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STRUGGLE von Ruth Mader

"Herzlich willkommen, meine Damen und Herren. Sie sind hier, um während der kommenden sechs Wochen Erdbeeren zu pflücken. Was Sie wissen sollen: Sie werden nur für die tatsächlich abgelieferte Menge bezahlt. Der Tarif beträgt 25 Cents pro Kilo. Jeder von Ihnen erhält eine Nummer, unter der die gepflückte Menge registriert wird und Sie werden dann demgemäß bezahlt. Für 200 kg am Tag, was ein durchaus machbares Pensum ist, erhalten Sie also 50 Euro. Der Arbeitstag beginnt um 5 Uhr morgens und endet um 6 Uhr abends.

 

Und nun, meine Freunde, ist es Zeit, die Hände zu falten und zu Gott zu beten, damit das Wetter in den kommenden Wochen schön bleibt". Der Bus, in dem der freundliche Agent seine Mannschaft auf ihren bevorstehenden Job vorbereitet, ist nicht in ein benachbartes Billiglohnland unterwegs, sondern in Richtung Österreich. Aus Polen holt er sich nur die billigen Arbeitskräfte, die dann die mehr oder weniger roten Erdbeeren vom niederösterreichischen Marchfeld in die blauen Körbchen für den Supermarkt klauben. Erdbeeren, die süßen Sommerboten, waren aber nicht der einzige Anlass für Ruth Mader, in ihrem neuen Film Struggle in einen sehr realitätsnahen, aber dennoch fiktiven Zugang zum Thema Arbeitswelten zu suchen. Ein Artikel in einem Wochenmagazin über Billigstarbeitskräfte aus dem Osten lieferte den Stein des Anstoßes, von dem ausgehend die Filmemacherin gemeinsam mit ihren Koautoren Martin Leidenfrost und Barbara Albert ein Drehbuch entwickelte, das vor allem durch seinen reduzierte Erzählstil besticht. Im Mittelpunkt von Struggle, dem Debütfilm der 29-jährigen Regisseurin, die vor zwei Jahren, mit ihrem Kurzfilm Nulldefizit in Cannes' Cinéfondation vertreten war, steht Eva. Sie ist eine junge, allein erziehende Polin, die sich auf dem Heimweg vom Erdbeerpflücken in Österreich an der Grenze absetzt und sich samt ihrer achtjährigen Tochter auf das Wagnis einlässt, im Westen eine bessere Existenz für sie beide zu schaffen.

 

Alltag der Arbeitswelten

Eva schrubbt Swimmingpools, poliert Souvenirartikel, schleppt Fleischkisten, überlässt ihre Tochter tagsüber sich selbst, ist vor der Polizei auf der Hut, fällt abends todmüde ins Bett, gelangt irgendwann an ihre Grenzen und akzeptiert letztendlich eine Beziehung mit einem geschiedenen Immobilienmakler samt seinen eigenwilligen sexuellen Vorlieben, um diesen Kampf durchzustehen. Mehr noch als um Evas persönliche Geschichte geht es in Struggle um die Arbeit selbst: minutenlang nimmt die Kamera die Erdbeerfelder ins Visier, beobachtet die gebückten Pflücker bei strömendem Regen oder bei brütender Hitze. Kein Kommentar, kein Dialog. Eine Sequenz in der Putenfarm zeigt die perfektionierte Routine in der Verarbeitungskette, die das tote Federvieh Handgriff für Handgriff bis hin zur Tiefkühlverpackung für den Einkaufswagen befördert. Jede Arbeiterin vollführt eine einzelne Geste, präzis, teilnahmslos, und niemand weiß, zum wievielten Mal wohl. Schweigend und unentwegt polieren drei Damen im Stehen kleine Glasbehälter mit Figuren drin, wortlos nimmt die Oberärztin in der psychiatrischen Klinik den Vorfall hin, dass ihr eine Patientin vor versammelten Kollegen ein Glas Wasser ins Gesicht schüttet, ohne nur einer Menschenseele zu begegnen inspiziert der Immobilienmakler seine verödeten Objekte.

 

Täglicher Kampf ums Durchhalten

Mit dokumentarischer Sachlichkeit verharrt Ruth Mader in Arbeitswelten, die sie in ihrer Sinnentleertheit und Selbstentfremdung bis an die Schmerzgrenze in Echtzeit vor Augen führt. "Ich wollte zeigen", so die Regisseurin, "wie mühsam Arbeitsprozesse sind und veranschaulichen, was tatsächlich passiert, bis die Erdbeeren oder das Fleisch, das wir im Supermarkt kaufen, dorthin gelangen. Vor allem geht es mir aber um die Härte des Lebens- und Arbeitskampfes, den jeder von uns jeden Tag bewältigen muss. Der "Struggle" existiert auf allen Ebenen, egal wie alt man ist, welcher Schicht man angehört, ob man aus dem Westen oder dem Osten kommt, es betrifft alle, er hat nur für den einen oder anderen andere Konsequenzen". Besonders wichtig war es der Regisseurin, dass die Darsteller der Arbeitswelten, abgesehen von ihrer Protagonistin und dem Immobilienmakler alle authentisch in ihrer tatsächlichen täglichen Routine vor der Kamera standen. Für die Darstellerin der Eva wurde das Casting-Team bei einer Agentur in Warschau fündig und machte mit Aleksansdra Justa eine herausragende Entdeckung, die in ihrer praktisch dialoglosen Rolle eine subtile und nuancierte Interpretation von Evas Alltäglichkeit liefert. Ruth Mader spart in ihrer Erzählweise nicht nur mit Worten. Elliptisch und skizzenhaft deutet sie mit wenigen punktuellen Szenen Lebensgeschichten dreier Generationen an, die gerade aus dieser Knappheit ihre Spannung schöpfen. "Es ist mir ganz wichtig", erläutert die Filmemacherin, "mich vom Ballast der konventionellen Erzählweise zu befreien. Das Auserzählen von Dingen, die keine Emotion erzeugen, halte ich für unnötigen Ballast, den wir versucht haben wegzulassen?". Struggle vereint Menschen aus dem Osten, die auf unverschämte Weise finanziell ausgepresst werden mit Menschen aus dem Westen, die materiell saturiert, sich emotional im äußersten Notstand befinden. Die Einsamkeit der Existenz führt Ruth Mader schon an ihren Kinderfiguren vor Augen, die Sprachlosigkeit zwischen den Menschen wird gerade in den raren, und umso hilfloseren Dialogen deutlich. Zum gegenseitigen Nutzen verbinden sich schließlich der Mann aus dem Westen mit der Frau aus dem Osten und gaukeln sich gemeinsam in eine Scheinwelt hinein, die das Konsumregime des Westens für sie entworfen hat. Am Ende sitzt Eva mit ihrer Tochter und ihrem Gefährten vor dem Puppentheater im Shopping-Center, wo der Prinz sich auf eine Reise zum Mond begibt, um dort hoffentlich seine Prinzessin zu finden. Die vermeintliche familiäre Harmonie zerschneidet die Regisseurin in drei Einzeleinstellungen und lässt jeden der drei für sich in seinen naiven Phantasien von einer guten Welt allein.