INTERVIEW

Caspar Pfaundler im Gespräch über LOST AND FOUND

 

«Ich wollte das Gefühl des Fremdseins thematisieren, die Kameraperspektive der Verfolger sollte das Ausgeliefertsein noch einmal verschärfen. Deshalb entschloss ich mich, diesen Aspekt einer Kriminalgeschichte hineinzubringen, weil das Ganze noch einmal feindseliger wird. Tatsächlich interessiert hat mich die Liebesgeschichte, das Fremdsein und der Wandel vom Gefühl der totalen Fremdheit bis hin zu einer Annäherung.»

 

Lost and Found ist ein erster langer Spielfilm, warum spielt der Film in Taiwan?

CASPAR PFAUNDLER: Ursprünglich war der Film umgekehrt gedacht, er sollte von einer Chinesin in Wien erzählen, über ihre Verlorenheit in dieser Kultur und ihre Probleme mit der Fremdenpolizei. Ich hatte das Drehbuch schon geschrieben, als ich dann um erste Förderungen einreichte, meinten die Institutionen, so schlimm könne es bei uns nicht sein. Es wurde nicht akzeptiert, dass es bei uns so zugehen kann, es kam da auch eine Vergewaltigung durch die Fremdenpolizei vor. Ich hab die Geschichte dann spiegelverkehrt übertragen, die von einem Österreicher in Taiwan erzählt und hab zwar wenig, aber doch Geld bekommen. Es gab ein ziemlich genaues Drehbuch, auch wenn der Film so beiläufig ausschaut, bis auf die Dialoge war alles festgelegt. Mein Asienbezug kommt einerseits daher, dass, meine Frau Taiwanesin ist. Und vor allem auch durch das asiatische Kino, aus China oder Taiwan, das ich sehr bewundere, weil es sehr konsequente Filme sind.

 

Die Mafia-Geschichte ist eigentlich nur ein Aufhänger für eine Geschichte vom Verlorensein und (sich) Wiederfinden?

CASPAR PFAUNDLER: Das ist richtig. Ich hab zwar über die Produktpiraterie recherchiert, den Beruf des Raubkopienjägers gibt es. Es sind meist amerikanische Firmen oder Schweizer Uhrenfirmen, die Leute auf die Suche nach Kopien schicken, um dann Verfahren einleiten zu können. Ich gebe zu, dass mich die Crime-Story nicht so interessiert hat, das würde ich vielleicht jetzt selber kritisieren, das hätte ich vielleicht ernster nehmen sollen. Ich wollte das Gefühl des Fremdseins thematisieren, die Kameraperspektive der Verfolger sollte das Ausgeliefertsein noch einmal verschärfen. Deshalb entschloss ich mich, diesen Aspekt einer Kriminalgeschichte hineinzubringen, weil das Ganze noch einmal feindseliger wird. Tatsächlich interessiert hat mich die Liebesgeschichte, das Fremdsein und der Wandel vom Gefühl der totalen Fremdheit bis hin zu einer Annäherung.

 

Geht es um ein Verlorengehen oder das Verlorensein in Lost and Found?

CASPAR PFAUNDLER:  Das ist nicht so einfach. Sternfeld, die Hauptfigur, geht verloren. Aber er würde nicht verloren gehen, wenn er nicht schon ein Verlorener wäre. Es geht um die innere Verlorenheit, das Sich-fremd-Fühlen und vielleicht geht es ihm zu Hause auch nicht viel anders. Mit den Mitteln des Films lässt sich das natürlich nur in einer fremden Umgebung darstellen. Es ist eine innere Verlorenheit, er hat auch keinen Bezug zu seinem Beruf, deshalb passt diese Figur des Raubkopienjägers, da sein Beruf auch etwas mit seiner Selbstentfremdung zu tun hat. Er ist ja eigentlich ein Musiker, tut aber etwas, was er eigentlich gar nicht tun will. Paradoxerweise findet er durch die Begegnung mit einem Menschen in der Fremde auch Teile von sich wieder.

 

Der Film hat viel von einem Homevideo, einem dokumentarischen Reisevideo, die Tatsache, dass Sie und Ihre Frau die Hauptdarsteller sind, hat auch noch sehr viel Privates an sich?

CASPAR PFAUNDLER:  Ich konnte natürlich mit wenig Geld keinen großen Film machen und wollte das auch nicht. Mit dem wenigen Geld, das ich für diesen Film bekommen habe, wollte ich etwas machen, was nicht größenwahnsinnig, aber irgendwie authentisch ist. Die Tatsache, dass ich die Kamera mache und Hauptdarsteller bin, hat natürlich den Zweck, die Authentizität und den Wirklichkeitsbezug zu unterstreichen, obwohl es eine fiktive Geschichte ist. Mich interessierte es, etwas von dem, was dort in Taipeh passiert, einzufangen und nicht etwas drüberzustülpen. Das Persönliche und Private schockiert natürlich auch. Es ist ungewohnt, so etwas auf der Leinwand zu sehen, aber ich finde, es ist auch eine Qualität dieses Films, dass er nicht mehr vorgibt, als er kann.

 

Die Personalunion aus Hauptdarsteller und Kameramann ist ja eher ein seltener Fall. Wie hat das in der Praxis ausgesehen?

CASPAR PFAUNDLER: Es war schon schwierig von der Position hinter der Kamera, dann nach vorne zu gehen, und das alles unter Zeitdruck. Taipeh ist ein Ort, wo man die Locations sehr genau aussuchen muss. Es wurde fast alles in Taipeh gedreht und dann noch diese Szenen am Meer. Bei den Zugfahrten war es sehr aufwändig, durchzusetzen, was ich wollte, wir haben sehr lange recherchiert. Was für mich sehr schwierig war und worunter das Team gelitten hat, war, in diese Stimmung der Verlorenheit, der Trostlosigkeit und zum Teil auch Depressivität hineinzukommen und gleichzeitig Regisseur zu bleiben und Anweisungen zu geben. Da war ich dann oft auch in der Stimmung, in der ich vor der Kamera war und das war für das Team sicher sehr belastend.

 

Sie sagten, das Drehbuch war sehr genau, sie haben sehr genau recherchiert und gleichzeitig hat der Film diesen improvisierten Charakter. Wie kam diese Gratwanderung zustande?

CASPAR PFAUNDLER: Wenn man wenig Geld hat und ein kleines Team, dann kann das gerade auch ein Vorteil sein, weil man auf gewisse Dinge spontan reagieren kann. Ich hab den Film so geplant gehabt, dass vieles einfließen kann und soll, was am Drehort erst passiert. Wir hatten eine Phase des Trainings mit dem Team, denn am Anfang haben die sofort abgesperrt und ganz normal auf Spielfilm getan. Ich hab versucht, ihnen klarzumachen, dass ich genau das nicht will. Ich war froh, wenn ein Hund durchs Bild lief oder ein Kind schrie. Das heißt aber, dass man sehr genau aussuchen muss, wo man etwas macht. Man kann diese Offenheit nicht überall praktizieren. Vor allem im Hinblick auf den Text, wo kann man Dialog machen, wo nicht, was ist mit dem Hintergrund, Taipeh ist eine sehr laute Stadt. Es musste gut recherchiert werden und die Bilder sind sehr ausgesucht, was aber auch zur Folge hatte, dass wir eine lange Vorbereitung und viel Drehzeit brauchten.

 

Können Sie kurz die Entstehungsgeschichte umreißen?

CASPAR PFAUNDLER:  Die Recherche dauerte insgesamt ein halbes Jahr. Meine Frau hat dort das Projekt als ausführende Produzentin durchgeführt und hat auch das Team zusammengestellt. Ohne sie wäre das absolut unmöglich gewesen. Sie hatte zuvor in Taiwan fürs Fernsehen gearbeitet und hatte viele Kontakte zur Szene. Wir hatten auch logistische Unterstützung z.B. von Tsai Ming-liang. Die Leute sind dort sehr hilfsbereit, die Taiwanesen sind die freundlichsten Menschen, die man sich vorstellen kann. Ohne sie wäre dieses spontan ausschauende Drehen nicht machbar gewesen. Es war sicher eine Gratwanderung, z.B. die Drehs im Zug: da ja Taiwan zwar nicht mehr im Kriegszustand, aber doch in einer feindschaftlichen Beziehung zu China steht, kann man nicht überall drehen, es durfte nie eine Kaserne im Bild sein und es gibt dort sehr viele Kasernen, da musste man sehr aufpassen. Es war hilfreich, dass wir mit einer so kleinen Kamera gedreht haben und der Tonmann das Mikrophon nicht immer allzu sichtbar gehalten hat. Insgesamt haben wir neun Monate dort verbracht. Es ist auch dann noch eine lange Zeit vergangen. 1998 war der Film fertig gedreht, dann wurde erst analog geschnitten worden, dann gab es einen Offline-Schnitt und Online-Schnitt. Bis es dann schließlich eine 35 mm Kopie gab, das dauerte mit so wenig Geld etwas länger.

 

Planten Sie von Anfang an, eine 35mm-Version zu erstellen?

CASPAR PFAUNDLER: Für mich war das klar, aber das durfte ich anfangs nicht zu laut sagen, mit einem Film, der auf DV gedreht wurde. Gottseidank gibt es die DOGMA-Filme, Lars von Trier hat viel mit DV gemacht und den Weg geebnet. Trotzdem glaube ich, dass 35 mm eine eigene Qualität hat. Ich hab auch nicht so getan, als würde ich jetzt einen 35 mm Film drehen, ich hab mit Video gedreht, wollte aber die Konzentration des Kinos, d.h. dunkler Raum und ohne Ablenkung nach vorne schauen und hören. Der Videoeffekt ist zwar am Rand da, aber die Übertragung macht das Ganze doch wärmer.

 

In der Synopsis zu Lost and Found sprechen Sie von zwei Kamerapositionen?

CASPAR PFAUNDLER: Es gibt die Kamerasicht des Hauptdarstellers Sternfeld, er sucht mit seiner Kamera, aber er wird auch von seinen Verfolgern beobachtet, die wieder ein Video über ihn machen, das ist die zweite Position. Ich hatte ja zuwenig Geld, um mit Schuss/Gegenschuss zu drehen. Da ist die Kontinuität des Tons sehr wichtig, das kann man nur drehen, wenn man einen Drehort kontrollieren kann. Ich hab nur durchgängige Einstellungen und mein "Schuss/Gegenschuss" ist dieser Blick auf Sternfeld, der auch ein bisschen den Blick auf den Eindringling ausdrückt. Die Kamera ist auch ein Ausdruck für den Charakter des Eindringlings, die Kamera ist überspitzt formuliert, wie ein Körperteil. Sie drückt auch dieses Draußen-Sein, dieses Suchende aus. Aber es gibt in Lost and Found nicht so wie bei anderen Filmen das unsichtbare Team. Ich finde es ja absurd, dass ein Film immer so tut, als gäbe es kein Team. Das ist bei meinem Film vielleicht für manche die Schwierigkeit, dass es immer eine Kamera gibt und die Kamera hängt mit dem Menschen zusammen, so wie bei jedem anderen Film auch, nur ist es da bewusst.

 

Am Anfang gibt es einen kurzen Hinweis, dass es sich um einen Film im Film handelt?

CASPAR PFAUNDLER:  Es geht mir um die Kreisbewegung. Am Anfang sieht man das Meer, am Schluss sieht man das Meer. Am Ende versteht man, dass wieder etwas neu anfangen kann. Das hat mich immer interessiert, dass sich Sachen im Kreis drehen. Die Idee, man sieht einen Film im Kino, wo ein Film im Kino läuft, diese Endlosigkeit war mir ein Anliegen. Gleichzeitig auch das Lapidare, das bei dem Film auch herauskommen soll, es ist nur ein Film und es ist nur ein Machwerk, und als solches ist es immer zu hinterfragen.

 

Sie haben mehrmals das geringe Budget, mit dem der Film hergestellt wurde, betont?

CASPAR PFAUNDLER: Es ist mir auch wichtig, dass ich mir selber treu bleiben kann. Wenig Geld heißt auch weniger Interessen, weniger Leute, die dreinreden. Ich habe einen Film gemacht, von dem ich sagen kann, er schaut so aus, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Er hat so um die 100.000 Euro gekostet. Es ist ein kleiner Film für eine kleine Nische und ich hoffe, dass er Publikum finden wird. Ich mache ja nicht einen Film für mich, ich bin die Instanz , die entscheidet, wie er ausschaut, aber es ist doch ein kommunikativer Akt und wünscht sich Publikum. Keine Massen, aber einzelne Zuseher, die etwas dabei erleben.

 

Interview: Karin Schiefer (2002)