FEATURE

IN THE MIRROR OF MAYA DEREN von Martina Kudlácek

Für ihren ersten Langfilm tauchte Martina Kudlácek in die komplexe Schaffenswelt Maya Derens, Kultfigur der New Yorker Avantgardeszene der 40-er und 50-er Jahre. In the Mirror of Maya Deren ist ein sensibles Künstlerportrait, das Innenwelten und Außensichten ineinander gleiten lässt und auf die Spuren einer faszinierenden wie unergründlichen Persönlichkeit lockt. Internationale Premiere hatte der Film beim Festival von Rotterdam, bei der Viennale 01 wurde der Film bereits im Oktober mit dem Wiener Filmpreis ausgezeichnet

 
No money in it. Only love of cinema“ lautete es auf einem Aushang am New Yorker Anthology Film Archive. Filmemacher Jonas Mekas suchte im Juli 1997 eine fachkundige Idealistin, die bereit war, das vorhandene Material der Avantgardefilmerin Maya Deren zu sichten und zu ordnen. Vergeblich. Nach einigen Wochen nahm er das Papier wieder ab, ohne ein einziges Feedback erhalten zu haben. Es war wohl ein bloßer Zufall, dass genau in diesem Moment Martina Kudlácek, die sich schon seit längerem mit dem Werk der Künstlerin auseinandergesetzt hatte, vorbeikam und von Mekas’ erfolgloser Suche hörte. Die Regisseurin nennt so etwas die Gnade der Begegnung, die jeder dokumentarischen Filmarbeit zugrunde liegt. „Es scheint so“, resümiert sie heute, „als hätte plötzlich das Thema mich gefunden“. Die unzähligen Stunden, die sie in den folgenden Monaten in den einsamen Kammern des Filmarchivs verbrachte, lieferten wohl den entscheidenden Anstoß zu ihrer eigenen filmischen Auseinandersetzung mit der schillernden Künstlerfigur Maya Deren, deren vielschichtiges Schaffen schon seit langer Zeit ihre persönliche künstlerische Entwicklung begleitete. In the Mirror of Maya Deren  ist Martina Kudláceks erster Langfilm, in dem sie versucht, das Portrait einer außergewöhnlichen Frau zu entwerfen, das unzählige Schichten ihrer Persönlichkeit zu Tage bringt und gerade damit ihre Unergründlichkeit eröffnet, das über die Thematisierung der Motive im Schaffen Maya Derens ihre Visionen als lockeres und durchsichtiges Gewebe über den gesamten Film legt. Reflexionen einer Traumtänzerin Martina Kudlácek stieß erstmals auf Maya Deren in den filmtheoretischen Schriften, die Welt der Bilder erschloss sich ihr zunächst über die Fotografie durch ihre Arbeit in der Fotogalerie Wien. Maya Deren schöpfte aus der Bewegung, dem Tanz und entdeckte erst später die Kamera als ihr adäquates künstlerisches Ausdrucksmittel. „I was a very poor poet“ sagt sie in einem Originaldokument, „before I was a filmmaker. (...) When I had a camera in my hand it was like coming home“. Für Martina Kudlácek hingegen begann eine lange Reise, als sie sich von der Fotografie dem Laufbild zuwandte. Sie bewarb sich an der FAMU in Prag, studierte zunächst als erste Frau seit Jahrzehnten in der Klasse für Kamera, und schloss das Studium in Dokumentarfilmregie ab. Dies zu einer Zeit, wo noch der Eiserne Vorhang die Grenzen verhing, wo sie anfangs auf der einen Seite als Kommunistin, auf der anderen als westliche Spionin galt.

„Ich war in dieser Welt“, so erinnert sich Martina Kudlácek, „teilweise sehr isoliert, es hat mir aber die Chance gegeben, mich mit meiner inneren Stimme, mit meiner Innenwelt auseinanderzusetzen.? Ein Reisefilm durch ein Innenleben sollte auch die Arbeit über Maya Deren werden. Die Entstehungsgeschichte von In the Mirror of Maya Deren ist wie ein langsames Umkreisen der Protagonistin, das sich aus persönlichen Entdeckungen, Erfahrungen und Begegnungen der Regisseurin speiste. Das Studium in Prag bot Gelegenheit, die Anfänge des tschechischen Avantgardefilms zu entdecken, dessen Galionsfigur, Alexander Hammid, nach New York emigriert war, Maya Deren heiratete und in den vierziger Jahren mit ihr gemeinsam einen der Schlüsselfilme des amerikanischen Experimentalfilms Meshes of the Afternoon realisierte. Aus einem Briefwechsel mit Alexander Hammid wuchs eine Freundschaft, eine erste Einladung nach New York Mitte der neunziger Jahre schlug schließlich die Brücke zwischen Wien und Prag und dem zentralen Schaffensort Maya Derens, New York. Eine Verbindung, die – betrachtet man die Tradition des Avantgardfilms in allen drei Städten ? trotz aller geografischer Distanz sehr eng war. 1996 widmet Kudlácek Alexander Hammid einen knapp 50-minütigen Film-Essay mit dem Titel Aimless Walk. Tochter des Meeres Alles andere als ziellos, wenn auch meist sehr intuitiv verfolgt die Regisseurin die Spuren ihrer Protagonistin, die sich nach und nach auftun je mehr sie sich im Sog dieser Entdeckungsreise ins Thema hineintreiben lässt. Nach den ersten Treffen mit ihren Interviewpartnern - Alexander Hammid war zum Zeitpunkt des Drehs 92, die Choreografin Katherine Dunham 91, manche waren schon tot gesagt und ließen sich durch ungemeine Zufälle schließlich doch aufspüren –wurde der Regisseurin auch das unglaubliche Privileg bewusst, mit so vielen hochbetagten Zeitgenossen Derens kommunizieren zu können. „Es entstand“, erinnert sich Martina Kudlácek, „eine Art Gefühl der Verantwortung gegenüber diesem Kapitel der Filmgeschichte, dass sich mir noch die Möglichkeit bot, das Wissen dieser Zeitzeugen zu bewahren.“ Gesprächsausschnitte mit Hammid, der Tänzerin Rita Christiani, Amos Vogel, der Cutterin Miriam Arsham, dem heutigen IMAX-Leiter Graeme Ferguson, dem Tai-Chi Lehrer Chao Li Chi hauchen einer Gestalt Leben ein, die ? obwohl sie 1961 44-jährig starb - in den Erinnerungen immer noch unglaublich präsent ist, nicht zuletzt deshalb, da sie durch ihre Energie und Intuition viele von ihnen in entscheidende Richtungen gelenkt hat.

In the Mirror of Maya Deren erzählt von der Muse und ungezähmten Schönheit, der unergründlichen Tochter des Meeres, der vom Rhythmus besessenen Bewegungskünstlerin, die sich in der Trance der Voudoun-Rituale verliert, der begnadeten Selbstdarstellerin und Initiatorin, die erstmals Projektionen von Experimentalfilmen in Kinos organisierte und von der fragilen Traumwandlerin, die sich an den eigenen Kräften verzehrt. Kraft der Poesie Abgesehen von einigen chronologischen Eckdaten, bemüht sich die Regisseurin keineswegs um Linearität, sondern verflicht die Sicht der Menschen, die sie gut kannten, mit den aus Originalton- und bilddokumenten stammenden Visionen dieser wilden Künstlerin zu einem vieldimensionalen Gefüge, das Einblicke in die Licht- und Schattenseiten einer Ausnahmeerscheinung gewährt, ohne auch nur eine Facette ihrer Persönlichkeit zur Gänze auszuleuchten. Ein Aspekt erhielt jedoch klare Priorität:  In the Mirror of Maya Deren sollte vor allem einen Zugang zu Derens künstlerischem Schaffen öffnen, das oft etwas im Schatten dieser Legende des amerikanischen Avantgardefilms und Feminismus blieb. „Ich stellte“, so Kudlácek, „während der Recherche fest, dass Maya Deren sehr heroisiert wird, was oft den Blick auf ihre Arbeit versperrt. Sie war aber nicht nur diese Filmgöttin und Voudounpriesterin. Für mich war es spannend auch zu zeigen, wie sie sich durch die Arbeit nach und nach das Medium aneignete oder zu entdecken, wogegen sie im Leben ankämpfte. Und ich hoffe vor allen, dass der Film für die poetische Kraft im Leben an sich sensibilisiert.“ Der Spiegel als Mittel der Reflexion und Symbol der multiplen Identitäten ist ein Leitmotiv in den Arbeiten Derens, auf dem auch Martina Kudlácek ihre Annäherung an diese schwer fassbare Ikone aufbaute. Deren spielte immer wieder mit den Gegensätzen von Schwarz-Weiß, Positiv und Negativ und reflektiert damit ein wesentliches Element ihrer selbst als eine Frau, die sich Anfang 40 völlig verausgabt hatte, da sie sich stets zwischen Extremen bewegte und Grauzonen nicht kannte.
 
Karin Schiefer
2002