INTERVIEW

«Politik, die versucht, bestehende Sorgen zu Ängsten zu machen.»

Projekt Ballhausplatz ist der Titel eines Strategiepapiers, das Mitte der 2010er-Jahre im Umfeld um Sebastian Kurz entstand und minutiös dessen geplante Machtübernahme in Partei und Regierung darlegt. Der Filmmacher Kurt Langbein analysiert in PROJEKT BALLHAUSPLATZ den Höhenflug des österreichischen Ex-Kanzlers und die dabei so wirksamen politischen Mechanismen in Zeiten der vielfachen Verunsicherung.
 

 
Der Film PROJEKT BALLHAUSPLATZ zeichnet die politische Karriere von Sebastian Kurz von 2010 bis 2021, vor allem aber eine höchst effiziente Strategie nach, die eine ziemlich stabile politische Landschaft in Österreich zum Kippen gebracht hat. Waren es diese Strategie und ihre Umsetzung, die Sie zu diesem Dokumentarfilm veranlasst haben?
 
KURT LANGBEIN:
Meine Absicht ist und war es, das System Kurz zu zeigen; damit meine ich nachzuzeichnen, wie es einer Gruppe sehr entschlossener und ziemlich skrupelloser Männer gelang, einen Plan zu fassen und innerhalb kurzer Zeit eine große österreichische Partei mit demokratischer Tradition und wenig später die Republik zu erobern und in wichtigen Positionen mit ihren Leuten zu besetzen. Ich halte es für ein spannendes, aber beunruhigendes Phänomen, dass es einer so kleinen Gruppe gelingt, fast alle demokratischen Institutionen und Mechanismen sehr geschickt außer Kraft zu setzen oder zumindest in Frage zu stellen. Dies sichtbar zu machen, war mir ein Anliegen ebenso wie zu zeigen, welche Politik daraus resultiert: Das kann nur eine ausschließlich von Machterhalt und Machtausweitung geprägte rechtspopulistische Politik sein, die versucht, bestehende Sorgen zu Ängsten zu machen, um sich dann als Retter aufzuspielen. Wenn in der Gesellschaft Unsicherheit besteht, ist es das bewährte rechtspopulistische Modell, In-Groups und Out-Groups zu schaffen und auf die „anderen“ zu zeigen, die angeblich schuld sind oder angeblich schmarotzen. Das haben wir über Jahrzehnte und fast schon Jahrhunderte immer wieder gehört und gesehen. Solche Mechanismen sollte man meines Erachtens aufzeigen, um eine Chance zu wahren, ihnen Einhalt zu gebieten.
 
 
Projekt Ballhausplatz ist der Titel eines Strategiepapiers – Zitate daraus fungieren auch als strukturierendes Element des Films. Wann ist es öffentlich geworden? Welches sind die  Hintergründe und zentralen Inhalte dieses Papiers?
 
KURT LANGBEIN:
Das Papier Projekt Ballhausplatz ist schon 2015/16 entstanden, als Sebastian Kurz noch Außenminister war; es wurde gemeinsam mit seinen Jüngern (wie sie sich selbst bezeichneten) oder auch Prätorianern (wie sie sich später noch bezeichnender nannten) verfasst. Selbst Zeithistoriker sagen, dass ihnen kein vergleichbares Dokument bekannt ist, in dem so penibel auf 200 Seiten die Machtübernahme geplant wurde, in dem Tag für Tag und Schritt für Schritt alle Maßnahmen beschrieben wurden, die in der Folge zu vollziehen sind. Das führte bis dahin, dass Generalsekretäre – dabei handelte es sich um willkürlich eingesetzte zusätzliche Personen in den Ministerien – das eigentliche Kommando übernahmen und dass Tag für Tag vom Bundeskanzleramt aus die Musik gemacht und dann als Politik verkauft wurde. Dies ist im Strategiepapier Projekt Ballhausplatz in nie da gewesener Weise minutiös verschriftlicht. Intrigen, Konzepte und Pläne gibt es immer, aber in einer so kompletten Form ist nichts Vergleichbares bekannt. Bekannt geworden ist das Dokument durch eine Panne, weil es in einem Drucker vergessen und der Wiener Wochenzeitung Falter zugespielt wurde, die 2017 darüber berichtet hat. Ich habe PROJEKT BALLHAUSPLATZ zunächst als Arbeitstitel für meinen Film gewählt, ohne sicher zu sein, ihn behalten zu wollen. Als aber im Vorfeld seitens des Pressesprechers der ÖVP oder des Bundeskanzlers persönlich vor dem Film mit diesem Titel gewarnt wurde, habe ich ihn beibehalten. Damit wurde er zu einer Marke. Einzelne Zitate habe ich später herausgenommen, um den Film zu strukturieren. Da hätte es noch viele mehr für weitere Filme gegeben.
 
 
Basis des Films sind Interviews mit Vertreter:innen aus Politik, Medien, Wissenschaft. Am Ende des Films sehen wir eine Liste von über 20 Personen, die obwohl angefragt, nicht für ein Gespräch zur Verfügung standen. Nach dem Kinostart hat man PROJEKT BALLHAUSPLATZ vorgeworfen, nicht ausgewogen zu sein. Ein Dokumentarfilm, der auf Gesprächen basiert, nimmt erst über die Aussagen der Gesprächspartner:innen seine Form an. Gehen wir daher zurück zu Ihrer ursprünglichen Liste und dem Konzept, mit dem Sie an dieses Projekt herangegangen sind.
 
KURT LANGBEIN:
Ich kenne die Denkweise der Gruppe um Sebastian Kurz; wir haben selbstverständlich bei allen angefragt, ob sie bereit sind, uns ihre Sicht der Dinge zu erzählen. Das hätte den Film um mehr als Nuancen verändert. Ich war aber von Beginn an relativ sicher, dass sie ablehnen würden, weil es zu ihrer Demokratieauffassung gehört, sich nur dort öffentlich zu betätigen, wo sie absolute Kontrolle haben. Die hatten sie im Kontext des Films nicht. Wenn ich inhaltlich begründete Absagen bekommen habe, dann war der Tenor: Sie werden doch nicht glauben, dass wir an einem Projekt mitwirken, das sich kritisch mit Sebastian Kurz auseinandersetzt. Mir war relativ früh klar, dass der Film keine Balance der einzelnen Meinungen beinhalten kann. Das habe nicht ich verursacht, sondern die Verweigerer der Interviews. Dazu möchte ich aber auch sagen: Es ist mir gar kein Anliegen, ausgewogen zu sein. Tatsachen sind nicht ausgewogen, Tatsachen sind Tatsachen. Der Film behandelt inhaltlich ganz präzise beschriebene Schritte der Machtübernahme und der Politik von Sebastian Kurz und seinen Jüngern. Sie sind in der Form nicht ausgewogen. Mein Trachten geht immer danach, aus Gründen der Fairness und der Komplettheit allen die Möglichkeit zu bieten, mitzuwirken und sich einzubringen, aber es geht mir nicht um Ausgewogenheit.
 
 
Auf welche Ereignisse haben Sie Ihre Recherche fokussiert? Wonach haben Sie die Fernseh-Archive durchforstet?
 
KURT LANGBEIN:
Viele der Sachverhalte waren ja klar, ich hatte nicht die Absicht, etwas Neues zu erzählen. Seitens der Medien wurde mir von manchen Neuigkeitsjägern vorgeworfen, der Film würde nichts Neues beinhalten. Das war nie meine Absicht. Es geht darum, bekannte und, wenn man sich erinnern kann, vertraute Sachverhalte der letzten zehn Jahre zu zeigen und von ihren Auswirkungen zu erzählen. Dazu braucht es v.a. gut ausgewähltes Archiv-Material. Das war mit Abstand die größte Herausforderung. Wir haben uns bemüht, dort wo es möglich war, Rohmaterial statt gestalteter Beiträge zu bekommen, da diese in einer filmischen Erzählung kaum Platz finden. Das ist uns glücklicherweise zum Teil gelungen, es sind uns einige sehr gute, wichtige Stücke von Dokumentarfilmer:innen aus verschiedenen Archiven „zugeflogen“, die uns sehr weitergeholfen haben. Sebastian Kurz hat sehr viele Interviews gegeben. Ich habe gewiss mehr als hundert Stunden Sebastian Kurz gesichtet und gehört und ich muss sagen, ich haben ihn trotz allem nicht kennengelernt. In dieser Deutlichkeit ist mir erst im Zuge dieser Arbeit klar geworden, dass Sebastian Kurz von Beginn an eine Maske getragen und immer genau das gesagt hat, was er oder seine Mitarbeiter:innen in der jeweiligen Phase seiner Machtentfaltung für wichtig und notwendig erachtet haben. Das hat er in einer außerordentlich perfekten Art gemacht. Er kommt im Film in diesen verschiedenen Facetten über Interviews vor, die er anderen gegeben hat.
 
 
Sie rufen mit Archivbildern die Flüchtlingskrise in Erinnerung und Sie filmen mit einer Alleinerzieherin und einer Pflegerin zwei Betroffene von politisch stimmenwirksamen Maßnahmen bzw. deren Verhinderung (ganztägige Kinderbetreuung). Warum haben Sie diese drei Themen gewählt?
 
KURT LANGBEIN:
In der ersten Phase ging es mir darum zu zeigen, wie es einer Gruppe innerhalb der Regierung – Sebastian Kurz war Außenminister und seine Mannen saßen an verschiedenen Hebeln in verschiedenen Ministerien, v.a. im Finanzministerium –, gelungen ist, die eigene Regierung – die damalige Koalitionsregierung zwischen SPÖ und ÖVP – zu sabotieren und torpedieren. Das wollte ich an konkreten Beispielen zeigen und glücklicherweise erlauben die Chats, die ja nur z.T. zugänglich sind, einen sehr tiefen Einblick in die Denkweise und Art, wie die Aktionen geplant waren. Sobald sie an der Regierung waren, wurde versucht ­– wie es ein Politologe im Film nennt – PR-Stunts zu setzen. Es ging immer darum, plakative Geschichten und Gegenmaßnahmen zu setzen, ungeachtet dessen, ob diese mit den Grundrechten vereinbar waren. Bei der reduzierten Familienbeihilfe für Pflegerinnen aus osteuropäischen Ländern war völlig klar, dass das vom Europäischen Gerichtshof wieder aufgehoben wird. So war es letztlich dann auch, aber das war ihnen egal. Wichtig war ihnen, in einer ersten Phase damit einen Öffentlichkeitserfolg zu erzielen. Traurig war auch zu sehen, dass sie damit wirklich Erfolg gehabt haben. Das liegt auch daran, dass die Medien in ihrer Kontrollfunktion weitestgehend versagt haben. Inzwischen kannte ich die Mechanismen und war sehr wachsam in meiner Beobachtung. Meistens wurde am Sonntag die „Parole der Woche“ ausgegeben – fast immer eine Ausgrenzung von Minderheiten, Randgruppen oder ein Thema, das sich gegen die EU richtet (was fatal für unsere Zukunft ist). Leider haben die großen Medien meistens mitgespielt und brav berichtet, was ihnen vorgesetzt wurde. Der Mangel an kritischem Hinterfragen ist eine Last, nicht nur der Ära Kurz. Die Inseratenkorruption hat bereits zuvor begonnen, Kurz & Co haben es auf die Spitze getrieben. Ich hoffe – und man muss schon sehr optimistisch sein, um hoffen zu können – , dass da eine Selbstreinigungskraft in Gang kommt und v.a. mehr Transparenz in der Finanzierung der großen Printmedien gegeben sein wird.
 
 
Die meisten Ihrer Gesprächspartner:innen filmen Sie in ihren privaten Wohnsituationen. Hatte das eher einen pragmatischen oder doch eher filmsprachlichen Hintergrund?
 
KURT LANGBEIN:
Wir haben lange überlegt. Wir hatten ja auch die Ambition, eine filmische Erzählung zu formen, dafür hatten wir nur wenige gestalterische Möglichkeiten. Als eine dieser kreativen Gelegenheiten griffen wir die Option auf, unsere Gesprächspartner:innen in ihrem privaten Umfeld zu zeigen, damit man sich zu dieser Person, die man nur in ihren kurzen, präzisen Aussagen kennenlernt, zumindest assoziativ ein Bild machen kann, woher diese Menschen kommen und wie sie leben.
 
 
Mit welchen Fragen sind Sie in die Gespräche mit Ihren Interviewpartner:innen gegangen? Worauf haben Sie fokussiert?
 
KURT LANGBEIN:
Es ging immer um den jeweiligen Anteil rund um die Politik von Sebastian Kurz. Ich hab hier, nachdem klar war, dass die Interviews in ihrer Tonalität und in ihren Formulierungen ganz wesentliche Bestandteile der Erzählung ausmachen würden, eine Technik gewählt, für die man sonst selten Zeit hat. Ich habe fast immer mit einem gewissen zeitlichen Abstand zwei, manchmal sogar drei Interviews geführt, um den Interviewpartner:innen auch darlegen zu können, in welchem Rahmen in etwa sie vorkommen, damit auch sie sich ein Bild machen können und die Aussagen besser in die Gesamterzählung passen. Dankenswerterweise waren fast alle bereit, die Mühe auf sich zu nehmen, mehrmals Interviews zu geben.
 
 
Sie haben in relativ kurzer Zeit gedreht. Hat sich dies als Notwendigkeit aufgrund der Themenlage erwiesen?
 
KURT LANGBEIN:
Das Ausmaß der Dringlichkeit war mir anfangs gar nicht klar. Dass Sebastian Kurz vorhat, in irgendeiner Form in die Politik zurückzukommen, war spätestens dann sichtbar, als er begonnen hat, einen „Gegenfilm“ machen zu lassen, der mit riesigem Aufwand und hohem Tempo hergestellt wurde. Er hat erst vor kurzem in der deutschen Bild-Zeitung ein Interview zur Flüchtlingspolitik gegeben, auf die Wichtigkeit von Schließungen hingewiesen und die deutsche Regierung heftig für ihren zu humanen Umgang in der Flüchtlingspolitik kritisiert. Er will etwas und findet auch Finanzierungspartner für seine Ambitionen. Es ist letztlich Sebastian Kurz zu danken, dass mein Film drängender und aktueller geworden ist. 
 
 
Sie sprechen mit den Journalist:innen, die ein Buch über die Ära Kurz geschrieben haben, andere erzählen, wie sie in der Ausübung ihres Berufes unter Druck geraten sind. Welche Schlüsse haben Sie aus den Gesprächen mit den Medienleute gezogen?
 
KURT LANGBEIN:
Ich war ein wenig überrascht über die Unmittelbarkeit, fast möchte man sagen Brutalität, mit der Sebastian Kurz v.a. ab 2017 gegenüber Repräsentant:innen von Medien agiert hat, wenn er den Eindruck gewonnen hatte, sie würden nicht das machen, was seine Strategie und seine Jünger vorgeben. Das ging bis zu Drohungen, die mich ganz eigenartig berühren. Dass er damals schon so unsicher war, ist bemerkenswert. Insgesamt freue ich mich, dass es Medienvertreter:innen gibt, die eine kritische Distanz zur Politik wahren und auch kritische Beobachter:innen des Geschehens bleiben. Insgesamt, wenn man die großen Boulevardmedien betrachtet und sieht, was da an Mitteln geflossen ist und welche Spuren das sichtbar macht, herrscht leider ein Ungleichgewicht. Die Kontrollfunktion haben einzelne Journalist:innen sehr gut wahrgenommen, einzelne Medien leider gar nicht.
 
 
Rund um den Kinostart Ihres Films wurden zwei weitere Filme veröffentlicht, die Sebastian Kurz portraitieren. Sie zeigen in PROJEKT BALLHAUSPLATZ Sebastian Kurz immer in den Etappen seiner politischen Laufbahn, nichts Biografisches. Warum haben Sie diese inhaltliche Entscheidung getroffen? Wie kommentieren Sie diesen Umstand, dass es mehrere Filme gibt?
 
KURT LANGBEIN:
Ich habe zunächst auch biografische Recherchen angestellt, weil ich z.B. gerne gewusst hätte, ob Sebastian Kurz seine Mitschüler:innen hat abschreiben lassen. Ich habe aber bald gesehen, dass das nicht wesentlich ist. Das Wesentliche an dieser Form von Machtergreifung und Machtausübung ist das System und das wollte ich auch sinnlich fassbar machen. Es war mir klar, dass die Jünger von Sebastian Kurz irgendetwas unternehmen werden, um meine Glaubwürdigkeit zu untergraben. Wie sie es gemacht haben, hat mich dann doch überrascht. So ernst genommen zu werden, dass man parallel zu meinem Herstellungsprozess, erst im Jänner 2023 eine Produktionsfirma gründet und dann im Eiltempo mit riesigem Aufwand einen Dokumentarfilm aus dem Boden stampft, an fünf Schnittplätzen gleichzeitig arbeitet, damit er zwei Wochen vor meinem Film ins Kino kommen kann, das ist sehr viel Ehre, von der ich gar nicht weiß, ob ich sie verdient habe. Es zeigt auch, dass man ernst genommen wird und ich erachte es auch als eine Bestätigung. Kurz – Der Film wird zurecht als seichtes Portrait mit Werbecharakter beschrieben. Was den dritten Film betrifft, da handelt es sich um eine recht fragwürdige Regiepersönlichkeit. Da erübrigt sich jeder Kommentar.
 
 
Worin lag Ihr Anliegen mit diesem Film gegenüber dem Kinopublikum? Wie hat sich das bei den Vorführungen, bei denen Sie sich mit dem Publikum ausgetauscht haben, eingelöst?
 
KURT LANGBEIN:
Ich war anlässlich des Kinostarts zehn Tage lang unterwegs und bei Vorführungen von PROJEKT BALLHAUSPLATZ anwesend. Das ist mir ganz wichtig. Das Besondere am Kino ist, dass es ein gemeinsames Erleben des Films gibt, dass die Emotionen geteilt und danach im Gespräch mitgeteilt werden können. So etwas kann nur das Kino. Ich war sehr glücklich, dass der Film so funktioniert hat, dass die Leute nicht verzweifelt, aber zornig waren, dass sie irritiert, aber nicht frustriert waren. Es gab unglaublich lebendige Gespräche, sehr unterschiedlich in der Ausprägung, aber immer in diesem Sinne. Ich traue mich zu sagen, der Film bewirkt zumindest bei denen, die bereit sind, dafür ins Kino zu gehen, das, was ich beabsichtigt habe: Nämlich sich mit diesen problematischen Methoden der Machtergreifung und des Machterhalts, die unsere Demokratie tatsächlich gefährden, auseinanderzusetzen und auch danach zu suchen, wo die eigenen Beiträge sind, die das vielleicht in Zukunft weniger leicht möglich machen.
 
 
Ein wiederkehrendes rhetorisches Element ist der Slogan „Österreich zurück an die Spitze bringen.“ Erinnert sehr an ein Make America great again. Auch in anderen europäischen Ländern entdeckt man ähnliche Slogans bei den Populisten. Warum funktionieren diese rückwärts in einen Idealzustand blickenden Slogans so gut?
 
KURT LANGBEIN:
Wenn ich das beantworten könnte … Es ist ein Phänomen, das in seiner Rückwärtsgewandtheit nie richtig war und trotzdem allen – in ihrer Unzufriedenheit mit dem was gerade ist – Hoffnung macht. Es gibt zur Zeit in der Tat sehr viel, womit man unzufrieden sein kann und es gibt aus begreiflichen Gründen Zukunftsängste. Wir werden in unseren Lebensvollzügen viel ändern müssen, damit die Erde eine Zukunft hat. Es herrscht eine Gemengelage an Emotionen und Instabilitäten, wo sich hohle Phrasen und Versprechen traurigerweise massiv durchsetzen können. Das sehen wir bei Trump, bei Bolsonaro, bei Orbán … und wir sehen es auch bei Kurz. Wir sehen es in einer anderen Ausprägung bei Putin Ich hoffe, dass wir es nicht weiterhin sehen werden. Der Boden dafür ist aufbereitet. Gerade aus diesem Grund ist mir PROJEKT BALLHAUSPLATZ wichtig. Es sind Mechanismen, vor denen sich eine Demokratie schützen muss, damit sie Bestand hat. Was passiert, wenn sie nicht Bestand hat, haben wir in unserer Geschichte schon so oft erlebt, dass wir es nicht mehr erleben wollen sollten.
 
 
Der Film setzt sehr sparsam Musik ein, die zum Ende hin immer dissonanter und verstörender wird?
 
KURT LANGBEIN:
Paul Galister, mit dem ich schon öfter zusammengearbeitet habe, hat die Filmmusik für PROJEKT BALLHAUSPLATZ gemacht und dafür Volksliedstücke aus dem Waldviertel und aus Wien Meidling genommen. Das sind die beiden Gegenden, über die Sebastian Kurz sagt, dass er von dort stammt. Paul Galister hat Notenblätter zerschnitten und einzelne Teile davon vier Musikern aus dem Westbalkan zum Improvisieren vorgelegt. Es war klar, dass dies eine unbequeme, dissonante, zum Teil auch atonale Musik wird. Ich war bei der Arbeit der Musiker dabei. Es waren sehr spannende Prozesse, die manchmal gegeneinander, manchmal miteinander gewirkt haben. Es ist eine unbequeme Musik, die auffällt, aber auch als das wahrgenommen wird, was sie können soll: Stimmungen untermalen und begleiten.
 
 
Ein strukturierendes Element im Film ist die Demontage eines Hummer-Geländewagens, der als Wahlkampfgag (Geilomobil) den Startschuss für Kurz‘ Politikarriere gesetzt hat. Was hier systematisch zerlegt wird, bleibt offen. Es könnte die politische Karriere sein oder das System sein oder es könnten auch unsere demokratischen Grundfesten und Werte sein?
 
KURT LANGBEIN
: Die Demontage des Hummer-Wagens geht auf die Idee eines Kollegen zurück, die ich sofort aufgegriffen habe. Uns war bewusst, dass wir auch auf der symbolischen, vor allem auf der nicht-verbalen Ebene Erzähl-Elemente im Film haben wollten, damit das Publikum auch selber assoziieren und weiterdenken kann und nicht von Worten erschlagen wird. Ich glaube, dass dieses Monstrum von einem Auto ein sehr passendes Bild liefert, weil hier auch klar wird, dass Sebastian Kurz das legendäre Geilomobil nicht als flapsigen Jugendgag in Szene gesetzt hat, sondern mit dem planerischen Kalkül, mit einem Schlag europaweit bekannt zu werden. Das hat ja auch funktioniert. Dafür hat er die skeptischen Blicke durchaus in Kauf genommen. Die Demontage des Wagens sollte seine Demontage zeigen, sie zeigt aber auch, wie weit die Strategie aufgegangen ist. Es haben einige Kinobesucher:innen in den Gesprächen angemerkt,  dass während der Schlusscredits alle Bestandteile des Hummer rechts und links aufgereiht sind. Ein guter Mechaniker könnte sie jederzeit wieder zusammensetzten. Und da, muss ich sagen, hatten sie leider recht.


Interview: Karin Schiefer
Oktober 2023


«Wenn in der Gesellschaft Unsicherheit besteht, ist es das bewährte rechtspopulistische Modell, In-Groups und Out-Groups zu schaffen.»