ist das Schachspiel langweiliger geworden, weil man viele Eröffnungszüge auswendig lernen kann. Sie hat daher ein Format erfunden, wo jede/r Spieler/in ein Los ziehen muss und dann an ein Brett kommt, auf dem auf beiden Seiten bereits 15 Züge gemacht worden sind. Man muss also mit dem eigenen Talent und dem eigenen Wissen weiterspielen, Auswendig-Lernen hilft da gar nichts. Das ist natürlich weniger populär, aber Maia findet, dass Schachspielen so mehr Spaß macht und veranstaltet auch Maias Schachturniere.


Erfolgsgeschichten haben immer ihre Kehrseiten, die man auch im Film meist nur leicht anklingen: die schwere Vereinbarkeit mit der Familie, der Druck zu gewinnen zu müssen, die Verweigerung von Leistungssport für die Enkelgeneration.

TATIA SKHIRTLADZE: 
Maia hat keine Kinder, die anderen drei haben jeweils ein Kind bekommen. Nona wie Nana Alexandria haben beide betont, dass sie weniger Zeit hatten, um sich für die Turniere vorzubereiten. Nona gibt nie zu, dass sie schwächer als ein Mann ist. Sie sagt, sie hatte einfach so viele Aufgaben mehr zu bewältigen und daher konnte sie weniger Zeit über Schachbüchern verbringen. Die Vereinbarkeit von Karriere und Familie ist für alle, die Erfolg haben wollen, eine Herausforderung. Dass sie in entscheidenden Spielen gegen ihre Landsmänninnen antraten mussten, dieses Naheverhältnis hat den Druck noch einmal erhöht.


Hat sich Ihre Wahrnehmung des Schachspiels durch diese Arbeit verändert?

TATIA SKHIRTLADZE:
Mit der Arbeit am Film hat sich mein Blick auf das Schachspiel in zweifacher Hinsicht geändert: Ich habe jetzt sehr viele Schachspielerinnen kennengelernt, vor allem mit meinen Protagonistinnen sehr viel Zeit verbracht. Ich muss sagen, sie sind alle „crazy“ in einem guten Sinn. Sie sind einerseits ganz normal und zugänglich, es gibt aber dann ein Moment, wo sie plötzlich in der Luft schweben, als wären Sie in einer anderen Sphäre – und das ist ihre Schachwelt. Es ist ein Teil ihrer Identität, den sie mit ihren Kolleg*innen weltweit teilen. Diese vier Frauen sind die seltenen mir bekannten Kosmopolitinnen aus meinem Land aus einer Zeit, als der Eiserne Vorhang noch ganz zu war. Zum anderen ist Schach nun etwas geworden, was ich jetzt lieber spiele. Ich kann jetzt auch dem Schachspiel stundenlang zuschauen, ohne dass mir langweilig wird.


War es für Sie persönlich eine Rückkehr nach Georgien?

TATIA SKHIRTLADZE:
Ich bin sehr lange aus meinem Land weg.  Ich habe inzwischen die österreichische Staatsbürgerschaft und fühle mich hier auch zu Hause. Meine Heimat Georgien ist ein Land, wo ich gerne bin, Freunde habe, die Sprache spreche und meine Wurzeln sind. Das Zurückkommen mit dem Film in mein Land war eines der wichtigsten Ereignisse in meinem Leben. Die Weltpremiere dieses Films hat am 4. September beim Festival CinéDOC-Tbilisi stattgefunden. Drei der Protagonistinnen waren anwesend, die den Film noch nicht kannten. Wegen Covid-19 fand die Vorführung Open Air statt, der Andrang war groß, die Stimmung war aufgeladen. Manchmal geschieht etwas, von dem man das Gefühl hat, es machen zu müssen. Es war wie eine Pflicht meiner Heimat gegenüber, die ich jetzt erfüllt habe. Ich bin froh, dass es in dieser Form passiert ist. Die Premiere war wie ein Fest. Was mich an meinen Protagonistinnen so besonders beeindruckt, ist ihre Großzügigkeit. Sie bestehen nie darauf, wie toll sie sind. Es ist selbstverständlich. Dieser Film kann vielleicht auch in meiner Heimat eine Diskussion darüber auslösen, was Frauen leisten. Warum reflektieren und sprechen die Frauen über eigene Errungenschaften so wenig? Diese Frage möchte ich stellen, wenn der Film dann in Georgien in den Kinos läuft. Vielleicht sind die Schachspielerinnen dann dabei, um mitzudiskutieren.

Interview: Karin Schiefer
Februar 2021






«Ich muss sagen, sie sind alle „crazy“ in einem guten Sinn. Sie sind einerseits ganz normal und zugänglich, es gibt aber dann ein Moment, wo sie plötzlich in der Luft schweben, als wären Sie in einer anderen Sphäre – und das ist ihre Schachwelt.»