Für die einen ist Spanien ein Ort der Gottesfurcht. Für die anderen ein Ort der Sehnsucht oder der liberalen Einreisebedingungen.
Sava, ein Moldawier, ist auf seinem Weg dorthin in Österreich gelandet und hinterlässt so manche Spur im Leben der Menschen,
denen er dort begegnet. Regisseurin Anja Salomonowitz hat gemeinsam mit dem Autor Dimitré Dinev das Drehbuch zu SPANIEN verfasst
und vier Figuren auf ihren Irrwegen zwischen Suche und Sucht in ein loses Schicksalsgeflecht versponnen. Uraufgeführt wird
SPANIEN im Berliner Forum.
Was hat Sie beide – aus verschiedenen künstlerischen Hintergründen kommend – für ein gemeinsames Projekt zusammengeführt?
ANJA SALOMONOWITZ: Ich hatte einen Dokumentarfilm über binationale Paare geplant, weil ich der Frage nachgehen wollte, wie die Fremdenpolizei
mit den Menschen umgeht und ich wollte dabei Geschichten erzählen, wie durch Reglementierungen und Akte der Fremdenpolizei
Beziehungen unmöglich gemacht werden und die Liebe zerstört wird. Im Zuge dieser Recherche entstand die Idee zum Drehbuch
einer Dreiecksgeschichte mit einem Fremdenpolizisten und seiner Ex-Frau, die eine Beziehung zu einem jungen Ausländer beginnt,
die der Polizist wiederum kraft seines Amtes kaputtmachen kann. Mir war bald klar, dass ich lieber zu zweit schreiben und
jemanden finden wollte, der die Figur des jungen Ausländers gut erfinden kann. Eine Freundin empfahl mir Dimitré Dinev, ich
habe ihn getroffen und wir beschlossen sehr schnell zusammenzuarbeiten.
DIMITRÉ DINEV: Film hat mich in meiner literarischen Arbeit immer inspiriert und ich wollte immer gerne für Film schreiben. Das Schicksal
wollte es, dass mein erstes geschriebenes Werk in Österreich ein Drehbuch für einen Freund war. Der Film ist leider nie zustande
gekommen, aber wir erhielten eine Drehbuchförderung und symbolisch gesehen war es meine erste Anerkennung als selbständiger
Künstler, die mich ermutigte, weiterzumachen. Ich traute mich anfangs nicht, mich in der deutschen Sprache literarisch zu
betätigen. Das Drehbuch als Form hat mir da die Arbeit erleichtert, da es nicht literarisch ist. Der Satz spielt nur eine
marginale Rolle, nicht wie in der Literatur, wo jeder Satz den nächsten bestimmt. Spanien war für mich also kein Debüt als
Drehbuchautor.
Was hatten die Bücher von Dimitré Dinev, das Ihnen sagte, er ist der Richtige für dieses Projekt?
ANJA SALOMONOWITZ: Dimitrés Bücher sind total filmisch. Bei der Lektüre von Engelszungen bewegt man sich von Wolke zu Wolke vorwärts und taucht
durch sie durch. Wenn ich erzähle, dass ich mit Dimitré Dinev ein Drehbuch geschrieben habe, glauben die meisten, dass ich
von ihm ein Buch verfilmt habe. Wir haben keinen Roman in einen Film übersetzt, sondern wir haben uns gemeinsam ein Drehbuch
ausgedacht.
DIMITRÉ DINEV: Ich bekomme, seit ich mit meiner Literatur etwas mehr Erfolg habe, immer wieder Angebote vom Film aus den unterschiedlichsten
Gründen. Bei Anja spürte ich, dass sie sich für Dinge interessiert, die mir wichtig sind. Ihr Zugang zur Gegenwart, zum Sein,
hat mich überzeugt. Ihre soziale Seite des Blicks. Ich mag es nicht, wenn man die Zeit und die Umstände, in denen sich die
Helden bewegen, nicht festmachen kann.
Wie verlief der Prozess des gemeinsamen Schreibens?
ANJA SALOMONOWITZ: Wir haben zum ersten Mal im Sommer 2007 zusammengearbeitet und hatten dabei sehr geregelte Arbeitszeiten, da ich ein sechs
Monate altes Baby hatte und ich mir genau einen halben Tag frei machen konnte. Wir haben keine Versionen hin- und hergeschickt,
sondern wir sind im Büro nebeneinander gesessen und haben ganz geregelt täglich von 9.30 bis 14.30 gearbeitet. Wir waren sehr
diszipliniert. Einmal sagte Dimitré, „Morgen komme ich später, morgen heirate ich.“
Inwiefern haben Sie einander ergänzt?
DIMITRÉ DINEV: Das Schreiben ist ein Geheimnis, auch für uns selber. Auch wenn ich alleine schreibe, weiß ich nicht, wie ich es zustande
kommt. Es gibt keinen Schlüssel zu einem Thema, zu einem Werk. Ich arbeite gerne mit anderen, besonders wenn die Form Dialoge
beinhaltet. Das ganze Drehbuch ist im Dialog entstanden - egal, von wem ein Einfall kam, er wurde von allen Seiten durchgeklopft
und musste sich harten Fragen stellen. Formell haben wir uns ein großes Ziel vorgegeben: Wir halten den Dialog so lange zurück,
bis das Bild nicht mehr die Geschichte erzählen kann. Dadurch, dass die Worte so rar waren, waren sie auch sehr wichtig. Das
Wort durfte nicht größer als das Bild sein, was für einen Literaten eigentlich eine Katastrophe ist, aber als Drehbuchautor
weiß ich, wie wichtig es ist, nach dem Bild zu suchen.
ANJA SALOMONOWITZ: Wir hatten eine erste, ca. sieben Wochen lange Schreibphase 2007. Es war damals nicht ganz fertig und wir beschlossen, es
liegen zu lassen. 2009 haben wir das Buch noch einmal überarbeitet, was eine sehr schöne Arbeit war. Nach zwei Jahren weiß
man, was funktioniert und was man noch weglassen kann. Das Drehbuch ist mit 62 Seiten ein ungewöhnlich kurzes Drehbuch, aber
es ist alles drinnen und die Figuren sind ganz nah. Die erste Fassung war viel verwickelter und komplizierter.
DIMITRÉ DINEV: Die erste Fassung in 90 Minuten zu erzählen, hätten wir nie geschafft. Wir wollten auch von der Leidenschaft erzählen. Es
kommen verschiedene Leidenschaften vor - Sehnsucht, Spielsucht, Eifersucht. Wir wollten leidenschaftliche Menschen und leidenschaftliche
Figuren.
ANJA SALOMONOWITZ: Ich wollte diese Geschichte von der Fremdenpolizei mit Sehnsucht und Leben, mit etwas sehr Tiefem durchdringen. Ich wollte,
dass beim Sehen dieses Filmes ein Gefühl von vielen Schichten entsteht. Auch wenn das Bild sehr klar ist, sollte sich eine
Tiefe darunter verbergen.
Es wird eine Kirche restauriert, Ikonen werden gemalt, ein Priester gewährt Sava Unterschlupf – das Religiöse hat eine Präsenz,
welche?
ANJA SALOMONOWITZ: Auf die Frage des Priesters, warum er nach Spanien wolle, antwortet Sava: „Die Menschen dort fürchten noch Gott. Wo man Gott
fürchtet, kann man gut leben“. Worauf wir damit anspielen, ist folgendes: Es gab in Spanien eine Autorisierungswelle, wo illegale
Migranten einen legalen Status erhielten und ich weiß auch von binationalen Ehen, die am leichtesten in Spanien geschlossen
wurden. Wir haben uns lange nach den Gründen gefragt. Es gibt natürlich realpolitische Gründe, aber eine Erklärung könnte
auch sein, dass die Menschen in Spanien einfach sehr katholisch sind, die Ehe für etwas Gutes halten und eine andere Moral
haben. In Wirklichkeit sagt Sava also mit diesen pseudo-religiösen Worten, dass er sich dort besser durchschlagen kann. Und
trifft damit unabsichtlich den Nagel auf den Kopf, denn er sagt es zu einem Priester.
Flucht, Asyl, Migration sind Themen, die in österreichischen Filmen der letzten Jahre immer wieder auftauchen. Wie erklären
Sie diese Präsenz?
DIMITRÉ DINEV: Man muss diesem Thema die Würde geben, die es immer hatte. Es gibt keinen Mythos, in dem der König nicht aus der Fremde kommt.
Auch die Bibel erzählt nur Migrations-Geschichten. Das Wesentliche ist die Sehnsucht nach einem gerechten Ort, wo alles anders
und das Leben besser ist. Diese Sehnsucht verändert die Welt und nicht die Vernunft, die immer an Grenzen stößt. Dieses Thema
wird hoffentlich im Film Spanien ganz anders behandelt. Es geht nicht um die Hilflosigkeit der Asylsuchenden. Wir machen in
unserem Film das Gegenteil: Hier verfügt der Fremde über die größte Entscheidungsgewalt und sieht im Leben am klarsten. Er
kann zwischen wichtig und weniger wichtig unterscheiden, er ist der Lebensfähige und derjenige, der erneuert. Er gibt einer
verzweifelten Frau Hoffnung und Liebe, das kennt man von anderen Mythen. Es geht auch darum hinzuweisen, dass das ganze Gebäude
dieser Gesellschaft von Fremden aufgebaut worden ist – von Sklaven und anderen Meistern. Wenn man zu hinterfragen beginnt,
von wem gewisse Gebäude und Kunstwerke stammen, dann beginnt der Monolith von einer Kultur zu zerbröckeln. Den gibt es nämlich
nicht. Der Austausch treibt jede Kultur an und lässt sie überleben. Ich vertrete den Standpunkt, dass die Menschheit dank
dieser Sehnsucht überlebt. Wenn die Natur irgendwann austrocknet und nicht mehr funktioniert, werden und müssen wir alle den
Weg machen, den diese Figur macht, wenn wir überleben wollen. Unserer Gesellschaft ist das Überleben fremd geworden, deshalb
werden wir gnadenloser, ungerechter, grausamer. Das ist das Absurde, dass der Wohlstand die Menschen nicht gutmütiger und
so auch krank macht.
Der Film hat eine sehr eigene Optik. Woher rührt eine gewisse Stilisierung und das konsequente Durchziehen der Farbe Braun?
ANJA SALOMONOWITZ: Braun ist die Farbe der Western. Der Sand, die Erde sind braun. Braun ist der kultivierte Boden, der Lehm, sonst ist die
Erde überwuchert. Gewonnen für die Menschheit. In die braune Erde kann man dann die Samen werfen. Und Braun wird in der Farblehre
für Erdmenschen, also bodenständige Menschen, verwendet. Eines der vielen Vorbilder für die Bildsprache von Spanien waren
Caravaggio-Bilder. Die Lichtführung natürlich - aber auch die Farbgestaltung. Meine Vorgabe für die Farbwelt war Braun in
Braun, Farben die sonst vorkommen durften waren Rot, Gelb, Orange und dunkles Violett, lauter verwandte Farben. Ich wollte,
dass immer alles braun ist. Nicht nur Stühle, Tisch, Wand, alles, auch der Aschenbecher und die Flasche. Es hat eine Weile
gedauert, bis die Ausstatterin und auch der Kameramann verstanden haben, mit welcher Konsequenz ich entschlossen war, dieses
Konzept durchzuziehen.
An welchem Punkt hat Ihre Zusammenarbeit geendet?
ANJA SALOMONOWITZ: Wir haben gemeinsam geschrieben und dann war ausgemacht, dass ich alleine weitermache. Ich fand es toll, dass Dimitré dann
gesagt hat, „Jetzt kannst du’s nehmen und damit machen, was du damit machst“. Er war für Rücksprache offen, aber eigentlich
hat er es mit Beendigung des Drehbuchs an mich abgegeben.
DIMITRÉ DINEV: Ich kenne das von meiner Theaterarbeit. Wenn die Stücke einmal in Rumänien oder Bulgarien gespielt werden, schaue ich mir
auch nicht jede Aufführung an. Das Erfreulichste war, dass einige wenige das Drehbuch gelesen haben und allein durch die Lektüre
von der Geschichte überzeugt waren. Niemand hat versucht, uns dreinzureden. Das gab mir Sicherheit. Ich wusste auch, dass
Anja alle Szenen verfilmen und nicht eine Auswahl treffen wollte. Da war ich ziemlich ruhig.
Interview: Karin Schiefer
Juli 2011