INTERVIEW

«Es geht um viel.»

Auf die Idealline hat er ebenso gepfiffen wie auf die neueste Schi-Technologie, dennoch hat Franz Klammer mit seiner verwegenen Fahrt vom Patscherkofel in weniger als zwei Minuten österreichische Sportgeschichte geschrieben. Elisabeth und Andreas Schmied sind zu jung, um diesen Moment miterlebt zu haben, der Faszination des Phänomens Klammer konnten sie sich nicht entziehen. Gemeinsam schrieben sie das Drehbuch zu Klammer, das den Fokus auf die wenigen Tage vor der legendären Olympiafahrt setzt. Andreas Schmied realisiert damit seinen sechsten Kinofilm, der dem Menschen und Mythos Franz Klammer auf der Spur ist und einen Moment der kollektiven Freude aufleben lässt.



Bei der Pressekonferenz zu Klammer im Februar erwähnten Sie, dass jeder Mensch in Österreich, der Franz Klammers Olympiafahrt miterlebt hat, sagen kann, wo er diesen Moment verbracht hat. Sie selbst sind zu jung dazu, um sich daran zu erinnern. Was haben Sie vom Mythos Klammer, den Sie aus der Erinnerung der anderen kennen, mitgenommen und so stark empfunden, dass Sie sich diesem Moment und dieser Person filmisch annähern wollten?

ANDREAS SCHMIED:
Ich glaube, dass man im schibegeisterten Österreich mit dem Namen Franz Klammer aufwächst. Wir hätten uns nie gedacht, irgendwann mal einen Franz-Klammer-Film zu schreiben bzw. dabei Regie zu führen. Sobald wir uns näher mit der Materie beschäftigten, wurde uns klar, was für eine starke Geschichte für einen Film das ist. Das traf unseren Nerv, weil wir uns beide vor allem als Geschichtenerzähler fühlen.

ELISABETH SCHMIED: Die Rennen von Franz Klammer waren für mich eine ganz frühe Kindheitserinnerung. Solche Erinnerungen beim Erzählen zu berühren, machen Geschichten automatisch persönlich und sind deshalb sehr reizvoll. Was Sportfilmen oft gemeinsam ist, ist eine Underdog-Story. Von Beginn an war uns klar, dass es mit Franz Klammer keinesfalls eine Underdog-Story werden kann und Andreas hatte dann die gute Idee, dass wir uns auf das Großereignis der Olympischen Spiele 1976 konzentrieren sollten, da dieser Olympiasieg den Höhepunkt in Franz‘ Karriere bedeutete. Die Geschichte, die wir dann vor uns hatten, war eine interessante Heldenreise mit Hindernissen. Wir mussten tief eintauchen, um herauszufinden, was das Drama in der echten Geschichte ausmachte. Es lag ein Reiz darin, die Wahrheit herzunehmen und verschiedene Elemente herauszufiltern, sie miteinander zu verbinden und die wichtigen Akteure zu bestimmen. Das war sehr mitreißend für uns selbst.  Wir sind im Wohnzimmer gesessen, quasi im Pyjama, und sind im Kopf und im Herzen Schirennen gefahren.


Eine Geschichte über lebende Menschen zu schreiben, ist immer auch heikel. Franz Klammer scheint schon mehrere Angebote, sein Leben zu verfilmen, abgelehnt zu haben. Wie ist es Ihnen gelungen, diese Skepsis zu überwinden?

ANDREAS SCHMIED
: Franz und Eva Klammer sind beide große Filmliebhaber und haben im Lauf der Jahre immer wieder Versuche, ihr Leben zu verfilmen, abgelehnt, weil es nicht stimmig oder haarsträubend erfunden war. Wir haben den Zuschlag für unsere Idee erhalten, weil wir nie die Absicht hatten, das ganze Leben zu erzählen, sondern dem Mythos Klammer auf die Spur zu kommen und zu erzählen, was für ein Mensch er ist. Unsere Herangehensweise, nur über die fünf entscheidenden Tage eine spannende Backstage-Geschichte zu erzählen – was ist 1976 hinter den Kulissen Olympias passiert? – schien auch den beiden als der beste Ansatz, um nicht nur einen Film über Franz, sondern einen guten Kinofilm zu machen.

ELISABETH SCHMIED: Wir haben viele Gespräche mit Franz und Eva Klammer geführt und sehr viel recherchiert. Die Zeitspanne der fünf Tage haben wir dann benutzt, um das ganze Leben der beiden in dieses Zeitfenster hineinzuquetschen. Insofern ist einiges erfunden, es stützt sich aber auf wahre Ereignisse oder Gegebenheiten aus dem Leben der beiden, manche sind früher, manche später geschehen. Das gilt auch für ihre Beziehung. Franz und Eva waren im Februar 1976 schon ein Paar, es war aber noch geheim. Dass sich diese tolle Love-Story dazu noch ergeben hat, war ein großes Glück.

ANDREAS SCHMIED: Die beiden haben sich in der Geschichte wiedergefunden. Unser Ziel war es, das, was wir über sie als Menschen herausgefunden hatten, in diese verdichtete Geschichte zu packen. Wir wollten die Dynamik in diesem Ehepaar herausfinden und die Frage beantworten, wie wichtig Eva für seinen Erfolg an diesem entscheidenden Tag war. Ich glaube, es hat sie letztendlich überzeugt, dass wir uns nicht angebiedert haben, sondern versuchten, eine mitreißende Geschichte zu erzählen.


Bevor man sich an die Fiktionalisierung eines Stoffes macht, bedarf es einer gründlichen Recherche der Fakten. Was waren über das Ehepaar Klammer hinaus, die wichtigsten Quellen?

ELISABETH SCHMIED:
Eine der wichtigsten Quellen war das Archiv der Arbeiterzeitung, das leider seit einiger Zeit offline ist. Ich war in der Nationalbibliothek und habe u.a. alte Ausgaben der Kronen Zeitung auf Microfiche angeschaut. Es gibt auch mehrere Bücher über diese Zeit. Dann haben wir ausführliche Gespräche mit Werner Grissmann, seinem Freund und Teamkollegen, mit Bernhard Russi, seinem direkten Konkurrenten, mit den anderen Teammitgliedern und mehreren Sportjournalisten geführt. Dadurch haben wir mäandernd die unterschiedlichsten Perspektiven eingefangen und sind von der Oberfläche der Zeitungsquellen immer mehr in die Tiefe gegangen. Zunächst haben wir nach Franz‘ Perspektive gebaut und dann vieles dazu geholt, auch in technischer Hinsicht. Ein gutes Beispiel sind die Trainingsläufe, bei denen die Zwischenzeiten gemessen wurden. Wie diese Messungen funktioniert haben, dazu habe ich ausführlichste Gespräche geführt.

ANDREAS SCHMIED: Es war ein faszinierendes Eintauchen in eine analoge Zeit, die so in dieser Form nicht mehr existiert. Wir hatten keinerlei Ahnung, wie ein Abfahrtstrainer die Rennläufer vor einem großen Rennen trainiert. Das bedeutete, dass wir auch sehr viel rund um das Thema recherchiert haben, damit das Ganze authentisch wurde.


Auch wenn man Rücksicht auf lebende Menschen und viele äußere Komponenten nehmen musste, um die Authentizität zu wahren, so gab es doch auch einen unbesiegbaren Helden, einen hochspannenden Wettkampf und eine starke Liebe – alle Ingredienzien für ein lustvolles Schreiben und Erzählen. Wie haben Sie das Schreiben geteilt und es erlebt?

ANDREAS SCHMIED:
Wir schreiben mittlerweile seit 16 Jahren gemeinsam. Damals haben wir für die Dor-Film eine Serien-Episode geschrieben und dann in der Folge noch einen Serien-Auftrag bekommen. Dazwischen hat jeder von uns auch allein geschrieben. Das Tolle an Klammer ist, dass es unsere erste verfilmte Kinozusammenarbeit ist und das gleich mit einem Stoff, der eine exzellente Grundlage geboten hat, um auf mitreißende und romantische Weise zu erzählen. Das war sehr schön. Man merkt es beim Schreiben schon, wenn man an etwas dran ist, das eigentlich größer als man selber ist.

ELISABETH SCHMIED: Ich glaube, es ist uns noch nie zuvor so gut gelungen, unsere beiden Stärken miteinander zu vereinen. Ich habe zunächst den Storybogen gebaut, Andreas hat dann mit den Figuren begonnen. Wir haben uns zum Teil abgewechselt, so genau kann man aber nicht mehr sagen, wer was gemacht hat, da wir zu Zeiten auch beide am Computer gesessen sind oder in einer analogen Vorstufe saß einer am Rechner, der andere pinnte die Aktionen auf die Pinnwand …

ANDREAS SCHMIED: Wir können es allen Ehepaaren nur wärmstens empfehlen, an etwas, was sie besonders interessiert und beflügelt, gemeinsam zu arbeiten. Wir hatten unglaublichen Spaß dabei und es hat sich überhaupt nicht wie Arbeit angefühlt.


Ein interessantes Bild in der Geschichte ist das der Ideallinie. Die Idealline hat Franz Klammer bei seiner Abfahrt am Patscherkofel verlassen und trotzdem gewonnen. Vielleicht war das sein Erfolgsgeheimnis. Als Filmemacher, die an einer Schnittstelle des kreativen Schaffens und einer Arbeit, die auf ein breites Publikum abzielt, stehen Sie möglicherweise auch manchmal vor Abweichungen von der Ideallinie, um letzten Endes beim Publikum zu landen. Wie sehen Sie das?

ANDREAS SCHMIED:
In der Regie ist das eine sehr präsente Frage. Wir haben uns mit unseren Mitarbeiter*innen immer wieder die Frage gestellt: „Wo verläuft unsere Idealline? Wo ist unsere Comfort-Zone? Und wie können wir diese so schnell wie möglich verlassen, um uns herauszufordern, um einen noch interessanteren Film zu machen?“ Beim Drehbuch war es eher fließend. Wenn man sich mit Dingen auseinandersetzt, die außerhalb des eigenen Erfahrungsbereichs liegen, dann wächst man auch daran. Man merkt, dass man wie kleine Kinder mit einem Mal einen Wachstumsschub macht.  Ähnlich war es bei KLAMMER. Das war ein Projekt, das uns von Beginn an gefordert hat. Beim Dreh von KLAMMER galt als Prämisse: Es ist mein sechster Spielfilm, ich weiß nun, wie man eine Geschichte effizient erzählt, ich habe ein Handwerkszeug, das ich bei Bedarf abrufen kann. Ich wollte aber die Frage verfolgen: Wie könnte ich darüber hinausgehen? Wie könnten wir visuell und narrativ interessanter und herausfordernder erzählen? Dann ergeben sich ganz neue Dinge. Ich bin ja jetzt zum Zeitpunkt des Gesprächs noch mitten in den Dreharbeiten und die Arbeit ist extrem herausfordernd, bereichernd und aufregend. Ich gehe jeden Tag gern zur Arbeit und bin morgens schon gespannt darauf, was tagsüber wohl passieren wird. Manchmal rudere ich wie Franz Klammer, wenn er springt, und manchmal fahre ich eine exakte Linie. Genau diese Abwechslung, das Sich-nicht-Verlassen auf einen Plan und die eigene Gemütlichkeit ist etwas, das ich sehr aufregend finde und für die Zukunft gerne beibehalten möchte. Im Zuge der Vorbereitung ging es darum, einen starken Look und Stil durchzudenken, dann aber beim Dreh nicht nur die Shotlist oder den Drehplan abzuarbeiten, sondern versuchen zu reagieren: Was spüren wir heute? Wie spüren wir’s? Was spüren die Schauspieler? Wie können wir es im straffen Korsett eines Filmdrehs, auf gefühlvolle und spontane Weise umsetzen? Ich habe sehr tolle Heads of Department, die ganz schnell auf Dinge reagieren und es auch so aufregend finden wie ich.


Was in Klammer über das Biografische hinaus erzählt wird, ist auch eine Sportwelt im Wandel. Der Rennsport scheint noch stärker ein Sport von Individualisten zu sein, dennoch spürt man den wachsenden Druck der Industrie. Wie haben Sie diese Sportwelt der siebziger Jahre wahrgenommen?

ELISABETH SCHMIED:
Einer der Antagonisten im Film ist Schihersteller Pepi Fischer, der  Franz zwar unterstützt, ihn aber auch steuern will und als Mittel zum Zweck sieht. Das Verhältnis zwischen Franz Klammer und Pepi Fischer war schwierig. Sportler hatten nicht dieselbe Art Verträge und Sponsoren wie heute, waren aber gleichzeitig ganz anders von der Welt der Funktionäre im Hintergrund und den Schiherstellern finanziell abhängig. Ich glaube, was wir im Film erzählen, ist ein Zeitpunkt am Sprung zu einer extremen Maschinerie und mächtigen Industrie. Der Machtkampf wird 1976 purer ausgetragen als es heute der Fall sein würde. Die Verhältnisse schwingen bereits mit, aber gerade, da alles noch in den Kinderschuhen steckte, ist es leichter und unzynisch zu erzählen.

ANDREAS SCHMIED: Es hat sich vieles vermischt. Es war uns wichtiger zu erzählen wie man als Sportler hin- und hergerissen ist, einerseits ist da die pure Freude am Sport – man darf ja nicht vergessen, dass jeder Sportler zunächst einmal seinen Sport mit Freude und aus Leidenschaft ausübt, und auf der anderen Seite steht die Kommerzialisierung des Sports und der Erfolge. Das ist ein Aspekt, wo Elisabeth und ich uns sehr stark wiedergefunden haben. Verkauft man sich, um einen möglichen Sieg davonzutragen oder hört man auf sein Herz, sein eigenes Gefühl?  Das ist eine Frage, mit der wir uns als Filmemacher tagtäglich auch in unserem Leben auseinandersetzen. Insofern schien es uns auch ein universelles Thema über den Sport hinaus, das uns alle berührt und dem wir uns alle ausgesetzt fühlen.


Eine weitere wichtige Figur ist der Trainer Charly Kahr. Seine aktuelle Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist auch von Vorwürfen bestimmt, die in den letzten Jahren im Zuge von #MeToo hinsichtlich Machtmissbrauchs und sexueller Belästigung im Schizirkus ans Licht gekommen sind. Inwiefern sind Sie mit diesen Facetten aus einer heutigen Perspektive umgegangen?

ELISABETH SCHMIED:
  Wir haben dazu viel recherchiert und überlegt. Es erschien uns letztlich richtig, diese Figur innerhalb unseres Rahmens zu erzählen. Dieser Rahmen wirft keine ganzheitliche Sicht auf die Olympischen Spiele 1976, sondern konzentriert sich auf Franz Klammers Perspektive auf diese Tage und seine Sicht auf seinen Trainer. Wir haben auch durch die Gespräche mit anderen Rennläufern ein Bild von Charly Kahr bekommen, das wir versucht haben so darzustellen – „streng“ ist dabei ein mildes Attribut. Wir wollten der Dynamik, die er im Leben und der Karriere von Franz Klammer gespielt hat, nachspüren. Ich habe auch mit Charly Kahr ein Gespräch geführt. Man spürt eine Härte, die auch von den männlichen Rennläufern, mit denen wir gesprochen haben, bestätigt wurde.

ANDREAS SCHMIED: Es hat uns gut in die Hände gespielt, dass niemand schmeichelhaft über Charly Kahr gesprochen hat. Dann hat Elisabeth mit ihm ein Gespräch geführt und seine Sicht der Dinge gehört. Wir haben ihn auch viel zu den damaligen Gegebenheiten interviewt und er hat uns viele technische Details und seine Trainingsmethoden erklärt. Man bekommt einen sehr guten Eindruck, wenn Menschen von ihrer Arbeit, ihrer Philosophie und ihrer Ideologie sprechen. Das hat ihn für uns zu einem ganzheitlichen Charakter gemacht. Dadurch, dass er in Erzählungen sehr gnadenlos rüberkommt, tut er das auch im Film, weil er ganz einfach so war. Trotzdem war es uns wichtig, im Auge zu behalten, dass es ein Film über Franz Klammer und nicht über seinen Trainer ist.


Am Ende ist für Franz alles gut: die Liebe und der größte Triumph seiner Schikarriere. Was heißt es für die Regie, so etwas wie einen absoluten, totalen Glücksmoment zu inszenieren?

ELISABETH SCHMIED:
Da möchte ich kurz eine Anekdote erzählen: Ich bin bei den Dreharbeiten nicht dabei, Andreas war für den Dreh in Tirol und in Kärnten und natürlich haben wir abends immer telefoniert und einmal hat er gesagt: „Ich bin heute so gut drauf. Wir haben heute den ganzen Tag nur Jubeln gedreht.“ Ich habe dann Muster gesehen und hab mich auch einfach glücklich gefühlt.

ANDREAS SCHMIED: Das gehört zu den schönen Momenten, sich mit einer so inspirierenden Geschichte auseinanderzusetzen, weil es natürlich etwas mit einem macht. Wir sind menschlich und können uns nicht abtrennen von dem, was wir tun. Es macht Freude, einen Film zu machen, wo so viele Menschen bereits im Vorfeld so positiv reagieren. Elisabeth hat Franz Klammers Olympiasieg als „österreichische Mondlandung“ bezeichnet. Jeder weiß, wo er war an diesem Tag gewesen ist. Gerade in Kärnten und Tirol haben die Leute jede Menge Geschichten zu erzählen und dann kann man noch vor der Kamera erleben, wie sich geradezu ein Glücksrausch ausbreitet. Es gibt Tränen sogar hinter der Kamera, wir sind völlig gebeutelt vor Glück gewesen.


Sie brauchten zwei ganz junge Darsteller*innen. Wie wurden Sie fündig und wie haben Sie in der Vorbereitung zusammengearbeitet.

ANDREAS SCHMIED:
Wir haben für das Casting gemeinsam mit Nicole Schmied gearbeitet, die uns verschiedene Vorschläge gemacht hat. Man muss aber dazu sagen, die beiden, die die Rollen von Eva und Franz Klammer spielen – Julian Waldner und Valerie Huber –, waren die jeweils ersten, die zum Casting gekommen sind. Wir hatten schon eine Vermutung, dass es gut passen könnte. Mir war es wichtig, dass wir mit unbekannten Schauspieler*innen zu tun haben, um dem Publikum Gelegenheit zu bieten, neue Talente zu entdecken. Und es war mir bei dieser Geschichte, zu der so viele Menschen ihren persönlichen Bezug haben, auch wichtig, dass bekannte Schauspieler*innen durch ihre Bekanntheit der Geschichte nichts wegnehmen. Diese Überlegung ist im Dreh aufgegangen. Es sind tolle Schauspieler*innen, die noch niemand kennt. Ich habe auf die Frage nach ihrer (Un-)Bekanntheit den beiden beteiligten Fernsehsendern immer gesagt, das mag sein, dass sie jetzt nicht bekannt sind. Nach dem Film werden sie es sein.



Wie wurde in der visuellen Umsetzung der Anspruch erfüllt, einerseits den Look der siebziger Jahre zu kreieren und andererseits in technischer Hinsicht dem Genre des Sportfilms den Möglichkeiten des 21.Jhs. gemäß gerecht zu werden?

ANDREAS SCHMIED:
Das Gleichgewicht entsteht dadurch, dass wir sehr moderne Optiken verwenden, die wir aber dann mit verschiedenen Filtertechniken verfremden. Wir versuchen, einen 70-er Look zu kreieren, der aber sehr modern wirkt. Unter dem Motto „Wir verlassen die Ideallinie“ haben wir sehr dynamisch gedreht, der Film wird sehr schnell geschnitten werden, diese dynamischen Einstellungen holen den Film in unsere Zeit. Abgesehen von der Technik spielt auch das Geschehen vor der Kamera eine wichtige Rolle. Was die Leute so verblüfft, ist der Umstand, dass es sich um so junge Menschen handelt. Man schaut auf den Monitor und sieht Menschen, die zwischen 20 und 25 Jahre alt sind, das
lässt alles einfach frisch und jung wirken. Die Kamera trägt das Übrige dazu bei. Bei Szenenbild und Kostüm haben wir darauf geachtet, dass man heute noch sagen kann, die siebziger Jahre haben gut ausgeschaut. Es ist uns wichtig, gerade beim Ländlichen das Miefige und Provinzielle rauszukriegen.
 
ELISABETH SCHMIED: Man hat einfach nicht den Eindruck, dass die alten Möbel von Oma und die Klamotten vom Dachboden sind. Man erkennt die siebziger Jahre, aber es ist alles so neu, wie es damals eben auch neu war.
 
ANDREAS SCHMIED: I
ch drehe alles mit zwei Kameras, was eine bestimmte Dynamik erzeugt, die man mit einer einzigen Kamera, für die alles exakt geplant ist, nicht erreichen kann. Zwei Kameras erfassen oder entdecken oft Dinge, die man so gar nicht geplant hatte.
 
 
Wie ordnen Sie KLAMMER im Kontext Ihrer bisherigen Filme ein? Bedeutet er einen Sprung? Wie fühlt sich die Bilanz nach den ersten vier Drehwochen an?
 
ANDREAS SCHMIED:
 Dass KLAMMER für uns ein Gamechanger war, war uns von Beginn an bewusst. Wir wissen, dass es ein sehr wichtiger Film für viele Menschen ist und sein wird und wir wissen, dass wir das nicht versemmeln dürfen. Es geht um viel. Wir haben uns dieser Herausforderung gerne gestellt – im Drehbuch gemeinsam und was die Regie betrifft, spüre ich noch den Erfolg von Love Machine, was mir hilft, mich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen, sondern ich versuche vielmehr, das Selbstbewusstsein, das ich dadurch bekommen habe, mitzunehmen und mich mehr zu trauen. Das Fazit der vier Drehwochen? Für mich war wichtig festzustellen, wie wichtig ein exakter Drehplan ist, wie essentiell die Mitarbeiter in der Organisation und in der Regieassistenz und Aufnahmeleitung sind. Das ist mir in den vorangegangenen Filmen weniger bewusst gewesen. Es ist nicht nur wichtig, dass ein Drehplan bewältigbar ist, er kann auch die Qualität haben, größtmögliche Freiheit für die Regie zu schaffen. Wir haben sehr lange am Buch gearbeitet, Elisabeth hat es im Zuge der Regie-Vorbereitung immer wieder überarbeitet, sie war bei den Leseproben dabei, hat das Buch in Richtung der Stärken der Schauspieler*innen noch verfeinert oder auf neue Drehorte adaptiert. Diese Sorgfalt in der Vorbereitung merke ich jetzt beim Dreh. Ich habe einen unglaublich freudigen Dreh. Es ist ein Dreh, wo ich das Gefühl habe, wenn nur 30% der Freude, die beim Dreh entsteht, am Ende beim Publikum ankommt, dann sind wir sehr weit.
 
ELISABETH SCHMIED: Ich arbeite in den letzten Jahren an mehreren Projekten, die in Pre-Production oder gerade am Sprung zur Realisierung stehen. Ich hoffe auch, dass mich KLAMMER nach vor katapultiert. Es hat sich mit diesem Projekt mein Anspruch gehoben. Ich möchte in Zukunft an Projekten arbeiten, die mich so fordern und gleichzeitig so Spaß machen. Gerne mache ich es mir selber schwerer, weil es sich lohnt.  Es ist mir natürlich bewusst, dass etwas, das so stark im Bewusstsein vieler Menschen verankert und gleichzeitig so positiv aufgeladen ist, schwer zu finden sein wird.


Interview: Karin Schiefer
März 2021
 
 
 


«Wir haben uns immer wieder die Frage gestellt: Wo verläuft unsere Idealline? Wo ist unsere Comfort Zone? Und wie können wir diese so schnell wie möglich verlassen, um uns herauszufordern, um einen noch interessanteren Film zu machen?»