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GEBÜRTIG von Lukas Stepanik und Robert Schindel

 

Hermann Gebirtigs Vater wurde im Konzentrationslager umgebracht. Danny Demants Vater auch. Er hatte ihn nicht einmal gekannt. Susanne Ressels Vater leistete Widerstand auf Seite der Kommunisten, kam ins Lager, überlebte und starb 40 Jahre später doch daran. Konrad Sachs' Vater wütete als Arzt im Konzentrationslager, ihn erhängte man als Naziverbrecher in Nürnberg. Von Christiane Kalteisens Vater erfährt man nichts, vielleicht war ein Mitläufer. Sie ist Ärztin, begegnet dabei dem Tod Tag für Tag, zu Auschwitz fällt ihr ein, dass es in Polen liegt. Nicht aus Ignoranz, bloß, sie gehört zu jenen, die mit beiden Beinen in der Gegenwart stehen. Der Zufall hat 40 Jahre zuvor die einen zu Opfern und die anderen zu Tätern gemacht. Der Zufall bringt 40 Jahre später, im Wien der achtziger Jahre diese fünf Menschen, einander näher und lässt sie mit der Last ihrer Vergangenheiten durch die gemeinsame Gegenwart stolpern und letztendlich zu sich selber finden.

Robert Schindels 1992 erschienener, vielbeachteter Roman Gebürtig thematisiert in einem komplexen Geflecht von Beziehungen das Gewicht der Vergangenheiten und Gebürtigkeiten, geerbte Schuld und bewältigte Gegenwart. Gemeinsam mit Lukas Stepanik hat der Autor seinen Roman fürs Kino adaptiert und auch Regie geführt.

 

Titelheld ist Hermann Gebirtig (Peter Simonischek), Sohn jüdischer Eltern, die im Konzentrationslager umgekommen waren. Er war nach dem Krieg nach New York ausgewandert, hatte dort eine beachtliche Karriere als Musical- und Schlager-Komponist gemacht und war entschlossen, Wien, der Stadt seiner Kindheit, die die ihm alles geraubt hatte, für immer den Rücken zu kehren. Wie er haben auch die anderen Protagonisten – alle aus der Generation der Nachgeborenen – samt der Last der ihnen in die Wiege gelegten Geschichte, einen Modus Vivendi gefunden, bis ein Ereignis oder eine Begegnung sie eines Tages aufs neue mit der Vergangenheit und vor allem mit sich selbst konfrontiert. "Es ist aber", betonen die beiden Regisseure mit Nachdruck, "weder ein Holocaust-Film noch ein Film über Vergangenheitsbewältigung, sondern einer über Gegenwartsbewältigung. Man kann nur bewältigen, wie die Vergangenheit in die Gegenwart eingreift und wie die Leute heute damit umgehen. Es geht uns darum zu zeigen, dass es sich um Menschenkinder handelt, die durch ihre getrennten Gebürtigkeiten auf der Seite des Verbrechens oder der Opfer stehen, ohne etwas dafür zu können".

Das vielschichtige Personengeflecht von Gebürtig löst die Polaritäten von Opfern und Tätern auf, differenziert in Einzelschicksale, bricht alte und schafft neue Bindungen zwischen Menschen, die ebenso viel voneinander trennt wie sie letztendlich wiederum eint und öffnet Wege zur vorsichtigen Versöhnung. Wien im Nachhall der Affäre um den damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim liefert den historischen Kontext von Gebürtig, in den sich eine Ebene eines im Konzentrationslager Birkenau gedrehten Films im Film, wo Danny Demant das jüdische Opfer eines KZ-Arztes spielt, sowie eine Ebene der von Erinnerungen gespeisten Tagträume der Figuren einflechten. "Linear erzählt", so Lukas Stepanik, "könnte man aus jeder der Figuren eine Story machen. Die Herausforderung und auch der Reiz in der Adaptierung der Geschichte lagen darin, den Stoff, der im Roman schon sehr umfangreich gebaut ist, zu erhalten. Im Film werden die Bestandteile aber ganz heftig durcheinander gebaut und anders geschichtet." Das Autorentrio Georg Stefan Troller, Robert Schindel und Lukas Stepanik erstellte insgesamt acht Drehbuchversionen der Romanvorlage, verknüpfte Ebenen, die sich im Roman niemals kreuzen und hält auch im Film an der Rolle des Erzählers fest. Danny Demant (August Zirner), im Film Schauspieler und Kabarettist, übernimmt die Doppelrolle des involvierten Mitspielers und distanzierten Beobachters, seine Resümees über Voice-over raffen und überlappen ironisierend die Handlung und betonen ebenso wie die pointierten Dialoge den literarischen Aspekt des Stoffes, den ein humorvoller Erzählton immer wieder vor einer Überdosis Dramatik schützt. "Ich denke," so Robert Schindel, "dass man ohne Humor sich diesem Thema nicht nähern kann. Das geht nicht mit Lachverbot. Ich jedenfalls könnte kein Buch schreiben, keinen Film machen, ohne dieses Schmiermittel, das diese sperrigen Sachverhalte besser in die Seele oder in die Aufmerksamkeit wandeln lässt."

Hermann Gebirtig gehört in den achtziger Jahren bereits zu einem der letzten Zeugen, der Pointner, den als "Schädelknacker" berüchtigten Naziverbrecher des Lagers in Ebensee, identifizieren und so den Opfern und damit sich selbst - noch zu einem Funken Wiedergutmachung verhelfen könnte. Susanne gelingt es, ihn nur für seine Aussage im Prozess zur Reise aus dem amerikanischen Exil nach Wien zu bewegen, ins Land, wie er selbst sagt, "das sich so als Opfer fühlt, dass für die Opfer der Opfer nicht mehr viel übrig bleibt". Als er jedoch den Boden seiner Kindheit betritt, hält seine über Jahrzehnte kultivierte Verbitterung über das Land seiner Herkunft der Welle der Emotionen, die ihn plötzlich überwältigt, nicht stand. "Wir haben uns beide zu lange leid getan" ist der Schluss, zu dem beide - Konrad, der Sohn des Mörders, Gebirtig, das Opfer – kommen. Autor Robert Schindel, selbst als Sohn jüdischer Eltern 1944 geboren, steht aus seiner biografischen Situation an der Schwelle, ist in gewisser Weise Überlebender und Nachgeborener zugleich. Anders als Hermann Gebirtig ist er, obwohl ein großer Teil seiner Familie dem Naziterror zum Opfer fiel, in der Stadt seiner Kindheit geblieben. Als Alter Ego betrachtet er den Komponisten nicht. "Die Konsequenz, die Gebirtig aus seinem Schicksal gezogen hat", so Schindel, "gehört einer Kunstfigur. Ich bin kein großer Hasser, ich konnte das nie. Ich kann mich auch nicht für meine Familie versöhnen, ich kann aber persönlich versuchen, in der Auswahl meinesgleichen - mit Leuten, die selbst oder deren Eltern vielleicht Mitläufer oder Nazis, Wegschauer oder Täter waren – durch ein offenes Gespräch auf gleich zu kommen, indem ich zu vermitteln versuche, dass sie eine Verantwortung für die Nachkommen der Opfer haben, dass alle hier ohne Angst leben können."

 

Karin Schiefer (2002)