In einem aufgelassenen Trakt im Krankenhaus zum Göttlichen Heiland steht die Hitze. Gedreht wird in einem kleinen Schwesternzimmer,
die Jalousien sind heruntergelassen, die Tür ist bei Dreh geschlossen, das Team verharrt bei 35 Grad lautlos am Gang. Schallendes
Gelächter aus dem Drehzimmer ist der sichere Hinweis auf das Ende des Takes und alles gerät wieder in Bewegung: die Tür geht
wieder auf, die stehende Luft wird mit allerlei Fächern zum Zirkulieren gebracht, man entdeckt, als Krankenschwestern gekleidet,
Barbara Albert und Emily Artmann. Nicht so drastisch wie auf den ersten Blick, haben sie dennoch ihren gewohnten Arbeitsplatz
verlassen und stehen für Regisseur Jörg Kalts ersten Langspielfilm Crash Test Dummies vor der Kamera.
In ihren gewohnten Rollen sind Kathrin Resetarits (Martha) und Simon Schwarz (Jan), beide auch Protagonisten in Richtung Zukunft durch die Nacht, und Eva Testor, Kamerafrau beinahe aller Arbeiten von Jörg Kalt, dabei. "Es ist tatsächlich ein Film", so der Regisseur, "der
von Freunden und mit Freunden gemacht worden ist. Es ist mir wichtig, einen Film mit Leuten zu machen, die ich mag. Und wir
hatten wirklich Spaß. Viel ist da aber dem Team zu verdanken, das vom ersten Tag an großartig eingespielt war". Stillstand
und Beschleunigung Das Ergebnis dieser außergewöhnlichen Teamarbeit ist für Anfang 2005 zu erwarten. Viele kleine Szenen zum
Lachen wird es auch für das Publikum von Crash Test Dummies geben, auch wenn die Figuren auf Kollisionskurs befinden und mit denkbar viel Ungeschick ihr eigenes Schicksal zu steuern
versuchen. "Sie haben alle etwas sehr Tragikomisches," so Jörg Kalt, "es gibt in diesem Film einen Humor, der sehr menschlich
bleibt, der sich nicht über die Figuren amüsiert, sondern über die Situationen, in denen sie drinstecken." Im Mittelpunkt
steht ein junges Paar aus Rumänien, Ana und Nicolae, die, Ende April 2004, also wenige Tage vor der offiziellen Erweiterung
der EU ohne Geld nach Wien kommen, um ein gestohlenes Auto zu übernehmen und es nach Bukarest zu bringen. Die Übergabe verzögert
sich, Ana hat ein Kind zu Hause und drängt zurück in den Osten, Nicolae wittert die Chance auf ein Leben im Westen. Sie streiten
so lange, bis jeder für sich in der unbekannten Stadt seiner Wege geht. Ana begegnet Jan, der ein erfolgloses Dasein als Kaufhausdetektiv
fristet und mit Martha so irgendwie liiert ist. Nikolae begegnet nicht nur Martha, die ihr Geld als Crash Test Dummies bei echten Auffahrtests oder als pharmazeutische Testperson verdient. Zufälle flechten ein loses Gefüge, das über mehrere
Figuren, Ana und Nikolae in Verbindung hält und sie schließlich an einem unerwarteten Ort wieder zusammenführt.
"Crash Test Dummies", erläutert der Regisseur den Titel des Films, "steht für Menschen die offenen Auges auf eine Wand zusteuern, aber trotzdem
davon unbeeindruckt weiterleben. Es hat etwas mit Testsituationen zu tun, denen viele meiner Figuren ausgesetzt sind und natürlich
auch mit Selbstzerstörung. Das Interessante an Crashtests ist, dass es dabei zu einer sehr hohen Beschleunigung kommt, jedoch
nur eine sehr geringe Geschwindigkeit erreicht wird. So ist es z. T. bei meinen Figuren auch". So werden Ana und Nikolae zu
Beginn des Films mit einer riesigen Beschleunigung in eine andere Welt katapultiert, sitzen dann aber fest, da beide in entgegengesetzte
Richtungen tendieren und die Geschwindigkeit aufgehoben ist. Zeit und Geschwindigkeit waren bereits auch Thema in Jörg Kalts
letztem Film Richtung Zukunft durch die Nacht, die Chronologie einer Liebe, die sich in der Mitte des Films zum Anfang hin zurückspult. Im Gegensatz zu diesem linearen
Erzählfaden hat sich der Filmemacher bei Crash Test Dummies für ein mosaikhaftes Konzept entschieden, "Es war faszinierend, eine Erzähllösung für diese vielen Stränge und Figuren zu
finden. Ich finde, es ist im Grunde eine konventionelle Art zu erzählen, es ist aber eine Lösung, die etwas Bruchstückhaftes
hat, viele Szenen sind so etwas wie Steine, weil sie nur in einer einzigen, sehr langen Einstellung gedreht sind".
Nach Drehschluss beim Göttlichen Heiland gibt es für das Drehteam einige Stunden Pause und dann wieder Treffpunkt kurz vor
Mitternacht, diesmal am Schottenring nach Betriebsschluss der Wiener Linien. Maria Popistasu, die Darstellerin der Ana, wird
zwischen zwei in entgegengesetzte Richtung fahrenden Straßenbahnen gefilmt, eine Szene, für die es einiger Hartnäckigkeit
bedurfte, bis es eine Genehmigung dafür gab. Maria eröffnet ihrem Regisseur erst am Weg zum Drehort, dass sie klaustrophob
ist und sie bei passender Gelegenheit schon mal von Panik befallen wird. Beim Dreh läuft aber alles gut. So gut, dass Maria
bei der nächsten Gelegenheit, dem Dreh ihres Autounfalls, nicht nur für ihr Stuntdouble einsprang - die Frisuren der
beiden Darstellerinnen passten nicht zusammen , sondern auch noch den Autolenker ermunterte bei der Bremsung immer noch
ein bisschen knapper an sie heranzufahren. Autounfälle, Prügeleien, eine Autofahrt durch eine dreißigköpfige Kuhherde
der Dreh von Crash Test Dummies bot wiederholt Gelegenheit zu außergewöhnlichen Drehsituationen. "Vier oder fünf mal" resümiert Jörg Kalt "hatten wir einen
Stuntkoordinator dabei, das waren für mich die besonders unterhaltsamen Drehtage. Ich glaube, das nächste Mal drehe ich einen
Action-Film".
Karin Schiefer (2004)