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Arash T. Riahi dreht EIN AUGENBLICK FREIHEIT

 

Familie und Flucht standen bereits im Dokumentarfilm Exile Family Movie thematisch im Mittelpunkt. Für seinen dritten Langfilm hat Arash T. Riahi in die Fiktion gewechselt und mit einem Schauspielerteam aus halb Europa drei wahre Begebenheiten zu einer tragikomischen Erzählung über den Preis der Freiheit verflochten. Der ereignisreiche Dreh im spätwinterlichen Osten der Türkei ist abgeschlossen, die Fertigstellung von Ein Augenblick Freiheit ist für Winter zu erwarten.


Hätten die Eltern damals nicht versprochen, gleich jenseits der Grenze zu warten, er hätte als 18-Jähriger nie die Verantwortung übernommen, mit einem Freund - jeder ein knapp schulpflichtiges Kind am Rücken - über die iranisch-türkischen Grenzberge in den Westen zu fliehen. Es war eine kleine Notlüge. Das stellte sich jedoch erst heraus, als er bereits türkischen Boden unter den Füßen hatte und erfuhr, dass die Reise mit den Kindern noch bis Wien weiterging. Heute kann Mehrdad aus der entspannten Distanz von zwanzig Jahren vom riskanten Abenteuer mit glücklichem Ausgang erzählen. Der Cousin des Filmemachers Arash T. Riahi, der seit dieser Odyssee in die Freiheit in den USA lebt, ist zu den letzten Drehtagen nach Wien gekommen,  um in die kleine Rolle eines Polizisten zu schlüpfen, v.a. aber um dabei zu sein, wie seine Erzählungen, die der Regisseur vor Jahren auf Tonband festgehalten hat, als Teil seines ersten Spielfilms Ein Augenblick Freiheit Gestalt annehmen.


Drei wahre Begebenheiten mit mehr oder weniger glimpflichem Ausgang fließen zu einer tragikomischen Erzählung über Flucht und Freiheit zusammen, die von März bis Mai in erster Linie in der Türkei gedreht worden ist. Die Geschichte eines politisch engagierten Mannes, der mit Frau und Kind flieht und verbissen darum kämpft, den Behörden jenseits der Grenze glaubhaft zu machen, dass er politisch verfolgt war sowie jene einer Freundschaft zwischen einem älteren und einem jüngeren Mann bilden gemeinsam mit der Flucht der beiden Geschwister des Regisseurs das Handlungsgerüst diesen dritten Lang- und ersten Spielfilms. Nach Exile Family Movie hat Arash T. Riahi erneut einen Teil seiner Familiengeschichte thematisiert, am Buch für den Spielfilm hat er lange bevor er das heimliche Familientreffen in Mekka dokumentierte, begonnen. Sieben Jahre sind zwischen Idee und Realisierung vergangen, nicht weniger als 14 Drehbuchfassungen entstanden. Dokumentarisches birgt Für einen Augenblick, Freiheit insofern, als es sich um wahre, in Zeitungen, in Flüchtlingslagern oder im Bekanntenkreis recherchierte Begebenheiten handelt, die filmische Umsetzung sollte darüber hinausgehen. „Am Anfang,“ so der Filmemacher, „dachte ich mir, ein Spielfilm kann ja nie „echter“ werden als en Dokumentarfilm. Wahrscheinlich erwartet man von mir auch einen dokumentarischen Spielfilm, wo ich doch schon zwei Dokus gemacht habe, die sehr persönlich sind. Mir ist so etwas wie ein poetischer Realismus vorgeschwebt, ich wollte mit meiner Erzählweise zusätzlich zu einer dokumentarischen auch andere Ebenen einfließen lassen.“


Gut zehn gleichwertige Hauptrollen, davon drei Kinder zwischen fünf und sieben machten das Casting zu einem ausgiebigen Unterfangen, das durch halb Europa führte, um begabte und akzentfrei des Persischen mächtige Akteure im richtigen Alter aufzustöbern. Die Kinder fand man in Paris, Navid Akhavan (Ali) in Berlin, Fares Fares (Manu) in Stockholm, mit Cengiz Bozkurt holte man einen populären türkischen Schauspieler an Bord. Mit viel Vorausschau hat sich Arash T. Riahi auf die Arbeit mit den Kindern vorbereitet, die es über mehrere Wochen, wenn auch in Gegenwart der Eltern, bei Wind und Wetter täglich aufs Neue bei Laune zu halten galt. Als viel haariger erwies es sich letztendlich, das multinationale erwachsene Schauspielerteam durch schwelende Konflikte sicher bis zum Drehschluss zu geleiten. „Ich hatte oft das Gefühl,“ erinnert sich der Filmemacher, „nach und während des Drehs mehr psychologische Betreuung machen als Regie. Ich war Ansprechperson in emotionalen Dingen, auch deshalb, weil sie mit mir in Persisch sprechen konnten.“ Fragile Stimmungen und noch instabilere Witterungsverhältnisse auf 2000 Meter Höhe, die Tücken des Drehens mit Tieren, der Ruf nach Sparsamkeit im Materialverbrauch u.ä. sorgten für ein denkbar intensives erstes Drehabenteuer. „Ich spüre,“ so der Regisseur, „eine große Entlastung, dass die Wand des ersten Spielfilms überwunden ist, was auch immer aus dem Film wird. Es ist ein bisschen so, als  ob man die Chinesische Mauer erklommen hat und danach alle anderen nicht mehr so groß erscheinen, auch wenn sie vielleicht höher sind.“

Karin Schiefer
2007