INTERVIEW

«Mut zur Dunkelheit»

In Familien wird gerne geschwiegen. So war es auch bei Michaela, die als Erwachsene mit dem Dorf ihrer Kindheit radikal gebrochen hat. Erst der Tod ihres Vaters holt sie gemeinsam mit ihrer achtjährigen Tochter zurück ins alte Haus aus vergangenen Zeiten. Achmed Abdel-Salams spannungsreiches Regiedebüt HEIMSUCHUNG spürt durch abgewohnte Stuben und wuchernde Natur hinein in aufflackernde Erinnerungen und wühlt ein schmerzhaftes Geheimnis auf.
 
 
HEIMSUCHUNG ist die Geschichte eines Traumas und seiner Verdrängung und unbewussten Weitergabe auf die nächste Generation. Haben Sie diese Idee von Beginn an in Verbindung mit dem Genre eines Horrorfilms angedacht oder hat sich das Drehbuch nach und nach in diese Richtung entwickelt?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Der erste Gedanke war, über das Thema Alkoholsucht recht klassisch in Form eines Sozialdramas zu erzählen. Ich wusste, dass es um die Mutter-Tochter-Beziehung gehen sollte. Auch, dass es mitunter sehr düster werden sollte. Erst als ich mir die Situation aus der Perspektive des Kindes angesehen habe, ist mir bewusst geworden, wie viel Unheimliches darin steckt. Die Vorstellung, dass Mama im Hinterzimmer verschwindet und dann verändert, als jemand anders zurückkommt, war der Auslöser, diese Geschichte als Horrorfilm zu erzählen.
 
 
Welche Erfahrungen haben Sie im Laufe des Schreibprozesses gemacht?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Ich habe meine ganz eigene, eher unübliche Methode. Ich trage eine Idee sehr lange mit mir herum, benutze mehrere Notizbücher, die ich nach und nach mit Stimmungen fülle. Szenen, Dialogpassagen, Zeichnungen und Überlegungen zur filmischen Umsetzung. Irgendwann ist mein Phantasiebehälter voll und ich muss ihn leeren. Dann schreibe ich statt eines Treatments in einem Wurf ein Drehbuch, damit ich ein Gespür dafür bekomme, wie die Figuren sprechen, wie etwas funktionieren könnte, wie ein Rhythmus entsteht. So komme ich immer recht schnell zu ersten Fassungen. Bei HEIMSUCHUNG hat es sie nach vier Tagen gegeben. Die war natürlich noch sehr rudimentär, aber so war eine Basis geschaffen, mit der ich beim ÖFI die Förderung für Stoffentwicklung bekommen habe. Das war ein großer Motivationsschub. Die gesündeste Methode ist es aber sicher nicht.
 
 
Michaela, Ihre Hauptfigur, hat das Dorf ihrer Kindheit hinter sich gelassen und in Wien eine Familie gegründet. Der Tod ihres Vaters zwingt sie, sich mit dem physischen Erbe, dem Haus, in dem sie aufgewachsen ist, aber auch mit dem unsichtbaren Erbe aus ihrer Kindheit zu konfrontieren. Was fasziniert sie an der Frage der bewussten und unbewussten Weitergabe zwischen den Generationen?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Oft spürt man nur ein Unbehagen oder eine Last auf den Schultern. Dinge, von denen man oft gar nicht weiß, was es mit ihnen auf sich hat. Nur selten ergibt sich die Möglichkeit, das aufzulösen. Das ist auch stark bei der Generation meiner Eltern und deren Elterngeneration der Fall, wo viel über den Krieg totgeschwiegen wurde. Österreich ist ein Land, wo über schwerwiegende Themen viel geschwiegen wurde und immer noch wird. Schon als Kind habe ich immer wieder gespürt, dass manche Dinge nicht angesprochen werden. Ich glaube auch, es war kein Zufall, dass die Idee zu diesem Film mit dem Zeitpunkt zusammenfällt, wo ich kurz davor selber Vater geworden bin und mit der Frage konfrontiert war, wieviel von mir wohl nun bei meinem Sohn landen würde und das hat mich mit einer gewissen Furcht erfüllt – womit wir schon wieder beim Horror wären.
 
 
Sie kreieren eine Dreier-Kette von drei Frauen – Michaela in der Mitte, ihre Mutter und ihre achtjährige Tochter Hanna, die einander im jeweiligen Alter zum Verwechseln ähnlich sehen und somit einander gegenseitig Figuren für Projektionen und Spiegelungen sind. Welche Erzählmöglichkeiten hat diese Kette geschaffen?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Diese Kette war das Grundgerüst. In der ersten Fassung ging es nur um die bewusste Ebene, um Michaela und ihre Tochter, und deren belastete Beziehung. Michaelas Mutter war als Figur noch eher diffus im Hintergrund. Ich wusste nicht genau, wie ich sie in die Erzählung einbetten sollte. Erst als mir diese Linie, dieses Teekannenprinzip bewusst geworden ist, da hat dann plötzlich viel mehr in der Geschichte funktioniert.
 
 
Erinnern und Vergessen sind die bestimmenden Themen in HEIMSUCHUNG. Als Zuschauer erlebt man, wie Detail für Detail ein bisschen mehr von der Erinnerung in Michaela zurückkommt. Vor welche Herausforderung hat Sie die bildliche Darstellung von Vergessen und Erinnern gestellt?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Meine Zusammenarbeit mit Kameramann Alexander Dirninger war von Beginn an von einem sehr intensiven Austausch geprägt. Das Unheimliche sollte immer irgendwie präsent sein, unser visuelles Konzept hatte auch die Aufgabe, die nötige Atmosphäre zu erzeugen. Auch die kurzen Flashes in die Vergangenheit, sollten sich in den Stil und die restliche Bildsprache des Films eingliedern, dabei aber gleichzeitig etwas ganz Eigenes haben. Wir haben schnell einen Weg gefunden, der sich für uns stimmig angefühlt hat, indem wir in sehr subjektiven Erinnerungsbildern in die Vergangenheit zurückzugehen. Dazu haben wir sehr klare Bildausschnitte gewählt, die eine andere Zeitebene und ein Gefühl der Beklemmung erzählen, aber noch nicht zu viel verraten. Die Vergangenheit unserer Protagonistin sollte außerdem nicht nur in jenen Rückblicken erzählt werden, sondern sich kontinuierlich in den Film schleichen. Auch das Szenenbild von Winnie Küchl hat einen großen Teil dazu beigetragen, Michaelas Vergangenheit spürbar und omnipräsent zu machen.
 
 
Es gibt in HEIMSUCHUNG mehrere Szenen, die mit sehr wenig Licht auskommen. Welche Überlegungen zum Einsatz von Licht haben Sie gemeinsam angestellt?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Filmische Dunkelheit bzw. wie man damit umgeht und spielt, waren bereits lange vor dem Start der Dreharbeiten ein wichtiges gestalterisches Thema. Wir wollten einen Horrorfilm machen, in dem sich der Schrecken auf leisen Sohlen anschleicht. Wo vieles im Kopf des Publikums passiert. Dieser Ansatz hat sich natürlich auch auf die Lichtgestaltung übertragen. In Abstimmung und enger Zusammenarbeit zwischen Alexander Dirninger und Oberbeleuchter Alexander Haspel, ist dann ein sehr schönes Konzept entstanden. Wichtig war uns, dass wir sehr atmosphärisch erzählen und uns visuell etwas trauen. Mut zur Dunkelheit. Wir haben sehr bewusst geleuchtet und hatten dabei immer auch die gestalterischen Möglichkeiten im Kopf, die uns in der Postproduktion zur Verfügung standen. Ich bin sehr stolz auf den Look unseres Films und darauf, dass wir unserer Intention treu geblieben sind, und uns den Mut zur Dunkelheit bewahrt haben. Besonders prägend war für mich hier auch der große Lerneffekt, denn ich habe tiefen Einblick in die verschiedenen kreativen Prozesse bekommen. So war ich etwa an jedem Tag im Grading anwesend, was eigentlich recht unüblich ist. Doch ich wollte jede Gelegenheit nutzen, dazuzulernen.
 
 
Zwei Locations, die im Film eine entscheidende Rolle spielen, sind das Haus und das Sonnenblumenfeld. Können Sie diese beiden Orte und ihre Funktion in der Erzählung beschreiben? Wie hat sich die Suche danach gestaltet?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Das Haus zu finden war sehr schwierig. Ich denke, wir haben gute zwei Jahre nach dieser Location gesucht. Natürlich nicht durchgehend, dennoch hat uns die Suche viel Zeit und Energie gekostet. Gemeinsam mit Alexander Dirninger und unserer Ausstatterin Winnie Küchl bin ich viel herumgefahren. Wir haben ganze Listen an Objekten abgearbeitet. Das Haus sollte ja idealer Weise isoliert stehen und von möglichst viel Natur umgeben sein. Innen musste es so ausschauen, wie viele von uns die Wohnung oder das Haus „von der Oma“ in Erinnerung haben. Dieser bestimmte Look und der unvergessliche Geruch, den man damit verbindet. Es sollte ein echt abgelebtes Haus sein, das man spüren und riechen kann.
Beim Sonnenblumenfeld wollte ich ein Gefühl vermitteln, dass es ein endloses Meer ist. Auch hier suchten wir lange, da das Feld einige produktionstechnische Bedingungen erfüllen musste. Letztlich hatten wir das große Glück, ein weitläufiges Feld zu finden, das all unseren Ansprüchen gerecht wurde.
 
 
Warum ist die Wahl auf ein Sonnenblumenfeld gefallen?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Vor einigen Jahren bin ich an einem abblühenden Sonnenblumenfeld vorbeispaziert, in dem die meisten Blüten schon ihre vertrockneten Köpfe hängen ließen. Es sah aus, als würden Haare vor eingefallene, traurige Gesichter hängen. Dieses Bild hat mich nicht mehr losgelassen, und ich fragte mich, wie es wohl wäre, nachts durch so ein Feld zu waten. Das hat meine Phantasie angeregt und ist zu einem wichtigen Teil der Geschichte geworden.
 
 
Wie ist Cornelia Ivancan die Hauptdarstellerin von HEIMSUCHUNG geworden?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Wir haben unsere Suche für die erwachsene Hauptrolle klassisch über Agenturen in Österreich und Deutschland begonnen. Der Grund, warum wir nicht gleich fündig wurden, lag daran, dass es vom Alter her nicht punktgenau passte oder dass die Schauspielerinnen ein bisschen zu bekannt waren. Es war ein Wunsch von mir, eine Hauptdarstellerin zu haben, die im Fernsehen oder Kino nicht überpräsent war. Cornelia Ivancan kennt man in Österreich zwar von den Cop-Stories, sie lebt und arbeitet seit einigen Jahren aber in Berlin. Sie hat uns ein e-Casting geschickt, wo mir nach wenigen Minuten klar war, dass sie die Richtige ist. Sie hat die Rolle schnell verstanden und brachte den nötigen Mut zur Hässlichkeit mit. Damit meine ich gar keine äußerliche Hässlichkeit, sondern vielmehr eine innere Zerrissenheit und Grobheit gegenüber einem Kind. Es gibt 
Schauspieler:innen, die in eine Rolle schlüpfen, als würden sie eine Maske überstülpen. Sie sind damit oft auch sehr erfolgreich. Ich war aber auf der Suche nach Menschen, die es wagen, die Tür zu ihrem Inneren einen kleinen Spalt zu öffnen. Wenn das auch nur ein klein wenig gelingt, dann kommt so viel Echtes und Schönes heraus. Ich bin sehr dankbar, dass unsere Darsteller:innen alle einen Spalt aufgemacht haben.
 
 
Hanna hat eine für ihr Alter schwierige Rolle zu bestreiten. Wie haben Sie sie ausgewählt und auf ihre Rolle vorbereitet?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Die Suche nach einer passenden Hanna war sehr viel aufwändiger und hat sich recht schwierig gestaltet. Das hatte auch mit den Ansprüchen zu tun, die Produzentin Lena Weiss und ich schon sehr früh an uns gestellt hatten. Wir waren uns einig, dass wir so lange suchen würden, bis wir ein Kind fanden, das der Rolle wirklich gewachsen war und bei dem wir sicher sein konnten, dass es von den Dreharbeiten keinen Schaden nehmen würde. Das bedeutet bei so einem Projekt auch eine gewisse psychische Stabilität, bzw. noch viel mehr ein stabiles häusliches Umfeld. Wir mussten beim Casting also sehr feinfühlig sein, um zu spüren, ob die Kinder wirklich auf eigenen Wunsch gekommen waren oder vorrangig Bemühungen der Eltern dahintersteckten. Mit der Unterstützung von Barbara Lieselotte Kier von der Agentur Rising Talents und der Casterin Angelika Kropej haben wir in Summe an die 200 Mädchen gecastet. Mit vielen der Kandidatinnen haben wir auch mehrere Runden gedreht, da waren wirklich sehr talentierte Kinder dabei. Das Problem war, dass die meisten schon ein wenig zu reif aussahen, was sich inhaltlich für mich nicht ausgegangen ist. Und dann stand eines Tages Lola Herbst vor uns, die mich vom ersten Augenblick an begeistert hat. Sie brachte trotz ihres jungen Alters die nötige geistige Reife mit und konnte problemlos Realität und gespielte Momente und Emotionen abstrahieren. Nachdem klar war, dass sie die Rolle spielen würde, galt es, die passenden Rahmenbedingungen für den Dreh zu schaffen. Das hieß für uns, dass wir ganz offen und ehrlich mit den Eltern und allen Beteiligten kommuniziert und auch immer wieder auch schwierige Stellen im Drehbuch thematisiert haben und dann auch gemeinsam durchgegangen sind. Danach mussten sie sich Lola und Cornelia kennenlernen und einen Draht zueinander finden. Nach und nach haben wir begonnen, kleine schauspielerische Übungen zu machen und über Improvisationen zu den Figuren zu finden. Bis wir schließlich beim Proben einzelner Szenen aus dem Film gelandet sind. Einige Wochen vor Drehbeginn stieß Jakob Fischer als Kindercoach zum Team. Er hatte die Aufgabe, auch während des Drehs Lolas Vertrauensperson und Ansprechpartner zu sein. Er hat in Abstimmung mit mir dann nochmals speziell schwierige Szenen mit ihr geprobt, sie aber auch mental darauf vorbereitet, was es bedeutet, an einem Filmset zu arbeiten. Zusätzlich hatten wir noch eine eigene Kinderbetreuerin am Set, es war uns sehr wichtig, dass Lola sich zu jeder Zeit wohlfühlt.
 
 
Ein wesentliches Element im Horrorgenre ist die Musikebene, die sehr pointiert und sparsam eingesetzt ist. Mit wem haben Sie dafür zusammengearbeitet? Welches waren Ihre Prämissen?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Daniel Helmer hat die Musik für HEIMSUCHUNG komponiert. Er hat an der Filmakademie Schnitt studiert und ist ein leidenschaftlicher und sehr vielseitiger Musiker. Wir haben uns bei unseren ersten Treffen zunächst nur über Stimmungen unterhalten. Wir waren uns schnell einig, dass in diesem Film das Sounddesign die vorrangige Tonebene darstellen würde, weil die Figuren oft von Natur umgeben sind. Die Musik sollte sich allmählich in den Film schleichen. Dadurch wollten wir sehr spezielle Klangwelten entstehen lassen, die immer mehr miteinander verschmelzen würden. Wir sind beide keine Freunde davon, wenn Filme mit Musik oder einem durchgehenden Score zugekleistert sind. Vor allem im Genre wird das häufig gemacht. Während wir gedreht und geschnitten haben, hat sich Daniel parallel dazu auf die Suche nach den richtigen Tönen gemacht. Er hat komponiert, improvisiert, eingespielt und immer wieder Vorschläge geschickt. Wir waren da sehr bald an einem Punkt, wo es stimmig war. Auch Daniel hat sehr früh verstanden, dass der Horror, von dem ich erzählen wollte, auf Atmosphäre und Unheimlichkeit und nicht auf Schockmomenten aufbaut.
 
 
HEIMSUCHUNG war in Österreich auch ein Pilotprojekt, was Green Producing betrifft. Wie haben Sie die Bewusstseinsbildung in den Phasen der Vorbereitung und des Drehs erlebt?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Anfangs hatten wir die unbegründete Sorge, dass wir womöglich in unseren gestalterischen Möglichkeiten eingeschränkt sein würden. Würde es z.B. bedeuten, dass unser Stromkonsum beschränkt sein würde? Im Prinzip waren es dann neben sehr einfachen Dingen, drei Kernpunkte, die mit Hilfe der Expertise von Green Film Consulter Barbara Weingartner von der LAFC entstanden sind. Beim Catering gab es zwei fixe fleischlose Tage in der Woche; wir hatten zwei e-Busse, die für den Transport von Cast und Crew zur Verfügung standen; und einen weiteren wichtigen Beitrag hat die Ausstattung geleistet. Gerade, weil es sich um ein abgewohntes Haus gehandelt hat, hatten wir die Möglichkeit, Möbel auf Flohmärkten und aus dem einen oder anderen privaten Nachlass zu besorgen. So konnten wir unseren CO2-Ausstoß möglichst geringhalten und auf Nachhaltigkeit setzen. Für mich als Regisseur war zu keinem Zeitpunkt künstlerische Einschränkung zu spüren. Ich war selbst motiviert, diese Denkweise zu unterstützen. An den Drehtagen in Wien bin ich z. B. immer mit dem Fahrrad zum Set gefahren. Es hat sich gut und richtig angefühlt und ich bin auch richtig stolz, dass unser Film da als Pilotprojekt vorangegangen ist.
 
 
Sie haben im Laufe des Gesprächs immer wieder auch den Lernprozess betont, den dieses Regiedebüt bedeutet hat; dies führt automatisch auch in die Richtung eines nächsten Projekts. Wohin hat Sie HEIMSUCHUNG in Ihrem Bedürfnis, Geschichten zu erzählen weitergeführt?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Ich werde den Themen treu bleiben, die mich selbst bewegen und denen ich nachspüren möchte. Ich bin nach wie vor ein großer Freund des Genre-Kinos, verfolge mit Interesse, wie sich vor allem das Horror-Genre in den letzten zehn Jahren entwickelt hat. Ich glaube, dass da auch in Österreich noch sehr viel Spannendes passieren wird, weil eine neue Welle an Filmschaffenden tätig wird, die das Genre aufgreift, gleichzeitig aber von den Konventionen weggeht, um etwas Neues daraus zu machen. Ich würde mir wünschen, Teil dieser Welle zu sein. Da zieht es mich nach wie vor hin, wobei ich auch den Wunsch hätte, einmal eine Komödie zu machen.
 
 
Was hat sich Ihrer Meinung nach im Horrorfilm in den letzten zehn Jahren getan?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Horrorfilm ist weg vom Splatter-Image und hat eine Akzeptanz und ein viel breiteres Publikum erreicht. Es gibt ja kaum ein Genre, das so viele Unterkategorien hat wie der Horrorfilm. Irgendwo ist das auch logisch, denn wir alle finden die unterschiedlichsten Dinge unheimlich oder gruselig. Ich glaube, dass dieses Genre in seiner Vielfalt mehr Optionen bietet, über archaische oder psychologische Themen zu reflektieren als ein Drama, das einen höheren Anspruch auf „Realismus“ hat. Im Horrorgenre kann ich mit Metaphern und Symbolik spielen, auch ganz ohne, dass es zwangsläufig blutig sein muss. Ich wünsche mir, dass unser Film trotz aller Unheimlichkeit und Schwere, die so ein Stoff mit sich bringt, das Publikum auch ein wenig hoffnungsvoll entlässt.
 
 
Welchem Sub-Genre des Horrorfilms würden Sie HEIMSUCHUNG zuordnen?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Die Frage, welchen Stempel man dem Film für die Vermarktung gibt, hat zu vielen Diskussionen geführt. Wir haben uns schlussendlich dazu entschieden, unserem ersten Bauchgefühl zu vertrauen und bezeichnen unseren Film als psychologischen Horror. Das trifft es für mich nach wie vor sehr gut. Die Psychologie der Figuren steht im Zentrum, wir spielen aber sehr bewusst und in Referenz an andere Genrebeiträge mit der Ambivalenz des Übernatürlichen. Horror heißt nicht unbedingt, das Publikum zu Tode zu ängstigen. Man kann auch über das Mensch-Sein reflektieren und dabei ganz aktuelle Themen aufgreifen. Horror darf auch anspruchsvoll sein. Ich denke, inzwischen ist das Genre noch breiter geworden und findet auch immer mehr Akzeptanz beim Publikum. Man muss kein eingefleischter Horrorfan sein, um Filme wie unseren zu mögen, im Gegenteil, ich lade auch explizit Menschen ein, die sonst keine Horrorfilme mögen, sich HEIMSUCHUNG anzuschauen. Ich glaube, sie werden überrascht sein.
 
 
Die letzte Einstellung entlässt das Publikum mit einer Überraschung und entsprechenden Zweifeln. Warum?
 
ACHMED ABDEL-SALAM:
Es ging mir weniger darum, einen Zweifel zu säen. Mein Wunsch war ein hoffnungsvolles Ende, das aber nicht unrealistisch kitschig ist, und die Tonalität und Erzählhaltung des restlichen Films stützt. Trotz aller Hoffnung, mit der man im besten Fall aus dem Film geht, war mir wichtig zu vermitteln, dass die emotionale Kette, von der wir eingangs gesprochen haben, nicht so einfach unterbrochen wird.
 

Interview: Karin Schiefer
März 2023
«Ich verfolge mit Interesse, wie sich das Horror-Genre in den letzten Jahren entwickelt hat. Ich glaube, dass da auch in Österreich noch sehr viel Spannendes passieren wird, weil eine neue Welle an Filmschaffenden tätig wird, die das Genre aufgreift,  um etwas Neues daraus zu machen. Ich würde mir wünschen, Teil dieser Welle zu sein.