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DAS IST ALLES von Tizza Covi & Rainer Frimmel

 

Heimatlose und ewige Wanderer holten Tizza Covi und Rainer Frimmel für ihren Dokumentarfilm Das ist alles vor die Kamera.

Ihre tableauartigen Alltagsbilder aus einem Dorf im Kaliningrader Gebiet wurden beim Festival von Nyon mit dem Nachwuchspreis Regards Neufs ausgezeichnet.

 

"Ich bin ein Wanderer in fremden Landen, mein Herz ist traurig, mein Geist ist bange", den Kopf ins Liederbuch vertieft, stimmen Herr und Frau Deis zum häuslichen A-capella an, unbeeindruckt von der Kamera, die ganze zwei Strophen lang auf ihnen ruht. Unbeeindruckt von gängigen Gewohnheiten bleibt die Kamera von Tizza Covi und Rainer Frimmel in Das ist alles oft minutenlang auf den Menschen drauf oder in der Landschaft stehen und hält so den Alltag fest. Die Kaliningrader Region, ein Streifen Russland, eingepfercht zwischen die litauische und polnische Grenze, der im Laufe der unsteten russischen Geschichte zum Sammelbecken der Vertriebenen, Umgesiedelten und Heimatlosen geworden ist, war das Ziel der Reise der beiden Filmemacher.

 

Der Alltag im 3000-Seelen Dorf Jasnaja Poljana steht im Mittelpunkt der knapp 100-minütigen Dokumentation Das ist alles, die beim Festival von Nyon mit dem Nachwuchspreis Prix Regards Neufs ausgezeichnet wurde. Russlanddeutsche, Weißrussen, Sibirier, Armenier oder Russen leben hier, um neue Wurzeln zu schlagen oder das Tor in den Westen zu nutzen. Das Dorf ist weitläufig und zersiedelt, drei Geschäfte, kein Café, kein sozialer Treff. "Wir haben dort", so Tizza Covi, " lauter Menschen getroffen, für die der Ort nicht die Heimat ist. Es gibt dort keinen Heimatbegriff". Man lebt in den Mikrowelten der Familie, gibt einander von innen den nötigen Halt und schützt sich nach außen. Die einzige Möglichkeit, an die Leute heranzukommen, waren Hausbesuche, die Gastfreundschaft beispielhaft. Insgesamt drei Monate verbrachten die beiden Filmemacher in Jasnaja Poljana, wo sich ihnen in zahlreichen Gesprächen Welten eröffneten, die vor allem in ihrer Einfachheit und Gelassenheit berühren und bittere Schicksale oft nur erahnen lassen. "Es geht uns," so die Filmemacher, "um Lebensformen und Lebensansichten, die uns total fremd und auch wieder ganz nah sind. Dabei war von vornherein klar, dass es eine fragmentarische Beobachtung ohne journalistischen Anspruch ist."

 

Tableaux vivants Ein Ehepaar zieht es vor, durch ihre Musik - er spielt Akkordeon, sie schlägt mit einer Flasche in der eine Gabel baumelt, den Rhythmus dazu - von sich zu erzählen, Frau Deis führt uns während ihrer Erzählungen ganz beiläufig in ihre Kochkünste ein, fünf Kinder kichern und zappeln verlegen vor der Kamera. Wenn der alte Sibirier auf die Politik zu schimpfen beginnt, dann ergreift sofort seine Frau das Wort und rückt das Bild des neuen Präsidenten vor der Kamera wieder zurecht. So wirklich kann sie nicht glauben, dass sich ungeahndet eine kritische Meinung kundtun lässt.

 

Als Regisseure legen Tizza Covi und Rainer Frimmel visuell den Rahmen fest, als Fragesteller halten sie sich bewusst zurück, die Ausgestaltung des entstehenden Tableau vivant liegt bei den Protagonisten. "Es hat", so Rainer Frimmel, "eine Anfangsfrage in eine gewisse Richtung gegeben, dann war es aber spannend die Reaktionen abzuwarten und zu sehen wie sich das von selber fortsetzt".

 

Das künstlerische Auge der beiden Filmemacher wurde an der Grafischen Lehranstalt in Wien geschult, der Einfluss der Fotografie ist in jeder der oft minutenlangen Einstellungen präsent, als würde die unbewegte Kamera einen Kontrapunkt zu den von Umsiedlung und Vertreibung geprägten Lebensgeschichten setzen. "Wir möchten", so Tizza Covi, "einen unzensurierten Einblick geben, der erlaubt, auf Zusatzinformationen aus dem Off zu verzichten und dem Zuschauer das Gefühl geben, er könnte selbst mit unseren Gesprächspartnern am Tisch sitzen".

 

Karin Schiefer

2002