Hans Weingartner setzt in seinem neuen Film Free Rainer – Dein Fernseher lügt zum subversiven Angriff gegen das Gift aus der Glotze an: Rainers Fernsehshows sind zynisch und vulgär, er macht damit Quote,
jede Menge Kohle und kokst sich dabei selbst kaputt. Ein Autocrash holt ihn in ein neues Leben zurück, das er, unterstützt
von einer Handvoll Aussenseitern, einer kulturellen Revolution jenseits der Mattscheibe widmet. Moritz Bleibtreu überzeugt
als Manager wie als Monteur. Die Amerika- und Europapremieren von Free Rainer fanden in Toronto und San Sebastian statt.
Hat der Erfolg von Die fetten Jahre sind vorbei viel Druck für den folgenden Film weggenommen oder umgekehrt einen viel größeren
Druck erzeugt?
HANS WEINGARTNER: Den finanziellen Druck hat es weggenommen. Ich hatte zum ersten Mal soviel Geld, um mir keine Sorgen machen zu müssen, wie
ich die nächsten drei Jahre meine Miete bezahle. Der Erfolg hat meine Produktionsfirma auf solide Beine gestellt, der öffentliche
Druck hat sich natürlich erhöht. Die Erwartungen steigen nach einem solchen Erfolg ins Unermessliche.
Die Finanzierung war relativ einfach. Toll war, dass wir aus Deutschland und Österreich sehr viele Referenzmittel hatten.
Insgesamt beläuft sich das Budget auf etwas zwischen 2,5 und 3 Millionen Euro, das war auf alle Fälle deutlich mehr als für
Die fetten Jahre sind vorbei. Es macht das ganze einfacher, weil man viele Leute anstellen kann und weniger selber machen
muss.
War es eine leichtere Produktion als die davor?
HANS WEINGARTNER: Das würde ich so nicht sagen, weil das Projekt von seiner Natur und seinen Dimensionen her viel größer war. Es brauchte viel
mehr Locations, mehr Schauspieler, es gab komplexere Inhalte herzustellen wie z.B. die Fernsehshows. Das war extrem teuer
und aufwändig, da ich wollte, dass sie halbwegs authentisch aussehen. Der große Vorteil, sein eigener Produzent zu sein, liegt
darin, dass es keine „Pipeline“ gibt, wo der Drehbeginn aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten immer wieder nach hinten
verschoben wird. Wenn ich ein Drehbuch schreibe, dann wird es auch gemacht. Die Dreharbeiten dauerten etwas über zwei Monate
und dann kam auch noch eine große Second-Unit-Produktion für die Straßeninterviews etc. dazu. Das hat Datenstrudel, eine Künstlergruppe
aus Berlin, für mich gemacht. Das Wichtigste bei so aufwändigen Produktionen ist es, gut zu delegieren und natürlich hätte
ich auch für diese Produktion doppelt so viel Geld gebraucht, um meine Leute ausreichend gut bezahlen zu können.
Fiktives Fernsehen inklusive seiner glaubwürdigen Sabotage darzustellen setzte wohl einiges an Auseinandersetzung mit der
Sache selbst voraus?
HANS WEINGARTNER: Wenn man selbst aus der Medienwelt kommt, hat man einen Startvorteil. Es ist leichter, Kontakte zu Leuten zu kriegen, die
im Fernsehen arbeiten. Ich sehe Free Rainer jedoch nicht als Fernsehsatire, sondern vielmehr als eine Satire über den allgemeinen geistigen Verfall unserer Gesellschaft.
Fernsehen ist für mich das stärkste Indiz für diesen Verfall, weil es am massivsten unser Leben beeinflusst. Die Menschen
sehen vier Stunden täglich fern, 80% ihrer Freizeit verbringen sie vor der Glotze. Die Bild-Zeitung ist ja ein Intellektuellenblatt im Vergleich zu einer Folge von Big Brother. Die Kultur des Trash wird im Fernsehen
am deutlichsten sichtbar. Es war logistisch sehr aufwändig und inhaltlich eine Herausforderung, das Trashfernsehen so zu zeigen,
dass es einerseits der Lächerlichkeit preisgegeben wird, ohne die Unheimlichkeit und das Abstoßende nicht zu verlieren. Wenn
im Film jemand zappt, dann hat man einerseits eine lächerliche Arztserie und andererseits die grausigen Schönheitsoperationen.
Man muss sich da auch ganz schön zügeln, dass man nicht total abdriftet. Es macht natürlich auch großen Spaß, diesen Schwachsinn
zu produzieren.
Der Film vermittelt den Eindruck mit sehr viel Liebe zum Detail entstanden zu sein, was auch der Ausstattung zu verdanken
zu sein scheint.
HANS WEINGARTNER: Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich die Ausstattung in diesem Film liebe. Udo Kramer ist ein junger Ausstatter aus Berlin,
der vorher Knallhart und dann Nordwand gemacht hat. Er ist ein Genie und geht mit einer unheimlichen Spielfreude an seine
Arbeit. Es ist höchste Zeit, dass er den deutschen Filmpreis bekommt. Mit solchen Leuten zu arbeiten macht einfach große Freude.
Es gibt so viele Dinge im Film, die fürs Erste gar nicht auffallen. Zum Beispiel, dass die Figur des Philipp zumindest zu
50 Prozent über seine Wohnung eingeführt wird. Der braucht keine Back-Story, weil man die über die Einrichtung seiner Wohnung
erfährt. Ich gebe dem Ausstatter eine Figurenbeschreibung und den Rest macht er selbst. Als ich die fertige Wohnung betreten
habe, hätte ich ihn nur noch küssen können. Das gleiche war mit der Pension. Es gehörte zu den schönsten Momenten, wenn ich
ein neues Set von Udo Kramer sehen durfte. Ich denke auch an die Penthouse-Wohnung mit dem riesigen Foto von Anna an der Wand
oder die Sperma-Show kommt bis ins Detail von Udo, das Sofa der Kandidatin hat die Form einer Eizelle, der Gang der Kandidaten
die eines Spermiums. Er hat mit solchen Details das satirische Moment im Film wunderbar umgesetzt und war vom Humor her absolut
auf einer Wellenlänge mit mir. Motive sind einfach so wichtig für Filme, das unterschätzen so viele.
Film ist natürlich Teamwork. Jeder hat das Seine dazu beigetragen, auch die Schauspieler haben ihre Figuren mitbestimmt. Dass
Pegah eine tolle Schwimmerin ist, kam dadurch zustande, dass ich in der Probenzeit mit Elsa schwimmen war, um festzustellen,
dass die kraulen kann wie Franziska von Almsick. Die Idee kam also praktisch von ihr. Und so bringt jeder vom Ausstatter,
über den Sounddesigner, den Requisiteur und die Schauspieler etwas ein in den Film.
Wie kam die Besetzung zustande?
HANS WEINGARTNER: In der ersten Runde des Castings war es so, dass ich nur unbekannte Leute eingeladen habe, weil ich keinen Star haben wollte.
Ich fürchtete mich blöderweise davor, dass es mir zum Vorwurf gemacht werden könnte, in einem Film gegen die Quote einen
Star zu verwenden. Ich habe mich dann aber entschieden, ohne Rücksicht darauf den Schauspieler zu nehmen, der diese Rolle
am besten verkörpert. Ich hatte Moritz zuvor auf der Berlinale kennen gelernt und ihm das Drehbuch geschickt. Er war hellauf begeistert, dass er sogar bereit war, Probeaufnahmen zu machen,
was er normalerweise nicht mehr. Er brennt auch für das Thema. Und in der ersten Hälfte des Films habe ich dann das Thema
in Nuancen auf ihn zugeschrieben. Rainer war in der ursprünglichen Drehbuchfassung mehr Kopfmensch und Woody Allen-Typ. Moritz
ist ein Tier, ein Bauchmensch, ein Orkan. Das habe ich versucht, in die Figur des Rainer hineinzuarbeiten. Milan Peschel ist
nicht nur Theaterschauspieler an der Volksbühne, er ist ja auch ein absoluter Kultschauspieler in der ganzen deutschen Filmszene.
Jeder Regisseur und Produzent kennt ihn und liebt ihn. Er ist ein Berserker, der täglich auf der Bühne stehen muss und sich
standhaft weigert, ein Star zu werden, weder Pressetermine wahrnimmt, noch auf Festivals fährt. Das interessiert ihn alles
nicht. Gregor Bloéb ist auch so ein Vollblutschauspieler wie man ihn selten trifft, der keine Angst hat, in Fettnäpfchen zu
treten oder mal einen schlechten Take zu machen. Er ist zu jeder Schandtat bereit. Da macht dann die Arbeit so richtig Freude,
das sind die Momente, wo ich meinen Beruf am meisten liebe.
Thematisch lässt sich eine klare Verbindung zwischen den beiden letzten Filmen herstellen. Wird es in diese Richtung weitergehen?
HANS WEINGARTNER: Diese beiden Filme sind in Richtung Satire gegangen, der nächste Film wird wieder ganz anders. Es geht um Erste und Dritte
Welt, um Reich und Arm, um Ausbeutung von Arbeitskräften aus Entwicklungsländern. Der Film wird auch humorvolle Szenen haben,
er ist aber größtenteils ein sozialrealistisches Drama.
Wieviele Leute haben in Deutschland Die fetten Jahre sind vorbei gesehen?
HANS WEINGARTNER: 900.000 haben ihn im Kino gesehen und sicherlich ein paar Millionen mehr dann auf DVD und im Fernsehen und in 50 Ländern
der Welt auch noch. Es ist schon sehr motivierend, wenn mir Julia Jentsch erzählt, dass sie in Brasilien auf einem Strand
von zwei Mädchen angesprochen wurde, ob sie die Julia aus The Edukators sei. Oder wenn ich eine argentinische Frau in Berlin
in der Disco treffe und ich sage Ich bin Filmemacher und mein letzter Film war The Edukators und die bricht fast zusammen,
dann heißt das nicht, dass das nur mein Ego aufpäppelt (wenn es das auch wirklich tut), es bedeutet auch, dass der Film seine
Wirkung in 50 Ländern wirklich hat entfalten können. Gerade beim Thema der materiellen Ungerechtigkeit durch die Globalisierung
ist es wichtig gewesen.
In Free Rainer wird auf alle Fälle ein Gespür für die Komödie sehr deutlich?
HANS WEINGARTNER: Es ehrt mich natürlich, das zu hören. Ich kann dazu sagen, mir macht es Spaß, die verschiedensten Herangehensweisen auszuloten.
Es haben mich viele Leute davor gewarnt, dass ich nun auf diese Schiene festgelegt werden könnte und dass Free Rainer von
der Machart her Die fetten Jahre sind vorbei zu ähnlich sei und dass es meiner Karriere schaden könnte. Das hat mich überhaupt
nicht interessiert. Ich denke nicht in solchen Karrierebegriffen. Jeder Film braucht die für ihn adäquate Form und übers Fernsehen
kann man einfach kein Sozialdrama machen. Diesem paradoxen Wahnsinn kann man nur in einer Satire beikommen und ich mag es,
politische Inhalte in eine humorvolle, satirische Form zu packen, weil es eine starke Wirkung hat und auch Leute ins Kino
holt, die normalerweise keine politischen Filme anschauen. Das ist ja auch das Großartige an Michael Moore. Wer Michael Moore
einen Populisten schimpft, hat meiner Meinung nach nichts begriffen, das sind zynische Miesmacher. Der Mann hat wohl mehr
für Amerika und die Aufklärung der Menschheit getan als 25 Sozialdramen aus der Ukraine. Mir macht es einen Riesenspaß, die
Kunstfilm-Dogmen zu brechen und aus dem Arthouse-Ghetto rauszukommen. Ich halte L’Enfant für einen großartigen Film, die Leute,
die letztendlich im Kino sitzen und sich den Film anschauen, sind nicht die Leute, von denen der Film handelt.
Betrachten Sie Ihre Arbeit als Gratwanderung zwischen ernsthafter Thematik und Erreichbarkeit beim Publikum?
HANS WEINGARTNER: Klar ist das die Frage für mich. Will ich künstlerisch preiswürdige Filme machen, für die ich von der Kritik gehätschelt
werde und auf Festivals durch die Welt touren kann, die aber letztendlich niemand sieht? Will ich mich im Elfenbeinturm der
Kunst behaglich einrichten oder will ich mit meinem Film wirklich etwas bewegen? Ich habe mich bei meinen letzen drei Filmen
für das Zweitere entschieden, bin aber keineswegs ein Dogmatiker. Ich will niemandem vorschreiben, wie er seine Filme zu machen
hat. Ich liebe Christian Petzold-Filme, obwohl die nur wenige Menschen sehen, sind sie ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur.
Es ist einfach nicht meine Art, Filme zu machen, ich respektiere und schätze sie sehr, ich könnte Filme in dieser Art aber
nicht machen. Ich bin ja nicht nur Kinomacher, sondern auch Kinogeher und die beiden haben zwar viel miteinander zu tun, es
ist aber doch nicht derselbe Mensch, der ins Kino geht und Kino herstellt.
Interview: Karin Schiefer
2007