INTERVIEW

«Was bleibt, ist das Meer.»

Der Blick aufs Meer steht für die Sehnsucht – oft für die eines ganzen Jahres voller Arbeits- und Alltagslast. Damit die einen kurz bei Sonne und Strand loslassen können, müssen andere einen Sommer lang zupacken. Julia Gutweniger und Florian Kofler haben mit VISTA MARE einen Essay über das sichtbare Nichtstun und das unsichtbare Tun gemacht und dabei die Landschaft des Adriatourismus betrachtet, die jedes Jahr wenige Sommerwochen lang ohne viel Rücksicht auf Ressourcen in Vollbetrieb genommen wird.
 
 
Am Ende unseres Gesprächs über Ihren ersten langen Dokumentarfilm Sicherheit123 (2019) erzählten Sie, dass sie Rettungsschwimmer an italienischen Badestränden gefilmt hatten, die Material für einen neuen Film liefern könnten. Thematisch hatten Sie erste Ideen, doch es ging in eine andere Richtung. Gehört es zu Ihrer Methode als Künstler, die sehr stark von der Bildebene kommen, sich zunächst intuitiv von den Bildern leiten zu lassen, ehe sich ein thematischer Fokus herauskristallisiert?
 
JULIA GUTWENIGER:
Das ist gut möglich. Ich würde sagen, wir ergänzen uns da recht gut, und bei diesem Thema waren die Bilder vermutlich vorher da. Die Aufnahmen, die wir in diesem letzten Gespräch angesprochen haben, gehen auf eine Videoinstallation zurück, die wir zwischen den beiden Filmen gemacht haben. Dafür sind wir den gesamten italienischen Stiefel entlanggefahren und haben Rettungsschwimmer:innen bei ihrer Arbeit beobachtet. Inmitten des sommerlichen Treibens, wo sich die Welten der Nicht-Arbeit und der Arbeit unmittelbar treffen, ist die Idee zu unserem aktuellen Film VISTA MARE entstanden, der sich für die sehr oft unsichtbare Arbeit an den italienischen Adriastränden interessiert.
 
 
Landschaft scheint in Ihren Arbeiten immer ein interessantes Spannungsfeld zu sein. In VISTA MARE steht eine geografische und klimatische Gegebenheit im Mittelpunkt, die saisonal in extrem kurzer Zeit ausgebeutet wird, die Landschaft selbst ist vollkommen von Infrastruktur überlagert.
 
FLORIAN KOFLER:
Landschaft ist sowohl bei Sicherheit123 als auch bei VISTA MARE zentrales Thema. In beiden Filmen ist sie etwas sehr Artifizielles, Unerwartetes – anders als man meinen könnte.
 
JULIA GUTWENIGER: Die komplette Landschaft wird gemacht und unsere Charaktere, die wir begleitet haben, gehören sehr stark zu dieser Landschaft. Sie sind diejenigen, die sie gestalten, zum Urlaubsort machen und dann aber im Laufe einer Saison selbst nie Zeit haben, dort schwimmen zu gehen, weil sie arbeiten müssen.
 
FLORIAN KOFLER: „Vista Mare“ – der Meerblick – ist für die Landschaft, für die wir uns in diesem Film interessieren, die Grundbedingung. Was zwei Straßen weiter hinten passiert, soll die Touristen in der Zeit der hart erarbeiteten Ferien nicht interessieren. Der Ferienort ist eigentlich ein Nicht-Ort. Er ist eine Sphäre von Meer – und der ideale Blick im Urlaub geht Richtung Meer.
 
 
Eine Einstellung in VISTA MARE, die Ihren filmischen Ansatz auf den Punkt bringt, sind die Fassadenpanele die die Illusion erzeugen, in einem Kanal von Venedig zu sein und der Schnitt auf das, wie es dahinter aussieht. Haben Sie sich für ein Spannungsfeld an Oppositionen interessiert: die Fassade und das Dahinter, die immens harte Arbeit der einen, die das Nichts-Tun der anderen zum Erlebnis machen?
 
JULIA GUTWENIGER:
Genau für diese Parallelwelten haben wir uns interessiert. Die einen, die gerade Urlaub machen und die anderen, die gerade arbeiten – mit Meerblick. In dieser Einstellung gehen wir im wahrsten Sinne des Wortes hinter die Kulissen der Urlaubswelt, zu den Arbeiter:innen.
 
FLORIAN KOFLER: Diese binären Orte begleiten uns schon lange. Wenn man im Februar dort ist, dann sind es Orte, die quasi außer Betrieb sind. Formal haben sie etwas von Ruinen, erinnern an postapokalyptische Szenarien, aber in der Saison werden es wieder zu Orten, die massiv leben und beben. Die Orte, in denen wir gedreht haben, haben den Charme der Tourismuswelle der Nachkriegsjahre, wo das deutsche Wirtschaftswunder sehr viel Wohlstand nach Italien gebracht hat. Man sieht das jetzt noch an der Architektur, dass der Tourismus in einer gewissen Zeit seinen Höhepunkt erlebt hat. Es wirkt alt und ist gleichzeitig hybrid, weil er wächst und ständig modifiziert wird. Die Idee dahinter und das System sind dennoch unverändert.
 
 
An welchen Orten haben Sie gedreht?
 
JULIA GUTWENIGER:
Wir haben in den Hochburgen des italienischen Sommertourismus, zwischen Lignano und Riccione, gedreht.
 
FLORIAN KOFLER: Das ist ein Küstenstreifen von etwa 300 km. Wir haben uns die italienischen Tourismusstatistiken angeschaut. Da sind Rom, Venedig, Mailand und dann kommen aber schon Cavallino Treporti oder San Michele al Tagliamento und man fragt sich – Was sind das für Orte? Wie ist das möglich? Es sind die Orte im Herz des Adria-Tourismus. Dörfer oder Kleinstädte mit einigen Tausend Einwohnern, aber Millionen von Urlaubsgästen.
 
 
Haben Sie zunächst eine Hauptsaison beobachtet, um dann in der Folge die Arbeit, die dafür hinter den Kulissen stattfindet, mitzuverfolgen. Wo haben Sie in der Vorbereitungsphase angesetzt?
 
JULIA GUTWENIGER:
Wir haben unsere Recherche 2021, also während der Pandemie, gemacht. Im April und Mai konnten wir dann den Aufbau beobachten und insgesamt drei Recherche-Blöcke absolvieren: Vorsaison, Hauptsaison und Nachsaison. Danach haben wir das Konzept erarbeitet, die Finanzierung aufgestellt und ab dem folgenden Februar konnten wir dann eine ganze Saison mit der Kamera begleiten.
 
 
Wie konnten Sie sich in diesem Feriengeschehen mit der Kamera positionieren?
 
FLORIAN KOFLER:
Für die Kamera war es uns von Anbeginn wichtig, einen ruhigen und in gewisser Weise präzisen Blick zu finden, der sich von dem Urlaubs- und Ferientrubel nicht beirren lässt. Dabei haben wir speziell nach Menschen, Tätigkeiten und Abläufen gesucht, denen man sonst keine besondere Aufmerksamkeit schenkt, die aber filmisch sehr viel mehr erzählen, als man glauben könnte.
 
JULIA GUTWENIGER: Aber auch rein physikalisch die Kamera im Feriengeschehen zu positionieren, ist in diesen Menschenmengen eine kleine Herausforderung. Man musste sehr oft darauf achten, dass uns die durch Sonnenstich unaufmerksamen Tourist:innen nicht ins Bild laufen. Da wir immer nur zu zweit am Set sind, mussten wir zeitweise die Massen, ähnlich wie es Schülerlotsen tun, hinter der Kamera vorbeilotsen, während wir gerade drehten.
 
FLORIAN KOFLER: Dadurch, dass unser Fokus jener war, arbeitende Leute zu filmen, die sonst meist unsichtbar sind, waren wir dort oft sehr willkommen. Durch unsere Recherche-Besuche war ein gewisses Vertrauen geschaffen und der Beweis unsererseits erbracht, dass unser Interesse ernst gemeint ist.
 
 
Die Einstellungen in VISTA MARE sind so gewählt, dass immer mindestens eine Person im Bild ist, die in diesem Freizeit-Ambiente am Arbeiten ist.
 
JULIA GUTWENIGER:
Genau, und wenn man seinen Blick mal geschärft hat, sieht man überall wen, der gerade arbeitet. Wir haben durchaus auch die andere, also die Urlaubs-Seite gefilmt, sie ist in der Montage aber reduziert worden. Man hat ja bald einmal verstanden, dass die einen unterm Sonnenschirm liegen. Uns hat vielmehr interessiert, was getan werden muss, damit die Leute unterm Schirm liegen können. Dafür lässt man sich sehr viele, mitunter sehr absurde Sachen einfallen. Das Meer allein reicht hier nicht, es wird viel geboten in diesem Tourismus.
 
 
Neben der Hinterfragung der Arbeitsbedingungen wirft VISTA MARE auch die Frage auf: Womit belohnt sich der Mensch für ein Jahr Arbeit?  Was ist Urlaub?
 
JULIA GUTWENIGER:
… oder auch die Frage: Was ist Arbeit? Wir bauen uns ja nicht nur unsere Landschaften, sondern oft auch unsere Systeme selbst.
 
FLORIAN KOFLER: Schwierige Arbeitsbedingungen gibt es gewiss auch in anderen Branchen, aber in der Saisonarbeit wird alles nochmal extremer. Es ist uns beim Filmemachen immer wieder ähnlich ergangen. Das ist auch ein Grund, weshalb wir uns diesen Arbeiter:innen so verwandt fühlen. Filmemachen, wie wir es tun, ist ja auch irgendwie Saisonarbeit, wenn auch nicht in den gleichen Intervallen.
 
 
Haben Sie mit den Menschen auch Gespräche geführt oder alles aus der Beobachtung entnommen?
 
FLORIAN KOFLER:
Sicher haben uns die Leute auch viel erzählt, aber während der Saison hat niemand Zeit für Gespräche, weil gearbeitet werden muss. In unserer filmischen Form ist es uns sehr wichtig, eine gewisse Distanz und damit eine Reflexionsebene einzuräumen. Wir sind sozusagen neu dort und schauen zu.
 
 
Was Sie aber zeigen, ist die Monotonie der Arbeit, die auch in der Menschenmenge etwas wie Fließband hat (ich denke an das Umlenken in der Rutsche) und auch etwas an der Würde kratzt, wenn man in der Hitze im Entenkostüm auftritt, in das man nur mit fremder Hilfe überhaupt hineinschlüpfen kann.
 
JULIA GUTWENIGER:
Im Film sehen wir die Frau in der Rutsche, die die Touristen weiterschiebt, einmal; von außen betrachtet wirkt ihre Arbeit vielleicht absurd, aber sie macht das in der Saison ja tagein, tagaus. Das Tolle ist, sie macht diese Arbeit mit persönlichem Einsatz, sie hält dabei stoisch ihr Lächeln und macht ihren Job mit einem gewissen Stolz oder einer Art Leidenschaft.
 
FLORIAN KOFLER: Ich denke an einen Film von Pier Paolo Pasolini über einen römischen Jungen, der mit seinem Brotkorb immer zu den Villen der Reichen muss, aber er lässt sich nicht unterkriegen. In seiner sozialen Gruppe hat er seinen Wert und ein Netz. Bei vielen der Menschen, die wir im Laufe der Dreharbeiten kennengelernt haben, hatte ich oft ein ähnliches Gefühl.
 
JULIA GUTWENIGER: Es liegt uns auch fern, hier zu werten oder über einen Kamm zu scheren, nicht alle Leute mit eigenartigen Jobs sind oder fühlen sich als Opfer, manche machen ihren Job durchaus gern und sehen Vorteile, andere hadern. Einige hinterfragen ihre Situation nicht, weil es einfach das ist, was man schlichtweg tun muss, um ein Einkommen zu erarbeiten. Es gibt im Trubel einer Saison jedoch für viele genügend Gelegenheiten, Arbeitskräfte auszunutzen oder unfair zu behandeln.
 
 
Es gibt im Film eine Szene mit einer Demonstration, die im Kontext des Urlaubsortes sehr erstaunt. Zu welchem Zeitpunkt der Saison hat sie stattgefunden? Wie sehen die Reaktionen darauf aus?
 
FLORIAN KOFLER:
Stattgefunden hat die Demo in der Hochsaison im August. Die Gewerkschaften sind dort sehr klein. Meistens werden Demos in der Vorsaison abgehalten, damit die Leute zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung Rückhalt haben. Die Demos stehen unter starker Beobachtung. Man sieht vielleicht 150 Demonstrierende und die Polizeipräsenz ist in etwa genauso stark. Die Gewerkschaften haben es nicht leicht, sie formulieren Forderungen, für die sie seit Jahren kämpfen und gleichzeitig spürt man, dass sich die Situation eher verschlechtert hat. Die Gäste ignorieren den Inhalt der Demos völlig, kriegen die Demos nicht mit oder sehen abschätzig darüber hinweg. Die oft auch ehrenamtlich organisierten Gewerkschaften richten Informationsschalter ein, an die sich die Leute wenden können, um Arbeitsverträge durchschauen zu lassen oder Einblick in ihre rechtliche Situation zu bekommen. Das ist eine kleine Sisyphos-Arbeit, aber auf Augenhöhe, die für viele von Nutzen ist.
 
JULIA GUTWENIGER: Es ist mit Sicherheit so, dass manche wenige am Tourismus sehr viel verdienen und die anderen Tag und Nacht arbeiten, um ein Auskommen zu haben. Man kennt es doch, dass die Person, die spätabends den Cocktail serviert oft dieselbe ist, die in der Früh den Kaffee macht.
 
FLORIAN KOFLER: Es war für uns ein Auswahlkriterium, diese Menschen zu zeigen. Wir sind mit unserer Kamera nicht auf der Gewinnerseite, sondern waren immer dort, wo der Tourismus Knochenarbeit ist. Für uns war es in der Montage die große Herausforderung, diese Ambiguität hinzukriegen, dass das Ganze nicht nur schön oder nur schlecht ist. Es ist wie eine Art Vexierbild, die Situation, kann immerzu potenziell kippen. Darum hat sie uns interessiert, weil man von den Orten und den Leuten dort fasziniert ist und dann wieder erlebt, wie viel Energie die Anwesenheit der Massen nehmen kann.
 
 
Auch wenn den Rettungsschwimmern ein kleineres Installationsprojekt gewidmet war, so kommen die Rettungsschwimmer als Bild immer wieder vor. Wofür steht der Rettungsschwimmer?
 
FLORIAN KOFLER:
Der Job der Rettungsschwimmer:innen besteht darin, den anderen beim Urlaub zusehen zu müssen. Es ist wie jemandem beim Eisessen zuzuschauen. Hier wird der Gegensatz, für den wir uns interessiert haben, ganz unmittelbar sichtbar. Es wirkt, als würden sie eine simple Arbeit machen, sie müssen aber in jeder Sekunde in Alarmbereitschaft sein. Sie sind auf ihren Sitzen einsam und isoliert, haben aber unmittelbar die Verantwortung, wenn es um eine Überlebensfrage in einem Notfall im Wasser oder am Strand geht.
 
JULIA GUTWENIGER: In manchen Orten haben die Rettungsschwimmer:innen sehr harte Arbeitsbedingungen – sie machen lange Schichten und dürfen zum Teil beispielsweise nicht auf die Toilette gehen. In anderen Orten sind sie wiederum zu zweit am Turm, was die Verantwortung vielleicht etwas verteilt, aber so entspannt und unbeschwert wie sein Ruf, ist dieser Job deshalb noch lange nicht. Es sind Tausende Leute am Strand, die es zu beschützen gilt. Ständig muss man aus der Ferne Spiel und Ernst unterscheiden. Sie organisieren sich untereinander, treffen sich freiwillig nach Feierabend, um sich fit zu halten und den Notfall zu üben, weil sie es gut können wollen.
 
 
Von der erzählerischen Struktur her haben Sie einen Saisonzyklus gemacht, innerhalb dessen es wiederum eine Tagesstruktur gibt. Es ergibt sich ein Modell des Kreislaufs, der zeigt, wie sehr sich hier ein Rad ohne großes Hinterfragen immer weiterdreht. Habt ihr das Gefühl, dass sich etwas verändert, sei es in den sozialen Bedingungen, sei es hinsichtlich des ökologischen Bewusstseins?
 
JULIA GUTWENIGER:
Wir haben im Schnitt sehr bald festgestellt, dass es schon sinnvoll ist, diesen Bogen, der als Saisonzyklus bereits in der Recherche so geplant war, einzuhalten. Er ist sehr wichtig für die Arbeiter:innen, essenziell fürs System und repräsentiert somit auch das Thema. Die Tagesstruktur gibt es innerhalb der Saison zwar immer wieder, jedoch nicht vorrangig. Eher haben wir assoziativ geschnitten.
 
FLORIAN KOFLER: Die Kreislaufstruktur unterstreicht aus unserer Sicht die Gleichzeitigkeit und das Assoziationsgewebe, dass es in einem Kontinuum immer weitergeht. Nach der Saison ist im Grunde vor der Saison und da heißt es ganz lapidar über Funk: Es ist 18h, alle heimgehen, die Saison ist zu Ende, bis nächstes Jahr.
 
JULIA GUTWENIGER: Zum ökologischen Aspekt der Frage: Es geht schon viel darum, dass sich das Rad weiterdreht. Die PR-Maschinerie ist natürlich sehr daran interessiert, sich grün zu zeigen. Ob sich strukturell etwas ändert, ist schwer zu sagen.
 
FLORIAN KOFLER: Wir zeigen einen Massentourismus, der sich wie immer auch ökologisch stark auf die Umwelt auswirkt. Innerhalb kurzer Zeit kommen Millionen von Leuten an kleine Orte. Der Landverbrauch ist extrem, der Müll, die Abwässer... Immerhin motiviert die Wasserqualitätsfahne, dass es ernsthafte Bemühungen gibt, die Abwässer, die ins Meer laufen, zu vermeiden. In Sicherheit123 haben wir das Problem der vereinzelten, massiven Starkniederschlagsereignisse in den Bergen angesprochen. Das passiert auch am Meer, wie vor kurzem in der Emilia Romagna. Wenn die Kanalsysteme und Auffangbecken überlaufen, dann geht das direkt ins Meer. Das führt zu Strandsperren und v.a. auch zu schlechter Presse.
 
 
Ihre Impressionen, die sich quer durch die Saisonen ziehen, sind immer wieder von einer abstrakten Musik begleitet. Welche Überlegungen gab es zum Einsatz der Musik?
 
FLORIAN KOFLER:
Unsere Filmmusik stammt von der Musikerin Gabriela Gordillo. Wir haben die Musik immer als eine Ebene über der Bildebene gedacht. Die schwebende Musik zu Beginn soll die Abstraktion einleiten. Wir möchten, dass man anders draufschauen kann. Sie nimmt die Zeit weg, blendet die Realität kurz aus und es kippt ins Geisterhafte, wenn man diese Orte im Winter betrachtet. Im Verlauf des Films blenden wir sie ein, um dieses Treiben kurz zu unterbrechen und einen Schritt zurückzumachen. Wir wollten dieser Atmosphäre eine Musik geben.
 
JULIA GUTWENIGER: Wir haben zu Beginn auch eine Schnittfassung ohne Musik probiert. Das führte aber dazu, dass man sich die ganze Zeit am Boden der Tatsachen befindet, was es sehr anstrengend macht. Dem Film tut es dann aber doch gut, wenn es diese Abstraktionsebene gibt, wo es auch mal poetisch sein kann. Urlaub und die Idee von Urlaub sind ja was Schönes. Gabriela hat einmal über den Einsatz ihrer Musik im Film gesagt, sie möchte damit die gesamte Situation in ein Einweckglas reingeben und durchs Glas betrachten.
 
 
In der ersten und letzten Einstellung des Films gibt es eine „vista mare“ auf ein Meer, das kein Ferienmeer mehr oder noch kein Ferienmeer ist. Welchen Assoziationsraum wollten Sie mit diesen Bildern öffnen?
 
FLORIAN KOFLER:
Wir haben uns dabei die grundsätzlichen Fragen vom Anfang und Ende gestellt. Es ist diese Ursuppe, die da vor sich hin tost.
 
JULIA GUTWENIGER: Es ist aber auch nicht ganz die ungestörte Natur. Man sieht in der ersten Einstellung eine vergessene Boje und in der letzten ein Plastikspielzeug. Uns interessiert dabei die Frage, was bleibt nach einer Saison?
 
FLORIAN KOFLER: Bei allem Trubel dieses Massenvergnügens, bleibt als Hauptasset der Blick aufs Meer. Dieser pure Blick ohne irgendeines der vielen Spektakel, ist eine sehr kraftvolle Sache. Wenn man darauf fokussiert, dann ist man am Grund von allem, die ganze philosophische Substanz schwimmt da draußen. Da entsteht ein Raum für Gedanken, den wir auch fürs Publikum aufmachen wollen. Falls es eine Antwort gibt, auf die Frage, was bleibt, dann ist es für uns wohl… ... das Meer.


Interview: Karin Schiefer
Juni 2023
 


«Wir bauen uns ja nicht nur unsere Landschaften, sondern oft auch unsere Systeme selbst.»