INTERVIEW

Sie war eine Influencerin des späten 19. Jahrhunderts.

Das Kostüm-Department von CORSAGE war doppelt gefordert: nicht nur galt es die Roben Kaiserin Elisabeths und ihrer Entourage zu kreieren, vor allem galt es unter den edlen Stoffen effiziente und tragbare Korsette zu schaffen, die die wundersamen Taillenmaße der berühmten Habsburgerin sichtbar machten. Interessante Einblicke mit Kostümbildnerin Monika Buttinger.


Corsage und Korsett sind Begriffe, die Marie Kreutzers neuen Film CORSAGE bestimmen. Wo liegen hier die Nuancen in den Begriffen?

MONIKA BUTTINGER:
Ich bin in meiner Recherche auch immer wieder auf unterschiedliche Bezeichnungen gestoßen und habe zur Begriffsklärung nochmals bei Michaela Lindinger, der Kostümspezialistin des Wien Museums nachgefragt: Das Wort Corsage stammt aus dem 14. Jh. aus Frankreich und bezeichnete ein Kleidungsstück, das den Oberkörper stützt. Sowohl Corsage und Korsett sind kostümhistorisch gängige Begriffe. Im Kontext von Marie Kreutzers Films würde man das, was Kaiserin Elisabeth getragen hat, als Korsett bezeichnen und als Corsage eher den Überbegriff für das Leben im Korsett betrachten.


Marie Kreutzers Film fokussiert auf das Jahr 1877/78. Wo steht man da kostümgeschichtlich?

MONIKA BUTTINGER:
Das 19. Jahrhundert war eine Zeit, in der das Schnüren besonders extrem gehandhabt wurde. Die Schnür-Methode zur Zeit Elisabeths hat den Körper der Trägerin unweigerlich deformiert bzw zu erheblichen Schäden von Skelett und Weichteilen geführt. Bei meiner Recherche bin ich sogar auf ein Korsett für ein einjähriges Kind gestoßen. Das heißt, dass die Mädchen aus besseren Kreisen von frühesten Jahren an auf eine schmale Taille hingetrimmt worden sind, mit allen Schäden, die das natürlich hinterlassen hat. Das Korsett wurde nicht den ganzen Tag getragen. Man weiß von Elisabeth, dass sie mehrstündige Morgenrituale vollzogen hat; wenn diese erledigt waren, hat sie sich, wenn es einen entsprechenden Anlass gab, für ein paar Stunden – wie sie es bezeichnet hat – „ins Geschirr“ geworfen. Das Zeitfenster, in dem unser Film spielt, wird kostümgeschichtlich Gilded Age genannt. Das bezeichnet eine Damenmode, die schnitttechnisch quasi keinen Millimeter Spielraum zwischen Haut und Stoff zulässt. Die Kleidung wurde wie auf den Körper gegossen angefertigt, was die Herstellung der Kleider sehr aufwändig gemacht hat. Es gibt im Detail und unter Expertinnen, natürlich unterschiedliche Auffassungen zur Mode von Elisabeth. Sie war auf die heutige Zeit übersetzt eine Influencerin des späten 19. Jahrhunderts. Im ganzen Reich und europaweit wurde registriert und „beäugt“, was sie trug und wie sie es trug, insofern würde ich sie als Trendsetterin bezeichnen.


Vor welchen großen Fragen stand das Kostümdepartment?

MONIKA BUTTINGER:
Dass der Umgang mit der Taille eine Riesenherausforderung werden würde, war sofort aus dem Drehbuch herauszulesen. Im Vorfeld haben wir produktionsintern auch viel darüber getüftelt, inwieweit man die angestrebte extrem schmale Taille – kostümtechnisch das zentrale Thema des Films – mit VFX Effekten bearbeiten würde müssen. Meines Wissens konnte letztlich alles analog gelöst werden. Vicky Krieps hat mit ihrem Körper – sie ist groß, (hat zusätzlich Schuhe mit Absätzen getragen), hat relativ breite Schultern und eine schmale Taille – die besten Voraussetzungen für die angestrebte Sanduhrfigur; man muss aber dazu sagen, dass wir ihre ohnehin schon schmale Taille nochmal bis zu 8 cm geschnürt haben. Wir haben mit analogen Mitteln eine Silhouette erzielt, die ich mir nach der ersten Lektüre von CORSAGE nicht hätte erträumen lassen.


Konnte man aus dem heutigen Stand auf angenehmere Materialien zurückgreifen?

MONIKA BUTTINGER:
Im Grunde bedeutet das Schnüren ein Verdrängen von Körpermasse in verschiedene Richtungen. Wenn das textile Material nicht entsprechend fest und stabil ist, kommt man nie auf ein angestrebtes Taillenmaß. Wenn man „einschnüren“ will, dann kann man nicht mit komfortablen Materialien arbeiten. Wir haben ganz dichte Baumwollstoffe verwendet, damals waren echte Fischbeine eingenäht, heute sind es synthetische Stäbe, die als stabilisierende, aber leicht elastische Komponenten ins Mieder eingearbeitet werden. Wir haben für die Anfertigungen eine Dummy mit einer weichen Oberfläche hergestellt, die exakt die Maße von Vicky Krieps hatte und die wir eben auch um die Taille schnüren konnten. So mussten wir sie nicht für jedes einzelne Kleid zur Kostümprobe holen.


Es gab also für das Kostüm zwei Ebenen, auf denen gearbeitet wurde: die unsichtbare Komponente und dann die sichtbare in Form der Kleider:

MONIKA BUTTINGER:
Ich bin keine Elisabeth-Spezialistin. Ich habe versucht, mir möglichst viel Wissen zur Mode dieser Epoche anzueignen, um mich dann auch wieder wegzubewegen und mir die künstlerische Freiheit zu nehmen, zu interpretieren und das Wissen auf das Drehbuch umzulegen, das ist ja das Essentielle. Ein spannender Punkt für uns als Kostüm-Department waren Elisabeths sportliche Aktivitäten und der Umgang mit ihrer Taille. Der Film zeigt sie u.a. beim Fechten, bei der Gymnastik und beim Reiten im Damensattel. Für die Gymnastik haben wir ein so genanntes Cording-Mieder angefertigt, damit sie in alle Richtungen besser beweglich war. Dafür wurden feine Kordeln eingesteppt, die die Silhouette betonen und es gleichzeitig ermöglichen, den Rumpf gut zu biegen. Das ist unsere Interpretation, mit einem Korsett wäre uns das völlig unrealistisch erschienen.


Was hat dieses Korsett für Vicky Krieps in Vorbereitung und beim Dreh bedeutet?

MONIKA BUTTINGER:
Wir hatten für Vicky Krieps drei Hauptmieder: für das Reiten und Fechten das etwas kürzere Sport-Mieder, für die Gymnastik haben wir mit dem Cording-Mieder und einer Seidenjersey-Hose quasi einen „historischen“ Jogginganzug erfunden. Und wir hatten ein spezielles Korsett, dass wir unter den Kleidern verwendet haben. Sie hat schon in der Vorbereitung ein Probe-Mieder bekommen, damit sie das Reiten, das sie noch dazu mit einem langen Rock und im Damensitz praktizieren musste, trainieren konnte. Der absolute Wahnsinn. Wir hatten ein junge tolle Korsett-Spezialistin aus Wien, Barbara Pesendorfer, die all diese Miederteile angefertigt und angepasst hat.
Diese Korsette zu tragen war für Vicky extrem belastend, es war allerdings eine Übereinkunft, die für diese Rollenarbeit getroffen wurde. Sie war großartig, für alles offen und man muss auch sagen, extrem leidensfähig. Sie hat immer wieder betont, dass der Druck, den das Mieder ausübte, sie auch seelisch „bedrückte“. Man kann ja nicht einmal mehr richtig lachen und praktisch kaum essen. Erschwerend kam bei den Dreharbeiten dazu, dass sie es oft über viele Stunden getragen hat. Natürlich wurde es dazwischen, wenn es irgendwie möglich war, etwas geöffnet. Wir haben versucht, die Kleider so drehfreundlich wie möglich zu konzipieren, dennoch hat das Einschnüren und das finale Drehfertig-Machen sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Drehfertig machen bedeutete: Mieder ganz zuschnüren, Oberteil drüber anziehen, schließen, fixieren und gegebenenfalls noch das Rockteil am Oberteil befestigen.


Wie haben Sie die sichtbare Kostümebene – die der Kleider gelöst?

MONIKA BUTTINGER:
Das weiße Kleid, in dem sie im Film gemalt wird, hat mit großer Wahrscheinlichkeit nie existiert. Es kommt im Film in der Phase zum Einsatz, in der Elisabeth den Beschluss fasst, dass es schon genügend Bilder von ihr gibt, die als „Modell“ für weitere Bilder verwendet werden könnten Dieses Kleid ist sehr wahrscheinlich der Phantasie eines Malers entsprungen. Marie und ich haben entschieden, dass es ausnahmsweise eher verspielt und lieblich sein durfte. Alle anderen Kostüme haben wir sehr schlicht und klar konzipiert, vielmehr mit sehr schönen und speziellen Stoffoberflächen Effekte gesetzt und opulente Rüschen, Muster und Verzierungen weggelassen. Sie erschienen uns zu viel, auch wenn sie der historischen Wahrheit entsprochen hätten. Abgesehen von dem roten Kleid haben wir uns auch geeinigt, dass es keine knalligen bzw. kräftigen Farben an ihr geben würde. Hätten wir die Kleider der vermeintlichen historischen Realität nachempfunden, wären sie noch viel aufwändiger geworden.Ich habe mehrere einheimische, sehr innovative Firmen ins Boot geholt, und war mit diesen Kooperationen sehr glücklich. Für die Hüte konnte ich mit der Firma Mühlbauer quasi eine eigene „Mini-Kollektion“ entwickeln, weiters mit dem jungen Taschenlabel Sagan alle prägnanten Täschchen im Film, und wir haben einige Kleider aus den phantastischen Leinenstoffen von Leitner Leinen gearbeitet, das Stricklabel Rudolf hat die Strickanfertigungen entwickelt und umgesetzt.
In einem Kleid stecken rund 120 Arbeitsstunden. Zur Vereinfachung habe ich für Elisabeth unterschiedliche Baukastensettings bzw. -systeme entwickelt, da wir ca. 45 verschiedene Garderoben benötigt haben. Bei den Kleidern, die sie in der Hofburg getragen hat, waren es kleinere Veränderungen – sei es ein Rock, der gebauscht wurde, ein anderer Überrock, oder eine schlichte krawattenartige Dekoration – so wurde es uns möglich, aus zehn Versatzstücken viele „Looks“ zu schaffen. Auch für die Englandreise gab ein Wendecape, aus dem man inklusive Krägen vier Varianten machen konnte.
Es steckt sehr viel konzeptionelle und kreative Arbeit in dem Kostümbild von CORSAGE, aber als Kostümbildnerin kann man sich keine spannendere Aufgabe wünschen.


Interview: Karin Schiefer
Mai 2022




 
 
 

«Das 19. Jahrhundert war eine Zeit, in der das Schnüren besonders extrem gehandhabt wurde.»