INTERVIEW

«Jack ist eine so ambivalente Figur ist, dass man davon nur träumen kann, sie spielen zu dürfen.»

Johannes Krisch über seine Auseinandersetzung mit Jack Unterweger und die Arbeit in Elisabeth Scharangs Jack.


Jack ist nicht Ihre erste Zusammenarbeit mit Elisabeth Scharang. Zuvor drehten Sie schon gemeinsam Vielleicht in einem anderen Leben. Wann hat sich Jack Unterweger in dieser Zusammenarbeit dazu gesellt?

JOHANNES KRISCH:  Im Zuge der Dreharbeiten zu Vielleicht in einem anderen Leben erzählte mir Elisabeth, dass sie an einem Film über Jack Unterweger arbeitete und sich vorstellen könnte, dass ich das spiele. Ich habe sofort zugesagt.

 
Ohne Wenn und Aber?

JOHANNES KRISCH: Sofort. Jack ist eine so ambivalente Figur ist, dass man davon nur träumen kann, sie spielen zu dürfen. Da zögerte ich keine Sekunde.

 
Macht es für einen Schauspieler nicht einen Unterschied, ob man eine erfundene oder eine real existierende Figur verkörpert? Wie sehr kommen Bedenken ins Spiel, mit der realen/historischen Figur verglichen zu werden?

JOHANNES KRISCH: Man hat sehr viel weniger Spielraum in der eigenen Phantasie und muss auch noch die Verantwortung für die Person, die existiert hat, übernehmen. Dessen muss man sich bewusst sein und sich dann ins Leben der Person vertiefen, um sich den Charakter anzueignen. Es ist eine tolle Aufgabe.

 
Hieß das auch, über die Fakten und Informationen zur Person hinaus, auch das Phänomen „Jack Unterweger“ zu integrieren?

JOHANNES KRISCH: Ums Phänomen kümmern sich die anderen. Das ist weniger meine Aufgabe. Den König spielen immer die anderen. Ein besonderes Privileg war in diesem Fall, dass ich mich mit Material auseinandersetzen durfte, das im Normalfall für andere verschlossen ist. Damit meine ich psychiatrische Gutachten, Zeugenaussagen,  gerichtsmedizinische Gutachten, seine Stellungnahmen, sein Plädoyer – alles Material, das einem das Gefühl gibt, dass die Figur einem immer näher kommt. Man muss sich öffnen und sich komplett davon vereinnahmen lassen. Das war ein toller Prozess, den ich so vorher noch nie erlebt habe. Bei meiner Rolle als Hans Orsolic war es ähnlich, aber dennoch nicht vergleichbar. Ich kann nun mit Fug und Recht behaupten, Jack Unterweger zu kennen, obwohl ich ihn nie persönlich kennen gelernt habe. Ich kenne ihn wahrscheinlich besser als manche, die mit ihm Zeit verbracht haben.

 
An welcher Stelle haben Sie Zugang zu ihm gefunden, sozusagen das Stück Faden, an dem man anzieht, um immer tiefer nach innen zu gelangen.

JOHANNES KRISCH: Ich habe zunächst versucht, mich ihm über die Äußerlichkeiten, über Bildmaterial anzunähern: Wie bewegt er sich? Wie schaut er? Dann erst kam die psychologische Ebene. Da ergibt dann eines das andere und das Bild vervollkommnet sich.

 
Elisabeth Scharang hat soeben erzählt, dass Männer oft mit der Figur ein Problem hatten. Wie sah Ihr Verhältnis zu Jack aus?

JOHANNES KRISCH: Ich hatte kein Problem mit ihm. Weder zur Zeit als er noch unter uns war, als jetzt bei der Arbeit an der Filmrolle. Ich hatte zwar die Causa verfolgt, hatte aber nichts mit ihm zu tun. Im Zuge der Recherchen auch nicht. Etwas, was mich an den Schriften, die ich gelesen habe, so erstaunt hat, war die Erkenntnis, wie nahe wir dem sind, was die Ärzte in ihren Expertisen festgehalten haben. Wenn man das liest, sagt man sich „Das trifft ja alles auf mich auch zu“. Die Recherche hat mich sehr stark mit der Frage konfrontiert, was es letztlich in einem Menschen ausmacht, diesen kleinen Schritt zu tun und die Grenze zu überschreiten. Das ist ein sehr schmaler Grat.

 
Wann hat die Auseinandersetzung mit der Figur allein aufgehört und die Zusammenarbeit mit Elisabeth begonnen?

JOHANNES KRISCH: Die Zusammenarbeit mit Elisabeth hat in dem Moment begonnen, als sie mich fragte, ob ich es mir vorstellen könnte, diese Rolle zu spielen. Es ist keine Drehbuchfassung an mir vorübergegangen. Wir haben uns sehr viel ausgetauscht und was die Phantasie betrifft, oft gegenseitig aufgestachelt. Ich war ihr sehr dankbar, so stark eingebunden zu sein. Es war ein schleichender Prozess, wo man keine klaren Trennlinien ziehen kann.

 
Das Vehikel, das ihm den Zugang zur Gesellschaft „draußen“ verschafft hat, war die Sprache. Mit ihr hat er sich als Literat Aufmerksamkeit verschafft, mit ihr hat er sich ein Image geschaffen und sein Umfeld manipuliert. Haben Sie auch viele seiner Texte gelesen?

JOHANNES KRISCH: Die Sprache ist eine Waffe für uns alle. Die Sprache hat in meinem Beruf einen Stellenwert, der nicht wegzudenken ist. Sie hat im Sinne des Werkzeugs nun in dieser Arbeit keine größere Rolle gespielt als sonst. Ich habe auch viele von Unterwegers Texten gelesen. Ich bin allerdings der Meinung, dass er nicht als Klassiker überleben wird. Seine Texte werden als interessantes Zeitdokument bleiben.

 
In der Rollenvorbereitung ging es auch sehr um Jacks Äußeres sowohl was die Maske als auch sein Kostüm betrifft.

JOHANNES KRISCH: Ja. Es gab sehr viele Proben. Die Mitarbeiter der Kostümabteilung wie auch die der Maske haben phantastische Arbeit geleistet. Sie haben da ein Fundament für die Figur gelegt und mich dadurch in der Erarbeitung der Rolle sehr unterstützt. Ich musste die ganze Prozedur mit Ganz-Gesichtsabdruck und Ganz-Kopfabdruck über mich ergehen lassen. Tattoos wurden ständig ausprobiert. Es war, ich gebe es zu, bis zu einem gewissen Grad ein Horror. Aber es macht natürlich auch einen großen Reiz dieses Berufes aus, dass man sich verändert und in verschiedenen Rollen immer anders ausschaut. Ich will ja kein Gesichtsschauspieler sein.

 
Die zweite Vertrauensperson bei einem Dreh ist neben der Regisseurin der Kameramann. Mit Jörg Widmer bedeutete es, mit einem Kameramann der obersten Liga zu spielen. Wie haben Sie die Arbeit mit ihm erlebt?

JOHANNES KRISCH: Die Arbeit mit ihm war blindes Verständnis. Es genügt ein Blick und das Vertrauen ist hergestellt. Dann beginnt man zu fliegen und dann macht die Arbeit Spaß. Man spürt das gleich bei der ersten Begegnung.

 
Was wird an der Arbeit an dieser Rolle bleiben, wenn Sie mit größerem zeitlichen Abstand darauf zurückschauen?

JOHANNES KRISCH: Gewiss die Vorbereitung auf diesen Menschen, die intensive Auseinandersetzung mit den Protokollen, das Eintauchen in die Psyche dieses Mannes. Das wird mir sehr in Erinnerung bleiben. Es war ja für mich der umgekehrte Arbeitsprozess. Ich habe mir nicht anhand einer Rolle, eines Textes die Psyche einer Figur erarbeitet, sondern sein Verhalten und seine Sprache  haben sich mir aufgrund der unzähligen Aussagen von ihm und über ihn eröffnet. Auf dieser Grundlage habe ich auch seine Sprache und seine Texte anders verstanden. Ich habe das Pferd im Gegensatz zu anderen Arbeiten von hinten aufgezäumt.

 
Wie lange hat er Sie begleitet?

JOHANNES KRISCH: Ich denke, es ist fünf oder sechs Jahre her, dass Elisabeth mir diese Rolle angetragen hat. Seitdem verfolgt er mich.

 
Sind Sie ihn noch immer nicht los?

JOHANNES KRISCH: Nein. Noch nicht ganz. Er war auf alle Fälle länger in mir drinnen als andere Figuren. Die neuen Projekte helfen sehr dabei. Manchmal knallt er durch.
 
 
Interview: Karin Schiefer
Juli 2015