INTERVIEW

«Ein Abenteuerfilm mit Gruselfaktor»


Vom Norden Deutschlands in ein Kaff in der südlichsten Ecke Kärntens: es ist mehr als ein Wagnis, auf das sich Sabine nach dem Tod ihres Mannes mit ihren beiden Söhnen Hendrik und Eddie einlässt, um ein neues Leben zu beginnen. Als sich im Haus, das sie beziehen, unsichtbare Mächte bemerkbar machen, finden die beiden Jungs zwei mutige Gleichaltrige im Ort, um ein altes Dorfgeheimnis zu lüften. Das schaurige Haus ist Daniel Prochaskas Kinodebüt und ein gelungener Versuch, das junge Kinopublikum auf sommerlich unbeschwerte Weise das Gruseln zu lehren.


Das schaurige Haus ist Ihr erster langer Spielfilm fürs Kino. Wie kam es, dass Sie als Kinodebüt einen Film für junges Publikum gemacht haben?

DANIEL GERONIMO PROCHASKA:
 Um ehrlich zu sein, bin ich da recht glücklich reingerutscht. Im Sommer 2018 habe ich von der Mona Film das Drehbuch für Das schaurige Haus zu lesen bekommen. Während dem lesen habe ich mich sehr schnell in die Figuren verliebt. Wenn man beim Lesen des Drehbuchs schon beginnt den Film im Kopf zu sehen, dann ist das schon ein sehr gutes Zeichen. Außerdem hielt ich es für eine spannende Herausforderung, als Kinodebüt einen Kinderfilm zu machen.


In welche Figuren haben Sie sich auf Anhieb verliebt?

DANIEL GERONIMO PROCHASKA:
 Hendrik unsere Hauptfigur, hat mich vor allem mit seinem Fremd-Sein und seiner Bereitschaft, sich auf das neue Umfeld einzulassen, überzeugt. Und dann gibt es da auch noch die erste richtige Liebe in Hendriks Leben, Ida. Das toughe, moderne Mädchen, das die Jungs zusammenhält. Fritz, der Schlaueste in der Vierer-Clique, ist eine sehr stereotype Figur. Ich mag es, wenn Figuren klar gezeichnet sind. Ein Nerd mit ganz viel Charme.


Der Filmtitel verweist auf einen Horror-/Geisterfilm, birgt aber mit dem Piefke/Ösi-Konflikt ebenso Elemente der Komödie und mit der Liebesgeschichte von Ida und Hendrik ein romantisches Coming of Age. Liegt darin auch Ihr Input als Regisseur, dass sich die filmische Umsetzung von Martina Wildners Romanvorlage von Das schaurige Haus in mehrere Richtungen öffnet?

DANIEL GERONIMO PROCHASKA:
 Es war mein Wunsch, wenn ich eine Zielgruppe von zehn aufwärts vor Augen habe, dass mein Kinopublikum ein vielfältiges und starkes Erlebnis hat. Stand by me ist ein gutes Beispiel: Es ist ein Stephen King-Stoff, der ein sehr dramatisches Thema behandelt und dennoch hat er so viele herzerwärmende Momente. Es war mir ein Vorbild, dass es zwischen Grusel und Drama, das Hendrik widerfährt, weil er überhaupt nicht an diesem Ort leben will, immer wieder Momente der Auflockerung gibt. So wie im Leben. Die Figur des Fritz birgt da sehr viel Potenzial. Wenn Lars Bitterlich, der Darsteller von Fritz, sich nicht so voll und ganz auf dieses Abenteuer eingelassen hätte, hätte das nicht funktioniert. Er hat die Rolle unheimlich ernst genommen und gut erfasst, wohin ich will.


Die Handlung des Films spielt in Österreich und zwar in einer durch seine Zweisprachigkeit besonders interessanten Gegend im Süden Kärntens. Wie kam es zu dieser Wahl?

DANIEL GERONIMO PROCHASKA: 
Ich bin erst zu einem Zeitpunkt dazugestoßen, als schon feststand, dass die Handlung von Das schaurige Haus in Österreich spielen wird. Im Buch geht es um eine norddeutsche Familie, die ins Allgäu zieht. Ich fand es dann recht spannend zu sagen, eine Familie aus Deutschland zieht nach Österreich und zwar in eine der südlichsten Ecken von Kärnten, wo man aber den Dialekt auch als Nicht-Kärntner noch verstehen kann. Das war die eine große Veränderung im Bezug aufs Buch, die zweite die, dass die Mutter eine Alleinerzieherin ist. In einer der ersten Fassungen war es noch eine Familie mit beiden Elternteilen. Durch den Umstand, dass die Mutter alleinerziehend ist, ist die Fallhöhe der Figuren noch einmal höher. Ich fand es interessanter, dass die Familie aus einer Not heraus – der Vater ist vor nicht allzu langer Zeit bei einem Unfall ums Leben gekommen – diesen Schritt machen muss und in dieses Kaff zieht, um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Es wird im Film zwar nicht auserzählt, aber man spürt in Momenten, dass die Mutter nicht aus Egoismus dorthin zieht, sondern alles versucht, diese Familie zusammenzuhalten.


Ganz genau erfährt man gar nicht, welche berufliche Mission diese Frau nach Eisenkappel führt.

DANIEL GERONIMO PROCHASKA:
 Es war schnell klar, dass die Geschichte aus der Sicht der Kinder erzählt werden soll. Der Raum für die erwachsenen Figuren war limitiert und wir haben ihnen auch bewusst diesen Raum genommen. Die Szenen, die davon erzählten, wie sich die Mutter im Dorf einzuleben beginnt, haben wir wieder weggelassen. Es hätte den Rahmen gesprengt. Ich finde, der Film ist ohnehin schon sehr dicht.


Bei einem Film mit Kindern und jugendlichen Darsteller*innen nimmt das Casting eine sehr zentrale Rolle ein. Wie ist es verlaufen?

DANIEL GERONIMO PROCHASKA:
 Das Casting war wie zu erwarten ein langer Prozess. Der Aufruf ist auf ein sehr breites Echo gestoßen und wir hatten wirklich die Qual der Wahl, weil sich so viele talentierte Kinder gemeldet hatten. Der entscheidende Faktor bei Das schaurige Haus war das Funktionieren der Viererkonstellation – Hendrik, Edi, Ida und Fritz. Wir haben viele Konstellationen durchprobiert uns sind dann bei unseren tollen Darstellern gelandet. Das Schöne an der Arbeit mit Kindern ist, dass sie sich nicht einfach wie bei Profis „verstellen“ können, sondern etwas von der Rolle in sich tragen müssen. Dass Lars so etwas wie ein Rhythmusgefühl für Komik hatte, war eine ganz besondere Entdeckung während dem Casting. Bei Leon Orlandianyi, dem Darsteller des Hendrik, hat sich beim Casting zum Beispiel herausgestellt, dass er eigentlich Wiener ist, aber von einer internationalen Schule kommend, ein total neutrales Deutsch spricht. Was für seine Figur perfekt war. Mit Jakob Fischer und Susi Stach hatten wir zwei tolle Kindercoaches, die die Kinder sehr gut vorbereitet haben. Für mich war der ständige Austausch mit ihnen eine große Unterstützung während des Drehs. Das wichtigste war, dass sich die Kinder durch den gesamten Dreh hinweg gut begleitet fühlten.

 
Ein weiterer Protagonist in Das schaurige Haus ist eben dieses Haus. Findet man die Basis dafür in der Landschaft oder ist es innen wie außen gebaut worden?

DANIEL GERONIMO PROCHASKA: Die größte Herausforderung bestand darin, alle Puzzleteile des Hauses zusammenzubringen. Wir haben zunächst nach dem Außen des Hauses gesucht und sind in Kärnten relativ schnell fündig geworden. Es durfte kein klassisches Hexenhaus sein, sondern musste sowohl den Anspruch des Geisterhauses als auch des Familienhauses erfüllen, in dem eine Frau mit zwei Söhnen im Heute glaubhaft bereit ist zu wohnen. Das Innenleben haben wir komplett im Studio in Wien gebaut. Da haben auch die ersten drei Wochen der Dreharbeiten stattgefunden. Wir mussten halt auf das Kärntner Wetter hoffen, dass das Licht, das wir für die Innenszenen geleuchtet haben, dann auch dem Wetter des Außendrehs entsprach. Was mir am Studiobau so Spaß gemacht hat, war, dass wir es gemeinsam mit dem Setdesigner Conrad Moritz Reinhardt und dem Kameramann Matthias Pötsch komplett frei erfinden und adaptieren konnten, sodass wir mit der Raumgröße und der Treppe sehr flexibel waren. Den Dachboden haben wir gleich in der Nähe des schaurigen Hauses gefunden, eine Dachschräge im Studio zu bauen, wäre zu teuer gewesen. Im Studio hatten wir nicht nur die beiden Ebenen des Hauses nebeneinander stehen, sondern auch noch die Höhle, dort, wo die Kinder ins Wasser fallen und auch eine sechs Meter lange Rampe, für die Szene, wo die Kinder in der Höhle ins Rutschen kommen. Diese Rutschszene war ein kleiner „Goonies“-Moment, den ich dazugefügt habe, ein kleiner Kindheitstraum von mir, der auch den Abenteueraspekt im Film nochmals unterstreichen sollte.


In Ihrer Darstellung der österreichischen Provinz wählen Sie eine eher stilisierte Form. Warum?

DANIEL GERONIMO PROCHASKA: 
Wenn man genau darauf achtet, ist alles ein bisschen überstilisiert. Es war mir ein Anliegen, ein Abenteuermärchen zu erzählen. Ich will mich in keiner Weise über meine Figuren lustig machen. Wichtig war mir, einerseits den Culture Clash zu betonen und gleichzeitig den schmalen Grat zu gehen, indem ich die Schraube nachdrehe, ohne die Figuren ins Lächerliche zu ziehen. Im Vordergrund stand für mich der Märchenaspekt, der dazu beitragen sollte, dass alle Figuren ein bisschen aus der Realität herausfallen. Tim Burton und Wes Anderson sind auf jeden Fall eine große Inspiration für mich gewesen.


Wes Anderson ist als eine Referenz genannt worden. Gibt es auch noch weitere,  besonders aus dem Genrefilm?

DANIEL GERONIMO PROCHASKA:
 Ich bin 1983 geboren, die Geburtsstunde von Filmen wie Indiana Jones oder E.T. Diese Filme haben mich sehr stark geprägt. Anspielungen gibt es auch auf The Goonies, den Stephen Spielberg produziert hat. Einflüsse von Wes Anderson sind z.B. in meinen Farbkonzepten spürbar. Wir haben im Haus die Tapeten so gewählt, dass jeder Raum seine eigene farbliche Identität hat. Denis Villeneuve hat zwar noch keinen Kinderfilm gemacht, gehört aber zu meinen großen Vorbildern. Bei Das schaurige Haus war mein größtes Anliegen, in Richtung Abenteuer zu gehen. Daher würde ich da Spielberg und Lukas als die größten Vorbilder nennen. Stand by me war gewiss der Film, den ich mir in der Vorbereitung am öftesten angeschaut habe.


Wie Ihr Vater, Andreas Prochaska, kommen auch Sie vom Schnitt. Ist die Montage eine besonders gute Schule für die Regie, gerade im Genrefilm, wo es besonders ums Timing und den Rhythmus geht?

DANIEL GERONIMO PROCHASKA:
Wenn man einmal so viel Zeit im Schneideraum gesessen ist wie ich und Leute beobachtet hat, dann entwickelt man ein Gefühl dafür, wie stark ein Bild in der Inszenierung funktioniert. In meinen zehn Jahren als Cutter habe ich für mich gelernt, Schauspieler zu lesen. Ich glaube, diese Erfahrung hilft mir, dass ich am Set, wenn Zeitstress herrscht, schneller reagieren kann. Mir verleiht es am Set auch eine gewisse Ruhe, wenn ich weiß, welche Einstellungen ich brauche, um die Szene so aufzulösen, dass sie gut funktioniert. Meine Aufgabe bestand vor allem darin, Übergänge zu schaffen, um einen gewissen Rhythmus zu erzeugen. Ich weiß, dass man im Schneideraum Futter braucht. Alarich Lenz, der sehr lange mein Mentor war, hat Das schaurige Haus geschnitten. Er ist ein sehr dramaturgischer Cutter und hat mich dort unterstützt, wo es darum ging, mich von „Darlings“ zu trennen, weil es dem Film guttut.


Vor welche Herausforderungen ist man gestellt, wenn man ein Horror-/Geistermovie für ein sehr junges jugendliches Publikum macht?

DANIEL GERONIMO PROCHASKA:
 Mit Das schaurige Haus wollten wir einen Gruselfilm als Vorboten für den richtigen Horrorfilm kreieren. Nachdem es aus Österreich noch keinen Gruselfilm für Kinder gibt, war dies bestimmt die größte Herausforderung für uns. Wir standen am Anfang vor der Frage, ob wir nun mit unserem Film etwas für FSK6 oder FSK12 machen. Jetzt sind wir bei FSK10 gelandet. Ob die Dosis dabei die richtige ist, wird sich erst zeigen. Wir wünschen uns aber auf jeden Fall, dass die Kinder und auch Erwachsenen den Film als den annehmen, der er ist. Ein Abenteuerfilm mit Gruselfaktor. 95 Minuten mitfiebern, Spannung erleben und doch mit einem Lächeln im Gesicht rausgehen.


Interview: Karin Schiefer
August 2020


Interview: Karin Schiefer
«In meinen zehn Jahren als Cutter habe ich für mich gelernt, Schauspieler zu lesen. Ich glaube, diese Erfahrung hilft mir, dass ich am Set, wenn Zeitstress herrscht, schneller reagieren kann.»