INTERVIEW

«Es ist ja fast ein Moment der Auferstehung.»

Warum unser Franz gewinnen wird., titelte die Kronenzeitung schon längst, bevor das österreichische Schiidol Franz Klammer 1976 seine legendäre Olympiafahrt hinlegte. Wieviel Druck er seitens der Öffentlichkeit und vor allem der Medien dabei wegstecken musste, kann man nur ahnen oder jetzt auf der Leinwand miterleben. Andreas Schmied fokussiert sein Biopic KLAMMER – CHASING THE LINE auf die wenigen Tage vor dem Wettkampf und lässt trotz der Spannung erfrischende Unbeschwertheit und ein sportliches Großereignis in vordigitalen Zeiten aufleben. Mit einem der höchsten in Österreich je vergebenen Spielfilmbudgets und einer lebenden Ikone im Hintergrund hatte auch er einigem Druck standzuhalten.

Wie sehr begleitet einem als Regisseur beim Dreh die Verantwortung für die Menschen,  wenn man auch nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben einer – wie im Fall Franz Klammer – ikonischen Figur verfilmt, die ebenso wie ihr Umfeld noch am Leben ist? Wie geht man mit einer Heldengeschichte um, mit deren Helden man nicht tun kann, was man will. Wie würden Sie nun rückblickend diese Erfahrung umschreiben?

ANDREAS SCHMIED
: Der Druck war bei KLAMMER – CHASING THE LINE unbestritten da, weil es eine Art von Biografie ist, auch wenn es nur fünf Tage aus dem Leben Franz Klammers erzählt. Wir haben versucht, innerhalb dieses kurzen Rahmens den Menschen Franz Klammer und seine Frau ins Zentrum zu rücken. Beiden gefällt der Film sehr gut, insofern würde ich sagen, das Experiment ist gelungen. Es ist ein schönes Lob für die Schauspieler:innen, dass das Ehepaar Klammer bestätigt, wie sehr sie sich als junge Leute in ihnen wiedersehen. Eva sagte mir nach einem Screening, „Genau so ist er, wenn er sich aufregt.“ So etwas kann man nicht inszenieren, das muss sich ergeben. Das sind Dinge, die sich aus der Recherche nähren, einer Recherche, die ich vielmehr als psychologisch als faktenbezogen interpretieren würde. Druck verspürte ich weniger vonseiten Franz Klammers, als vielmehr vonseiten der Geldgeber. Es waren ja nicht nur die „klassischen“ Förderer beteiligt. Das Land Kärnten ist mit sehr viel Geld hineingegangen und da habe ich anfangs schon Druck gespürt. Unser Glück war, dass Franz von Beginn an zur Erleichterung der Förderer das Projekt grundsätzlich unterstützt hat, inhaltlich sich aber bis zum Schluss nicht eingemischt hat. Das war beruhigend. Im Gegensatz zu einem Film wie Love Machine, wo ich machen kann, was ich will, hatten wir beim Schreiben von KLAMMER – CHASING THE LINE sehr klare Parameter. Franz Klammer hat es in einem Interview sehr gut auf den Punkt gebracht und ungefähr so gesagt: Alles, was im Film vorkommt ist passiert, dazwischen gibt es natürlich Spielräume und die reizt der Film total aus. Als Filmemacher muss man interpretieren, zusammenfassen und verdichten. Dabei hat sich nie jemand eingemischt. Ich hatte nur eine Sorge: dass der Film auch am Ende die Unterstützung der Protagonist:innen bekommen würde. ich habe aber nie Signale bekommen, wie der Film zu sein hätte. Innerhalb des für Österreich großen Budgets waren jedoch die Blicke anders als bei bisherigen Projekten auf mich gerichtet. Ich fühlte mich wie unterm Mikroskop, das hatte aber nichts mit Franz Klammer zu tun. Es hätte mich wirklich verunsichert, wenn die Person, über die wir den Film machen, mir beim Dreh quasi über die Schulter geschaut hätte.


Interessant, dass ein Stoff, der vom massiven Druck erzählt, der an diesen Tagen bis zur Olympiaabfahrt auf Franz Klammer gelastet hat, auf seine Weise wieder eine Situation erzeugt, wo enormer Druck herrscht.

ANDREAS SCHMIED:
Julian Waldner, der Darsteller von Franz Klammer, hat das auch sehr stark gespürt. Es war eine Situation – Life imitates life und art imitates life. Julian hat als Schauspieler, der vom Reinhardt Seminar kommt und gleich mit dieser riesigen Rolle betraut wurde, massiven Druck verspürt und wir haben das in gemeinsamen Gesprächen sehr oft thematisiert. Ich glaube, dass der Film sich dadurch auch so ehrlich anfühlt, weil er sich nicht nur dieser quasi Hollywood-Dramaturgie bedient; man merkt, dass ich in der Inszenierung stark daran gearbeitet habe, dem Publikum ein wirkliches Erlebnis zu vermitteln, und zwar mit allem, was ich als Filmemacher bisher gelernt habe. Ich habe technisch wie auch von meinem Regie-Know-how alles hineingesteckt. Grundsätzlich war die Arbeit dieselbe wie bei jedem anderen Film. Der Unterschied lag darin, dass wir wirklich jeden Tag gespürt haben, was auf dem Spiel stand und das war etwas, das quasi den ganzen Film durchdringt. Viele Leute, die den Film gesehen haben, haben mir bestätigt, dass er von Beginn an eine Spannung aufbaut und man bis zum Ende mitfiebern muss, obwohl allgemein bekannt ist, wer das Rennen gewinnt. Das hat nicht nur mit dem zu tun, was ich als Filmemacher mittels Filmsprache etc. zum Einsatz bringe, sondern auch damit, dass auch unsere Stimmung beim Dreh mitschwingt.


KLAMMER – CHASING THE LINE greift einen kurzen Moment kollektiver Geschichte in Österreich auf. Der Film eröffnet mit (nachempfundenen) Fernsehbildern aus dem Winter 1975/76. Stand in Ihrem Zugang beim Drehbuch, das Sie mit Ihrer Frau Elisabeth Schmied geschrieben haben, das Medienspektakel im Vordergrund? Es ging ja auch um eine Massenhysterie, die herbeigeschrieben wurde und erzählt, wie anders als heute, ein Sportereignis so eine monopolisierende Kraft entwickeln konnte.

ANDREAS SCHMIED: Der mediale Hintergrund war Elisabeth und mir sehr wichtig. Elisabeth hat einen journalistischen Background und ich habe durch sie sehr viel darüber gelernt, wie Medien operieren. Das hat mich immer schon interessiert. Ich kann mir gut vorstellen, einen meiner zukünftigen Filme über Medien oder Journalismus zu machen, weil es ein Feld ist, das mich unheimlich fasziniert. Ähnliches gilt für Computer und Technologie. Es gibt so private Interessen, von denen ich hoffe, dass sich einmal die Möglichkeit ergibt, in ihrem Kontext gute Geschichten zu erzählen. Die Rolle der Medien war in KLAMMER – CHASING THE LINE natürlich nicht auszusparen, weil Olympia ‘76 ein riesengroßes Sportevent war, das im Vorfeld schon hochgeschrieben wurde und es war auch für uns sehr wesentlich, dass wir auch diese offizielle Seite greifbar machen. Da landeten wir schnell bei der Figur des Sportjournalisten Heinz Prüller, der auch auf einer emotionalen Ebene eine sehr wichtige Person für Franz Klammer war. Er nimmt innerhalb der offiziellen Welt die Funktion eines Ankers ein und bietet dem Publikum eine Identifikationsfläche. Er ist eine beliebte Persönlichkeit und der Film erlaubt festzustellen, dass er auch einmal jung war. Harry Lampl spielt Heinz Prüller besonders glaubwürdig, ohne ihn zu imitieren. Ich bin mit der Performance der Schauspieler insgesamt sehr zufrieden und freue mich, dass der Film eine Gelegenheit bietet zu zeigen, wieviele tolle Schauspieler:innen es in diesem Land gibt, die unbekannt sind. Der Film ist fast so etwas wie eine Schauspielerwerkschau. Der zweite Sportreporter, Michael Kuhn, fungiert als eine Art Erzähler. Das ist eine Idee, die erst relativ spät entstanden ist. Es gab ursprünglich Kommentatorentexte mit dem Gedanken dahinter, über die emotionale, private Geschichte eine Audioebene zu legen, die das Großereignis nie aus den Augen verliert. Letztlich kam mir die Idee, dass ich ihn zu einer Art Erzähler machen könnte. Ich ließ gegenüber dem Darsteller offen, ob ich seinen Part nur als Stimme einbaue, wie einen Off-Kommentar oder ob ich diese Ebene tatsächlich zeige. Wir hatten dafür, das (sehr einfache) Sport am Montag-Studio nachgebaut und es hat sich als visuell als sehr interessant herausgestellt, vor allem auch der Kommentar zum Schirennen. Den Container hatten wir ohnehin und so beschloss ich, alle Kommentare mit rasanter Kamera aufzunehmen, als würde ich im Tonstudio mit der Kamera aufnehmen. Das gibt dem Ganzen nochmals eine Dynamik. Eines ist klar: die Medien im Film auszusparen, hätte aus der Geschichte Druck entfernt und es wäre eine private Nabelschau geworden. Man hat so das Gefühl, dass es in ein größeres Ereignis eingebettet ist.


War immer klar, dass diese TV-Bilder nachempfunden werden würden oder haben Sie auch mit dokumentarischen Elementen experimentiert. Sind die Texte dieser TV-Szenen den Originalszenen nachempfunden?

ANDREAS SCHMIED: 
Vieles ist original. Es ist pasticheartig mit den besten Sagern von Berichten aus Arbeiterzeitung, Kurier, Kronenzeitung und ORF zusammengefügt. Mit Original-Footage arbeite ich nur, wenn es am Fernseher zu sehen ist. Mir war bei anderen Filmen aufgefallen, dass Originalmaterial entweder billig wirkt oder mich völlig aus dem Film rausreißt. Ich zeige Originalbilder von der Olympiaeröffnung, die Klammers Mutter im Fernsehen sieht, aber ich wollte die Eröffnung mit Franz Klammer und seinen Kollegen erfahrbar machen. Das Cover der Kronenzeitung mit der Schlagzeile: Warum unser Franz gewinnen wird., ist ein Originalzitat.


Mit der ästhetischen Lösung für die Fernsehbilder sind wir mitten in der Frage der Kameraarbeit. KLAMMER – CHASING THE LINE erzählt ein hochpopuläres historisches Ereignis, von dem die Menschen Bilder in ihren Köpfen haben. Heute gibt es ganz andere technische Mittel, ein sportliches Großereignis darzustellen. Wie haben Sie versucht, den alten und den neuen Blick auf dieses Ereignis, Kino- und TV-Bilder in technischer Sicht zu vereinen?

ANDREAS SCHMIED:
Das war ein großes Thema in der Vorproduktion, nicht zuletzt deshalb, weil wir wussten, dass wir mit Second-Unit-Material arbeiten mussten. Wir haben zwar auch Actionszenen gedreht, das meiste kam aber von Gerhard Salmina, der One Hell of a Ride, den Dokumentarfilm über die Streif, gemacht hat, der mit seiner Crew sehr viel Erfahrung hat und auch Stunt-Schifahrer kannte. Von ihnen wussten wir, dass sie mit ganz unterschiedlichen Kameras arbeiten, wie GoPros oder kleinen Fotoapparaten, dass sie andere Optiken und im Gegensatz zu uns keine Filter verwendeten. Wir haben Filter sehr intensiv eingesetzt, bis zu Strümpfen, die wir reingespannt haben, um den 70er-Look zu kreieren. Wir mussten eine Stilistik finden, die alles vereinen kann. Das Archivmaterial vom echten Franz Klammer ist auf 4:3 zu sehen und ich wollte, dass es von diesem Format auf 1:2.39 aufgeht und man die Bilder auf Wide Screen ins Heute holt. Das Bild wird immer breiter und der Eindruck der Bildqualität wird immer „besser“. So kommt 1976 zum Publikum. Es gibt aber auch mitten in unserem Material gefunde Shots der Second Unit, die z.B. einen Schifahrer mit Drohne gefilmt und am Ende des Shots die Drohne nicht ausgeschaltet hat. So wurden noch wackelige Bilder vom Berg aufgezeichnet und die sehen nun wie ein 1970er Helikopter-Establisher der Bergsituation aus. Wir haben natürlich das Material so angepasst, dass es wie aus einem Guss erscheint. Es gibt einen einzigen Shot aus dem Archivmeterial, der bildschirmfüllend kommt, das ist der Sturz von Jimmy Steiner, der sich aus einem von der Second Unit gedrehten Stunt und dem Archivmaterial vom echten Sturz zusammensetzt. Es sieht aus, als wäre unser Stunt einfach weitergegangen.


Aus Ihren Schilderungen ergibt sich der Eindruck, dass Sie sich beim Dreh sehr viel offen gelassen und viel Bildmaterial gesammelt haben, um im Schnitt einen größtmöglichen Spielraum zu haben.

ANDREAS SCHMIED:
  Das war dem Genre geschuldet. Für mich war das sehr aufregend, weil ich normalerweise nicht so arbeite. Im Anschluss an KLAMMER – CHASING THE LINE Love Machine 2 zu drehen, bedeutete einen Kulturschock für mich, weil es hieß, wieder im engen Korsett der Komödienrestriktion zu leben. Bei KLAMMER – CHASING THE LINE konnte ich viel mehr aus dem Bauch reagieren, auch wenn er natürlich sehr genau gestaged war. Komödie ist ganz exakt und funktioniert oft in einer Einstellung, während KLAMMER – CHASING THE LINE das genaue Gegenteil war. Daraus erklärt sich auch die Rastlosigkeit des Films. Ich habe mich immer als ganzheitlicher Filmemacher gesehen und kann mir gut vorstellen, mich noch in vielen verschiedenen Genres zu versuchen. Gerade das Thriller-Genre, wo es so sehr darum geht, wann zeige ich welche Information, scheint mir sehr reizvoll und ich glaube, dass ich durch die Genauigkeit in der Komödie schon viel einbringen würde.


KLAMMER – CHASING THE LINE erzählt ein sportliches Großevent ohne digitale Mittel und Medien und auch von Sportlern als Naturtalenten, die noch nicht von einer ganzen Maschinerie dominiert werden. Ein Teil des Charmes dieses Films macht dieses Wachrufen von Erinnerungen aus. Wie sehr hat Sie das Moment der Nostalgie beschäftigt und auch bewegt?

ANDREAS SCHMIED:
Als Filmemacher wünsche ich mir, dass man abseits von dem dreht, was man eh jeden Tag erlebt. Damit möchte ich jetzt nicht sagen, dass mich Menschen und ihre Probleme in der Gegenwart nicht interessieren. Bei KLAMMER – CHASING THE LINE hatten wir die Möglichkeit, eine komplette Welt zu kreieren. Man betritt ein Gasthaus und steht mitten in den Siebzigern. Die jungen Schauspieler:innen haben sich immer wieder beim Szenenbild bedankt, weil es ihnen eine so starke Hilfe geboten hat. Wir haben die Abfahrerwohnung im Olympiadorf und Evas WG in Wien in einer Halle im 11. Bezirk direkt aneinander gebaut und in der Szene, wo sich die beiden ihre Liebe gestehen, fährt die Kamera vom einen zum anderen Set. Das ist sozusagen ein echter Splitscreen. Ich hatte mir beim Schreiben schon vorgestellt, dass ich es so machen möchte. Es ist ein beinahe erhebender Moment fürs Publikum. Auch das Lichtkonzept war großartig, man fühlte sich wie in einer Wohnung, ohne dass man das Licht aufdrehen musste. Die Set-Wohnungen waren wie ein Rückzugsort, ich habe dort oft Zeit verbracht und in den Büchern und Zeitschriften gestöbert. Das hat sehr viel mit mir zu tun. Zeit ist für mich ein großes Thema. Ich denke da nicht nur an Endlichkeit oder Sterblichkeit, sondern an die Frage, wie Zeit vergeht, wie Zeit sich verändert, welchen Fortschritt wir als Gesellschaft machen? Ein konkretes Beispiel – Wie haben Magazine in den siebziger Jahren über diese Ereignisse geschrieben? Oft ganz anders, als wir es in unserer Recherche herausgefunden haben. Man mag sich heute über die Boulevard-Presse beklagen … damals dürfte es auch nicht sehr viel besser gewesen sein. Wir waren insgesamt sehr um Authentizität bemüht, es stimmen auch die Autos und die Pullover. Wir hatten Möbel, die so gut erhalten waren, dass man das Gefühl bekam, dass sie gerade erst gekauft worden waren. Das hilft. Für mich ist KLAMMER – CHASING THE LINE kein nostalgischer Film. Ich finde es schön, wenn man sich in eine andere Zeit entführen lassen kann. Mit dem viktorianischen England erginge es mir nicht anders. Ich finde es auch beim Dreh toll, sich in eine andere Zeit versetzt zu fühlen und dabei vielleicht noch in echten Motiven zu sein. Man kommt an Plätze und in Themen, in die man sonst nie eingetaucht wäre.


Vor welcher Aufgabe stand konkret das Kostümdepartment?

ANDREAS SCHMIED:
Die Kostüme sind großartig. Alle offiziellen Kostüme – die goldenen Schianzüge ebenso wie die Olympiaausstattung – wurden auf der Basis von Fotos für den Film hergestellt. Theresa Ebner-Lazek hat in akribischer Kleinstarbeit die Details der Kostüme herausgefunden. Und was das Ganze zu einer richtig großen Leistung macht, ist, dass das alles während eines Lockdowns geschneidert wurde. Dazu kam, dass sie für Dreharbeiten adaptiert werden mussten. Die Schianzüge waren ja extrem dünn und nur dafür gedacht, dass man sie diese 1:45,73, also die Dauer einer Abfahrt, trug und dann wieder in warme Kleidung gepackt wurde. Für unsere Schauspieler brauchten wir aber gepolsterte Rennanzüge. Sehr Vieles ist aus einem Fundus, wo man tatsächlich tonnenweise Second Hand-Klamotten bestellen kann.


Franz Klammer hat vor kurzem in einer TV-Talksendung einen sehr interessanten und amüsanten Satz gesagt, nämlich, dass man als Rennläufer während der Abfahrt Zeit hätte, um zu schauen, was am Pistenrand passiert und auch erzählt, wie sehr man als Rennläufer die Fahrt in Zeitlupe erlebe. Die Faktoren Geschwindigkeit und Zeit haben das ganze Narrativ und den Rhythmus des Films bestimmt. In den Momenten des Triumphs wird die Zeit beinahe angehalten. Welche Überlegungen zum Rhythmus haben Sie vor allem im Schnittprozess angestellt?

ANDREAS SCHMIED:
Bei KLAMMER – CHASING THE LINE bestand die technische bzw. schnitttechnische Herausforderung darin, einen Kern, der sich um die berühmten 1 Minute 45,73 Sekunden dreht – die viele vor 45 Jahren im Fernsehen miterlebt haben und die man sich jederzeit auf YouTube anschauen kann – emotional erfahrbar zu machen. Franz Klammers Siegesfahrt dauert im Film, wenn ich mich noch richtig erinnere, mehr als vier Minuten, also mehr als doppelt so lange und arbeitet mit allen Mitteln, die einem als Filmemacher zur Verfügung stehen. Das liegt nicht nur daran, dass die Bilder spektakulär sind, sondern dass wir es fühlen. Die Second Unit-Leute, die aus der Doku kommen, haben das nicht gleich auf Anhieb verstanden, dass es Tage gibt, wo ich den Hauptdarsteller im Green Screen drehe oder warum manche Dinge total stilisiert sind. Gewisse Dinge kann man dokumentarisch nicht festhalten. Als es dann zum ersten Mal zusammengebaut war, haben selbst Leute, die sich in der Materie des Schirennlaufs gut auskennen und mit dem klassischen Filmemachen nichts am Hut haben, wie Bernhard Russi oder Franz Klammer selbst, uns die Rückmeldung gegeben, wie intensiv es sich anfühlte, dadurch, dass sich Dinge dehnen und wieder zusammenziehen. Durch die Kontraktion, die der Film immer wieder vollführt, sind die Momente, die Franz Klammer in der TV-Show beschrieben hat und die die Rennläufer auf der Piste erleben, erfahrbar gemacht worden. Das hatten sie nicht erwartet. Als Filmemacher hört man es natürlich gern, wenn Leute, die sich wirklich auskennen, bestätigen, dass sie diese Empfindungen wirklich nachvollziehen können. Andererseits muss man sich trauen, diesen quasi spirituellen Moment so zu filmen, es ist ja fast ein Moment der Auferstehung. Auf diese Weise hat Franz seine Emotion beschrieben, wenn auch nicht mit solchen Worten. Als jemand, der sich auch für das Spirituelle im Leben interessiert, gehe ich da total rein und ich bin da auch nicht subtil dabei. Da sind wir wieder beim Publikumsfilm. Ich will, dass auch die Zuschauer:innen in der letzten Reihe mitbekommen, was ich da meine. Es ist das Wichtigste am Filmmachen, dass man mit dem Publikum, mit den Menschen kommuniziert. Das betrifft außerdem jede Art von Kunst. Jede auf seine Art. Die einen erzählen Geschichten, die anderen eher Stimmungen, im Endeffekt geht es um Gefühle. Welches Gefühl vermittle ich einem anderen und wie sehr zeige ich mich als Mensch anderen Menschen? Darin ist dieser Film nicht anders als andere. Das übersteigt alle Genregrenzen. Mir geht es nur um die Frage, dass ich als Filmemacher mit anderen Menschen kommuniziere. Im Idealfall steigen sie darauf ein und ich kann damit meinen Lebensunterhalt bestreiten, was natürlich toll ist.


Interview: Karin Schiefer
November 2021


 

Franz Klammer hat es in einem Interview sehr gut auf den Punkt gebracht und ungefähr so gesagt: Alles, was im Film vorkommt ist passiert, dazwischen gibt es natürlich Spielräume und die reizt der Film total aus. Als Filmemacher muss man interpretieren, zusammenfassen und verdichten. Dabei hat sich nie jemand eingemischt.