INTERVIEW

Robert Dornhelm im Gespräch zum Emmy-Award

 

«Mein erster Gedanke war, warum schon wieder Anne Frank. Gereizt hat mich anfangs gar nichts. Es hat mich eigentlich alles geschreckt. Die Gage hat mich gereizt und die Herausforderung, dass ich das mit ein paar Wochen Vorbereitung, ein paar Wochen Dreh und zwei Wochen Schnitt für drei Stunden im Hauptabendprogramm vor Millionen Menschen bestehen muss. Die Frage war: Kann ich mein Handwerk gut genug, dass ich mir das zutraue.»

 

Was hat Sie am Projekt Anne Frank gereizt, als man es Ihnen anboten?

ROBERT  DORNHELM: Nichts. Es hat mich eigentlich alles geschreckt. Die Gage hat mich gereizt und die Herausforderung, dass ich das mit ein paar Wochen Vorbereitung, ein paar Wochen Dreh und zwei Wochen Schnitt für drei Stunden im Hauptabendprogramm vor Millionen Menschen bestehen muss. Die Frage war: Kann ich mein Handwerk gut genug, dass ich mir das zutraue. Meine erste Idee war, warum schon wieder Anne Frank. Auch wenn ich gestehen muss, dass mir das Tagebuch von ihr ganz wunderbar gefällt, das halte ich für sehr inspirierend. Die Filme jedoch, die ich gesehen hab, waren einschwacher Aufguss ihres Charakters. Sie war eine sehr witzige, lebendige, freche Person. Man hat sie immer sehr respektvoll dargestellt und sie ist eine Art Heilige geworden. Tatsächlich geht es um das Heranwachsen eines jungen Mädchens zur Frau unter sehr widrigen Umständen.

 

Die Geschichte der Anne Frank in Ihrer Version basiert ja nur sehr bedingt auf den Tagebuchaufzeichnungen.

ROBERT  DORNHELM: Wir mussten uns sogar strikt vom Tagebuch fernhalten. Das Drehbuch basiert auf der neuen Anne Frank-Biografie von Melissa Müller. Die Tagebuchrechte waren an die 20th Century Fox verkauft worden und wir konnten wirklich nichts verwenden, auch nicht bestimmte Wörter, die im Tagebuch vorkamen, damit ja nicht der Eindruck entsteht, das Tagebuch sei dramatisiert worden.

 

Die Darstellerin der Anne Frank bietet eine großartige Leistung.

ROBERT  DORNHELM: Ja, Hannah Taylor-Gordon ist ein Genie. Sie war 13 als wir den Film gemacht haben. Es war fast so, als wäre sie dazu geboren, diese Rolle zu spielen, auch die körperliche Ähnlichkeit zu den Fotos ist frappierend. Sie ist hochbegabt, unwahrscheinlich intuitiv, intelligent, sensibel und es ist wirklich eine Freude, mit ihr zusammenzuarbeiten. Ben Kingsley hat über sie gesagt, this is the best leading lady I ever worked with, she has the knowledge and wisdom of Moses in the body of a 13-year-old.


Haben Sie versucht das Kecke und Freche an ihr durch Ihre Regie hervorzukehren.

ROBERT  DORNHELM: Ja. Absolut und leider musste ich einige Szenen herausschneiden, da das Aufbegehren und das Frechsein ja im Tagebuch auch vorkommen, befürchtete man, dass das zu ähnlich sei. Was sehr schade ist, weil sie da besonders gut und wirklich frech war. Sie hat verbale Ohrfeigen links und rechts verteilt , es war eine Freude, ihr bei der Arbeit zuzuschauen.

 

Die Verfilmung dieses Stoffes verlangte eine Gratwanderung zwischen der dokumentarischen und der melodramatischen Komponente der Geschichte?

ROBERT  DORNHELM:  Ich glaube, es ist ganz gut gelungen, denn Anne Frank ist natürlich zur Hälfte ein Kammerspiel. Dies trotzdem filmisch zu lösen war mir ein großes Anliegen, ich wollte kein Bühnenstück daraus machen. Da es ja nicht um das Tagebuch geht, sondern um die Jahre bevor und nachdem sie geschrieben hat. Ich hatte einen ungarischen Kameramann, der vom Dokumentarischen kommt, aber auch schon sehr viele große amerikanische Produktionen gedreht hat und der die Balance gehalten hat. Er hat mein Bedürfnis nach Realismus gespürt, hat aber auch das Network und die Anstalten beruhigt, indem er gerade genug Lichteffekte gesetzt hat, damit das Bild nicht ganz im Realismus stecken bleibt.


Im hochkarätigen Cast mit Ben Kingsley und Brenda Blethyn tauchen auch einige europäische Gesichter auf.

ROBERT  DORNHELM:  Es sind auch Leute wie Joachim Kroll, Johannes Silberschneider in kleineren Rollen zu sehen, das hat mit dem Thema zu tun, ich wollte einen europäischen Cast. Die Fernsehausstrahlung in den USA war ein Riesenerfolg. Es waren zwischen 31 und 33 Millionen Zuseher. Es ist weltweit verkauft worden, kam auch als DVD und Kassette raus und hat sich sehr gut verkauft. Das nächste Projekt Sins of the Father ist auch schon fertig. Das ist ein Fersehfilm, der aber als Kinofilm gemacht wurde. Es ist ein 90-Minuten-Streifen, der regulär auf Film und mit Kinoschauspielern fürs Fernsehen gedreht wird. Die Filme werden auch wie Kinofilme mit Riesenplakaten in der Stadt beworben. Als Hauptdarsteller wirkten Ving Rhames (Mission Impossible) und Tom Sizesmore (Saving Private Ryan).

 

Worum geht es in Sins of the Father?

ROBERT  DORNHELM: Es geht um Rassismus in den sechziger Jahren, um den Mord von radikalen Mitgliedern des Ku-Klux-Klans an vier jungen Mädchen. 35 Jahre später sagt der Sohn gegen den eigenen Vater aus. Ein Gewissensstoff also, Familienzugehörigkeit und Schuld in rassistischen Angelegenheiten.

 

In Ihrer Filmografie steht trotz aller Exkurse ins Märchen oder in den Kunstfilm das Realistische/Dokumentarische im Vordergrund.

ROBERT  DORNHELM:  Mich interessiert das Naturalistische und Realistische genauso wie das Fiktive und die Phantasie. Naturalismus im Stilistischen finde ich spannender zum Anschauen. Ich schaue mir Realismus lieber an als das perfekt Aufpolierte, wo nichts der Phantasie überlassen wird und alle Schatten ausgefüllt sind. Jeder Film bedarf außerdem eines anderen Zugangs, alles in einem Stil zu machen, dagegen bin ich allergisch. Jeder Stoff fordert eine neue Form.
 

Kann man sagen, dass das Fernsehen eine "gute Schule" ist, um in einer höheren Liga im Kino zu arbeiten.

ROBERT  DORNHELM: Es gibt keinen Unterschied für mich. Mir geht es darum, Geschichten, die ich erzählen will, in Bild und Ton umzusetzen und dann auf das größte Publikum zu hoffen. Eine große Leinwand und die Aufmerksamkeit des Publikums, da es von keiner Werbung und keinem Telefon abgelenkt werden kann, das ist eigentlich der einzige Unterschied.

 

War internationales Arbeiten von Anfang an Ihre Erfolgstrategie?

ROBERT  DORNHELM:  Ich hab in Österreich begonnen, hier sicherlich an die hundert Fernsehdokumentarfilme und kleinere Fernsehshows gemacht. Bin dann mit einem rein dokumentarischen Film, weil ich die Grace Kelly engagiert hatte und eine Oscar-Nominierung schaffte, nach Amerika gekommen. Hätte ich den gleichen Film ohne Grace Kelly gedreht, wäre es einer meiner hundert Dokumentarfilme geblieben, das ist mir damals klar geworden. Durch die Werbung und die Oscar-Nominierung bin ich plötzlich in eine andere Liga umgestiegen.

 

Der Emmy-Verleihung selbst liegt jetzt einige Wochen zurück. Kann man mit diesem Abstand schon sagen, welche Auswirkungen es in Hinblick auf nächste Projekte hat.

ROBERT  DORNHELM: Drehbücher werden mir zugeschickt, mehr Leute rufen mich an, um mir Projekte zu versprechen oder versuchen, mich als Zugpferd an Projekte anzuhängen, weil man hofft, dass einer, der gerade gewonnen hat, hilfreich sein könnte. Im Moment ist die gesamte Filmindustrie in Amerika eher auf schwachen Beinen. Nicht nur wegen dem 11. September, davor gab's schon Streikandrohungen. Die Firmen haben sich alle für den Streikfall eingedeckt. So passiert jetzt im Moment sehr wenig, es werden, zuerst einmal alte Dinge, die man vorproduziert hat, verbraucht. Das kombiniert mit dem 11. September, der eine massive Reduktion der Werbeeinschaltungen bewirkt hat, hat eine Krise herbeigeführt. Die Fernsehanstalten haben beschlossen, die Produktionskosten auf die Hälfte zu reduzieren. Im Verhältnis dazu, dass das Publikum 500 Mal größer als in Österreich ist, ist das Budget höchstens zwei mal so groß.

 

Was haben Sie konkret als nächstes Projekt vor?

ROBERT  DORNHELM:  Ich hab einige Projekte u.a. auch in Wien, Der Vierte Mann, das wird sich in den nächsten Tagen für mich entscheiden, ob ich das mache.

 

Worum geht es da?

ROBERT  DORNHELM:  Es geht um die Dreharbeiten zu Der Dritte Mann und ist eine Orson Welles-Geschichte. Ist eine reine Fiktion, das einzige Reale sind die Dreharbeiten zum Dritten Mann. Es ist ein Film noir über einen Film noir und eine Legende. Geplant ist das Projekt als englisch-deutsch-österreichische Koproduktion. Es würde alles in Wien gedreht werden, das Budget ist für hiesige Verhältnisse mit rund 7 Mio. US-$ sehr groß. Das Projekt ist schon seit drei Jahren im Gespräch, die Förderung wurde schon mehrmals verlängert. Der gute Wille ist bei allen vorhanden, es ist halt schwierig, bei so viel Geld, dass alle Partner zufrieden sind.

 

Was veranlasst Sie, immer wieder nach Wien zurückzukommen?

ROBERT  DORNHELM: Ich mag Wien als Stadt und hab sehr viele Freunde hier. Gewisse Lebensqualitäten, die mich anziehen, andere, die mich abstoßen. Meine Eltern leben in Wien. Ich komm einfach gern nach Wien, es riecht gut, meistens. Ich mag die Luft, das Gebäck, die Kaffeehäuser.

 

Was mögen Sie nicht?
ROBERT  DORNHELM: Ich bin kein Freund der neuen Regierung. Diese Mischung aus Opportunismus und Reaktionärem stört mich. Es ist wohl weltweit eine Entwicklung, die mich in Amerika mit George W. Bush noch mehr stört. Es empört mich, wo immer ich dem begegne. Dass es sich die Politiker in der jetzigen Situation leisten können, sich gegen die Filmemacher zu stellen, die so erfolgreich wie noch nie hier schaffen, ist unglaublich. Ich verstehe nicht, dass sie nicht die Größe haben zu sagen, wir mögen euch nicht, aber ihr seid jetzt erfolgreich und wir sind stolz auf euch. Diese Erfolge sind ja wirklich unglaublich, mehr kann man nicht kriegen mit einem Budget, das einen Bruchteil des Budgets von Deutschland ausmacht.

 

Was bedeutet Ihr großer Erfolg, der Emmy, ganz persönlich für Sie?

ROBERT  DORNHELM: Nichts. Also aufrichtig, ich leg auf Preise keinen besonderen Wert. Preise bedeuten für mich nur hoffentlich leichtere Arbeitsbedingungen und den nächsten Film leichter finanziert zu kriegen. Aber was die Eitelkeit betrifft, ist das in 24 Stunden verpufft. Während der Zeremonie hat man diese Angst, aufzustehen und reden zu müssen, am liebsten hätte ich immer, dass es schon vorbei ist. Ich genieße den Moment des Triumphs nicht, obwohl ich mich darüber sehr freu. Im Kinosaal zu sitzen und die Leute lachen zu hören, weinen zu sehen oder irgendwie anders aus dem Saal herauskommen zu sehen als sie hineingegangen sind, diese Reise zu ermöglichen, das bedeutet mir sehr viel. Und das kann ich aus dem Verborgenen, anonym zu beobachten ist viel schöner.

 

Interview: Karin Schiefer (2001)