INTERVIEW

Götz Spielmann über ANTARES

 

«Antares ist der größte Stern im Sternzeichen Skorpion, ein Doppelstern, der rot leuchtet. Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet Gegenmars. Im Film geht es um drei miteinander verknüpfte Geschichten, die in gewisser Weise drei "Skorpiongeschichten" sind, also heftige Emotionalität im Guten wie im Bösen: Leidenschaft, Sex, Eifersucht, Gewalt, Krise, Tod. Darum kreisen die Geschichten, das ist ihr inneres Thema.». Götz Spielmann über Antares.

 

Was bedeutet der Titel Antares?

GÖTZ SPIELMANN:  Antares ist der größte Stern im Sternzeichen Skorpion, ein Doppelstern, der rot leuchtet. Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet Gegenmars. Im Film geht es um drei miteinander verknüpfte Geschichten, die in gewisser Weise drei "Skorpiongeschichten" sind, also heftige Emotionalität im Guten wie im Bösen: Leidenschaft, Sex, Eifersucht, Gewalt, Krise, Tod. Darum kreisen die Geschichten, das ist ihr inneres Thema. Welche Motivation stand hinter diesem narrativen Konzept der hintereinander angeordneten Episoden? Mich beschäftigt schon lange die Tatsache, dass wir alle in weitaus größeren Zusammenhängen stehen, als uns bewusst wird, bewußt werden kann. Anders gesagt: dass Einsamkeit und Isolation eine Illusion des Bewusstseins ist. Das fasziniert mich und drei parallel stattfindende Geschichten, die einen Zusammenhang haben, ohne dass es den Protagonisten der Geschichten auffällt. Um das dem Zuschauer bewusst zu machen und nicht in einer mehr oder weniger nur zufälligen Parallelmontage zu zeigen, wählte ich die Struktur des Hintereinander. Mit jeder Geschichte kommen mehr dieser Zusammenhänge zu Tage und die Tatsache, dass alles Lebendige in einer viel größeren Vernetzung steht, wird bewusst und nacherlebbar. Das alles hat auch damit zu tun, dass ich mich schon lange damit beschäftige, die Möglichkeiten der Dramaturgie zu verändern und zu erweitern, um vom klassischen Erzählen wegzukommen, das von einem sehr mechanistischen Denkmodell bestimmt ist. Es reizt mich sehr, die klassische Dramaturgie so zu brechen, dass trotzdem eine klare Geschichte herauskommt, die für den Zuschauer auch sinnlich, nicht nur intellektuelle erlebbar ist.

 

Was wahrscheinlich umso schwieriger war, als das Drehbuch nicht bis ins Detail festgelegt war und auch einiges von der Improvisationsfähigkeit der Schauspieler abhing?

GÖTZ SPIELMANN:  Ja und nein. Wenn man sich den Film anschaut und nachher das Drehbuch liest, wird man sehen, dass er der Vorlage sehr nahe ist. Ich habe eigentlich nur den Prozess der Schauspielerarbeit und den des Dialogschreibens umgekehrt. Zuerst kam es zur Arbeit mit den Schauspielern, auch deren Arbeit an ihren Figuren, damit sie erfahren, wer sie sind, ihre Konflikte, ihr Charakter. Dann erst die Dialoge, also das, was sie sagen und wie. Man muss bedenken, dass es sich da um sehr gelenkte Improvisationen handelt, die dorthin zielen, wohin ich gerne möchte. Das Buch war ungewöhnlich, aber gar nicht so skizzenhaft wie es zuerst scheint, es ist dramaturgisch sehr präzis, die Figuren ebenso, es ist auch einiges an Dialog schon relativ genau angegeben. Mit der Schauspielerarbeit ist eine zweite Herausforderung angesprochen, die mich schon länger beschäftigt – die Frage, wie man ein lebendigeres, vitaleres Spiel im Kino erreichen kann, ohne dass es auf Kosten einer präzisen Form und Genauigkeit in der Inszenierung geht.

 

Hat sich die Arbeitsweise gegenüber Ihrem letzten Kinofilm Die Fremde verändert?

GÖTZ SPIELMANN:  Die Fremde war ein klassisches Drehbuch, ich hab zwar auch mit Improvisationen gearbeitet, aber eher um die Schauspieler zu lockern, oder um Szenen zu erweitern. Goya Toledo sprach ja nicht Deutsch. Wir haben aber mit Improvisationen gearbeitet, beide Schauspieler in ihrer Sprache, spannende Szenen, ohne dass sie die Worte des Partners verstehen konnten. Die Probenarbeit bei den drei Geschichten von Antares war lange und sehr unterschiedlich, wo wir sehr viel Alltag improvisiert haben, Szenen, die nicht im Film sind, und auch nicht hineinsollten, bis das eine Schlüssigkeit, Stimmigkeit und Richtigkeit hatte. Es gehört zu den schwierigsten Sachen, Alltägliches genau und interessant zu inszenieren. Ich hab mich sehr viel mit Improvisieren beschäftigt, da ich bei Gesprächen mit Schauspielern aus anderen Ländern, die ein vitaleres Filmschauspiel haben als wir im deutschsprachigen Raum, draufgekommen, dass die Improvisation in England, Frankreich oder Spanien einen ungleich höheren Stellenwert in der Ausbildung einnimmt als bei uns. Das hab ich mir zur Aufgabe gestellt, dieses Feld zu erforschen und herauszufinden, wie man als Regisseur damit arbeiten kann und Schauspieler zur Improvisation führen kann.

 

 Wie verlief das Casting? Dauerte es lange, die richtigen Leute zu finden?

GÖTZ SPIELMANN: Klar dauert es lange, wenn man sich nicht immer auf den Trampelpfaden der Besetzung bewegt, sondern sich links und rechts in die Büsche schlägt. Es ist aufwändiger, aber nur dann kann man auch entdecken und mit reicher Beute zurückkehren. Wir suchten an Theatern, an Schauspielschulen und wir gingen Leuten nach, die irgendwo in kleinen Rollen aufgefallen sind, um genauer hinzuschauen und ihnen die Chance zu geben, sich zu zeigen. Andreas Kiendl und Martina Zinner, die eines der Paare spielen, Dennis Cubic und Susanne Wuest sind weitgehend unbekannt und nun in Hauptrollen zu sehen. Auch Petra Morzé, obwohl man sie vom Theater kennt, ist die Entdeckung einer großartigen Filmschauspielerin, denke ich. Mit Andreas Patton wollte ich schon seit längerem arbeiten, was bisher nicht möglich war, da er Deutscher ist und mir sprachliche Authentizität wichtig ist. Hary Prinz hat die Hauptrolle in Die Fremde gespielt. Ein großartiges Ensemble, bis hinein zu den kleinen und winzigen Rollen.

 

Die Landschaft des Films ist eine Wohnsiedlung, die eine Gleichförmigkeit und Monotonie vermittelt, hinter der Fassade enthüllt der Film individuelle Schicksale?

Götz Spielmann: In den Wohnungen solcher Riesensiedlungen passiert sehr viel Kampf um Individualität. Diese Wohnsiedlungen sind ein gutes Bild von unserer jetzigen Gesellschaft. Denn bei aller Konsumauswahl und Informationsverstopfung wird uns ununterbrochen ein unerhört monotoner gleichförmiger Blick aufs Leben serviert. Das kommt schon in die Nähe von Propaganda. Ich glaube aber, dass sich sehr viel mehr Menschen als man denkt, dem auf irgend eine Art und Weise widersetzen, um seelisch zu überleben. Die Siedlung ist für mich ein Bild dafür, nach außen Monotonie und nach innen den Kampf um das, was man als Notwendigkeit für die eigene Existenz spürt. Darüber hinaus stellt die Siedlung die Verbindung in diesen drei Geschichten her. In solchen Siedlungen wohnen sehr verschiedene Milieus und sehr verschiedene Arten von Menschen zusammen. Ich glaube, dass die Monotonie, die so eine Siedlung ausstrahlt, menschlich betrachtet eine Täuschung ist und gleichzeitig ein gültiges Bild unserer Gesellschaft liefert, in der alles immer monotoner und einheitlicher wird.

 

Antares erzählt viel vom Scheitern von Beziehungen, ist Ihre Sicht auf die Liebe zwischen zwei Menschen pessimistisch?

Götz Spielmann: Man könnte auch sagen, Antares erzählt von der unausrottbaren Sehnsucht nach Liebe und von der Schwierigkeit, diese Sehnsucht zu realisieren. Was ist Pessimismus, was ist Optimismus? Für mich sind verkitschte Darstellungen vom Leben immens pessimistisch, weil niemandes Leben so stattfindet. Für mich bedeutet es Pessimismus, wenn Feigheit und Ängstlichkeit verhindern, sich einer Tatsache zu stellen. Gemessen am Mainstream-Kitsch ist Antares vordergründig pessimistisch, ich würde aber meinen, er ist in der Tiefe weitaus optimistischer als jegliche Behübschung. Die ist die eigentliche Angst, das ist Pessimismus, die Augen zu schließen. Das ist ja auch die Aufgabe von Kunst, davon zu erzählen, wie die Dinge wirklich sind und zwar mit Kraft, mit Lust, mit Fantasie. Kein Mensch wird aus Antares kommen und sich denken, Beziehung ist nur öd, vergiss es. Im Gegenteil werden sich viele ihrer Liebe bewußter sein und daß die Kämpfe sich lohnen. Das kräftigt. Kitsch schwächt.

 

AFN: Es geht in Antares auch sehr explizit um Sexualität, wobei Sie sich im Umgang mit dem Thema sehr bewusst vom Mainstream-Kino distanzieren?

Götz Spielmann: Sex ist ein Riesenthema im Leben, weil es sehr viel Existentielles ausdrückt, sehr viel an Chance und auch sehr viel an Not. Es ist für mich entscheidend, dass das, worüber ich erzähle einen existenziellen Aspekt hat und genau der kommt bei der Darstellung von Sex im Film nur ganz selten vor, obwohl so vieles unerhört sexualisiert ist. Wir werden ununterbrochen mit Signalen von Sex bombardiert, entweder in pornografischer Form, als etwas, das jeder Emotion völlig entkleidet ist und etwas rein Körperliches, Mechanisches darstellt oder in verkitschter Form als heitere, unbeschwerte Quelle ständiger Freude, wenn man es nur richtig macht und ein paar Regeln beachtet. Es hat mich fasziniert, dass da immer noch ein sehr großes Tabu im Thema Sexualität steckt, nicht in der Nacktheit, sondern im Verschweigen des Existenziellen, das darin steckt. Ein Schauspieler sagte mir einmal, dass er das Gefühl hat, Sexszenen werden wie Special Effects gedreht, so wie ein Autounfall und wenn die Szene vorbei ist, steigt man aus dem Bett und ist wieder eine erkennbare Figur. In Antares haben wir eben versucht, über die Figuren etwas zu erzählen, über zwei Menschen, die eine sexuelle Begegnung oder Beziehung haben, keine emotionale, keine geistige, sondern eine sexuelle. Es war der Versuch, es als grundlegenden Ausdruck einer Art Kraft zu betrachten.

 

 Es ist dennoch eine grundlegende Entscheidung, von Sex durch seine Darstellung oder Nicht-Darstellung zu erzählen, die auch von Schauspielern und Regisseur viel abverlangte, um etwas Einzigartiges zu schaffen.

GÖTZ SPIELMANN: Wir haben uns, die Schauspieler und ich, aber auch das Kernteam, gedanklich sehr stark vorbereitet und sind sehr ernsthaft mit dieser Aufgabe umgegangen. Das hat dazu geführt, dass wir präzise und ungeniert arbeiten konnten. Aussparen wollte ich es deshalb nicht, weil ein Film nicht von dem bestimmt wird, was er zeigt, sondern von dem, was er nicht zeigt. Wenn es um eine sexuelle Beziehung geht und ich zeige den Sex nicht, dann bekommt er eine viel größere Bedeutung, als wenn ich ihn zeige. Und durch die Darstellung des Körperlichen kann ich von etwas, das dahinter steckt erzählen und eine Meta-Ebene sichtbar oder spürbar machen. Auszusparen hätte geheißen, die Bedeutung von Sex zu vergrößern. Genau das wollten wir nicht, sondern sehr nüchtern und sachlich damit umgehen, es zeigen, damit das Eigentliche sichtbar wird.

 

Was steht in Ihrer Regiearbeit mehr im Vordergrund, die psychologische Auseinandersetzung mit den Schauspielern oder mehr die formale-bildliche Herausforderung?

GÖTZ SPIELMANN:  Für mich persönlich ist es so, dass die Arbeit an der Form, am Rhythmus, an Stil mein Denken weitaus mehr beschäftigt und daher für mich den größeren Teil des Filmemachens ausmacht. Die Arbeit mit Schauspielern ist einerseits ein Herstellen dessen, was man benötigt, um seine Geschichte zu erzählen, andererseits, viel wichtiger, eine Art Kommunikation, sehr sinnlich und spannend. Ich gebe viel Kraft, bekomme viel zurück. Ich grüble aber nicht über Schauspielarbeit, die tu ich einfach, sehr wohl aber über Inhalt und Form. Mein Stil, an dem ich formal arbeite, zielt auf eine Schlichtheit und Genauigkeit ab, was auf den ersten Blick nicht so spektakulär wirkt, kein Kunstbemühen demonstriert, unsichtbar und verborgen ist, aber gerade darum eine stärkere, weil verborgene Wirkung hat, eine heimliche Kraft, aus der jeder meiner Filme einen guten Teil seiner Energie bekommt. Leider gibt es nur wenige Kritiker, die dafür einen Sinn und ein Denken besitzen. Das ist schade, denn darin liegt die eigentliche Schönheit von Filmen, nicht in ihrer Moral, und auch nicht in handwerklichem oder intellektuellem Demonstrieren von formalen Effekten.

 

 Da das Drehbuch in gewisser Weise skizzenhaft war, wie sah die Erarbeitung der Bilder in Zusammenarbeit mit dem Kameramann aus?

GÖTZ SPIELMANN: Bei mir steht der Film sehr klar fest, bevor ich zu drehen beginne. Rhythmus, Bilder, Auflösung, die Vorstellung, wo ich die Schauspieler hinbringen möchte, sind klar und ich kann darauf zurück greifen. Wenn ich dann inszeniere, kommt es aber auch sehr auf den spontanen Augenblick an und ich setze dann mein vorgefasstes Bild dem aus, was nun wirklich passiert, und was meine Mitarbeiter an ihrer Sicht einbringen. Die Arbeit mit meinem Kameramann Martin Gschlacht ist eine nahezu ideale. Es ist unser zweiter Film nach Spiel im Morgengrauen, und er ist mir mehr als nur der Kameramann, ein Verbündeter auf vielen Ebenen. Wir haben in der Vorbereitung fast oder nahezu nicht über konkrete Dinge gesprochen, sondern eher über Prinzipielles. Es ging darum, was bedeutet Erzählen in Bildern eigentlich, welche Art Bilder wollen wir finden und warum. Wir haben kaum Auflösungen oder konkrete Bilder entwickelt, die wir dann beim Drehen nur mehr umsetzen mussten, sondern darum, eine gemeinsame Haltung zu erarbeiten. Wir hatten dann auch eine große intuitive Übereinstimmung, nur ganz selten verschiedenen Instinkt für das Notwendige. Wir haben dann vor Ort und im Augenblick entschieden, wie wir drehen und was wir machen, jedoch mit sehr viel Wissen um unsere Dramaturgie und unseren Stil im Hintergrund. Es war eine Mischung aus sehr präzisen Konzept und einem Offenhalten bis zum letzten Augenblick für die Erweiterung und Inspiration durch das Erleben.

 

Zum Teil wurde auch Handkamera verwendet, wie sah überhaupt die technische Umsetzung dieses Stils aus?

GÖTZ SPIELMANN: Wir haben ganz wenig mit gesetztem Licht gearbeitet, hatten durchgehend ein hochempfindliches Material, und das auch bis zur Neige ausgereizt. Das schafft einen sehr puren, authentischen Charakter, macht nicht auf teuer und geht vital mit dem um, was unsere Möglichkeiten sind. Es ermöglicht auch ein sehr leichtes, flexibles Arbeiten, weil das Licht keinen großen Zeitaufwand mehr bedeutet. In den Bildern und in der Erzählweise haben wir trotz des Einsatzes von Handkamera sehr präzise und streng gearbeitet. Die Handkamera zieht sich durch den gesamten Film und macht ca. ein Viertel des Films aus. Da wo Handkamera ist, ist sehr genau mit Kamera und Schauspiel choreografiert. Es war das erste Mal, dass ich mit Handkamera gearbeitet habe, es bedeutet eine Weiterentwicklung in meinem Stil oder eine Übertragung meines Stils auf die Möglichkeiten der Handkamera. Auch darin ist Martin Gschlacht meisterhaft.
 

Wie verlief das Casting? Dauerte es lange, die richtigen Leute zu finden?

GÖTZ SPIELMANN:  Klar dauert es lange, wenn man sich nicht immer auf den Trampelpfaden der Besetzung bewegt, sondern sich links und rechts in die Büsche schlägt. Es ist aufwändiger, aber nur dann kann man auch entdecken und mit reicher Beute zurückkehren. Wir suchten an Theatern, an Schauspielschulen und wir gingen Leuten nach, die irgendwo in kleinen Rollen aufgefallen sind, um genauer hinzuschauen und ihnen die Chance zu geben, sich zu zeigen. Andreas Kiendl und Martina Zinner, die eines der Paare spielen, Dennis Cubic und Susanne Wuest sind weitgehend unbekannt und nun in Hauptrollen zu sehen. Auch Petra Morzé, obwohl man sie vom Theater kennt, ist die Entdeckung einer großartigen Filmschauspielerin, denke ich. Mit Andreas Patton wollte ich schon seit längerem arbeiten, was bisher nicht möglich war, da er Deutscher ist und mir sprachliche Authentizität wichtig ist. Hary Prinz hat die Hauptrolle in Die Fremde gespielt. Ein großartiges Ensemble, bis hinein zu den kleinen und winzigen Rollen.

 

Die Landschaft des Films ist eine Wohnsiedlung, die eine Gleichförmigkeit und Monotonie vermittelt, hinter der Fassade enthüllt der Film individuelle Schicksale?

GÖTZ SPIELMANN:  In den Wohnungen solcher Riesensiedlungen passiert sehr viel Kampf um Individualität. Diese Wohnsiedlungen sind ein gutes Bild von unserer jetzigen Gesellschaft. Denn bei aller Konsumauswahl und Informationsverstopfung wird uns ununterbrochen ein unerhört monotoner gleichförmiger Blick aufs Leben serviert. Das kommt schon in die Nähe von Propaganda. Ich glaube aber, dass sich sehr viel mehr Menschen als man denkt, dem auf irgend eine Art und Weise widersetzen, um seelisch zu überleben. Die Siedlung ist für mich ein Bild dafür, nach außen Monotonie und nach innen den Kampf um das, was man als Notwendigkeit für die eigene Existenz spürt. Darüber hinaus stellt die Siedlung die Verbindung in diesen drei Geschichten her. In solchen Siedlungen wohnen sehr verschiedene Milieus und sehr verschiedene Arten von Menschen zusammen. Ich glaube, dass die Monotonie, die so eine Siedlung ausstrahlt, menschlich betrachtet eine Täuschung ist und gleichzeitig ein gültiges Bild unserer Gesellschaft liefert, in der alles immer monotoner und einheitlicher wird.

 

Antares erzählt viel vom Scheitern von Beziehungen, ist Ihre Sicht auf die Liebe zwischen zwei Menschen pessimistisch?

 

GÖTZ SPIELMANN:  Man könnte auch sagen, Antares erzählt von der unausrottbaren Sehnsucht nach Liebe und von der Schwierigkeit, diese Sehnsucht zu realisieren. Was ist Pessimismus, was ist Optimismus? Für mich sind verkitschte Darstellungen vom Leben immens pessimistisch, weil niemandes Leben so stattfindet. Für mich bedeutet es Pessimismus, wenn Feigheit und Ängstlichkeit verhindern, sich einer Tatsache zu stellen. Gemessen am Mainstream-Kitsch ist Antares vordergründig pessimistisch, ich würde aber meinen, er ist in der Tiefe weitaus optimistischer als jegliche Behübschung. Die ist die eigentliche Angst, das ist Pessimismus, die Augen zu schließen. Das ist ja auch die Aufgabe von Kunst, davon zu erzählen, wie die Dinge wirklich sind und zwar mit Kraft, mit Lust, mit Fantasie. Kein Mensch wird aus Antares kommen und sich denken, Beziehung ist nur öd, vergiss es. Im Gegenteil werden sich viele ihrer Liebe bewußter sein und daß die Kämpfe sich lohnen. Das kräftigt. Kitsch schwächt.

 

Es geht in Antares auch sehr explizit um Sexualität, wobei Sie sich im Umgang mit dem Thema sehr bewusst vom Mainstream-Kino distanzieren?

GÖTZ SPIELMANN:  Sex ist ein Riesenthema im Leben, weil es sehr viel Existentielles ausdrückt, sehr viel an Chance und auch sehr viel an Not. Es ist für mich entscheidend, dass das, worüber ich erzähle einen existenziellen Aspekt hat und genau der kommt bei der Darstellung von Sex im Film nur ganz selten vor, obwohl so vieles unerhört sexualisiert ist. Wir werden ununterbrochen mit Signalen von Sex bombardiert, entweder in pornografischer Form, als etwas, das jeder Emotion völlig entkleidet ist und etwas rein Körperliches, Mechanisches darstellt oder in verkitschter Form als heitere, unbeschwerte Quelle ständiger Freude, wenn man es nur richtig macht und ein paar Regeln beachtet. Es hat mich fasziniert, dass da immer noch ein sehr großes Tabu im Thema Sexualität steckt, nicht in der Nacktheit, sondern im Verschweigen des Existenziellen, das darin steckt. Ein Schauspieler sagte mir einmal, dass er das Gefühl hat, Sexszenen werden wie Special Effects gedreht, so wie ein Autounfall und wenn die Szene vorbei ist, steigt man aus dem Bett und ist wieder eine erkennbare Figur. In Antares haben wir eben versucht, über die Figuren etwas zu erzählen, über zwei Menschen, die eine sexuelle Begegnung oder Beziehung haben, keine emotionale, keine geistige, sondern eine sexuelle. Es war der Versuch, es als grundlegenden Ausdruck einer Art Kraft zu betrachten.

 

 Es ist dennoch eine grundlegende Entscheidung, von Sex durch seine Darstellung oder Nicht-Darstellung zu erzählen, die auch von Schauspielern und Regisseur viel abverlangte, um etwas Einzigartiges zu schaffen.

GÖTZ SPIELMANN: Wir haben uns, die Schauspieler und ich, aber auch das Kernteam, gedanklich sehr stark vorbereitet und sind sehr ernsthaft mit dieser Aufgabe umgegangen. Das hat dazu geführt, dass wir präzise und ungeniert arbeiten konnten. Aussparen wollte ich es deshalb nicht, weil ein Film nicht von dem bestimmt wird, was er zeigt, sondern von dem, was er nicht zeigt. Wenn es um eine sexuelle Beziehung geht und ich zeige den Sex nicht, dann bekommt er eine viel größere Bedeutung, als wenn ich ihn zeige. Und durch die Darstellung des Körperlichen kann ich von etwas, das dahinter steckt erzählen und eine Meta-Ebene sichtbar oder spürbar machen. Auszusparen hätte geheißen, die Bedeutung von Sex zu vergrößern. Genau das wollten wir nicht, sondern sehr nüchtern und sachlich damit umgehen, es zeigen, damit das Eigentliche sichtbar wird.

 

 Was steht in Ihrer Regiearbeit mehr im Vordergrund, die psychologische Auseinandersetzung mit den Schauspielern oder mehr die formale-bildliche Herausforderung?

GÖTZ SPIELMANN:  Für mich persönlich ist es so, dass die Arbeit an der Form, am Rhythmus, an Stil mein Denken weitaus mehr beschäftigt und daher für mich den größeren Teil des Filmemachens ausmacht. Die Arbeit mit Schauspielern ist einerseits ein Herstellen dessen, was man benötigt, um seine Geschichte zu erzählen, andererseits, viel wichtiger, eine Art Kommunikation, sehr sinnlich und spannend. Ich gebe viel Kraft, bekomme viel zurück. Ich grüble aber nicht über Schauspielarbeit, die tu ich einfach, sehr wohl aber über Inhalt und Form. Mein Stil, an dem ich formal arbeite, zielt auf eine Schlichtheit und Genauigkeit ab, was auf den ersten Blick nicht so spektakulär wirkt, kein Kunstbemühen demonstriert, unsichtbar und verborgen ist, aber gerade darum eine stärkere, weil verborgene Wirkung hat, eine heimliche Kraft, aus der jeder meiner Filme einen guten Teil seiner Energie bekommt. Leider gibt es nur wenige Kritiker, die dafür einen Sinn und ein Denken besitzen. Das ist schade, denn darin liegt die eigentliche Schönheit von Filmen, nicht in ihrer Moral, und auch nicht in handwerklichem oder intellektuellem Demonstrieren von formalen Effekten.

 

Da das Drehbuch in gewisser Weise skizzenhaft war, wie sah die Erarbeitung der Bilder in Zusammenarbeit mit dem Kameramann aus?

GÖTZ SPIELMANN:  Bei mir steht der Film sehr klar fest, bevor ich zu drehen beginne. Rhythmus, Bilder, Auflösung, die Vorstellung, wo ich die Schauspieler hinbringen möchte, sind klar und ich kann darauf zurück greifen. Wenn ich dann inszeniere, kommt es aber auch sehr auf den spontanen Augenblick an und ich setze dann mein vorgefasstes Bild dem aus, was nun wirklich passiert, und was meine Mitarbeiter an ihrer Sicht einbringen. Die Arbeit mit meinem Kameramann Martin Gschlacht ist eine nahezu ideale. Es ist unser zweiter Film nach Spiel im Morgengrauen, und er ist mir mehr als nur der Kameramann, ein Verbündeter auf vielen Ebenen. Wir haben in der Vorbereitung fast oder nahezu nicht über konkrete Dinge gesprochen, sondern eher über Prinzipielles. Es ging darum, was bedeutet Erzählen in Bildern eigentlich, welche Art Bilder wollen wir finden und warum. Wir haben kaum Auflösungen oder konkrete Bilder entwickelt, die wir dann beim Drehen nur mehr umsetzen mussten, sondern darum, eine gemeinsame Haltung zu erarbeiten. Wir hatten dann auch eine große intuitive Übereinstimmung, nur ganz selten verschiedenen Instinkt für das Notwendige. Wir haben dann vor Ort und im Augenblick entschieden, wie wir drehen und was wir machen, jedoch mit sehr viel Wissen um unsere Dramaturgie und unseren Stil im Hintergrund. Es war eine Mischung aus sehr präzisen Konzept und einem Offenhalten bis zum letzten Augenblick für die Erweiterung und Inspiration durch das Erleben.

 

Zum Teil wurde auch Handkamera verwendet, wie sah überhaupt die technische Umsetzung dieses Stils aus?

GÖTZ SPIELMANN:  Wir haben ganz wenig mit gesetztem Licht gearbeitet, hatten durchgehend ein hochempfindliches Material, und das auch bis zur Neige ausgereizt. Das schafft einen sehr puren, authentischen Charakter, macht nicht auf teuer und geht vital mit dem um, was unsere Möglichkeiten sind. Es ermöglicht auch ein sehr leichtes, flexibles Arbeiten, weil das Licht keinen großen Zeitaufwand mehr bedeutet. In den Bildern und in der Erzählweise haben wir trotz des Einsatzes von Handkamera sehr präzise und streng gearbeitet. Die Handkamera zieht sich durch den gesamten Film und macht ca. ein Viertel des Films aus. Da wo Handkamera ist, ist sehr genau mit Kamera und Schauspiel choreografiert. Es war das erste Mal, dass ich mit Handkamera gearbeitet habe, es bedeutet eine Weiterentwicklung in meinem Stil oder eine Übertragung meines Stils auf die Möglichkeiten der Handkamera. Auch darin ist Martin Gschlacht meisterhaft.
 

In Antares geht es um drei Geschichten von der Liebe und damit um Männerwelten und Frauenwelten, ging es auch darum diese Unterschiede dieser Welten herauszuarbeiten?

GÖTZ SPIELMANN: Es geht um drei Geschichten von der Leidenschaft, das ist wohl das bessere Wort als Liebe. Ob es verschiedene Sichtweisen auf Männer- und Frauenwelten gibt, das wird eine Frage der Interpretation sein. Ich kann mir vorstellen, dass Frauen und Männer diesen Film sehr verschieden sehen werden. Meine Absicht war, Geschichten zu erzählen von unterschiedlichen Figuren in sehr unterschiedlichen Situationen. Ich sehe einen großen Unterschied zwischen Mann und Frau, wobei ich den nicht bewerte, weil männlich und weiblich nicht nur am Geschlecht festzumachen ist, das fließt viel mehr ineinander. Es gibt sehr männliche Frauen und sehr weibliche Männer. Es sind eher Prinzipien: männlich und weiblich. Ich denke, dass Männer sehr auf ihre Umwelt auf das Außen reagieren und Frauen eher darauf, was sie in sich spüren, auf das Innen. Das sind die beiden Ausrichtungen unseres Bewußtseins und beides ist wichtig. Zu einem harmonischen Leben gehört ein Ausgleich zwischen diesen beiden Kraftfeldern – Innenleben und äußere Welt, das ist das Ideal, weil es eine Ganzheit verkörpert, die man als einzelner sehr schwer erreicht. Daher kommt auch die große Sehnsucht, die Sehnsucht nach Ergänzung, in dem, was einem fehlt. Man strebt immer zum Ganzen, ob es einem bewusst ist oder nicht. Aber solche Aussagen sind immer heikel, ich will keine Meinung darüber abgeben, was für mich der Unterschied zwischen Mann und Frau ist. Ich sehe es als die beiden Pole, die in ihrer Gesamtheit erst die Existenz ausmachen. Der eine Pol ist stärker bei Frauen beheimatet, der andere stärker bei Männern, beides hat Vor- und Nachteile, beides kann sich negativ auswirken, beides kann eine Last und eine Kraft, ein Fehler und eine Chance sein. Ich mag das, dass Frauen und Männer unterschiedlich sind und hoffe, dass es so bleibt. Was natürliche keine Aussage über gesellschaftliche Prozesse meint.

 

Nach Die Fremde kam eine Fernsehverfilmung Spiel im Morgengrauen. Wo liegen der Reiz und die Unterschiede, in den beiden Genres zu arbeiten?

GÖTZ SPIELMANN: Der Unterschied ist nicht so groß, weil ich meine Art zu erzählen in beiden Medien zur Geltung bringen kann. Kino ist die Königsdisziplin, das große Orchester, Fernsehen ist die Kammermusik. Man kann es mit einem Komponisten vergleichen, der Symphonien und Kammermusik komponiert und dennoch entspringen beide demselben Geist. Ich mache beides gerne, Kino ist natürlich das Anspruchsvollste, wo man den Zuschauer "am reinsten" erreicht. Fernsehen ist eher so eine Art Volkstheater und das Volkstheater des 19. Jhs., das so einen wunderbaren Ruf hat, hat in Wirklichkeit weitgehend aus lieblos zusammengeschusterten Trivialitäten und Banalitäten am laufenden Band bestanden, nicht unähnlich dem jetzigen Fernsehen. Trotzdem gab es dazwischen ein Stück von Raimund oder Nestroy oder eine Zauberflöte, die in diesen Volkstheatersumpf etwas Ehrliches gepflanzt haben und ihr Publikum auch erreicht haben. Das gefällt mir am Fernsehen, dass ich da sehr viele Leute erreiche. Das ist für mich eine Aufgabe: es zu schaffen, in diesem Einerlei Fernsehens, wo in unzähligen Programmen überall dasselbe läuft, etwas zu machen, das Leute, die da sitzen und schauen, bestärkt oder in produktive Unruhe versetzt. Das gefällt mir daran und deshalb möchte ich es auch gerne weiter machen. Es liegt aber auch daran, welche Arbeitsmöglichkeiten man hat. Ich mache beides nicht um jeden Preis, es geht mir um etwas und dieses Etwas kann ich in jedem Medium auf seine Art und Weise verwirklichen, oder auch nicht, das liegt dann nicht an mir. Das Kino bleibt aber künstlerisch die größere Herausforderung. Beim Fernsehen wiederum ist es spannend, daß es relativ rasch geht und auch sehr rasch beim Publikum ist, man schreibt im Jänner das Drehbuch und im Dezember können es die Leute bereits anschauen. Das ist manchmal schwierig am Kino, die Spannung, die Leidenschaft für eine Geschichte so lange zu halten, bis sie endlich finanziert ist. Wobei ich mich da bei Antares nicht beklagen kann, da ging es überraschend rasch.


Interview: Karin Schiefer (2003)