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Film-Enquete: Michael Haneke

 

Ohne Milch keine Sahne: Regisseur Michael Haneke (Die Klavierspielerin, Benny's Video, Funny Games) sprach anläßlich der parlamentarischen Film-Enquete am 3. Juli 2002 zum Thema Internationale Erfahrungen im Bereich der Filmförderung und -finanzierung. Sein Referat:


Sehr geehrte Damen und Herren, sollte Ihnen die Häufigkeit der Mitteilung in den Feuilletons der internationalen Presse trotz intensiven Studiums entgangen sein es gibt eine frohe Botschaft: Österreich kommt auf der internationalen Landkarte des Kinos wieder vor. Wieder ist gelinde gesagt untertrieben. Denn bisher waren es – abgesehen von den immer in vorderster Front der internationalen Avantgarde stehenden österreichischen Experimentalfilmern – wenige Einzelpersonen, die, übrigens häufig als Emigranten, außer halb unseres Landes überhaupt wahrgenommen wurden. Von einem österreichischen Filmwunder hat bis vor nicht allzu langer Zeit niemand gesprochen. Woher also kommt dieses? Ein Journalist hat mich vor ein paar Tagen mit einem Zitat konfrontiert, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Man braucht ihnen (den österreichischen Filmemachern) nur das Geld wegnehmen, dann gehts, wie man sieht, auch von allein. Ich bin überzeugt, dass eine große Anzahl von Leuten in der Bevölkerung wie auch in der Politik diese schadenfrohe Meinung teilt – selbstverständlich nicht die heute hier Anwesenden. Welche Filme sind es, die mit ihrem Erfolg das Wort vom österreichischen Filmwunder provoziert haben? Es sind die Filme von Filmemachern, die gemeinhin als schwierig, kontrovers, schwer verkäuflich oder, wie es ein österreichischer Kritiker einmal liebevoll formuliert hat: als Filme für die Blindenanstalt eingestuft werden. Machen Sie, meine Damen und Herren der Regierungsparteien, nicht den Fehler, den Erfolg dieser Filme für Ihr Verdienst zu halten. Diese Filme sind nicht durch Sie, sondern trotz Ihrer bisherigen Filmpolitik entstanden, einer Filmpolitik, die die ohnehin desaströsen finanziellen Förderungsbedingungen weiter reduziert. Wir verdanken nämlich den Erfolg der österreichischen Filme der letzten drei Jahre der Möglichkeit zu kontinuierlicher Entwicklung innerhalb eines Förderungssystems, das dem sogenannten künstlerischen Film die gleichen Chancen einräumte wie dem sogenannten Publikumsfilm, eine Unterscheidung, die im übrigen absolut kontraproduktiv und letztendlich falsch ist. Ich stehe hier aber nicht als Kulturfunktionär, sondern als Filmschaffender – deswegen erlauben Sie mir, zur Erläuterung des Gesagten von mir und meinen persönlichen Erfahrungen zu sprechen. Mein Film Die Klavierspielerin wurde seit seiner Auszeichnung in Cannes und auf diversen andern Festivals auch zu einem Verkaufsschlager: er wurde in über achtzig Länder verkauft, und allein in Europa haben ihn bisher an die zwei Millionen Menschen im Kino gesehen. Der Film wurde in der hiesigen Filmförderungsdiskussion als Beispiel dafür zitiert, wie man es machen müsste, um mit österreichischen Filmen Erfolg zu haben. Was dabei völlig unter den Tisch fällt, sind die Bedingungen, die diesen Film erst möglich gemacht haben. Ich hatte die Möglichkeit, über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren meine persönliche Filmsprache zu entwickeln, mit Filmen, die erwiesenermaßen und voraussehbar nicht an primär kommerziellen Überlegungen orientiert waren. Ich hatte die Möglichkeit, mit der Entwicklung dieser Filmsprache Schritt für Schritt an außerösterreichischem Renommee zu gewinnen, was dazu führte, dass ich als Regisseur und Autor im Ausland arbeiten durfte, was wiederum dazu führte, dass mir auch ausländische Produzenten und Stars ihr Vertrauen schenkten, was schließlich diesen Film Die Klavierspielerin erst möglich machte. Ich erzähle Ihnen das nicht, weil ich so gern von mir rede, sondern weil ich meine, dass die Geschichte dieses Films uns etwas darüber lehren kann, wie man in einem kleinen Land wie Österreich zu internationalen Ehren kommt: durch Förderung geistiger und künstlerischer Entwicklung, durch die Freiheit, auch einen Weg gehen zu dürfen, der nicht primär nach wirtschaftlichen Interessen sich ausrichtet. Natürlich ist dieser Weg nicht übertrag bar, und die Filme von Ulrich Seidl, Barbara Albert, Jessica Hausner, Virgil Widrich, Katrin Resetarits und anderen zeigen hervorragend, dass für begabte Autoren und Regisseure auch mit anderer Entwicklung und anderen finanziellen Mitteln der Durchbruch zur Internationalität möglich ist. Die Bedingung für den Erfolg von uns allen ist jedoch die Möglichkeit, frei zu arbeiten durch eine Filmförderung, deren Auswahlkriterien und finanzielle Mittel es zulassen, neben der Ware Film auch das Kulturprodukt entstehen zu lassen. Nebenbei bemerkt ist die Förderung des Films als Kulturprodukt die einzige von der EU zugelassene Filmförderungsform. Aber sprechen wir vom kommerziell orientierten Film: Im Schnitt verlassen 85% der europäischen Filme niemals die Grenzen ihrer Produktionsländer. Warum? Erstens aus Sprachgründen. Wer nicht englisch dreht, hat kaum Chancen auf dem Weltmarkt. Zweitens aus Gründen der Mentalität: selbst innerhalb des begrenzten deutschen Sprachraums erweckt deutscher Humor kaum dankbares Lachen beim österreichischen Publikum. Umgekehrt gilt das gleiche. Drittens, und auch dieser unangenehmen Wahrheit sollte man ins Auge sehen: ein großer Teil der Filme ist einfach nicht gut genug. In keinem Land der Welt, auch nicht im uns alle dominierenden Filmland Amerika, werden ausschließlich hervorragende Werke produziert. Was uns an Filmen erreicht, ist ein verschwindend geringer Bruchteil der internationalen Jahresproduktion. Worauf will ich hinaus? Es gab, glaube ich, in den siebziger Jahren einen deutschen Schlagertitel, der Sprichwortcharakter erlangte: Aber bitte mit Sahne! Die öffentliche Meinung und damit auch die Politik verlangt bei geförderter Kulturarbeit immer das Spitzenprodukt also: die Sahne. Was sie dabei vergisst, ist die simple Tatsache, dass ohne Milch keine Sahne abzuschöpfen ist. Der internationale Erfolg ist die Sahne auf dem Milchtrog jeder nationalen Filmproduktion. Vereinfacht gesagt: Es braucht die Milch, um die Sahne abschöpfen zu können. Wenn die Kuh keine Milch gibt, gibts auch keine Sahne. So simpel ist bedauerlicherweise die Milchmädchenrechnung. Um den Vergleich nicht zu Tode zu reiten: Sie können nicht die Erfolge des österreichischen Films für sich reklamieren, ohne deren Basisbedingung Rechnung zu tragen. Sie müssen es sogar aushalten, dass ein Teil der geförderten Filme misslingt, was äußerlich den Anschein erwecken kann, dass mit dem zur Verfügung gestellten Geld nicht sorgfältig genug umgegangen wird. Sie teilen dieses Los mit allen Politikern der Welt, die Kulturfördergelder zu vergeben haben. Kein Land produziert in keiner Branche ausschließlich Spitzenware. Die Qualität eines Kuchens erweist sich beim Essen. Offenbar waren die Ingredienzien der österreichischen Filmförderung mit ihrem Versuch einer Ausgewogenheit zwischen künstlerischer und wirtschaftlicher Orientierung nicht so schlecht, wenn ihre Resultate jetzt allenthalben bestaunt werden. Die Tendenz, die ich der neu vorgenommenen Besetzung des Kuratoriums zu entnehmen meine, zeigt aber, dass der politische Wunsch da ist, die Filmförderung neben der Streichung der Mittel auch in ihren Entscheidungskriterien grundsätzlich zu verändern. Allein die Tatsache, dass ,bei der Besetzung der vom Gesetz vorgesehenen fünf fachkundigen Vertreter des österreichischen Filmwesens lediglich ein österreichischer Fernsehproduzent und ein Verleiher, dafür aber drei Vertreter der deutschen Film beziehungsweise Fernsehbranche zum Zuge kamen, da es in Österreich offenbar nur inkompetente Idioten zu geben scheint, dass weiters trotz intensiver Appelle des Regieverbandes nicht einmal mehr ein Vertreter der wichtigsten Berufsgruppe des Filmwesens, der der Regisseure nämlich, vorhanden ist ? all das schürt den Verdacht, dass künstlerisch-fachliche Kriterien in Hinkunft vermeintlich ökonomischen hintangestellt sein sollen. Ich frage, mich, wozu wir ein Filmgesetz haben, wenn die Regierung es einfach ignorieren kann. Der Schuss geht übrigens nach hinten los. Deutschland, an dem die neue Förderungspolitik sich offensichtlich zu orientieren scheint, ist dafür ein fatales Beispiel. Seit es seine Förderungskriterien in erster Linie auf die kommerzielle Befriedigung des einheimischen Marktes zurechtgetrimmt hat, kommt es als Filmland international so gut wie nicht mehr vor. Die Exportunion des deutschen Films tritt mit erheblichem finanziellen Aufwand bei allen größeren Festivals auf, in deren Programmen aber kommt die deutsche Filmindustrie seit Jahren im günstigsten Fall als Mitfinanzier bei internationalen Koproduktionen vor. Lange wird sie sich das nicht mehr leisten können. Wer in Europa versucht, Film nach rein wirtschaftlichen Kriterien einzig für das eigensprachliche Publikum zu fördern, ist auf Grund ebendieser Begrenzung von vornherein auf der einen Seite dem englisch-, also weltsprachigen Amerika und auf der andern dem Zerstreuungsmoloch Fernsehen gegenüber zum Scheitern verurteilt. Im Genre und Zerstreuungskino ist gegen diese Giganten, ihre Omnipräsenz und Werbemaschinerie bestenfalls ein einzelner Blumentopf zu gewinnen. Keine nationale europäische Filmindustrie kann mit dieser Selbstkastrierung überleben, dafür sind die potentiellen Zuschauerzahlen der einzelnen Sprachbereiche zu beschränkt. Was es hingegen gerade in kleinen Ländern wie unserem braucht, ist die finanzielle und inhaltliche Garantie für kontinuierliche Talententwicklung. Die Fördermittel, die Frankreich bereitstellt, betragen gut 415 Millionen Euro. Umgerechnet auf die österreichische Bevölkerungszahl würde die französische Förderungsrate eine jährliche Summe von zirka 56 Millionen Euro bedeuten. Tatsächlich haben wir, die nationalen und regionalen Förderungen zusammengerechnet, knapp siebzehn Millionen Euro. Wir liegen damit vor Finnland und Griechenland an drittletzter Stelle der EU. Was die rein staatliche Förderung anlangt, liegt Österreich mit 7,7 Millionen Euro an letzter Stelle in der Europäischen Gemeinschaft. Soviel zur Bedeutung, die wir dem Filmschaffen beimessen. Niemand behauptet, dass allein die jetzige Kulturpolitik an diesem fatalen Tatbestand Schuld trägt. Einsparungen sind bei einer wirtschaftlich gesunden Situation möglich und manchmal notwendig. Wer aber einer Branche das Existenzminimum kürzt, bringt sie um. Sie haben zwei Möglichkeiten, meine Damen und Herren von der Regierung. Sie können sagen: Die Filmleute haben nach den Wahlen gegen uns Stellung bezogen, also entziehen wir ihnen die Basis für weitere Arbeit, dann sind wir sie los. Dann wäre diese Enquete heute eine bloße Farce und ihre Verlegung an den Ferienanfang ein cleverer Schachzug, größeres Medienecho zu vermeiden. Sie können aber auch sagen: Österreich ist dank einer über 21 Jahre gewachsenen Filmförderung endlich und zum ersten Mal kein weißer Fleck mehr auf der Landkarte des Kinos::: unser Land hat zur Staatsoper, dem Burgtheater, den Lippizanern und den Philharmonikern auch in der modernsten Kunstform, nämlich der des Film, international etwas mitzureden. Also lassen Sie uns diese Gelegenheit beim Schopf fassen, und tun wir etwas dafür: hören wir als Politiker auf das, was die Fachleute uns sagen, auch wenn uns deren Meinung nicht immer in den Kram passt, arbeiten wir mit ihnen, statt sie als Feinde zu betrachten. Dann könnten Sie, meine Damen und Herren, wenn schon nicht in die Welt-, doch vielleicht mit einer positiven Fußnote in die Filmgeschichte eingehen.
© Michael Haneke, 2002