INTERVIEW

Jessica Hausner über  HOTEL

 

Hatten Sie Lust, mit HOTEL einen richtigen Genrefilm, insbesondere einen Thriller zu machen.

JESSICA HAUSNER:  Auf was ich Lust hatte, war, eine alptraumhafte Situation zu erzählen, ohne dass man die Ursache dafür einem ganz konkreten Umstand zuschieben kann. Es ging mir um das Unheimliche, das Schreckliche, das Bedrohliche, für das es keine Erklärung gibt, und das sich deshalb weder im Erklärbaren noch im Alltag noch im Realismus verwurzeln lässt. Durch das Genre, wird die Behauptung möglich, dass es etwas Schreckliches gibt und gleichzeitig habe ich mich der Behauptung in keiner Weise bedient. Es bleibt vollkommen realistisch, nur irgendwo ist das Schreckliche verborgen. Daher rührte meine Idee, das Genre zu nutzen, in dem Sinn, dass es etwas impliziert oder eine Ahnung im Zuschauer herauf beschwört, was da möglicherweise noch kommen könnte, das genau kann das Fragezeichen aufmachen, es gibt aber dann keine Antwort. Ich fand es spannend zu sagen, es ist ein Genrefilm, aber realistisch erzählt und das Monster ist gar nicht da.

 

Das setzt auch voraus, dass der Film sehr suggestiv ist?

JESSICA HAUSNER: Das wird letztendlich der Schnitt ausmachen. Die Frage wird sein, wie sich das dann richtig zusammensetzt. Es muss natürlich einen irrsinnigen Sog entwickeln, damit all diese Assoziationen hergestellt werden können.

 

Das bedeutete sicherlich eine sehr ausführliche Vorbereitung mit dem Kameramann Martin Gschlacht?

JESSICA HAUSNER: Auf jeden Fall. Wir haben sehr intensiv an der Auflösung der Szenen gearbeitet. Was mich sehr interessiert, ist Filmsprache, weil ich das, was ich zu erzählen habe, unbedingt mit filmischen Mitteln erzählen möchte. Nicht in den Szenen in sich. Beim Drehen war das beinahe absurd, weil wir nur Bruchstücke gedreht haben. Bei mir gibt es diesen Aha-Moment nicht, wo man mit einer Szene fertig ist und man sich sagen kann, ?"Das ist aber jetzt gut geworden", sondern immer nur Blicke, Gesten, Schritte, Subjektiven. Es ist vollkommen in Stücke zerlegt, das ist aber genau das, was ich unheimlich spannend finde und mit Martin sehr intensiv vorbereitet habe. Wir haben die Szenen im Storyboard gezeichnet und dieses Stückwerk herausgearbeitet, das tatsächlich erst im Schnitt zu einem Ganzen wachsen kann. Ich finde es so faszinierend, weil ich das Gefühl habe, dass dieses Aufeinandertreffen der Bilder entscheidend ist, das ist wie Zauberei und ich freue mich schon aufs Zaubern.

 

Entwickelt ihr das Storyboard gemeinsam?

JESSICA HAUSNER: Ich erstelle zuerst alleine eine Version, die ist dann die Grundlage für die Arbeit mit dem Kameramann. Das Drehbuch hat für mich nur den Sinn, dass es einmal sehr konkret hingeschrieben wurde, damit ich es jemandem kommunizieren kann. Die eigentliche Grundlage für den Dreh ist für mich das Storyboard, da fällt auch noch viel aus dem Drehbuch weg und anderes kommt dazu. Mir wird erst durch die Bilder klar, wie sich das Ganze erzählt und was dazu nötig ist. Oft ist es so, dass ich das Buch durch das Zeichnen des Storyboards noch einmal wesentlich vereinfache, dass Szenen herausfallen oder ich bei komplizierten Sachen merke, es könnte direkter auch gehen.

 

Wenn man bei Ihren Dreharbeiten zuschaut, dann entsteht der Eindruck, hier wird Millimeterarbeit gemacht, wo Sie Konkretes im Kopf haben, aber dennoch einen Spielraum frei lassen für Varianten?

JESSICA HAUSNER: Ja. Ich habe etwas konkret im Kopf. Auf einen Drehtag bereite ich mich so vor, dass ich mich am Vorabend noch einmal ganz darauf konzentriere, was für ein Effekt, was für ein Gefühl soll bei den Szenen, die wir am nächsten Tag drehen, entstehen, welchen Sinn hat die Szene im Drehbuch. Mit den Schauspielern gehe ich es dann durch, mache Proben, dabei sehe ich, was sich mit ihnen ergibt, was möglich ist und was sie anbieten. Wenn dann das ?Fleisch? einmal da ist, dann bin ich sehr genau und versuche, das ganz präzise hinzukriegen, dass wirklich das da ist, was ausgedrückt werden soll. Manchmal ist es nur ein Kampf um Glaubwürdigkeit, oft macht man es so oft, bis letztlich wirklich der Rhythmus stimmt.

 

Proben Sie auch schon vor Drehbeginn oder erst an den jeweiligen Drehtagen?

JESSICA HAUSNER: Auch vor Drehstart, aber das ist eher zur Beruhigung, damit man weiß, dass man es schon mal ausprobiert hat. Ich hab mit Birgit Minichmayr über die Schauspielerarbeit gesprochen. Sie sagte, beim Theater bestimmt der Schauspieler den Rhythmus, es wird solange geprobt, bis das Ensemble gewissermaßen den Schnitt erledigt und das erste Gegenüber der Zuschauer ist. Beim Film hingegen hat sie das Gefühl, dass der Regisseur das erste Gegenüber ist und der Schauspieler ein Rädchen in einem Zahnwerk ist, das nicht wirklich überschaubar ist. Für mich ist das von Film zu Film verschieden. Hotel ist aber ein Film, wo es genau so war. Wo es wirklich um einzelne Blicke geht, darum, in welchem Tempo jemand von rechts nach links schaut, der gar keine Ahnung hat wohin, weil das, was er sieht, ja drei Wochen später an einem ganz anderen Ort gedreht wird. Es gibt natürlich ganz andere Methoden, wo das Proben viel wichtiger ist.

 

Sie agieren mit sehr viel Ruhe und Geduld am Set...

JESSICA HAUSNER: Ja, unbedingt. Mir macht das ja auch Spass, dass sich die Leute da hineinwagen. Für Laien ist das ja ein riesiges Abenteuer, plötzlich in einem Kostüm in einem Dreh zu stehen und jemanden darstellen zu müssen. Ich war wieder so erstaunt bei den Laien. Ich finde es so überraschend, dass der Glaube, den man in einen Menschen hineinprojiziert, so zurück kommt. Solange ich an jemandem gezweifelt habe, ist das im Spiel zu spüren. Wenn man sich aber dann für jemanden entscheidet, dann tut sich noch einmal irrsinnig viel und die Leute sind noch einmal besser. Am Drehtag mit den beiden Szenen, wo das Hotelpersonal isst, waren nur Laien. Frau Waissnix z.B. ist die Mitbesitzerin vom Thalhof, wo wir auch gedreht haben, sie spielt die Frau Erika. Ich hab sie bei der Motivbegehung kennengelernt und ich dachte mir sofort, das ist die Frau Erika. Dann zögerte ich lange, weil ich wusste, dass sie noch nie mit Film zu tun hatte und ich selbst mir dachte, vielleicht will sie das gar nicht machen und schließlich fragte ich sie doch. Die war sehr beeindruckend, sie hat das beim Drehen so aus dem Hemdsärmel geschüttelt. Es war aber schon so, dass wir in der Vorbereitungszeit einmal in der Woche alle Szenen durchgeprobt haben und es hat sich ausgezahlt, das so gut vorzubereiten, das wäre sich ohne Probe nicht ausgegangen.

 

Wie sind Sie auf Franziska Weiß für die Hauptrolle gekommen?

JESSICA HAUSNER: Ich hab sie in Hundstage gesehen und dann einmal zu einem Casting für ein anderes Projekt eingeladen, wo sie einen Text lesen musste. Ich war sehr erstaunt und berührt, was für ein unglaubliches Gefühl für Rhythmus und Pausen sie hat. Sie hat mich sehr beeindruckt und ich habe dann beim Schreiben schon immer an sie gedacht. Für die Rolle in diesem Film hat sie unheimlich gut gepasst für dieses zielstrebige und aufgeschlossene Wesen, diese Irene, die da irgendwie verstrickt wird und auch so einen Willen hat, sich da noch einmal rauszuarbeiten.

 

Das Thema hat auch etwas mit den Gesetzen einer Gruppe zu tun, wie wird man in einer Gruppe durch die anderen zur Außenseiterin gemacht.

JESSICA HAUSNER: Natürlich war das auch ein Thema, ich will ja nichts erzählen, was es nicht gibt. Was beiden Geschichten gemein ist, ist, dass sie von einer sehr ultimativen Art des Alleinseins erzählen. Das ist ein Thema, das mich total beschäftigt. Ich habe das Gefühl, dass wir versuchen, zusammen zu gehören und Beziehungen mit anderen Menschen aufzunehmen, um uns nicht allein zu fühlen. Das ist ja letztlich das Wichtigste, dass man sich darüber hinweg täuscht, dass man alleine ist und sich fremd fühlt in der Welt. Das ist ein Thema, das mich sehr beschäftigt, sicherlich ist das ein Grundthema von Hotel.

 

Wie ging es dir als Regisseurin beim Drehen des zweiten Langfilms, was war anders?

JESSICA HAUSNER: Hotel war ganz ein anderes Projekt als Lovely Rita, und ich hatte diesmal ein ganz anderes Gefühl. Ich war viel weniger blauäugig, habe beim Drehen schon viel mehr an den Schnitt gedacht. Ich versuchte vielmehr, das Ganze immer im Überblick zu sehen, was es auch viel anstrengender machte. Bei Lovely Rita war es so, dass ich mal ausprobierte, um zu sehen, was daraus zu machen war. Jetzt habe ich viele Dinge, über die ich mich im Schnitt ärgern könnte, schon vorweggenommen. Karina Ressler hat parallel bereits einen Rohschnitt erstellt.


Sie machen sehr viele Takes, z.T. auch ganz verschiedene?

JESSICA HAUSNER:  Zum Teil haben wir Varianten gedreht, das hat sicherlich mit dem Schnitt zu tun, aber auch mit dem Film im speziellen. Es ist in den Traumsequenzen sehr viel darum gegangen, dass Irene sich in den Träumen selber sieht. Die Frage der Auflösung war sehr kompliziert – Wie legt sie z.B. den Weg, in den dunklen Gang, in den sie da hinein geht zurück. Da war es so, dass wir auch mit Brennweiten ? und Drehgeschwindigkeitsvarianten gedreht haben, um im Schnitt die Wahl zu haben, wie unterscheide ich am besten die eine und die andere Irene, wie kann ich diese Geografie am besten erzählen?


Wie haben Sie die Traumsequenzen gelöst?

JESSICA HAUSNER: Es gibt kein ästhetisches Merkmal für den Traum, es gibt nur den Schnitt. Ich hab sehr viel an Maya Deren und Meshes in the Afternoon gedacht, den ich sehr liebe, da durch den Rhythmus und den Schnitt diese sehr bekannten Gefühle von Traum entstanden sind. Es gibt die Szene, wo die Frau auf der Stelle geht, losläuft, Schnitt und sie steht wieder da und läuft wieder los. Das finde ich irrsinnig toll, weil die Wirklichkeit, die Räumlichkeit und das Zeitgefühl durcheinander gebracht werden. Da muss man sehr genau sein und erst einmal alles richtig haben, dann kann der Traum erst beginnen, das Ganze leise und unterschwellig zu demontieren. So, dass ich mir sage, hoppala, wenn ich da rechts gegangen bin, da war doch das, wieso gehe ich jetzt rechts und bin auf einmal da und da, sich sozusagen unterschwellig hineinschleichen.

 
Es war alles in allem ein eher anstrengender Dreh mit vielen Locations und auch einem Wintereinbruch Ende Oktober...

JESSICA HAUSNER: Wir drehten im Hotel in Gösing als unserem Haupthotel, im Thalhof in Reichenau haben wir die Rezeption gedreht, dann drehten wir noch in Gloggnitz, in Wien im Parkhotel Schönbrunn, und dann noch verschiedene Außenmotive. Wir wollten in Gösing Ende Oktober noch die Außen-Nacht-Aufnahmen drehen und es ging sich nicht mehr aus, und wir schafften es erst am vorletzten Drehtag Ende November, diesen Dreh nachzuholen, da hatte es gottseidank zehn Grad plus. Es war wahnsinnig anstrengend für Franziska. Sie hat jeden Tag gedreht und sie hat wirklich toll durchgehalten. Man denkt sich einfach aus, wie die Hoteluniform ausschauen soll und auch die Szene, in der sie als Irene eine Szene zu drehen hat, wo sie im Freien vor der Tür steht, eine Zigarette raucht und in den Wald hinein schaut. Das ist leicht gesagt, sie musste aber dann zwei Nächte dort drehen, in einer weißen Bluse bei Minusgraden draußen stehen und das eine ganze Nacht lang. Wir waren in dicke Schichten eingemummt, aber bei ihr hieß es alle fünf Minuten, Mantel ausziehen und "Bitte los", da gab es in der letzten Woche schon Momente, wo es hart an der Grenze war.

 

Wie sieht nun der Zeitplan für die Postproduktion aus?

JESSICA HAUSNER: Der Zeitplan sieht so aus, dass wir gerne im Frühjahr oder Sommer fertig würden. Das hängt auch davon ab, dass noch ein sehr interessantes Sounddesign dazu kommen wird. Ich bin nicht die schnellste, es kann sein, dass der Schnitt jetzt länger dauert, und das Sound Design braucht auch Zeit, weil man ausprobieren und es einem Testpublikum vorführen muss. Die Wirkung von Musik und Ton kann man nur auf eine bestimmte Distanz beurteilen, das braucht Abstand und Pausen.

 

Interview: Karin Schiefer (2003)