INTERVIEW

«Abschied-Nehmen und nicht wissen wie»

In den Tag leben, über Musik reden, keiner festen Arbeit nachgehen, mit Chemie die Seele ein bisschen leichter machen. Es läuft recht rund im Leben von Anna, Niko und den anderen, aber ehrlich betrachtet, dreht es sich ohne Unterlass im Kreis. Irgendwann dringt es Anna ins Bewusstsein, dass sie aus der Zeit geraten ist und – als Niko verschwindet – , was sie unwiederbringlich versäumt hat. Hannes Starz ist für sein Regiedebüt ANOTHER COIN FOR THE MERRY-GO-ROUND mit einer coolen Clique aus Valerie Pachner, Vodoo Jürgens, Tinka Fürst und Max Bogner durch Clubs und Parks gezogen, um dem Charme eines Lebensgefühls und der Schwierigkeit, es loszulassen nachzuspüren.


Wenn man ANOTHER COIN FOR THE MERRY-GO-ROUND nacherzählen will, dann steht zunächst mal Atmosphäre stärker im Vordergrund als Handlung. Welcher Wunsch stand eigentlich am Beginn dieses Filmprojekts? Eine Geschichte zu erzählen? Eine Generation? Oder vielmehr ein Lebensgefühl?

HANNES STARZ:
Am Anfang stand ganz eindeutig der Wunsch, ein Gefühl zu erzählen. Ein Gefühl, das universell betrachtet werden kann, auch wenn ANOTHER COIN FOR THE MERRY-GO-ROUND in einem ganz speziellen Personenkreis spielt, in dem ich mich besonders gut auskenne. Es geht um ein Gefühl von Abschied-Nehmen, In-neue-Lebensphasen-Springen und nicht zu wissen wie. Ein Gefühl, dass sich wohl in jeder Alterslage immer wieder einstellt.


Wie früh waren Sie Teil dieses Projekts?

VALERIE PACHNER:
Ziemlich früh. Ich denke, es war 2013/14, als wir begonnen haben, darüber zu reden. Mich hat das Thema zu jenem Zeitpunkt auch sehr beschäftigt: zu wissen, dass man so, wie man bisher gelebt hat, nicht mehr leben kann, auch nicht mehr will und man hat aber noch kein Gefühl für das Neue. Bei mir war das die Zeit nach der Schauspielschule, man ist Mitte Ende zwanzig und merkt, irgendetwas geht nicht mehr. Dieses Gefühl stand im engen Zusammenhang mit dem Erkennen der Notwendigkeit, sich mehr mit sich selbst zu verbinden. Im Fall der Clique von ANOTHER COIN FOR THE MERRY-GO-ROUND geht es darum, sich mit der eigenen Gefühlswelt zu verbinden und auch mit dem Schmerz in Kontakt zu kommen. Das Befinden von Niko, der offenbar depressiv ist, wird ignoriert und niemand erkennt, wie sehr sie alle am Leben vorbei leben, obwohl es scheinbar so intensiv ist. Anna beginnt das langsam zu realisieren und muss schmerzlich feststellen, dass es für manche Dinge zu spät ist. Über diese Clique und mit dieser Musik kann man das recht sexy erzählen, grundsätzlich passiert das aber in allen Lebenslagen und Kreisen und hat nicht unbedingt mit Drogen zu tun. Das ist nur eine Art, den Kontakt mit sich selbst zu vermeiden.


Der Film ist eine ständige Bewegung. Der Umgang den Figuren mit der Bewegung ist aber ein widersprüchlicher – man will keine Vorwärtsbewegung und fürchtet gleichzeitig den Stillstand. Manche suchen die Vergangenheit, die meisten verweigern die Zukunft und leben in der Gegenwart dahin. Das Karussell als titelgebende Metapher bringt den Zustand der dauernden Bewegung ohne weiterzukommen auf den Punkt. Wie geht diese Geschichte mit der Zeit und der Bewegung um?

HANNES STARZ:
Diese Beobachtung stimmt. Unsere Kamera ist beweglich, aber gleichzeitig filmt sie den Stillstand. Die Figur der Rica, die in Ritterrüstung auf Schatzsuche geht, habe ich so noch nicht betrachtet. Bei ihr ging es mir um eine Figur, die ganz offensichtlich anders ist und das sollte durch ihre Verkleidung ersichtlich sein. Das Sich-Verstellen ist wiederum ein omnipräsentes Phänomen im Leben. Die erste Hälfte bewegt ich in einer Langeweile und Wiederholung, damit man als Zuschauer erleben kann, wie sich deren Leben anfühlt.

VALERIE PACHNER: Anna sagt einmal, dass sie das Gefühl hat, in einem Warteraum festzustecken. Es paart sich eine Rastlosigkeit mit Stillstand, eben wie bei einem Merry-go-Round. Ich habe auch den Eindruck, dass die Figuren ständig in Bewegung sind, aber sie in diesem ständigen Kreisen des Karussells festhängen, ohne auf den Boden zu kommen, was notwendig wäre, um einen Schritt weitergehen zu können.
Es ging in der ersten Hälfte sehr stark darum, Anna dabei zuzuschauen, wie sie nicht bei sich selbst ist. Als Schauspielerin muss ich einen Bezug zu meiner Figur herstellen und ihr folgen können. Es war für mich eine der Herausforderungen, mich zu trauen, diese Nicht-Verankerung sichtbar zu machen. Einen bestimmten Blick, einen bestimmten Klang bei Anna zu spüren, hätte bedeutet, sie ist schon bei sich. Es ist für mich jetzt nicht leicht, Anna in der ersten Hälfte des Films zuzuschauen, ich freue mich immer auf den Moment, wo der Film in der zweiten Hälfte einen anderen Rhythmus bekommt und sie langsam auf den Boden und in Kontakt mit sich selbst kommt.


Es tauchen von Beginn an immer wieder auch Insekten – Libellen, Spinnen und ihre Netze … auf, welche Metapher verbirgt sich dahinter?

HANNES STARZ:
Die besten Sachen kann man ja nicht schreiben. Diese Tiere sind im Laufe der Dreharbeiten immer wieder zufällig aufgetaucht, so auch eine Libelle, die sich nicht bewegt hat. Ich wollte Anna ein Symbol von erklärbarer Dissoziation beiseitestellen. Diese Insekten stehen für mich für ein Ausklinken aus der Welt und doch für eine Sensibilität und Einfühlsamkeit und eine Kontaktnahme mit diesen Lebewesen.

VALERIE PACHNER: Und sie haben auch etwas Erdiges, der Natur Verbundenes, von der Anna ganz weit weg ist und etwas Schönes, manchmal Abstoßendes zugleich.


Die Besetzung scheint nicht durch ein klassisches Casting zustande gekommen zu sein? Wie ist dieser Cast gewachsen? Wie sehr hat diese Besetzung in der Zusammenarbeit auch den Film mitbestimmt?

HANNES STARZ:
Ich finde die Figuren sehr charmant, weil sie eine Unbeholfenheit und Zerbrechlichkeit haben, die ich total menschlich finde. Der Cast ist ein großes Geschenk, für das ich sehr dankbar bin. Beim Schreiben wusste ich, dass ich, wenn es je zu einem Dreh kommen sollte, Valerie und Tinka Fürst so gut wie sicher an Bord waren. Niko zu besetzen war tatsächlich schwierig, weil ich lange nach einem Menschen gesucht habe, der die Trauer nicht gleich auf den ersten Blick ausstrahlt und auch nicht gleich als verletzliches Wesen wahrgenommen wird. Ich wollte immer eine Mischung aus professionellen Schauspielern und Musikern und bei Vodoo Jürgens, hatte ich das gute Gefühl, dass er die Rolle verstanden hat. Auf seiner Facebook-Seite habe ich Max Bogner entdeckt, er sah aus wie der österreichische Marilyn Manson und er war auch bereit mitzuspielen. Dass alle, die mitgespielt haben, eine Gruppe wurden, das hat ungefähr fünfzehn Minuten gedauert.


Sie haben anfangs erwähnt, dass es Ihnen sehr stark um ein Gefühl ging. Das bedeutet vielleicht, dass das Drehbuch nicht sehr detailliert in Szenen ausgeschrieben wurde. Wie kann man sich die szenische Arbeit vorstellen?

HANNES STARZ:
Valerie, Tinka, Vodoo Jürgens und Max Bogner haben das Drehbuch ja bereits im Vorfeld durch ihr Feedback „mitgeschrieben“.

VALERIE PACHNER: In der szenischen Arbeit mit Improvisation ist es immer so, dass das Schauspiel eine Mischung aus Spielen und Kreieren wird. Das hat Vor- und Nachteile. Ich mache es sehr gerne, es ist aber auch anstrengend, weil man eben auch kreiert. Als Schauspielerin muss man die Figur sehr ganzheitlich verstanden haben, um etwas anbieten zu können und gleichzeitig den Erzählbogen im Auge behalten. Da ist es natürlich hilfreich, so wie wir es gemacht haben, mit zwei beweglichen Kameras zu drehen.

HANNES STARZ: Es hat sehr, sehr lange Takes gegeben. Da ich vom Schnitt komme, dachte ich am Set zu sehr im Schnitt und musste erst lernen, die Leute einfach spielen zu lassen.

VALERIE PACHNER: Gerade für Laien ist es einfacher, ein bisschen freier und mehr im Moment sein zu können. Vieles entstand aus der Beziehung und den Momenten, die eine Szene wachsen lassen und vorantreiben. Ich habe durch meine Arbeit mit Terrence Malick schon Erfahrung für Improvisation beim Film mitgebracht und Tinka durch So was von da von Jakob Lass.  

HANNES STARZ: Valerie hat zuvor mit Terrence Malick gedreht und mir von dieser Arbeit erzählt, u.a. von einer Situation, wo er dem Kameramann die Anweisung zu einem Schwenk gegeben hat, der den Tonmann ins Bild gebracht hätte. Malick hat erwidert: „What’s the problem? We cut before.“ Und das war ein Satz, der mich begleitet hat. Ich habe nach den imperfekten Ausbrüchen gesucht, aber ich hatte auch immer die Sicherheit – „we can cut before“. Vor dem Dreh war ich sehr nervös. Und ich erinnere mich noch an den ersten Drehtag, wo alle vor der Kamera versammelt waren und … es lief. Ich habe den verschiedenen Figuren oft unterschiedliche Informationen gegeben, aber jeder wusste, wohin die Szene führen sollte. Es kam vor, dass ich zu Vodoo Jürgens und Valerie hingehen wollte, um ihnen in meiner Rolle als Regisseur eine Anweisung zu geben und sie schauten mich nur an und hatten es längst besprochen.


Musik kommt in Filmen in der Regel dazu. In ANOTHER COIN FOR THE MERRY-GO-ROUND ist die Musik ein konstituierendes Element. Wie sehr ist die Musik überhaupt das Zentrum des Films?

HANNES STARZ:
Es gab konzeptuell die Idee, dass die Handlung nur am Gürtel und in den dortigen Clubs spielen und die Musik nur aus diesen Lokalen kommen sollte. Es waren Orte, in die ich hineingefallen bin und von denen ich ein Teil sein wollte, als ich nach Wien gekommen bin. Ich wollte es am Anfang des Films mit der Musik eher übertreiben, weil ich da auf der Soundebene in Annas Kopf und in ihrer Welt war. Sie mochte das Dröhnende, Laute, einen Lärm, der auch ihre Überforderung zum Ausdruck brachte. Mir ist Musik sehr wichtig und ich finde Musik im Film sehr schön, Film ist ein Medium, in dem alles erlaubt und möglich ist. Fest stand, dass Manfred Engelmayr von Bulbul den Score machen würde. Von Bands wie – A Thousand Fuegos, Friends & Lovers wusste ich, dass ich mit den Leuten reden konnte und sie haben sich gefreut, dass ihre Musik verwendet wurde.

VALERIE PACHNER: Musik transportiert ja auch das Element des Sich-Wegträumens, Sich Wegbeamens, Wegspacens, aber gleichzeitig ist sie auch ein Element, durch das man sich sehr stark mit seinen Gefühlen verbinden kann. Darum passte es auch so gut zum Thema.


ANOTHER COIN FOR THE MERRY-GO-ROUND spielt in einer Bubble, in der nur selten die Außenwelt hineinspielt. Manchmal sieht man die Lichter der Stadt, einen Moment des Alltags. Ansonsten Leben alle in den Tag und halten sich dabei von der Realität so gut es geht, fern. Warum gibt es kaum Konfrontation mit außen?

HANNES STARZ:
Für mich ist ein äußeres Bild die Figur der Jools. Mit ihr habe ich mir beim Schreiben eher schwergetan und mir oft die Frage gestellt, ob es sie überhaupt braucht. Irgendwann bin ich draufgekommen, dass Jools der Mensch ist, den ich mir mein Leben lang als Freund oder Freundin gewünscht habe. Die nicht sagt, „Tu das nicht!“, sondern die einfach da ist.

VALERIE PACHNER: Sie ist eine Figur, die von außen kommt und sich „normal“ anfühlt. Sie ist mit ihrer Musik zwar auch in ihrem „Karussell“, aber sie geht anders damit um; sie ist besser geerdet und steht quasi für einen neuen Weg, der sich auftut. Meist funktioniert es aber so, dass man am liebsten mit anderen Realitätsverweigerern in der Bubble der Realitätsverweigerung verharrt. Umso schwieriger ist es, da auszutreten, Anna hat noch keinen anderen Boden, auf dem sie landen könnte oder der wäre zu sehr von Einsamkeit bestimmt. Ein gutes Beispiel ist der erste Selbstmordversuch von Niko, der in seiner Bubble nicht aufgefangen wird, weil alle Leute in seinem Umfeld weder eine Verbindung zu sich selber haben, noch emotional fähig sind, damit umzugehen. Genau diese Reaktion führt dann zu Nikos Verschwinden, das man als Selbstmord betrachten kann oder auch nicht.


Wie kam es zur Entscheidung, auf Mini-DV zu drehen?

HANNES STARZ: 
Ich habe meine ersten filmischen Gehversuche mit Mini-DV gemacht und mich damit sehr wohl gefühlt. Irgendwann mochte ich den Look nicht mehr. Es hat in ANOTHER COIN FOR THE MERRY-GO-ROUND immer eine Videoebene gegeben, die ich bewusst aus amerikanischen Skaterfilmen übernommen habe. Die Mini-DV-Kamera kam deshalb ins Spiel, weil ich sie meinen vier Hauptdarsteller:innen überlassen habe, damit sie in Drehpausen mit der Kamera herumblödeln, um sich besser kennenzulernen. 2018 haben wir mit einer Filmkamera gedreht und die beiden Ebenen zusammengeschnitten. Ergebnis war, dass die Bilder der Mini-DV-Kamera viel stärker waren. Meiner Kamerafrau Marianne Andrea Borowiec und mir war klar, dass wir uns etwas trauen mussten und so fiel die Entscheidung, dass wir unabhängig von der Finanzierung auf Mini-DV drehen würden. Wir haben mit zwei Kameras gedreht, was sich aufgrund der quasi nicht vorhandenen Drehzeit von zwölf Tagen als sehr nützlich erwiesen hat.


Wie hat sich das Drehen selbst mit den beiden Kameras gestaltet?

VALERIE PACHNER:
Man muss Marianne Andrea Borowiec ihren einzigartigen Instinkt sehr hoch anrechnen. Sie schafft es, dass man als Schauspielerin gar nicht daran denkt, dass sie da ist. Gleichzeitig fängt sie alles Wichtige ein und ist ganz nahe an uns dran. Es gab keine Markierungen und wir konnten komplett frei im Raum sein. Meine Dreherfahrung mit Terrence Malick war da wirklich ein prägendes Erlebnis, weil man sich auf seinen Sets auch völlig frei bewegen konnte. Es war wie ein Spielplatz. Es war ein Erleben, das ich vom Theater kenne, das mir beim Film oft fehlt. Es war auch hilfreich für die Arbeit mit den Laien, dass man so echt wie möglich im Moment sein konnte und die beiden Kamerafrauen haben sich immer sehr gut positioniert.

HANNES STARZ: Ich war über einen Monitor mit Marianne verbunden. Und es ist nicht nur einmal vorgekommen, dass ich über die Verkabelung geflüstert habe, wohin sich die Kamera bewegen sollte, was dann in diesem Moment schon geschehen war. Marianne schafft es, sich auf die Menschen einzulassen. Sie versteht zu antizipieren, das ist bei so einer Arbeit besonders wichtig. Dasselbe gilt für Sonja Aufderklamm, die die zweite, nicht immer einfache Kamera gemacht hat.


Mit welchem Material haben Sie sich dann an den Schnitt gemacht?

HANNES STARZ:
Es ist eigentlich nicht sehr ratsam, den eigenen Film selber zu schneiden. Zwei Dinge sprachen aber dafür: erstens hatten wir kein Geld, zweitens hatte ich das Gefühl, das Material nicht aus der Hand geben zu können. Es war mir so wichtig, auch wenn mir bei jedem Schnitt das Herz geblutet hat. Ein positiver Effekt der Pandemie war, dass plötzlich jeder Zeitdruck abgefallen ist.  Das war für den Schnitt eine ideale Situation. Ich war in permanentem Austausch mit meiner Produzentin Gabriele Kranzelbinder und mit Thomas Woschitz, den wir als Supervisor dabei hatten und mit dem ich an den Feinheiten im Schnitt gearbeitet habe.


Was hat Sie veranlasst, auch auf einer formalen Ebene mit Sprache und Schrift zu spielen?

HANNES STARZ:
Das kam in erster Linie von Patti Smiths Buch Just Kids. Es ist ein tolles Buch, ich liebe ihre Art zu schreiben, ich finde ihr Leben so schön, ich möchte Teil davon sein. Mitten drinnen sind immer wieder Sachen aufgepoppt – Namen von Künstlern, Poeten, Bands, deren Name mir nichts gesagt hat. Ich habe Sachen herausgeschrieben und mich damit beschäftigt. So war es auch bei ANOTHER COIN FOR THE MERRY-GO-ROUND, ich habe immer mit Zitaten gearbeitet. Ein Zitat von Arthur Rimbaud ist drinnen, weil Anna zu Recht Patti Smith mag und wer Patti Smith mag, muss Rimbaud mögen, der ein Symbol für Freiheit ist. Es ging mir sehr um die Just Kids-Atmosphäre und die Riot Grrrl Punk-Szene.


Ist bei euch durch diese Arbeit über eine Geschichte vom Verlust der Jugend auch eine Wehmut für eine unwiederbringliche Zeit hochgekommen?

VALERIE PACHNER:
Bestimmt auf eine Art. Meine eigene Auseinandersetzung mit dem Thema, war ja, als die Arbeit für ANOTHER COIN FOR THE MERRY-GO-ROUND begonnen hat, schon vorbei. Für mich war es ein interessantes Wieder-Eintauchen, eine Rückschau auf eine Phase, auf eine Art von Suche. Es wird einem aber auch bewusst, dass es etwas ist, was einem immer wieder auf die eine oder andere Art begleiten wird.

HANNES STARZ: Ich habe keinerlei Wehmut verspürt. Im Gegenteil. Bei mir war vielmehr das Empfinden stark, dass ich mir einen Lebenstraum erfülle, nämlich, bevor ich vierzig bin, einen Film zu realisieren. Die Pandemie mag auch dafür verantwortlich sein, aber die Zeit, wo man ewig lang in Lokalen sitzt und nicht heimgehen will, ich glaube, die habe ich mit der Arbeit an diesem Film überwunden. Ich verspüre keine Sehnsucht mehr nach sinnlosem Herumirren. Es gibt plötzlich viele Freunde in meinem Leben, das hat es vorher auch nicht gegeben. Privat hat sich für mich sehr viel geändert. Ich dachte auch immer, Niko sei das typische Autoren-Ich, in das ich in mich hineinprojiziere und ich habe beim Dreh irgendwann bemerkt, dass diese Identifikation eher hin zu Anna switcht.


Wie entstand Annas Voiceover-Text?

HANNES STARZ:
Den Text habe ich mit Gabriele und Valerie geschrieben

VALERIE PACHNER: Hannes wollte sehr viel hineinpacken, ich habe immer wieder versucht, zu reduzieren. Es war eine ganze eigene Arbeit, weil ein Voiceover schauspielerisch und figurentechnisch immer die Frage aufwirft: Wo befindet sich die Figur, wenn man an der Aufnahme arbeitet? Das war hier eine große Herausforderung. Ich weiß ja nicht wirklich, wo Anna steht, aus welcher Distanz, mit welcher Art der Aufgeräumtheit sie im Moment des Voiceovers spricht. Ich habe es so betrachtet, dass sie im Moment, wo sie spricht, noch nicht ganz klar in sich ruht. Sie ist immer noch eine Suchende. So sehr sie erkannt hat, dass sie nicht präsent genug gewesen ist, als Niko noch da war, so liebt sie dennoch dieses Leben und vermisst es auch ein wenig. Es ist ganz eigen, in einer Rückspiegelfigur, noch einmal auf die Rolle draufzuschauen, umso mehr als es mit einem zeitlichen Abstand zum Dreh aufgenommen wird.

HANNES STARZ: Valerie hat mal gesagt, dass sie es an diesem Film besonders mochte, dass er nie den Finger hebt. Daher mochte ich die Idee eines Voiceovers, in dem ein Gefühl beschrieben wird. Valerie als Schauspielerin zu haben, war für mich, aber auch für die anderen Darsteller*innen wirklich ein Geschenk. Sie hat den Film getragen. Das Voiceover haben wir nicht nur einmal, sondern letztlich bei Peter Kutin nocheinmal aufgenommen, bis es auch für Valerie perfekt auf dem Punkt war.


Alles in allen scheint es ein Projekt gewesen zu sein, das auf vielen Ebenen von einer großen Freiheit geprägt war.

HANNES STARZ:
Es war vor allem schön zu erfahren, dass man nicht allein für etwas kämpft. Das erste übrigens, was im Drehbuch stand, waren die Schlusscredits in alphabetischer Reihenfolge. „Ein Film von“ zu schreiben, ist einfach unrichtig. Alle, die etwas zu diesem Film beigetragen haben, alphabetisch zu listen, ist eine Form der Dankbarkeit und Ehrlichkeit. Ich könnte nicht anders arbeiten.

VALERIE PACHNER: Das Projekt war in jeder Faser von einer großen Freiheit geprägt und von dem Vertrauen, dass es richtig ist, was wir machen. In so einem Projekt, wo man nicht mit allzu großen Sachzwängen zu kämpfen hat, ist das natürlich leichter. Dieses Projekt war außerordentlich kollaborativ. Es ist ja eigentlich verrückt, in nur zehn Tagen einen Spielfilm zu drehen, wo fünf wichtige Szenen an einem Tag erledigt werden mussten. Da musste ich auch ein Stück weit loslassen, es war mir klar, dass es da und dort vielleicht mal hinken würde. Volle Perfektion konnte ich und wollte ich gar nicht leisten, weil es bei diesem Film gar nicht darum ging. Essentiell war, dass es im Herzen des Ganzen stimmt und das ist von unserer Art der Auseinandersetzung getragen worden, nämlich dass wir uns frei und ohne Anspruch auf Perfektion dieser Aufgabe gestellt haben.


Interview: Karin Schiefer
Oktober 2021