INTERVIEW

Ruth Beckermann im Gespräch  über HOMEMAD(E)

 

«Es gehört zur Eigenheit von Kaffeehaus, dass man dort sitzt und sich eben so inszeniert und präsentiert, wie man es für richtig hält und keiner weiß, wie man wohnt, wie man lebt, mit wem man lebt usw. Es ist so ein Zwischending zwischen Privat und Fremd.» Ruth Beckermann über ihren Filmessay homemad(e), der nach seiner Premiere in Berlin im März im Pariser Cinéma du Réel lief.


Der Autor Franz Schuh, einer Ihrer Interviewpartner, sagt an einer Stelle die Marc-Aurel-Straße ist das, was der Stadt ein Dorf ist. Stimmen Sie dem zu?

RUTH BECKERMANN: Ja, das war immer so und ist zum Glück noch so. Er sagt ja auch, eine Stadt erfordert so viel Aufmerksamkeit, weil dauernd neue Informationen auf einen eindringt und darum schafft man sich Orte, wo man sich auskennt. Das Wichtige ist der Abschluss dieses Zitats, wo er meint - "Wer Glück hat, gehört zu so einem Dorf und wer kein Glück hat, gehört nicht zu so einem Dorf."
 

Was bedeutet Ihnen die Marc-Aurel-Straße?

RUTH BECKERMANN: Ich hab hier als Kind gewohnt. Es war eine Straße, die damals tagsüber noch von den Textilläden belebt war. Es gab in jedem Haus ein bis zwei Textilgeschäfte in der Art wie das von Herrn Doft. Am Abend war die Straße völlig tot. Ich erinnere mich, dass ich mich immer gefürchtet habe, bei Dunkelheit nach Hause zu gehen. Jetzt ist es fast umgekehrt. Im Winter ist eigentlich nur am Abend etwas los, an der Stelle der Textilgeschäfte sind jetzt Lokale. Schon in meinem Film Die papierene Brücke kommt kurz das noch belebtere Textilviertel vor. Das ist jetzt schon 13 Jahre her und ich sag schon in Die papierene Brücke das Textilviertel stirbt aus, weil die Kinder emigrieren oder andere Berufe ergreifen.

 
Sie sprechen von der kleinen Reise vor ihrer Haustür nach der großen Reise in Ägypten. War homemad(e) eine Reaktion auf die Dreharbeiten in Ägypten oder ein lange gehegtes Projekt?

RUTH BECKERMANN:  Die Projekte sind von der Idee her gleichzeitig entstanden. Ich hab mich schon sehr lange mit dem Thema Flanieren beschäftigt, ich wollte auch schon 1994 den Film Die Flaneurin machen, wo es eben um den weiblichen Blick in der Stadt gegangen wäre. Das ist damals nicht finanziert worden. Projekte leben ja, dennoch weiter und ich glaube, dass daraus diese beiden Filme entstanden sind. Ein flüchtiger Zug nach dem Orient geht wirklich hinaus in die Welt und schaut der Bewegung des Flanierens zu mit einer Kamera, die sich bewegt und einer Reflexion darüber, was es heißt zu filmen und sich im öffentlichen Raum zu bewegen.


Worin liegt im Vergleich dazu die Eigenheit des Flanierens in der Marc-Aurel-Straße?

RUTH BECKERMANN: Es ging in homemad(e) darum, zu schauen, was heißt Flanieren in Europa, eben in Wien. Das war für mich interessant, weil ich draufgekommen bin, dass man im Kaffeehaus, wenn man um sich schaut, lauter Sitzende sieht und sich nicht sehr viel bewegt. In Wien ist der Graben der einzige Ort, wo man draußen sitzt und den Leuten beim Spazierengehen zuschaut, also städtisches Leben beobachtet. Ganz anders als in südlichen Ländern natürlich, aber auch ganz anders als in manchen anderen europäischen Ländern. Solche Beobachtungen von gesellschaftlichem Leben interessieren mich. Von der Herangehensweise ist der Film natürlich sehr ähnlich zu diesem Versuch, den ich schon in Jenseits des Krieges unternommen habe, an einem Ort, eine bestimmte Zeitlang zu drehen, quasi eine Art soziologisches Feld aufzumachen. Was dort fünf Wochen in dieser Ausstellung war, war für mich ein Jahr auf diesen ca. 250 m2 vor meiner Haustür, wo es das Kaffeehaus gibt, das Hotel des Iraners und das Geschäft des Herrn Doft.

 
Was spielt sich hier ab? Entsteht da was oder entsteht hier nichts?

RUTH BECKERMANN: Das ist natürlich immer ein Experiment, es kann ja auch gar nichts dabei herauskommen und hofft, dass was dabei herauskommt. Es fällt auch das Kunstwort "filmieren".

 
Hat dieses Wort, das schon eine Verzögerung, Verlangsamung in sich trägt, besonders mit Ihrer Filmsprache zu tun?

RUTH BECKERMANN: Es ist sicher nichts Neues, was kann heute schon neu sein. Es vielleicht eher alt schon, weil ich einfach diese Zerstückelung und Zerschneidung mit Zwischenschnitten mir so zuwider ist. So wie es in Dokus oder im Fernsehen passiert. Es ist leicht, ein Interview zu zerstückeln und wieder zusammen zu setzen. Mich interessiert, eine Stelle zu finden, die ich als Ganzes nehme und die Brüche und nicht glatten Stellen drinnen lasse. Dort beginnt für mich der Mensch erst zu leben. Im Film sagen Leute immer wieder "Das war's jetzt. Jetzt hab ich alles gesagt, ich hab nichts mehr zu sagen". Das wäre genau der Moment, wo man im Schnitt, wahrscheinlich davor aufhört. Aber oft ist es so, dass jemand sagt "Das war's eigentlich" und dann beginnt er ja weiter zu reden und dann kommt oft etwas Interessantes. Nicht dann abzuschalten, wenn es unglatt und brüchig wird, daran liegt mir etwas. An den Menschen ist ja nicht das, was glatt ist, interessant, sondern das, was ambivalent ist.


Wie schwierig ist es, mit der Kamera im vertrauten Raum als Beobachterin zu agieren?

RUTH BECKERMANN: Das ist ziemlich schwierig. Ich weiß auch nicht, ob das immer geglückt ist. Es ist schwer, denn erstens beziehen sich die Leute auf mich. Das ist auch ok, das gehört zu diesem kleinen autobiografischen oder halbprivaten Film. Ich wollte ja diese mit dieser kleinen DV-Kamera, Situationen einfangen, ich hab ja z.T. selbst gedreht. Es zieht zwar technische Probleme nach sich, aber es ist leichter, selbst die Kamera zu halten, mit jemandem zu reden, auch wenn es manchmal schwierig ist, denn man will ja der Person in die Augen schauen. Wenn man sich den Film genau anschaut, erkennt man ja, wann ich selbst gedreht habe, weil der Blick direkt in die Kamera geht und es entsteht ein anderer Ausschnitt, eine andere Atmosphäre.


Wie haben sich die Gespräche ergeben? Sind lauter für Sie alte Bekannte zu sehen?

RUTH BECKERMANN: Ich kenne natürlich alle. Alle Leute, die im Film vorkommen sehe ich seit Jahren, zumindest im Kaffeehaus gegenüber sitzen. Es gibt ein, zwei Personen, mit denen ich zum ersten Mal für den Film gesprochen habe. Die Frau Segal und den Herrn Doft kenne ich seit ich ein Kind bin. Es war so, dass ich jeweils im Herbst und im Frühjahr eine ganze Woche gedreht habe und dazwischen immer wieder. In diesen zwei vollen Wochen, wo auch die Nurith Aviv da war und wir wirklich Drehzeit hatten, fragte ich die Leute einfach , wann sie das nächste Mal kämen. In diesem engen Raum musste man die Leute ja nicht anrufen, die meisten Gespräche ergaben sich direkt, wenn die Leute gerade da waren, im Kaffeehaus oder auf der Straße.
 

Was war Konzept, was war Experiment, was Zufall, was geplant?

RUTH BECKERMANN: Bei diesem Film konnte man schon sehr viel vorherplanen. Planen im Sinn von Konzept ist "Ich drehe von August 99 bis April/Mai 2000. Im ganzen werde ich so und so viele Drehtage haben, ich mache eine Liste, welche Leute in diesem Film sein werden." Die war natürlich doppelt so lange. Ich wusste ja, welche Leute da verkehren und ich mir vorstellen kann, wie die zusammenpassen. Aus. Das ist das Konzept und ich wollte die Leute ja nicht zu einem Thema befragen. Zu diesem Flanierenden, Kaffehausmäßigen gehört natürlich dazu, dass man einmal davon und einmal davon redet. Es gibt natürlich verschiedene Themen in dem Film, die sich herauskristallisierten oder die nicht geplant waren wie die politische Situation.

 
Die filmischen Beobachtungen widmen sich neben der Geschichte und Gegenwart der Marc-Aurel-Straße auch dem Phänomen Kaffeehaus.

RUTH BECKERMANN: Natürlich war klar, dass gewisse Leute ein bisschen etwas von der Geschichte der Marc-Aurel-Straße erzählen. Stadtleben ist auch ein Thema. Wenn die Elfriede Gerstl erzählt, dass sie sich nicht in Wohnungen verabredet und was das für sie bedeutet, schnell mal ins Kaffeehaus zu schauen. Es ist das Typische von Kaffeehäusern, dass man Menschen oft jahrzehntelang kennt, fast täglich sieht und nur den Vornamen kennt. Das gehört zur Eigenheit von Kaffeehaus, dass man dort sitzt und sich eben so inszeniert und präsentiert, wie man es für richtig hält und keiner weiß, wie man wohnt, wie man lebt, mit wem man lebt usw. Das ist etwas, was ich sehr reizvoll finde, es ist so ein Zwischending zwischen Privat und Fremd.

 
Und Freundschaft ist natürlich ein Thema.


RUTH BECKERMANN: Das find ich schon schön, und wieder typisch Wienerisch wieder, wie alle von diesem Ernst Göschl reden, dem früheren Besitzer des Kaffeehauses, der schon jahrelang tot ist. Aber auch die Frau Segal spricht davon, wie schwierig es ist, Freundschaften zu schließen, wenn man älter ist. Und gleich am Anfang kommt diese Szene, wo die Männer beim Doft draußen stehen "Das wird ein Film über die Freundschaft zwischen uns und den Arabern". Und natürlich ist das keine Freundschaft, sondern eine sehr ambivalente Beziehung zwischen dem Doft und dem Perser.
 

Ungeschnittene Kameraschwenks, Leute, die vor der Kamera vorbei gehen, das alles macht den Aspekt "homemade"aus, worin ist der Aspekt "homemad" an diesem Film?

RUTH BECKERMANN: Naja, schon die politische Situation, das finde ich schon noch immer "mad" diese Situation. "Home is mad". Ohne politischen Wechsel hätte ich den Film vielleicht ganz anders genannt. Der Titel homemade kam einerseits aus dem hausgemachten Kompott, von dem am Schluss die Rede ist, ebenso wie aus dieser Art zu filmen, mit der kleinen Kamera vor der Haustür aber auch durch diese Veränderung in der politischen Situation, die ja dann im Winterteil, das ist ein Drittel des Films schon sehr stark reflektiert wird.

 
Nicht nur die Reise war klein, auch Budget, Equipe und der technische Aufwand waren minimal?

RUTH BECKERMANN: Wir waren meistens zu dritt unterwegs, Kamera, Ton und ich oder ich allein oder zu zweit ich mit der Kamera und Ton. Es gab verschiedene Kombinationen. Aufwändig ist dann die Postproduktion. Der Rohschnitt war im Sommer fertig, wirklich fertig war der Film dann im Dezember. Es dauert halt das Fazen und die Lichtbestimmung. Ich bin zwar nicht der Meinung, dass man versuchen sollte, Dinge, die man bewusst brüchig gemacht hat, wieder glatt zu machen, aber gewisse Probleme, die bei diesem Material auftreten, versucht man zu verbessern.

 
Hat sich diese Herangehensweise prinzipiell bewährt?

RUTH BECKERMANN: Ich glaube nicht, dass ich den nächsten Film mit dieser Kamera drehe, ich will jetzt nicht nur mehr mit der DV-Kamera drehen, aber es ist interessant. Es reizt mich, das so weiter zu entwickeln, dass es zu einer Art "caméra stylo" wird und Schreiben und Filmen näher zusammenrücken können.


 Als "caméra stylo" eröffnet sie dem Genre des Filmessays sicherlich eine Reihe von Möglichkeiten.

RUTH BECKERMANN: Ja es gibt international eine Menge Leute, die sehr kleine, intime Filme machen z.B. Alain Cavalier, der seit Jahren allein mit dieser Kamera arbeitet und sehr schöne Dinge macht. Das ist sehr reizvoll und sehr unbeschwert, aber es ist ganz was anderes, weil es nicht die Intensität und die Disziplin eines Drehs mit einer Equipe hat, man ist allein. Was ich überhaupt nicht leiden kann bei Video, ist die Menge, die man dreht . Das Material fließt. Material und Endprodukt liegen in einem viel höheren Verhältnis. Es fließt einfach und dann muss man so viel wegwerfen und das mag ich ja nicht. Ich hab lieber eine höhere Konzentration und Intensität.

 
Interview: Karin Schiefer
2001